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Die Geschichte wiederholt sich

4 KULTUR JOKER THEATER

Andriy Zholdak inszeniert einen musikalisch starken „Macbeth“ am Theater Freiburg

Roxana Herrera Diaz und Lorenz Kauffer

Foto: Martin Sigmund

Ein Herrscher, dessen Gier

nach Macht unersättlich ist,

der buchstäblich über Leichen

geht und einen Flüchtlingsstrom

auslöst. Macbeth zieht

eine Blutspur hinter sich und

scheint in seinem Wahn von

niemandem gestoppt werden

zu können. Sicherlich hätte der

ukrainische Regisseur Andriy

Zholdak diese Geschichte am

Freiburger Theater ganz aktuell

erzählen können, aber ein

Foto eines zerstörten Hochhauses,

das aus der Ukraine

stammen könnte und vor dem

dritten Akt von Giuseppe Verdis

Oper auf der Leinwand zu

sehen ist, bleibt der einzige Bezug

zum von Wladimir Putin

befohlenen Krieg Russlands

gegen sein Heimatland.

Schon in seiner Freiburger

Inszenierung von Pergolesis

„Stabat Mater“ vor zwei Jahren

verwendete Zholdak eher

lose Assoziationen und eine

symbolische Bildsprache.

Auch sein „Macbeth“ bleibt

unkonkret. Gewalt wird nur

angedeutet – die brutale Geschichte

kommt ohne einen

Tropfen Kunstblut aus. Im Videovorspann

traben Hirsche

durch eine Winterlandschaft.

Römische Ziffern von I bis

XII, von denen einige im Laufe

des Abends herunterfallen,

schmücken die Wand des klassizistischen,

schwarz-weiß gestalteten

Palastes (Bühne und

Videodesign: Daniel Zholdak).

Die Hexen sind Grazien, die

elfengleich in luftigen Sommerkleidern

über die Bühne

springen (Kostüme: Simon

Machabeli), aber auch mal wie

Nornen Schicksalsfäden spinnen.

Büchern und Spiegeln gilt

ebenfalls die Aufmerksamkeit

der Regie. Die einzelnen Stränge

von Zholdaks Regiearbeit

bleiben jedoch lose und verheddern

sich auch manchmal,

wenn ein skurriles Dienerpaar

immer wieder die Spannung

bricht und der glatzköpfige

Doktor (Lorenz Kauffer) im

vierten Akt, warum auch immer,

mit engem Abendkleid

und High Heels herumstöckelt.

Musikalisch hinterlässt der

szenisch zu wenig fokussierte

Abend einen starken Eindruck.

Das liegt zum einen

am Philharmonischen Orchester

Freiburg, das einen

plastischen Klang entwickelt

und die Wechsel zwischen

Hell und Dunkel, Leicht und

Schwer auskostet. Der erste

Kapellmeister Ektoras Tartanis

schärft die Kontraste und

lässt das Orchester auch mal so

knackig wie eine Banda klingen.

Nur in der rhythmischen

Präzision bleiben am Premierenabend

noch Wünsche offen.

Auch der Chor- und Extrachor

(Leitung: Norbert Kleinschmidt)

ist in seinen vielen Auftritten

so variabel wie voluminös.

Tartanis führt die dröhnenden

Massenszenen bis zur

Schmerzgrenze, aber nie darüber

hinaus – die klangliche

Balance bleibt gewahrt.

Juan Oroczo macht mit seinem

gewaltigen, dunkel timbrierten,

nicht immer intonationsreinen

Bariton aus Macbeth

einen machthungrigen Getriebenen,

der seine Gewissensbisse

verdrängt und durchaus

Gefallen findet an der lolitagleichen

Hexe (Marlene Hanhörster),

die ihn fast permanent

herausfordert. Roxana Herrera

Diaz ist als Lady Macbeth die

starke Frau, die mit Machtinstinkt

und Skrupellosigkeit

das Geschehen vorantreibt.

Die chilenische Sopranistin

beglückt mit großer Durchschlagskraft,

aber auch vielen

Zwischentönen. Dem unheilvollen

Paar fällt neben König

Duncan auch Banco (mit erdigem

Bass: Jin Seok Lee) zum

Opfer. Erst Macduff (mit lyrischem

Schmelz, aber zu forciert:

Junbum Lee) gelingt es

in der finalen Schlacht, Macbeth

zu töten, indem er auf der

Freiburger Bühne im Armdrücken

gegen ihn gewinnt, nachdem

er alle Zimmerpflanzen

(Wald von Birnam?) umgeworfen

hat – auch hier fehlt es leider

an szenischer Verdichtung.

Am Ende hat Duncans Sohn

Malcom (Hyun Han Hwang)

die Krone auf. Sogleich wird

der neue König von Lolita bezirzt.

Die Geschichte wiederholt

sich.

Weitere Vorstellungen: 8.10.,

1./10./20./30.11., www.theater.

freiburg.de

Georg Rudiger

Musiktheater mit neuem Generalmusikdirektor

Saisonvorschau 2022/23 des Theater Freiburg

Der aus Berlin gekommene,

neue Generalmusikdirektor André

de Ridder freut sich auf die spannende

Zusammenarbeit und lobt

die „kollaborative Atmosphäre“

im Team. Die Musiktheatersparte

beginnt am 2. Oktober mit dem

coronabedingt mehrfach verschobenen

„Freischütz“, der vom

Künstlerkollektiv „Showcase Beat

Le Mot“ in Szene gesetzt wird. Dirigiert

wird die romantische Oper

vom 1. Kapellmeister Ektoras Tartanis

ebenso wie „Rusalka“ von

Antonín Dvořák am 11.03.2023

(Regie: Kateryna Sokolova). André

de Ridder stellt sich am 26.

November als Operndirigent mit

Alban Bergs Oper „Wozzeck“ vor

(Regie: Marco Storman). Weiter

hat sich der neue GMD in der Regie

von Intendant Peter Carp die

deutsche Erstaufführung von Nico

Muhlys „Marnie“ (2017), bekannt

durch die Hitchcockverfilmung,

und zum Saisonabschluss die

1646 komponierte Oper „Il ritorno

d’Ulisse in patria“ von Claudio

Monteverdi ausgesucht, die der

bekannte Regisseur David Marton

inszenieren wird. Die „Dreigroschenoper“

(13.05.23) sowie

insgesamt drei Uraufführungen

(Doppelabend „Escape“/Ying

Wang/Huihui Cheng mit dem

SWR Experimentalstudio am

9.10.22 und „Neuro Moon. Manage

your memories“/Sara Glojnaric

am 7.5.23) komplettieren die ambitionierte

Spielzeit.

Im Konzertbereich führt André

de Ridder mit dem „Freiburg.

Phil.Club“ (moderiertes Zusammentreffen

des Philharmonischen

Orchesters mit Gästen aus Pop/

Elektronik/Jazz) und den Podcastkonzerten

(moderiertes Konzert

mit Hintergründen, später als

Podcast verfügbar) neue Formate

ein. Die unter dem Motto Creation/Extinction

(Erschaffung/Auslöschung)

stehende Saison sucht in

den Konzerten Denkanstöße und

starke Kontraste. Bekannte, groß

besetzte Werke wie Strawinskys

Ballettmusik „Le sacre du Printemps“

(15.11.), Richard Strauss’

„Alpensinfonie“ (14.2.23) oder

Gustav Holsts „Die Planeten“ werden

mit zeitgenössischen Kompositionen

wie Anna Thorvaldsdottir

„Catamorphosis“, Judith Weirs

„Natural History“ (Sopran: Caroline

Melzer) und Richard Reed

Parrys und Bryce Dessners „Wave

Moments“ (mit einem Film von

Hiroshi Sugimoto) konfrontiert.

Mit Joseph Haydns Oratorium

„Die Schöpfung“ endet das acht

Sinfoniekonzerte umfassende

Konzertabonnement. Auch dieses

Werk wird durch Liza Lims „Extinction

events and down chorus“,

das sich mit der Verschmutzung

der Meere auseinandersetzt, in

einen besonderen Kontext gesetzt.

Georg Rudiger

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