flip-Joker_2022-09
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TheaTer / KUNST KULTUr JOKer 9
Das Alien (Florian Wetter)
und die eitle Salome
(Christina Beer)
Foto: Die Immoralisten
Tote Science-Fiction
Das Theater der Immoralisten interpretiert Oscar Wildes „Salome“ als überdrehte wie hoffnungslose Weltraumgroteske
2022. Willkommen im Anthropozän,
eine Zeit, in der sich
der Mensch selbst überlebt hat.
In dieser Gegenwart der Katastrophen
fühlen sich manche
an die Jahrhundertwende 1900
erinnert, an das Fin de Siècle.
Die Zeit schien schon damals
abgelebt, entseelt. Dichter wie
Baudelaire oder Oscar Wilde
schrieben über die Vergänglichkeit
in allem Streben und die
Künstlichkeit einer widernatürlichen
Welt.
Oscar Wildes Bibeladaption
Salome (1893) gilt als Schlüsselwerk
dieser Décadence. Im
Mittelpunkt steht das Verlangen
der eitlen Königstochter Salome
nach dem jüdischen Propheten
Jochanaan, auch bekannt als Johannes
der Täufer. Da der sich
züchtig ihren Avancen erwehrt,
Am ersten Oktober-Wochenende
ist es wieder soweit: Von
jeweils 11 bis 18 Uhr werden
am 1./2. Oktober das malerische
Städtchen Sulzburg und
lässt sie ihn enthaupten. Mag
man den wackeren Propheten
schon bei Wilde bedauern, ergeht
es ihm in der Bühnenfassung
der Freiburger Immoralisten
(Regie: Manuel Kreitmeier)
noch schlechter. Jochanaan
(überzeugend: Florian Wetter)
ist hier ein außerirdisches Wesen,
das auf dem Raumschiff
der letzten überlebenden Menschen
zur Energiegewinnung
gefangen gehalten wird. Der
interstellare Hof des König Herodes
(James Foggin) gefällt
sich währenddessen darin, den
aufgeschobenen Untergang mit
Alkohol und Gummibärchen
auszusitzen und die Verantwortung
für die Zerstörung der Welt
zu leugnen.
Den Einakter Wildes ins Weltall
zu versetzen wirkt zunächst
Die Sulzburg-Laufener Ateliertage bieten ein buntes Kunstprogr
amm
Foto: Veranstalter
Ein Wochenende für die Kunst
Die 31. Sulzburg-Laufener Ateliertage am 1./2. Oktober
der Weinort Laufen wieder zum
Mekka für Kunstliebhaber und
bieten spannende Einblicke in
Kunst und Können von über 40
Aussteller*innen.
überraschend. Ein verrostetes
Raumschiff als Bühnenbild,
die Figuren bunt kostümiert
in Raumanzügen, Militärkleidung
oder, im Falle Salomes
(Christina Beer), im bonbonbunten
90er-Dress. Der Roboter
Narra-bott (Jochen Kruß) stottert
seine Worte mit Dauergrimasse
und der überraschende
Auftritt der Wilde-Ikone Dorian
Gray (Chris Meiser) erinnert
an die Inszenierungen des Duke
David Bowie. Der scheinbar
willkürliche Griff der Immoralisten
in die Mottenkiste der
Science-Fiction ist konsequente
Dekadenzästhetik: Die Zeit
wirkt abgelebt, künstlich. Die
Zukunftsvisionen erscheinen
in Gestalt vergangener Techno-
Utopien – rostig, abgetragen,
überdreht, grotesk.
Angesichts der Angebotsfülle
ist es ratsam, sich zu Beginn des
Rundgangs einen Überblick zu
verschaffen. Flyer mit Smartphone-tauglichem
QR-Code
informieren über Künstler, Art
und Genre genauso wie dies per
Internet möglich ist (www.ateliertage.com)
inklusive coolem
Trailer. Dort wird auch zu den
aktuellen Corona-Verhaltensregeln
informiert.
Zu entdecken gibt es wieder
vieles: von handgefertigt Konventionellem
bis hin zu außergewöhnlich
Innovativem, Filigranes
steht neben Gewaltigem,
Imposantes neben Tollkühnem
– der Reichtum an Kreativität
ist erstaunlich, die Mischung
macht‘s. Zum Konzept der Ateliertage
gehören auch die 21 zum
Teil außergewöhnlichen Ausstellungsorte:
malerische Hinterhöfe,
die keiner kennt, ehemalige
Weinkeller, Privaträume, Werkstätten
und natürlich Ateliers. So
hoffen denn alle Aussteller auf
Fortune mit dem Wetter und damit
verbunden auf wieder viele
Besucher*innen. Natürlich sind
die Künstler*innen ganztags vor
Ort und freuen sich auf anregende
Gespräche, die Austausch
Entsprechend überspannt, karikaturesk
wirken die Figuren,
die mit Freude zur Übertreibung
in Szene gesetzt sind. Das niedlich
aufspielende Roboterduo
Narra-bott und Page (Verena
Huber) erinnert an den R2D2-
Slaptick aus „Star Wars“, der
vulgäre König Herodes in seinem
Weltraumanzug an das Klischee
des größenwahnsinnigen
NASA-Imperialisten. Salome
springt mädchenhaft über die
Bühne, ereifert sich über romantische
Motive und schmachtet
lüstern einem Jochanaan entgegen,
der sich im 80er-Alienkostüm
präsentiert. Nur Salomes
Mutter Herodias (ebenfalls
Chris Meiser) bleibt kein Abziehbild.
Die unnahbare wie
zweifelnde Diva scheint so etwas
wie ein menschliches Individuum
zu sein. Ihre letztlich
ebenfalls zynische Weltsicht
wird dem Publikum etwas langsamer
enthüllt.
Wünscht man diesen Menschen
den prophezeiten Untergang?
Ohne Zögern ordnen sich
die Überlebenden der selbstgemachten
Katastrophe in eine
Reihe mit Figuren wie Hitler,
Stalin oder Leopold II. In ihrer
Ignoranz und ihrem Sadismus
gegenüber dem, das sich ihnen
nicht beugt, bleiben sie konsequentes
Feindbild in einem
konsequenten Untergangsszenario.
Am Ende fühlt man mit
den Robotern und Aliens, den
Unterdrückten und Propheten
einer verbrauchten Zeit.
Weitere Termine: 1.–3. September
und 8.–10. September,
jew. 20.30 Uhr. Fabian Lutz
und spannende Einblicke in die
Entstehungsprozesse der künstlerischen
Arbeiten ermöglichen
und natürlich auch Verkäufe befördern
mögen.
„31. Sulzburg-Laufener-Ateliertage“,
1./2. Oktober, 11-18
Uhr. Weitere Infos: www.ateliertage.com