Statusbericht - Homepage - Kunsthistorisches Institut in Florenz
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Jacopo<br />
T<strong>in</strong>toretto,<br />
Himmelfahrt<br />
Mariens, um 1581.<br />
Venedig, Chiesa<br />
dei Gesuiti.<br />
Die Semiotik des Stils <strong>in</strong> der Malerei des späten 16. Jahrhunderts <strong>in</strong> Venedig<br />
Benjam<strong>in</strong> Paul<br />
Die meisten Stilgeschichten beschäftigen sich mit Stil als re<strong>in</strong> ästhetischem Diskurs und<br />
verb<strong>in</strong>den die Entwicklung e<strong>in</strong>es Individualstils mit der zeitgenössischen Kunsttheorie.<br />
E<strong>in</strong>e solche formalistische Herangehensweise vernachlässigt jedoch soziale E<strong>in</strong>flüsse<br />
auf künstlerische Entscheidungen sowie die Vermittlung etwa religiöser oder sozialer<br />
Inhalte durch die bildnerische Sprache. So wurde der auffällige Stilpluralismus von<br />
Jacopo T<strong>in</strong>toretto und Paolo Veronese bisher nicht systematisch untersucht, sondern<br />
lediglich auf e<strong>in</strong>e hypothetische Beteiligung der Werkstatt verwiesen. In vielen Gemälden<br />
der 1580er Jahre verdunkelt Veronese beispielsweise se<strong>in</strong>e Palette und verwendet e<strong>in</strong><br />
starkes chiaroscuro. Diese Entwicklung wurde als e<strong>in</strong> Wandel von Veroneses religiöser<br />
Haltung verstanden, die nun von der Gegenreformation geprägt sei. Gleichzeitig malt<br />
er jedoch weiterh<strong>in</strong> Bilder, <strong>in</strong> denen die für Veronese typische Pracht vorherrscht, wie<br />
zum Beispiel <strong>in</strong> der Madrider „Verkündigung“ (1583) oder der „Anbetung der Könige“<br />
(1583) <strong>in</strong> San Giuseppe, Venedig. Es stellt sich hier also die Frage nach e<strong>in</strong>er politischreligiösen<br />
Motivation der Malweise und nach dem E<strong>in</strong>fluß und dem ideologischen<br />
H<strong>in</strong>tergrund der Auftraggeber. Girolamo Contar<strong>in</strong>i, beispielsweise, der Auftraggeber<br />
der „Anbetung“ <strong>in</strong> San Giuseppe, war e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>flußreicher Politiker aus der papsttreuen<br />
Fraktion <strong>in</strong> der Serenissima und zudem Veroneses Freund.<br />
T<strong>in</strong>torettos Stilpluralismus ist noch auffälliger als Veroneses und macht e<strong>in</strong>e Datierung<br />
se<strong>in</strong>er Werke ohne dokumentarische Evidenz unmöglich. T<strong>in</strong>toretto paßte se<strong>in</strong>en Stil<br />
bereitwillig den Anliegen se<strong>in</strong>er Auftraggeber an. Carlo Ridolfi zufolge, wurde er von<br />
se<strong>in</strong>em Auftraggeber aufgefordert, die Himmelfahrt Marias <strong>in</strong> der Gesuiti Kirche,<br />
Venedig (c. 1581) im Stile Veroneses zu malen. Anstatt dieses Anliegen als Mißachtung<br />
se<strong>in</strong>er Kunst zurückzuweisen, nahm T<strong>in</strong>toretto den Auftrag bereitwillig an und malte<br />
das Altarbild zur größten Zufriedenheit aller – wie auch heute noch ersichtlich – <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
an Veronese gemahnenden Anmut, Detailgenauigkeit und Farbenpracht. Diese Anekdote<br />
aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bezeugt e<strong>in</strong> von heutigen Auffassungen<br />
grundlegend verschiedenes Verständnis von künstlerischer<br />
Identität, Stil sowie vor allem die soziale Bed<strong>in</strong>gtheit<br />
künstlerischen Ausdrucks. T<strong>in</strong>toretto und se<strong>in</strong>e Auftraggeber<br />
waren weit entfernt von der heute weitläufigen Auffassung,<br />
wonach sich künstlerische Identität unumstößlich an e<strong>in</strong>en<br />
<strong>in</strong>dividuellen Stil koppelt, der sich aus e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>neren<br />
Schaffensprozeß heraus l<strong>in</strong>ear entwickelt und sich lediglich an<br />
ästhetischem Fortschritt orientiert. T<strong>in</strong>torettos bewußter<br />
E<strong>in</strong>satz von Stil zeigt sich auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en mythologischen<br />
Bildern, die sich h<strong>in</strong>sichtlich Komposition, Farbgebung und<br />
P<strong>in</strong>selduktus grundlegend von se<strong>in</strong>en religiösen Bildern<br />
unterscheiden.<br />
Für e<strong>in</strong> besseres Verständnis der jeweils von e<strong>in</strong>em Künstler<br />
gewählten Stillage wird also stets der Kontext des betreffenden<br />
Auftrags untersucht. Darüber h<strong>in</strong>aus werden die religiösen<br />
Bilder auch <strong>in</strong> Bezug gesetzt zu theologischen Texten und<br />
Predigten der Zeit. Inhaltliche und stilistische Ähnlichkeiten<br />
zeigen auch hier, daß Stil als Bedeutungsträger funktioniert<br />
und sich nicht alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em abstrakten Kunstwollen unterordnet.<br />
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Forschungen des wissenschaftlichen Nachwuchses