flip-Joker_2022-09
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THEATER KULTUR JOKER 5
Zwischen zwei Welten
Die Bregenzer Festspiele eröffnen mit einer wetterbedingt abgebrochenen Premiere von „Madame Butterfly“
Die einzigartige Kulisse der Bregenzer Festspiele
© Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
Ganz alleine ist Cio-Cio-San auf
der leeren, weißen, steil emporragenden
Bühne und singt von ihrer
Hoffnung, dass der Geliebte nach
drei Jahren zu ihr zurückkehrt.
„Unbeldì, vedremo“ – eines Tages
sehen wir – singt Barno Ismatullaeva
im Mezzavoce und lässt
ihren Sopran auf dem Streicherteppich
schweben, während die
Wellen an die Bregenzer Seebühne
schlagen. Kurz zuvor hatte der
Regen aufgehört, so dass die 7000
Zuhörerinnen und Zuhörer bei dieser
Open-Air-Premiere zur Eröffnung
der Bregenzer Festspiele die
Kapuzen ihrer Regencapes wieder
zurückgeschlagen haben, um der
bekannten Arie aus dem zweiten
Akt von Giacomo Pucchinis Oper
„Madame Butterfly“ zu lauschen.
Um jede Nuance von Ismatullaevas
Gesangskunst aufnehmen zu
können. Dann geht das Licht auf
der Zuschauertribüne an und aus
den Lautsprechern wird verkündet,
dass wegen einer drohenden
Gewitterfront die Premiere nach
einer Stunde Spielzeit abgebrochen
und im Festspielhaus fortgesetzt
wird. Das hat es zum letzten
Mal vor versammelter Presse bei
der Wiederaufnahme von „Aida“
im Jahr 2010 gegeben. Der Bodensee
als Naturbühnenbild, der
Abendhimmel als sich stets verändernde
Kulisse ist das große
Plus der Bregenzer Festspiele.
An diesem leider unvollendeten
Premierenabend wird das Alleinstellungsmerkmal
zum Problem,
zumal szenische Akzente von Andreas
Homokis Inszenierung wie
die Ankunft von Pinkertons Schiff
erst im späteren Verlauf der Oper
vorgesehen waren.
In den letzten Jahren hat häufig
Technik die Bühne bestimmt.
Bühnenbilder wie der riesenhafte
Kopf in Philipp Stölzs großartiger
Umsetzung von Giuseppe Verdis
„Rigoletto“ konnten sich bewegen
und verändern. Sie konnten überraschen
und ein Eigenleben führen.
Michael Levines wellenförmig
ansteigende, mit japanischen
Landschaftszeichnungen bemalte
Bühne ist statisch. Fest auf dem
Betonfundament montiert, bietet
sie den Akteuren eine gleichbleibende
Spielfläche an mit nur wenigen
Wegen, die begangen werden
können. Ein großes Blatt Papier,
das auf den Wellen schwimmt,
ist eine weitere Assoziation, die
sich einstellen kann, aber nicht
muss. Papier als Hommage an das
alte Japan, aber auch als Symbol
für die Zerbrechlichkeit, die die
Titelfigur – Cio-Cio San genannt
Butterfly – kennzeichnet. Auf der
leeren Bühne, die ihre Welt ist
und die für das alte Japan steht,
gibt es keinen Schutz und keinen
Rückzugsraum für sie. Hier dringt
der amerikanische Marineleutnant
Pinkerton in leuchtend blauer
Ausgehuniform (Kostüme: Antony
McDonald) mit Gewalt ein,
indem er die Bühne aufschlitzt.
Zwei Löcher, zwei Verletzungen
sind mit dem Auftritt des Imperialisten
verbunden, der für seine
Zeit in Japan von Heiratsvermittler
Goro (schön schmierig: Taylan
Reinhard) ein Haus und eine Frau
bekommt. Zur Arie „Dovunque
al mondolo Yankee vagabundo“
(Auf allen Meeren treibt es umher
den Yankee), die Edgaras Montvidas
mit leuchtendem Schmelz und
viel Vibrato singt, wird ein Mast
mit der amerikanischen Fahne
wie ein Phallus durch das Loch
getrieben – ein starkes Bild für
die Konfrontation zweier völlig
unterschiedlicher Welten und die
gewaltsame Aneignung der einen
durch die andere.
Traditionell gekleidet ist Cio-
Cio-San beim ersten Auftritt mit
ihren beschirmten Freundinnen
zunächst nur zu hören, nicht zu
sehen. Große räumliche Distanz
prägt das Aufeinandertreffen mit
Pinkerton. Immer wieder flüchtet
sich diese durch die Heirat mit
dem US-Leutnant von der Verwandtschaft
Verstoßene an den
Bühnenrand, ehe sie dann doch
im zweiten Akt die amerikanische
Flagge um den Körper schlingt
und mit ihrem Sohn (Riku Seewald)
auf die Rückkehr des Vaters
hofft. Bis zum Spielabbruch
wird die Bühne immer wieder in
unterschiedliches Licht getaucht
und erhält dadurch Plastizität
(Licht: Franck Evin, Video: Luke
Halls). Auch die Weite setzt Regisseur
Andreas Homoki auf der
33 Meter breiten, 23 Meter hohen
und 300 Tonnen schweren Bühne
bewusst in der Personenführung
ein. Aber auf Dauer wiederholen
sich die Bilder. Die Auf- und Abtritte
der prächtig kostümierten
Verwandten und der weiß gewandeten
Ahnen in Trippelschritten
sind ähnlich, die Inszenierung
wird vorhersehbar. Statt Spektakel
herrscht auf der Seebühne in guten
Momenten kammerspielartige
Fokussierung, in schlechten aber
auch Monotonie.
Die halbszenische Fortsetzung
im Bregenzer Festspielhaus in
Kostümen vor dem Orchester rettet
den Abend zumindest musikalisch.
Enrique Mazzola führt die
Wiener Symphoniker zu einem
betörenden, im wieder ins Pianissimo
zurückgehenden Streicherklang
und zu einer Flexibilität,
die für Puccini so wichtig ist. Da
werden Melodielinien ausgekostet,
da wird zusammen geatmet
und gemeinsam zum nächsten
Höhepunkt beschleunigt. Das
Blech behält auch im Fortissimo
seinen runden, ausbalancierten
Klang. Nur mit den Holzbläsern
gelingt die Koordination nicht immer
perfekt. Der Summchor des
Prager Philharmonischen Chors
hat Eleganz.
Brian Mulligan verleiht mit seinem
kantablen Bariton Konsul
Sharpless Noblesse und Empathie.
Annalisa Stroppa ist mit ihrem
entspannten, perfekt geführten
Alt als Dienerin Suzuki eine echte
Stütze für die von allen verlassene
Cio-Cio-San. Barno Ismatullaeva
kostet alle Zwischentöne dieser
großen Partie aus, verbindet mit
ihrem perfekten Legato die ganz
nach innen gerichteten Passagen
mit den emotionalen Ausbrüchen,
die enorme Wucht haben, aber
keine Schärfe – ein Glücksfall
Neuer Studiengang:
Nachhaltige Energiesysteme
hs-offenburg.de
für den Abend! Nach Butterflys
Selbstmord steht das auf Leinwand
projizierte Bühnenbild digital
in Flammen. Stehende Ovationen
des Bregenzer Publikums.
Das Regieteam um Andreas Homoki,
den Intendanten des Zürcher
Opernhauses, lässt sich beim
Applaus nicht blicken. Dass er seine
Inszenierung nach fünfjähriger
Vorbereitungszeit am Premierenabend
nur zur Hälfte zeigen kann,
ist bitter.
Georg Rudiger
Offen für Neues?
Bewirb Dich! Bis:
23.9.