14.09.2022 Aufrufe

flip-Joker_2022-09

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

6 KULTUR JOKER ThEaTER

Ein Schauplatz, 24 Stunden,

vier Akte – und jede Menge

Beinah-Katastrophen. Mit „Ein

idealer Gatte“ hat Oscar Wilde

1894 eine spritzig-freche Gesellschaftskomödie

geschrieben,

die mit den Gepflogen- und

Verlogenheiten der Londoner

Upper-Class abrechnet. Das

hat mehr Witz als Biss – umso

tragischer, dass eben dieses hier

vorgeführte viktorianische Moralkorsett

den irischen Schriftsteller

nur ein Jahr später für

seine Homosexualität zu Zuchthaus

mit schwerer Zwangsarbeit

verurteilte. Eine Strafe, die nicht

nur seine Karriere, sondern auch

seine Gesundheit so zerstörte,

dass er wenige Jahre später an

den Folgen starb.

Doch vor allem war Wilde ja

Elegant-leichter Sommerspaß

Barbara Zimmermann inszeniert für das Sommer-Openair in der Spechtpassage

ein geistreicher, wortgewandter

Spötter – und das arbeitet Regisseurin

Barbara Zimmermann

mit ihrer jungen Crew beim

diesjährigen Sommer-Openair

in der Freiburger Spechtpassage

wieder mal sehr unterhaltsam

heraus. Fünf Neuzugänge gibt

es in ihrem spielfreudigen Ensemble,

das vier Nationalitäten

zählt. Energie, Dynamik und

Situationskomik samt gefeilter

Pingpong-Dialoge kommt dann

auch in handwerklich gewohnt

versierter Form auf die kleine

Bühne. Wie immer ist die

Rollenbesetzung überzeugend,

es gibt Running Gags und perfektes

Pointentiming. Im Vergleich

zu den immer wieder

überraschenden Innenhof-Inszenierungen

der letzten Jahre

Oscar Wildes Komödie „Ein idealer Gatte“

„Ein idealer Gatte“ beim Sommer-Openair in der Spechtpassage

haut einen die Stückwahl dieses

Mal allerdings nicht vom Hocker:

Zu brav, zu absehbar – eine

Komödie unter vielen anderen,

wäre sie nicht aus der Feder des

glamourösen Oscar Wilde…

Sommerfrischen-Swing, eine

Party bei Sir Robert Chiltren

(Jakob Stöckeler) und seiner

ebenso klugen wie temperamentvollen

Gattin Lady Gertrud

(Perrine Martin): Drinks, Smalltalk,

Scherze, aufgekratztes,

überkandideltes Geplänkel. Bis

das rote Gift die Bühne betritt

und alles durcheinander bringt:

Miss Laura Cheveley (Alexandra

J. Nesici) ist ein Biest

und der soliden Gertrud schon

seit der gemeinsamen Schulzeit

verhasst, zudem hütet sie ein

dunkles Geheimnis bezüglich

Sir Roberts scheinbar makelloser

Karriere, das sie jetzt zu

Geld machen will. – Lange ist

es her, aber der Spitzenpolitiker

verdankt seinen Aufstieg einer

Straftat, verkaufte er doch ein

Staatsgeheimnis einem Börsenmakler

und ließ sich gut dafür

bezahlen. Und ausgerechnet die

skrupellose Laura ist im Besitz

des Briefes, der den Skandal beweist.

Eine Katastrophe! Zum

Glück hat auch Dandy Arthur

(eitler Vergnügling mit großem

Herz: Jannik Sulger) eine gemeinsame

Vergangenheit mit

der schönen Laura und kann so

nach viel Hin und Her die Erpresserin

austricksen und seinem

Freund den Kopf retten.

Das schnurrt mit vielen Wendungen,

Verwechslungen und

Foto: Harrys Depot

Missverständnissen launig vor

sich hin – jede Rolle hat Charakter,

ist facettenreich und interessant:

Melchior E. Meyer gibt einen

urkomisch-bierernsten Dandy-Vater

(„Dieser Sohn bringt

mich noch um!“), Maya Kenda

eine pfiffige und quicklebendige

Verliebte, Sebastian Götz einen

witzigen Buster Keaton-Butler.

Elegant-leichter Sommerspaß!

Weitere Termine, Openair

Zehnscheune, Schloss Ebnet:

Am 10./16./17./18./23./24./25.

September, je 19 Uhr. Kartenreservierung

(empfohlen) via Harrys

Depot: Mobil: 01577 97 09

269; E-Mail: info@ensembleharry.de

oder www.ensembleharry.de

Marion Klötzer

Inh. Jürgen Schuler e. K. // EM-Kollmarsreute

www.ortlieb-schuler.de

Das Theater Freiburg in der Saison 2022/23

Die Spielzeit 2022/23 hätte

vielleicht eine werden können,

die für sich Normalität beansprucht.

Klar, Corona ist nicht

weg. Doch dass ein Krieg und

eine Energiekrise die kommende

Saison beeinträchtigen könnte,

war schwerlich vorauszusehen.

Das Schauspiel hat einen Spielplan

erarbeitet, der das liefert,

was Bühnen am besten können:

Leidenschaft und Gefühle

darstellen. Dass die kommende

Saison mit polnischen Regisseurinnen

und Regisseuren sowie

belarussischen Autoren stark

osteuropäisch geprägt ist, wird

deshalb kein Zufall sein, da seit

Beginn der Intendanz von Peter

Carp viele internationalen

Theatermacher nach Freiburg

eingeladen werden. Er selbst

wird „Appropriate“ des jungen

Afroamerikaners Branden

Jacobs-Jenkins inszenieren. Im

Stück, das Züge eines „gothic

thrillers“ trägt, werden die Kinder

nach dem Tod des Vaters

mit dessen Rassismus und einer

heruntergekommenen Plantage

konfrontiert.

Wenn das Theater im Oktober

aus der Sommerpause zurückkehrt,

geht es jedenfalls

um etwas. So wartet in Leonid

Andrejews Drama „Hinauf zu

den Sternen“ der Astronom Ternowski

auf die Rückkehr seines

Sohnes, der bei den Aufständen

verhaftet wurde, die 1905 zum

„Petersburger Blutsonntag“

führten. Das Stück, das Andrejew

1905 vollendete, wurde in

Wien uraufgeführt und wird in

Freiburg vom französischen Regisseur

Nicolas Charaux inszeniert.

Und auch Professor Bernhardi

saß im Gefängnis, weil

er, um eine Sterbende nicht zu

ängstigen, den Priester nicht zu

ihr ließ und der Fall politisch instrumentalisiert

wurde. Schnitzler

verarbeitete in seinem Drama

die eigenen Erfahrungen antisemitischer

Hetze in Wien. Regie

führt Amir Reza Koohestani.

Malgorzata Warsicka, die in

Freiburg bereits eine „Elektra“

inszenierte, bringt „Revolution“

des belarussischen Autors

Viktor Martinowitsch auf die

Bühne, der sich mit postsowjetischen

und mafiösen Strukturen

befasst. Wiederaufgenommen

wird „Der Widerspenstigen

Zähmung“ von Ewelina Marciniak

aus dem Jahr 2020. Mit Lydia

Bunks „Was ihr wollt“ steht

ein weiterer Shakespeare auf

dem Programm. Die litauische

Regisseurin Kamilé Gudmonaité

wird hingegen „Medea“ in

einer Fassung von Simon Stone

interpretieren. Der Theatermacher

hat den Euripidischen

Stoff mit einem realen Fall aus

den 1990er Jahren in den USA

überschrieben. Damals zündete

eine Frau aus Rache an ihrem

untreuen Mann das Familienheim

mit samt den Kindern an.

Und mit dem Regisseur Wiktor

Baginski – im früheren Leben

Profifußballer und aktuell Regisseur

eines Freiburger „Steppenwolfs“

– ist ein weiterer polnischer

Regisseur am Werk.

Wie unterschiedlich man

künstlerisch auf die Pandemie

reagieren kann, zeigt sich

in der Tanzsparte. Unter den

zehn Produktionen finden sich

solche, die dystopische Bilder

als Antwort finden und solche,

die ganz auf Lebensfreude setzen.

Für die Lust am Dasein hat

sich Emanuel Gat entschieden,

der bereits 2018 seine Choreografie

„Sunny“ in Freiburg gezeigt

hatte, nun kehrt er mit der

Hommage auf die 1980er Jahre

„LoveTrain2020“ zurück. Ansonsten

wird viel reflektiert. Die

eigene Situation als Choreograf

und Tänzer in „Fitry“ von Serge

Aimé Coulibaly; das Verhältnis

zwischen Solist und Bühne in

„Pli“ von Victor Cernicky, der

das Theater zu einem Labor

des Gleichgewichts macht, die

Chaostheorie von Ayelen Parolin

in „Weg“ sowie die Stadt als

Ort gesellschaftlicher Gewalt in

Volmir Cordeiros Solo „Métropole“.

Der Münchner Choreograf

Moritz Ostruschnjak hat

in „Terminal Beach“ sogar den

Strand zur Endstation erklärt.

Während Lara Barsacq in „Fruit

Tree“ eine ausgesprochen weibliche

Sicht auf Riten und Übergänge

wirft. Da klingt „Le Sacre

du printemps“ durch, Marcos

Morau hingegen hat sich in

seinem Frauenstück „Sonoma“

von den Filmen Luis Buñuels

inspirieren lassen. „Dresscode“

von Julien Carlier erforscht die

Bewegungsmuster von Breakdance

und Noé Soulier geht

noch einen Schritt weiter und

hat „First Memory“ eine choreografische,

musikalische und

visuelle Recherche zugrunde

gelegt.

Annette Hoffmann

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!