Statusbericht - Homepage - Kunsthistorisches Institut in Florenz
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Forschungsbericht<br />
86<br />
Libreria Piccolom<strong>in</strong>i<br />
Peter Anselm Riedl<br />
Die Libreria Piccolom<strong>in</strong>i bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der Nordseite des Sieneser Domes angegliederten<br />
Gebäude, dessen Grundriß sich als e<strong>in</strong> quer zur Hauptachse des Domes positioniertes, leicht<br />
verzogenes Rechteck mit e<strong>in</strong>em Seitenverhältnis von 1:2 beschreiben läßt. Die architektonische<br />
B<strong>in</strong>nengestaltung des <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em unteren Bereich von hölzernen E<strong>in</strong>bauten und darüber von der<br />
Ausmalung P<strong>in</strong>turicchios beherrschten Saals beschränkt sich auf das von kämpferartigen Konsolen<br />
getragene Gewölbe. Dessen Disposition ist auf dem Wege e<strong>in</strong>facher Teilung erzeugt: Durch<br />
Halbierung der Schmalseiten und Viertelung der Langseiten s<strong>in</strong>d Ankerpunkte für e<strong>in</strong> diagonales<br />
Quadratraster gewonnen, aus dem sich der Verlauf von <strong>in</strong>sgesamt zwölf Stichkappen ebenso<br />
ergibt wie die Abmessung des rechteckigen, leicht gemuldeten Deckenspiegels.<br />
Die Zahl der auf die Architektur der Libreria Piccolom<strong>in</strong>i beziehbaren Nachrichten ist ger<strong>in</strong>g. Der<br />
von Kard<strong>in</strong>al Francesco Todesch<strong>in</strong>i Piccolom<strong>in</strong>i zur Er<strong>in</strong>nerung an se<strong>in</strong>en Onkel Papst Pius II.<br />
gestiftete Bau muß bald nach März 1494 begonnen worden se<strong>in</strong> und war 1497/98 sehr weit<br />
gediehen. Die Ausmalung auf die h<strong>in</strong> der architektonisch so zurückhaltend <strong>in</strong>strumentierte Raum<br />
mit se<strong>in</strong>en großen Wand- und Gewölbeflächen sicherlich von Anbeg<strong>in</strong>n konzipiert war, wurde<br />
allerd<strong>in</strong>gs erst 1502 <strong>in</strong> Gang gesetzt; vom 29. Juni dieses Jahres datiert der schon mehrfach publizierte<br />
und kommentierte Vertrag mit Bernard<strong>in</strong>o P<strong>in</strong>turicchio.<br />
Die Architektur bietet wenige Ansatzpunkte für e<strong>in</strong>e stilistische Bewertung. Auch die mehrfach<br />
von der Forschung hervorgehobene Ungewöhnlichkeit der Gestalt und der Position der Libreria<br />
Piccolom<strong>in</strong>i ist nicht e<strong>in</strong>fach zu deuten; unmittelbar vergleichbare Lösungen f<strong>in</strong>den sich weder<br />
unter den italienischen noch den französischen geistlichen Bibliotheken des Mittelalters und der<br />
Renaissance. Auf e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Parallele im Kapellenbau hat <strong>in</strong>dessen Christiane Esche<br />
h<strong>in</strong>gewiesen, nämlich auf die von zwei Brüdern des Kard<strong>in</strong>als Francesco Todesch<strong>in</strong>i Piccolom<strong>in</strong>i<br />
als „mausoleo familiare“ konzipierte und heute als Cappella delle SS. Particole dienende Cappella di<br />
S. Andrea an S. Francesco <strong>in</strong> Siena; <strong>in</strong> der Tat hat diese Kapelle morphologische und stilistiche<br />
Ähnlichkeiten mit der Libreria Piccolom<strong>in</strong>i.<br />
Auffallender ist freilich die Beziehung zu e<strong>in</strong>em Sakralbau, der im ausgehenden 15. Jahrhundert<br />
wie ke<strong>in</strong> anderer päpstlichen Herrschaftsanspruch und päpstliche Kunstpolitik repräsentierte. Auf<br />
die <strong>in</strong> den Jahren 1477 bis ca. 1481 entstandene Sixt<strong>in</strong>ische Kapelle ist im Zusammenhang mit der<br />
Sieneser Bibliothek schon gelegentlich h<strong>in</strong>gewiesen worden, allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> sehr allgeme<strong>in</strong>em S<strong>in</strong>ne.<br />
Unerkannt geblieben ist e<strong>in</strong>e Verwandtschaft, die <strong>in</strong>tendiert se<strong>in</strong> muß: Die Sixt<strong>in</strong>ische Kapelle<br />
folgt, was Grundriß- und Gewölbebildung angeht, e<strong>in</strong>em ähnlich str<strong>in</strong>genten Muster wie die<br />
Libreria Piccolom<strong>in</strong>i, nur daß <strong>in</strong> Rom das Längsrechteck des Grundrisses der Summe von drei –<br />
statt von zwei – quadratischen Grundzellen entspricht. Wenn man die absoluten Dimensionen<br />
aus dem Spiel läßt, kann man sagen, daß die Sieneser Bibliothek im H<strong>in</strong>blick auf Grundrißschema<br />
und Gewölbedisposition e<strong>in</strong>e um e<strong>in</strong> Drittel verkürzte Variante des römischen Baus darstellt.<br />
Aber auch bei den absoluten Maßen gibt es e<strong>in</strong>e sehr bemerkenswerte Relation, denn die Seiten der<br />
Libreria entsprechen <strong>in</strong> ihrer Länge ziemlich genau zwei Dritteln der analogen Seiten des vatikanischen<br />
Baus. Die Notwendigkeit zur Größenreduktion erklärt sich <strong>in</strong> Siena aus den besonderen<br />
topographischen Bed<strong>in</strong>gungen.<br />
Es bietet sich die Folgerung an, daß Kard<strong>in</strong>al Francesco Todesch<strong>in</strong>i Piccolom<strong>in</strong>i die modifizierte<br />
Übertragung des ebenso aktuellen wie prom<strong>in</strong>enten römischen Modells auf sienesischen<br />
Verhältnisse im S<strong>in</strong>ne hatte. Vorstellbar wäre, daß der Plan für die Libreria Piccolom<strong>in</strong>i <strong>in</strong> Gestalt<br />
e<strong>in</strong>er Zeichnung, die mehr das System veranschaulicht als Details festlegt, aus Rom nach Siena kam,<br />
um dort von Bauleuten realisiert zu werden, die nicht sonderlich qualifiziert zu se<strong>in</strong> brauchten. Ob<br />
e<strong>in</strong>er der bisher im Zusammenhang mit der Bibliothek genannten Architekten (Giovanni di Stefano,<br />
Giacomo Cozzarelli) wirklich für den Bau tätig war, bleibt ungewiß. Denkbar wäre jedoch, daß das,<br />
was Klaus Güthle<strong>in</strong> für die Cappella di S. Giovanni wahrsche<strong>in</strong>lich gemacht hat, mutatis mutandis<br />
auch für die Libreria Piccolom<strong>in</strong>i gilt: daß also Francesco di Giorgio auf irgende<strong>in</strong>e Weise <strong>in</strong> das<br />
Bibliotheksprojekt <strong>in</strong>volviert gewesen se<strong>in</strong> könnte – vielleicht nur dazu ermuntert, sich an dem<br />
herausragenden römischen Beispiel zu orientieren.