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THEATER KULTUR JOKER 5

Zwischen zwei Welten

Die Bregenzer Festspiele eröffnen mit einer wetterbedingt abgebrochenen Premiere von „Madame Butterfly“

Die einzigartige Kulisse der Bregenzer Festspiele

© Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Ganz alleine ist Cio-Cio-San auf

der leeren, weißen, steil emporragenden

Bühne und singt von ihrer

Hoffnung, dass der Geliebte nach

drei Jahren zu ihr zurückkehrt.

„Unbeldì, vedremo“ – eines Tages

sehen wir – singt Barno Ismatullaeva

im Mezzavoce und lässt

ihren Sopran auf dem Streicherteppich

schweben, während die

Wellen an die Bregenzer Seebühne

schlagen. Kurz zuvor hatte der

Regen aufgehört, so dass die 7000

Zuhörerinnen und Zuhörer bei dieser

Open-Air-Premiere zur Eröffnung

der Bregenzer Festspiele die

Kapuzen ihrer Regencapes wieder

zurückgeschlagen haben, um der

bekannten Arie aus dem zweiten

Akt von Giacomo Pucchinis Oper

„Madame Butterfly“ zu lauschen.

Um jede Nuance von Ismatullaevas

Gesangskunst aufnehmen zu

können. Dann geht das Licht auf

der Zuschauertribüne an und aus

den Lautsprechern wird verkündet,

dass wegen einer drohenden

Gewitterfront die Premiere nach

einer Stunde Spielzeit abgebrochen

und im Festspielhaus fortgesetzt

wird. Das hat es zum letzten

Mal vor versammelter Presse bei

der Wiederaufnahme von „Aida“

im Jahr 2010 gegeben. Der Bodensee

als Naturbühnenbild, der

Abendhimmel als sich stets verändernde

Kulisse ist das große

Plus der Bregenzer Festspiele.

An diesem leider unvollendeten

Premierenabend wird das Alleinstellungsmerkmal

zum Problem,

zumal szenische Akzente von Andreas

Homokis Inszenierung wie

die Ankunft von Pinkertons Schiff

erst im späteren Verlauf der Oper

vorgesehen waren.

In den letzten Jahren hat häufig

Technik die Bühne bestimmt.

Bühnenbilder wie der riesenhafte

Kopf in Philipp Stölzs großartiger

Umsetzung von Giuseppe Verdis

„Rigoletto“ konnten sich bewegen

und verändern. Sie konnten überraschen

und ein Eigenleben führen.

Michael Levines wellenförmig

ansteigende, mit japanischen

Landschaftszeichnungen bemalte

Bühne ist statisch. Fest auf dem

Betonfundament montiert, bietet

sie den Akteuren eine gleichbleibende

Spielfläche an mit nur wenigen

Wegen, die begangen werden

können. Ein großes Blatt Papier,

das auf den Wellen schwimmt,

ist eine weitere Assoziation, die

sich einstellen kann, aber nicht

muss. Papier als Hommage an das

alte Japan, aber auch als Symbol

für die Zerbrechlichkeit, die die

Titelfigur – Cio-Cio San genannt

Butterfly – kennzeichnet. Auf der

leeren Bühne, die ihre Welt ist

und die für das alte Japan steht,

gibt es keinen Schutz und keinen

Rückzugsraum für sie. Hier dringt

der amerikanische Marineleutnant

Pinkerton in leuchtend blauer

Ausgehuniform (Kostüme: Antony

McDonald) mit Gewalt ein,

indem er die Bühne aufschlitzt.

Zwei Löcher, zwei Verletzungen

sind mit dem Auftritt des Imperialisten

verbunden, der für seine

Zeit in Japan von Heiratsvermittler

Goro (schön schmierig: Taylan

Reinhard) ein Haus und eine Frau

bekommt. Zur Arie „Dovunque

al mondolo Yankee vagabundo“

(Auf allen Meeren treibt es umher

den Yankee), die Edgaras Montvidas

mit leuchtendem Schmelz und

viel Vibrato singt, wird ein Mast

mit der amerikanischen Fahne

wie ein Phallus durch das Loch

getrieben – ein starkes Bild für

die Konfrontation zweier völlig

unterschiedlicher Welten und die

gewaltsame Aneignung der einen

durch die andere.

Traditionell gekleidet ist Cio-

Cio-San beim ersten Auftritt mit

ihren beschirmten Freundinnen

zunächst nur zu hören, nicht zu

sehen. Große räumliche Distanz

prägt das Aufeinandertreffen mit

Pinkerton. Immer wieder flüchtet

sich diese durch die Heirat mit

dem US-Leutnant von der Verwandtschaft

Verstoßene an den

Bühnenrand, ehe sie dann doch

im zweiten Akt die amerikanische

Flagge um den Körper schlingt

und mit ihrem Sohn (Riku Seewald)

auf die Rückkehr des Vaters

hofft. Bis zum Spielabbruch

wird die Bühne immer wieder in

unterschiedliches Licht getaucht

und erhält dadurch Plastizität

(Licht: Franck Evin, Video: Luke

Halls). Auch die Weite setzt Regisseur

Andreas Homoki auf der

33 Meter breiten, 23 Meter hohen

und 300 Tonnen schweren Bühne

bewusst in der Personenführung

ein. Aber auf Dauer wiederholen

sich die Bilder. Die Auf- und Abtritte

der prächtig kostümierten

Verwandten und der weiß gewandeten

Ahnen in Trippelschritten

sind ähnlich, die Inszenierung

wird vorhersehbar. Statt Spektakel

herrscht auf der Seebühne in guten

Momenten kammerspielartige

Fokussierung, in schlechten aber

auch Monotonie.

Die halbszenische Fortsetzung

im Bregenzer Festspielhaus in

Kostümen vor dem Orchester rettet

den Abend zumindest musikalisch.

Enrique Mazzola führt die

Wiener Symphoniker zu einem

betörenden, im wieder ins Pianissimo

zurückgehenden Streicherklang

und zu einer Flexibilität,

die für Puccini so wichtig ist. Da

werden Melodielinien ausgekostet,

da wird zusammen geatmet

und gemeinsam zum nächsten

Höhepunkt beschleunigt. Das

Blech behält auch im Fortissimo

seinen runden, ausbalancierten

Klang. Nur mit den Holzbläsern

gelingt die Koordination nicht immer

perfekt. Der Summchor des

Prager Philharmonischen Chors

hat Eleganz.

Brian Mulligan verleiht mit seinem

kantablen Bariton Konsul

Sharpless Noblesse und Empathie.

Annalisa Stroppa ist mit ihrem

entspannten, perfekt geführten

Alt als Dienerin Suzuki eine echte

Stütze für die von allen verlassene

Cio-Cio-San. Barno Ismatullaeva

kostet alle Zwischentöne dieser

großen Partie aus, verbindet mit

ihrem perfekten Legato die ganz

nach innen gerichteten Passagen

mit den emotionalen Ausbrüchen,

die enorme Wucht haben, aber

keine Schärfe – ein Glücksfall

Neuer Studiengang:

Nachhaltige Energiesysteme

hs-offenburg.de

für den Abend! Nach Butterflys

Selbstmord steht das auf Leinwand

projizierte Bühnenbild digital

in Flammen. Stehende Ovationen

des Bregenzer Publikums.

Das Regieteam um Andreas Homoki,

den Intendanten des Zürcher

Opernhauses, lässt sich beim

Applaus nicht blicken. Dass er seine

Inszenierung nach fünfjähriger

Vorbereitungszeit am Premierenabend

nur zur Hälfte zeigen kann,

ist bitter.

Georg Rudiger

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23.9.

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