Statusbericht - Homepage - Kunsthistorisches Institut in Florenz
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Forschungsbericht<br />
Restaurierungen und Denkmalpflege des Doms (1798 – 1998)<br />
Wolfgang Loseries<br />
Die erste Gesamtdarstellung der Restaurierungsgeschichte der Kathedrale von Siena setzt mit den<br />
Instandsetzungsarbeiten nach dem starken Erdbeben von 1798 e<strong>in</strong> und endet 200 Jahre später mit<br />
dem E<strong>in</strong>bau von Kopien der beiden Rankensäulen des Giovanni di Pisano am Hauptportal. Die<br />
Untersuchung basiert auf genauen Untersuchungen des Baus und e<strong>in</strong>er systematischen Auswertung<br />
der reichen, kaum bekannten Dokumenten vor allem <strong>in</strong> den Archiven Sienas. Die Arbeit konzentriert<br />
sich auf die Architektur, zeigt diese aber im Zusammenhang mit der Ausstattung.<br />
E<strong>in</strong>es der wichtigen Resultate ist die genaue Dokumentation der zahlreichen, zum Teil radikalen<br />
E<strong>in</strong>griffe und Veränderungen am Bau <strong>in</strong> den vergangenen beiden Jahrhunderten. Ermöglicht wird<br />
so e<strong>in</strong>e recht präzise Unterscheidung zwischen mittelalterlichen Orig<strong>in</strong>alen, späteren Kopien und<br />
historistischen Nachschöpfungen. Dies br<strong>in</strong>gt neue Erkenntnisse nicht nur zur Bauplastik und<br />
Baugeschichte des 19. Jahrhunderts, sondern auch zu der des Mittelalters. So konnte die <strong>in</strong> der<br />
jüngeren Forschung vertretene These, daß der Baubeg<strong>in</strong>n der gotischen Hauptfassade des Doms<br />
schon Jahre vor der 1284 bezeugten Grundste<strong>in</strong>legung stattgefunden haben müsse, <strong>in</strong>fragegestellt<br />
werden. Diese Frühdatierung basiert auf der Stilkritik e<strong>in</strong>es Marmorreliefs, das nun als neuzeitlich<br />
nachgewiesen werden kann.<br />
Insbesondere für die vielen Bauskulpturen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte der<br />
Künstler ermittelt werden: der zuvor nur als Holzbildhauer und Schnitzer bekannte Antonio<br />
Manetti. Dessen wichtige Rolle bei den Restaurierungen wird erst durch die vorliegende Arbeit<br />
publik werden. Über zwei Jahrzehnte wirkte er als Chefbildhauer an der Sieneser Kathedrale. Aus<br />
se<strong>in</strong>er Werkstatt stammen auch die Bildhauer, die bis <strong>in</strong> das 20. Jahrhundert h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> mit den<br />
Restaurierungen des Doms betraut wurden. Dieser zuvor unbekannte Traditionszusammenhang<br />
galt ebenfalls für die Architekten.<br />
Die Geschichte der Restaurierungen des Sieneser Doms ist auch die Geschichte der Rezeption<br />
mittelalterlicher Kunst und Architektur. Der sich zu Beg<strong>in</strong>n des 19. Jahrhunderts vollziehende<br />
Wandel <strong>in</strong> der ästhetischen Bewertung war e<strong>in</strong> <strong>in</strong> ganz Europa zu beobachtender Prozeß, dem <strong>in</strong><br />
Siena <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e ganz besondere Bedeutung zukam, als er endlich e<strong>in</strong>e positive Identifikation<br />
der im wesentlichen mittelalterlichen Stadt mit den zuvor ästhetisch wenig geschätzten Monumenten<br />
ihrer eigenen Vergangenheit erlaubte. Wurde <strong>in</strong> den Guiden des 18. Jahrhunderts der gotische Stil<br />
des Doms noch verschämt bedauert und entschuldigend auf den historischen Wert des Sakralbaus<br />
h<strong>in</strong>gewiesen oder auf se<strong>in</strong>e museale Funktion, nämlich Kunstwerke der Renaissance und des<br />
Barocks zu beherbergen, so wurde er im 19. Jahrhundert auch ästhetisch zum wichtigsten Symbol<br />
der sich nun primär als mittelalterlich verstehenden Stadt. Der Umgang mit der Kathedrale stand<br />
mith<strong>in</strong> immer im Brennpunkt des öffentlichen Interesses.<br />
Die Restaurierungen am Dom hatten Modellcharakter, waren vorbildhaft auch für die anderen<br />
Monumente der Stadt. In der Tat war es die ständige Restaurierungskommission der Kathedrale,<br />
deren Befugnisse im Laufe des 19. Jahrhunderts so stark erweitert wurden, daß hieraus das für die<br />
Denkmalpflege von Siena und der ganzen Prov<strong>in</strong>z verantwortliche Gremium entstand. Hier spielte,<br />
auch das zuvor unbekannt, die Kunstakademie von Siena e<strong>in</strong>e tragende Rolle: Die<br />
Akademieprofessoren besetzten systematisch die Schlüsselpositionen im Gremium – und erhielten<br />
von diesem die wichtigsten Restaurierungsaufträge. Aufgezeigt wurde auch der wachsende E<strong>in</strong>fluß<br />
der historischen Forschung und <strong>in</strong>sbesondere der sich im 19. Jahrhundert als eigene wissenschaftliche<br />
Diszipl<strong>in</strong> etablierenden Kunstgeschichtsschreibung auf die Restaurierungen. Letztere lieferte e<strong>in</strong><br />
Bild der mittelalterlichen Architektur, das zur Norm erhoben wurde und dann als Begründung<br />
diente, mit der über e<strong>in</strong> Jahrhundert lang auch radikale E<strong>in</strong>griffe an historisch gewachsener<br />
Bausubstanz gerechtfertigt werden sollten. 1846 wurde erstmals die Idee formuliert, die <strong>in</strong> Siena<br />
zum mehr als e<strong>in</strong> Jahrhundert lang gültigen Leitgedanken bei Restaurierungen werden sollte,<br />
nämlich den Dom <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en ursprünglichen mittelalterlichen Zustand zurückzuversetzen. Zehn<br />
Jahre später folgte die erste Tat mit der Entfernung von barocken Engelsfiguren über dem<br />
Hauptportal: der Auftakt zu e<strong>in</strong>er sich als ästhetische Korrektur verstehenden Entbarockisierungs-<br />
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