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FOCUS_2022-38_Vorschau

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AUSGABE <strong>38</strong> 17. September <strong>2022</strong> € 4,90 EUROPEAN MAGAZINE AWA R D WINNER <strong>2022</strong> POLITICS & SOCIETY /// INFOGRAPHIC<br />

40 Seiten<br />

MODE & STIL<br />

Cro legt die Maske ab,<br />

Thilo Mischke geht<br />

auf Roadtrip und<br />

Mr. Bryan Adams<br />

zeigt sein Portfolio<br />

Style<br />

StyleNr. Nr. 3<br />

Bryan<br />

Adams<br />

Bryan<br />

Adams<br />

<strong>2022</strong><br />

SIND WIR NOCH<br />

ZU RETTEN?<br />

Energienot, Preisexplosion, Insolvenzen<br />

und die Angst vor dem Kollaps der Wirtschaft<br />

EXKLUSIV: BDI-Chef Russwurm im Gespräch<br />

PLUS: Wie Sie jetzt Energiekosten sparen<br />

King Charles III.: Game of Throne<br />

Gelingt es dem neuen König, die Monarchie ins 21. Jahrhundert zu führen?


Alle <strong>FOCUS</strong>-Titel to go.<br />

focus-shop.de<br />

JETZT<br />

E-PAPER LESEN:


EDITORIAL<br />

Die Angst vor dem Absturz<br />

Von Robert Schneider, Chefredakteur<br />

Foto: Peter Rigaud/<strong>FOCUS</strong>-Magazin<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

in schwierigen Lagen breitet sich häufig<br />

so was wie Galgenhumor aus. Und so kursieren<br />

in den sozialen Netzwerken derzeit<br />

makabre Scherze zur wirtschaftlichen<br />

Lage unseres Landes. Wie z. B. dieser: Was<br />

ist der Unterschied zwischen Deutschland<br />

und der Titanic? Antwort: Die Titanic<br />

hatte die Lichter an, als sie unterging.<br />

Doppelt böse ein Tweet zu Wirtschaftsminister<br />

Robert Habecks verunglückten<br />

Insolvenz-Ausführungen und des Kanzlers<br />

Erinnerungslücken beim Thema Cum-Ex.<br />

Habeck zu Olaf Scholz: „Alter, habe ich<br />

gestern einen Scheiß geredet.“ Antwort<br />

Scholz: „Wenn du mich fragst: Vergiss es.“<br />

Doch vielen in der Wirtschaft ist das<br />

Lachen vergangen. Jüngst wurde ich Zeuge,<br />

wie der Wirt eines von mir geschätzten<br />

Lokals seinen Gästen verkündete: „Das<br />

waren die letzten Bratkartoffeln, ab sofort<br />

gibt es hier nur noch kalte Gerichte.“ In der<br />

Hand hatte er seine neue Gasrechnung:<br />

statt 150 Euro im Monat 680 Euro.<br />

In dieser Woche forderte der Brandenburger<br />

SPD-Ministerpräsident Dietmar<br />

Woidke die Bundesregierung auf, angesichts<br />

der Energiepreise „eine außergewöhnliche<br />

Notlage“ auszurufen, um die<br />

Aufnahme neuer Kredite zu erleichtern.<br />

Und auch der BDI-Präsident Siegfried<br />

Russwurm schlägt Alarm. Im Gespräch mit<br />

<strong>FOCUS</strong> (ab Seite 54) warnt er, wenn wir die<br />

Energiepreise nicht in den Griff bekommen,<br />

droht uns eine Deindustrialisierung.<br />

Sein Rat an die Regierung ist so klar<br />

wie einleuchtend: Wir müssen auf jede<br />

erdenkliche Art so viel Strom wie möglich<br />

produzieren. Und: Nur durch ein erhöhtes<br />

Angebot können wir den Strompreis<br />

senken. Selbstredend hält Russwurm das<br />

Abschalten von Atomkraftwerken in der<br />

jetzigen Lage für ökonomischen Unsinn.<br />

Der Präsident der mächtigen Familienunternehmer,<br />

Reinhold von Eben-Worlée,<br />

wählt ähnlich drastische Töne, um die Politik<br />

wachzurütteln: „Eine riesige Insolvenzwelle<br />

ist bereits im Gang, und sie wird<br />

noch viel größer werden.“<br />

Wenn zeitgleich Großindustrie und Mittelstand<br />

vor einem Crash des Standorts<br />

Deutschland warnen, sollten wir akzeptieren,<br />

dass dieses Land in Gefahr ist. Mehrere<br />

Wirtschaftsverbände benennen über-<br />

einstimmend die drastisch gestiegenen<br />

Energiepreise, die aktuell um das Achtfache<br />

(!) über denen in den USA liegen, als<br />

Ursache für eine künftige massive Abwanderung<br />

ganzer Betriebsteile oder für Verlagerung<br />

von Produktionen ins Ausland.<br />

Für Unternehmer und Investoren werden<br />

die USA offenkundig immer mehr zum gelobten<br />

Land. Denn nicht nur die Energiepreise<br />

sind dort niedriger, auch Steuern und<br />

Abgaben – und Gasrationierungen drohen<br />

dort auch nicht. Um es im Habeck-Sprech<br />

zu sagen: Wenn in Deutschland künftig<br />

Produktionen im großen Stil samt vieler<br />

hochqualifizierter Jobs verschwinden, heißt<br />

das nicht, dass die Unternehmen insolvent<br />

sind. Produktion, Gewinne, Jobs und<br />

Löhne sowie die dazugehörigen Steuereinnahmen<br />

sind lediglich ausgewandert.<br />

Erst verschärfen, dann bekämpfen<br />

Die toxische Kombination von Energiepreisexplosion,<br />

Rekordinflation und daraus<br />

resultierender Kaufzurückhaltung<br />

breiter Schichten frisst sich mit atemberaubender<br />

Geschwindigkeit durch den<br />

Standort Deutschland. So stand die Ad-<br />

Blue-Produktion der Chemiefirma SKW<br />

Piesteritz in Wittenberg wochenlang still,<br />

weil Gas einer der wichtigsten Grundstoffe<br />

für den Diesel-Abgasreiniger ist. Aus Wittenberg<br />

aber kommen rund 40 Prozent der<br />

deutschen AdBlue-Produktion. Ihr längerfristiger<br />

Ausfall hätte dramatische Konsequenzen<br />

für die Transportbranche, Chemieparks<br />

und Raffinerien. Und natürlich<br />

sind Brötchen für jene 80 Cent nicht verkäuflich,<br />

die sie bald wegen der gestiegenen<br />

Gas- und Strompreise kosten müssten.<br />

Leider verschärft der Staat, der sich gerne<br />

in der Rolle des Samariters für notleidende<br />

Bürger und Betriebe geriert, zu einem<br />

erheblichen Teil die Probleme, die er dann<br />

bekämpft. Ein schönes Beispiel dafür sind<br />

die Benzinpreise, die nach den Daten der<br />

Europäischen Kommission in Deutschland<br />

höher sind als in allen EU-Nachbarstaaten.<br />

Denn ein erheblicher Anteil rührt von<br />

staatlich verordneten Steuern und Abgaben,<br />

die die Politik natürlich senken könnte.<br />

Andere Staaten wie Frankreich haben<br />

genau das getan. Hierzulande kassiert der<br />

Staat lieber die Zusatzmilliarden, um sie<br />

dann mehr oder weniger sinnvoll verteilen<br />

zu können. In Wahrheit profitiert die<br />

Politik also von den Rekordpreisen an den<br />

Tankstellen.<br />

Ein anderes Beispiel für die Funktion des<br />

Staats als Preistreiber ist ausgerechnet der<br />

Gasmarkt. Denn die Regierung hat über<br />

die Trading Hub Europe (THE) ganz offenkundig<br />

Gas zu fast jedem Preis aufgekauft,<br />

um die Speicher in Deutschland möglichst<br />

schnell aufzufüllen. Das führt zu Preissteigerungen<br />

ebenso wie die Weigerung der<br />

Ampel, Kohle- und Atomstrom als Ersatz<br />

für das ausbleibende Erdgas aus Russland<br />

sowie zur Strompreissenkung maximal<br />

zum Einsatz zu bringen. Und nicht zuletzt:<br />

Die Schwäche des Euro gegenüber dem<br />

Dollar hat entscheidend mit der politisch<br />

herbeigeführten Überschuldung der Eurozone<br />

zu tun. Energie wird aber in Dollar<br />

abgerechnet, und deshalb importieren wir<br />

auf diesem Weg ein Stück Inflation.<br />

Die viel beklagte Kaufzurückhaltung der<br />

Bürger wiederum schürt die Ampel, indem<br />

sie Bürgern und Unternehmen weitgehend<br />

jede Auskunft verweigert, wie sie konkret<br />

entlastet werden sollen und auf welche<br />

Zusatzbelastungen sie sich trotzdem einstellen<br />

müssen. Für beide enthält das dritte<br />

Hilfspaket vor allem Ankündigungen. Wer<br />

Wohngeld und welche Heizkostenhilfen<br />

bekommt, ist ebenso unklar wie die Antwort<br />

auf die Frage, was der für den Mittelstand<br />

versprochene Schutzschirm bringt<br />

– und vor allem wann. Denn Zeit haben<br />

weder Unternehmen noch Mitarbeiter.<br />

Meine Sorge ist, dass die Ampelkoalition<br />

die Dramatik der Situation unterschätzt,<br />

auch weil es in der Finanz-, Euro- und Corona-Krise<br />

immer gut ausgegangen ist für<br />

die Wirtschaft und damit für das ganze<br />

Land. Doch dieses Mal ist ein Happy End<br />

nicht garantiert, wenn die Regierung es<br />

nicht schafft, die Energiepreise rasch auf<br />

ein verträgliches Maß zu senken. Eine<br />

Rezession und inflationsbedingte Wohlstandsverluste<br />

scheinen unvermeidbar,<br />

aber eine Deindustrialisierung der viertgrößten<br />

Industrienation und eine einhergehende<br />

Verarmung der Bürger muss die<br />

Politik mit allen Mitteln abwenden.<br />

Herzlich Ihr<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2022</strong> 3


Neuer König<br />

Die Queen ist tot,<br />

es lebe der König!<br />

Wer ist Charles III.<br />

eigentlich und<br />

wofür steht er?<br />

Seite 20<br />

Alter Zauber<br />

München will’s<br />

wissen und feiert<br />

das Oktoberfest<br />

wieder so wie früher.<br />

Eine gute Idee?<br />

Seite 104<br />

Letzte Chance<br />

In Kenia und Tansania<br />

soll ein neues Artenschutzprojekt<br />

den<br />

bedrohten Tieren und<br />

den Menschen helfen<br />

Seite 74<br />

Großer Einkauf<br />

Bundeswehr-<br />

Generalinspekteur<br />

Eberhard Zorn über<br />

die Verwendung<br />

der 100 Milliarden<br />

Sonderbudget<br />

Seite 34<br />

Laute Kunst<br />

Die Installationen<br />

des Schweizer<br />

Künstlers Julian<br />

Charrière sind nicht<br />

nur was fürs Auge<br />

Seite 86<br />

Buntes Risiko Wie gefährlich ist Titandioxid? Seite 82<br />

4 <strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2022</strong>


INHALT NR. <strong>38</strong> | 17. SEPTEMBER <strong>2022</strong><br />

ANZEIGE<br />

Titelthema<br />

Wirtschaft<br />

62 Hoffnung auf Fränkisch<br />

Wie die Nürnberger Familienfirma Wöhrl<br />

zeigen will, dass der Einzelhandel noch<br />

eine Zukunft hat<br />

66 Kapitän zu Land<br />

Die Schifffahrt der Zukunft ist grün –<br />

und sie funktioniert autonom<br />

70 Geldmarkt<br />

DER NEUE<br />

FORD<br />

E-TRANSIT<br />

Wissen<br />

Titel: picture alliance (2)<br />

Fotos: imago images, dpa, Nikita Teryoshin für <strong>FOCUS</strong>-Magazin, Daniel Crous/WWF, Saskja Rosset/Lunax<br />

46 Wie düster wird es?<br />

Die Industrie weiß nicht, wovor sie größere<br />

Angst haben soll, vor der Stromrechnung<br />

oder Wirtschaftsminister Robert Habeck.<br />

Branchenkenner fordern einen neuen Kurs<br />

54 Ausweg Atomkraft<br />

Industriepräsident Siegfried Russwurm<br />

weiß, was jetzt helfen könnte<br />

58 Prüfen, vorsorgen, sparen<br />

Was Sie tun können, wenn alles teuer wird<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2022</strong><br />

Agenda<br />

12 Die Engel haben jetzt eine Königin<br />

Queen Elizabeth II. auf ihrem letzten Weg<br />

16 Elizabeth, die Bedeutende<br />

Wie die Queen die Monarchie modernisierte<br />

und damit vielleicht rettete<br />

20 Der grüne König<br />

Prinz Charles war ein Klimaaktivist.<br />

Wird das auch seine Regentschaft als<br />

König Charles III. prägen?<br />

Politik<br />

30 Das Leopard-Dilemma<br />

Christine Lambrecht will der Ukraine<br />

keine deutschen Panzer liefern und<br />

bringt damit Koalitionspartner und internationale<br />

Verbündete gegen sich auf<br />

34 „Ich hatte diese Angst nie“<br />

Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard<br />

Zorn über einen russischen Atomschlag<br />

und das deutsche Waffenarsenal<br />

<strong>38</strong> Dienstpflicht für alle?<br />

Darüber streiten Ria Schröder<br />

von der FDP und der CDU-Bundesvorstand<br />

Joe Chialo<br />

42 Putins Krieg, Selenskyjs Sieg<br />

Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum<br />

über den möglichen Wendepunkt im Krieg<br />

44 Politischer Datenstrudel<br />

Söders Männerbild und De Masis Abgang<br />

74 Die Wildnis darf nicht sterben<br />

Afrikas Großsäugetiere sind bedroht. Ein<br />

Projekt versucht, ihr Überleben zu sichern<br />

82 Vielleicht krebserregend<br />

In Lebensmitteln verboten, in<br />

Medikamenten erlaubt: Wie gefährlich<br />

ist Titandioxid?<br />

85 Rezept für Schreihälse<br />

Forscher beraten Eltern von lauten Kindern<br />

3 Editorial<br />

6 Kolumne von<br />

Jan Fleischhauer<br />

9 Nachrichten<br />

10 Menschen<br />

28 Grafik der Woche<br />

Queen Elizabeth II.<br />

84 Echt irre<br />

Kultur<br />

86 Spiel mit dem Feuer<br />

Julian Charrière zeigt in Installationen, wie<br />

unser Planet entstand – und nun verglüht<br />

92 Der Fluch, ein Lennon zu sein<br />

Fotograf und Musiker Julian Lennon über<br />

seine Emanzipation vom Beatles-Vater<br />

94 Auf den Trümmern der Jugend<br />

Unsere Tipps handeln von wildem Aufbruch<br />

und melancholischer Rückschau<br />

96 Einsamkeit im Stasi-Gefängnis<br />

Vorabdruck aus den Erinnerungen des<br />

DDR-Bürgerrechtlers Lutz Rathenow<br />

Leben<br />

104 Ex und Hope<br />

Supersause oder Superspreader? München<br />

gönnt sich nach zwei Jahren Pandemiepause<br />

wieder ein Oktoberfest<br />

111 Baukastenwagen<br />

Der Suzuki S-Cross gibt sich praktisch<br />

112 Voll der Burner<br />

Yotam Ottolenghi dämpft Auberginen und<br />

gibt süß-sauer-feurige Salsa hinzu<br />

Rubriken<br />

Titelthemen sind rot markiert<br />

90 Bestseller<br />

Impressum<br />

95 Mein Salon<br />

114 Die Einflussreichen<br />

116 Leserbriefe<br />

117 Nachrufe/<br />

Servicenummern<br />

118 Tagebuch<br />

Produktivität komplett neu gedacht.<br />

40 Revolution im Nutzfahrzeugsegment.<br />

Der vollelektrische Ford E-Transit und das<br />

neue Vertriebs-und Serviceangebot Ford Pro.<br />

40 Mehr Produktivität für Businesskunden.<br />

Drastische Reduktion von servicebedingten<br />

Ausfall- und Standzeiten.<br />

41 Europaweites Servicenetzwerk.<br />

Als Bestandteil von Ford Pro verbindet<br />

Ford Liive Sie europaweit mit Ihrem<br />

Transit Center vor Ort.<br />

41 Viel Leistung pro Ladung.<br />

Die hohe Reichweite und das enorme<br />

Laderaumvolumen des Ford E-Transit<br />

sprechen für sich.<br />

41 Überzeugen Sie sich selbst.<br />

Entdecken Sie die zahlreichen Vorteile<br />

des Ford E-Transit bei einer Probefahrt.


AGENDA<br />

Vorletzte Ruhe<br />

Der Sarg von Königin<br />

Elizabeth II. wurde in einer<br />

Prozession auf einem Kanonenwagen<br />

der Royal Horse Artillery<br />

vom Buckingham Palace zur<br />

Westminster Hall gebracht,<br />

wo sie bis zum frühen Morgen<br />

ihres Begräbnisses aufgebahrt<br />

im Sarg ruht. Viele Briten<br />

wollen sich persönlich verabschieden.<br />

Hunderttausende<br />

Trauergäste werden erwartet<br />

12<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2022</strong>


MONARCHIE<br />

Die Engel haben jetzt<br />

eine Queen<br />

Mit einer royalen Jahrhundertzeremonie nehmen die<br />

Briten Abschied von ihrer Königin Elizabeth II.<br />

Foto: Gregorio Borgia/AP<br />

13


WIRTSCHAFT<br />

Abstieg mit Ansage<br />

Im Frühjahr begann<br />

Grünen-Wirtschaftsminister<br />

Robert Habeck<br />

noch als großer Erklärbär.<br />

Einige Pannen und<br />

Pleiten später gilt er<br />

nicht nur der Industrie<br />

als akutes Problem<br />

Fotos: Michael Kappeler, Fabian Strauch/beide dpa<br />

46 <strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2022</strong>


TITEL<br />

Heavy Metal<br />

Nicht nur dieses<br />

Thyssenkrupp-Stahlwerk<br />

in Duisburg gerät<br />

wegen der explodierenden<br />

Energiekosten in<br />

echte Probleme<br />

Wie düster wird es?<br />

Die deutsche Industrie ist in einem noch desolateren Zustand als ihr<br />

Wirtschaftsminister Robert Habeck. Inflation, explodierende Energiekosten<br />

und Zinswende haben dramatische Folgen: Schon drohen vielerorts die Lichter<br />

auszugehen. Es wäre Zeit für eine radikale Neuorientierung<br />

TEXT VON ANDREAS GROSSE-HALBUER, CARLA NEUHAUS, PETER STEINKIRCHNER,<br />

THOMAS TUMA UND DANIELA SCHRÖDER<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2022</strong> 47


WIRTSCHAFT<br />

Hoffnung auf Fränkisch<br />

TEXT VON THOMAS TUMA FOTOS VON SEBASTIAN LOCK<br />

Familienbande<br />

Vater Hans Rudolf Wöhrl<br />

und Sohn Christian auf<br />

dem Dach des Nürnberger<br />

Stammhauses, das für<br />

viele Millionen Euro<br />

erweitert wurde<br />

Die Nürnberger Familienfirma Wöhrl hat alle Höhen und Tiefen des Textilgeschäfts erlebt. Nun<br />

will sie mit einem Luxusneubau zeigen, dass Einzelhandel und Innenstädte noch Zukunft haben<br />

Der Senior kann’s nicht lassen.<br />

Den ganzen Vormittag über<br />

bemüht sich Hans Rudolf<br />

Wöhrl tapfer zu beweisen,<br />

dass er die operative Verantwortung<br />

ja längst an seinen<br />

Sohn abgegeben hat. Dass<br />

er sich nicht mehr einmischt. All so was.<br />

Aber als einer der Arbeiter im Baustellen -<br />

gewimmel mit einer dieser rollenden<br />

Kleiderstangen in den nagelneuen Glasaufzug<br />

rumpeln will, kann er sich doch<br />

nicht mehr halten.<br />

„Dafür hamma doch Lasdenaufzüch!“,<br />

„Da muss der doch ned …“, „Mensch, des<br />

deure Glas griecht doch Gratzer …“, Wir<br />

sind in Nürnberg, wo selbst harte Kritik<br />

immer irgendwie weicher rüberkommt.<br />

Fränkisch halt. Pardon: Fränggisch. Und<br />

so rustikal bis schmiedeeisern liebevoll<br />

sind die Mitglieder der Unternehmerfamilie<br />

auch untereinander, wenn sie sich<br />

gegenseitig beschreiben sollen. Gefragt,<br />

wie sein Papa so sei, lobt Christian Greiner<br />

den 74-Jährigen als „besten Freund<br />

und Mentor“. Der Senior schaut dann seinen<br />

Sohn an und brummt fröhlich: „Basst<br />

scho.“ Mehr Lob geht in Nürnberg kaum.<br />

Er sei halt wahnsinnig kundenorientiert,<br />

sagt Wöhrl. Ihn interessieren Fragen<br />

wie: Müssen die Kunden zu lange vor<br />

der Kasse warten? Kommen sie mit der<br />

Ausrichtung der Rolltreppen klar? Sein<br />

Sohn sieht sich eher als Mann fürs kreative<br />

Ganze. Und vielleicht ist es ganz gut,<br />

wenn die beiden ihre Talente jetzt und<br />

hier mal richtig bündeln.<br />

Sie wollen schließlich der ganzen Republik<br />

zeigen, dass der Einzelhandel an sich<br />

und die Innenstadt als Shopping-Idee<br />

noch Zukunft haben. Trotz Corona-Koma<br />

und Online-Boom. Trotz Ukraine-Krieg<br />

und Inflation. „Die E-Commerce-Plattformen<br />

brechen an der Börse gerade auf<br />

breiter Front ein“, sagt Greiner. „Und<br />

die Leute wollen wieder raus aus dem<br />

Homeoffice und Spaß haben, auch wenn<br />

sie durch die Pandemie ein bisschen das<br />

Shoppen in der City verlernt haben. Also<br />

müssen wir ihnen Erlebnisse schaffen.“<br />

Bekenntnis und Wette zugleich<br />

Entsprechend lässt es die Familie krachen:<br />

25 Millionen Euro werden gerade in den<br />

Neu- und Umbau am Stammhaus investiert.<br />

Dazu kommen geschätzt weitere<br />

zehn Millionen, die Partner reinstecken.<br />

Am Ende gibt’s nicht nur einen DHL-<br />

Shop, eine Schuhabteilung von Tretter<br />

oder eine Boutique von Faber-Castell. So<br />

viel dürfte kaum irgendwo anders derzeit<br />

in den hiesigen Modeeinzelhandel<br />

gepumpt werden. Auf 20 000 Quadratme-<br />

62 <strong>FOCUS</strong> <strong>38</strong>/<strong>2022</strong>

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