Seltene Krankheiten
Bei seltenen Krankheiten ist das Netzwerk wichtig! Patient:innen fühlen sich aufgrund ihrer Erkrankung oft allein. In der Schweiz leben zirka 600'000 Menschen mit einer seltenen Krankheit. Deshalb bieten Patient:innenorganisationen Betroffenen Unterstützung dabei, sich zu vernetzen.
Bei seltenen Krankheiten ist das Netzwerk wichtig!
Patient:innen fühlen sich aufgrund ihrer Erkrankung oft allein.
In der Schweiz leben zirka 600'000 Menschen mit einer seltenen Krankheit.
Deshalb bieten Patient:innenorganisationen Betroffenen
Unterstützung dabei, sich zu vernetzen.
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EINE THEMENZEITUNG VON MEDIAPLANET<br />
Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />
<strong>Seltene</strong><br />
<strong>Krankheiten</strong><br />
Du bist<br />
nicht allein!<br />
Patient:innen fühlen sich aufgrund ihrer Erkrankung oft allein.<br />
In der Schweiz leben zirka 600'000 Menschen mit einer seltenen Krankheit.<br />
Deshalb bieten Patient:innenorganisationen Betroffenen<br />
Unterstützung dabei, sich zu vernetzen.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
«Viktor Award»<br />
Manuela Stier wird als<br />
herausragendste Persönlichkeit<br />
im Schweizer Gesundheitswesen<br />
ausgezeichnet<br />
Seite 6–7<br />
Selbsthilfe Schweiz<br />
Video-Selbsthilfegruppen<br />
helfen, Menschen mit gleichem<br />
Schicksal zu vernetzen<br />
Seite 12<br />
ProRaris<br />
Yvonne Feri ist zur neuen<br />
Präsidentin des Dachverbandes<br />
für seltene Erkrankungen in<br />
der Schweiz gewählt worden<br />
Seite 14
2 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />
VERANWORTLICH FÜR DEN<br />
INHALT DIESER AUSGABE:<br />
: M A RI A ST EI N W E N D E R<br />
VORWORT<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
FOTO<br />
Kerstin Köckenbauer<br />
Head of Switzerland<br />
Mediaplanet GmbH<br />
Head of Switzerland: Kerstin Köckenbauer<br />
Lektorat: Sophie Müller, MA<br />
Grafik + Layout: Daniela Fruhwirth<br />
Managing Director: Bob Roemké<br />
Medieninhaber: Mediaplanet GmbH,<br />
Bösendorferstraße 4/23, 1010 Wien,<br />
ATU 64759844 · FN 322799f FG Wien<br />
Impressum: https://mediaplanet.com/at/<br />
impressum/<br />
Distribution: Tamedia Publikationen<br />
Deutschschweiz AG<br />
Druck: DZZ Druckzentrum Zürich AG<br />
Kontakt bei Mediaplanet:<br />
Tel: +43 676 847 785 115<br />
E-Mail: kerstin.koeckenbauer@mediaplanet.com<br />
ET: 02.09.2022<br />
Bleiben Sie in Kontakt:<br />
@Mediaplanet Austria<br />
@austriamediaplanet<br />
@DerGesundheitsratgeber<br />
Diese Kampagne wurde unterstützt durch<br />
Alexion Pharma GmbH, Biocryst Schweiz GmbH,<br />
MSD Merck Sharp & Dohme AG, Sanofi-Aventis<br />
(Schweiz) AG.<br />
Vernetzung<br />
ist bei seltenen<br />
<strong>Krankheiten</strong> das<br />
A und O<br />
Vernetzung wird in vielen<br />
Bereichen immer wichtiger<br />
– bei seltenen <strong>Krankheiten</strong><br />
ist sie schon jetzt ein zentrales<br />
Schlüsselelement. Es<br />
gilt, Wissen zu bündeln, als<br />
Expert:innen zusammenzuarbeiten<br />
und Betroffene<br />
zusammenzubringen.<br />
Text Dr. Jacqueline de Sá<br />
Dr. Jacqueline<br />
de Sá,<br />
Geschäftsführerin<br />
ProRaris<br />
Allianz <strong>Seltene</strong>r<br />
<strong>Krankheiten</strong> -<br />
Schweiz<br />
FOTO: ZVG<br />
Eine Krankheit gilt als selten,<br />
wenn nicht mehr als fünf von<br />
10’000 Menschen daran erkrankt<br />
sind. Die meisten der 8'000<br />
weltweit bekannten <strong>Krankheiten</strong> kommen<br />
allerdings viel seltener vor. In ihrer<br />
Summe sind die von seltenen <strong>Krankheiten</strong><br />
betroffenen Menschen jedoch zahlreich.<br />
Allein in der Schweiz werden sie auf mehr<br />
als 600’000 geschätzt.<br />
Betroffene sind oft isoliert<br />
Viele Patientinnen und Patienten fühlen<br />
sich wegen und mit ihrer Krankheit allein.<br />
Die Unsicherheit über den Krankheitsverlauf<br />
aufgrund fehlender Informationen<br />
und Expertise ist sehr belastend. Fachpersonen<br />
und Unterstützungsmöglichkeiten<br />
zu finden ist nicht einfach und benötigt<br />
viel Eigeninitiative und Energie, die eine
MEDIAPLANET | 3<br />
chronisch kranke Person und ihre<br />
Angehörigen oft nicht haben.<br />
ProRaris hilft bei der Vernetzung<br />
ProRaris Allianz <strong>Seltene</strong>r <strong>Krankheiten</strong><br />
übernimmt in der Schweiz die Rolle<br />
der Vermittlerin, Koordinatorin und<br />
Vernetzerin. So vereinen wir unter<br />
unserem Dach die Patient:innenorganisationen<br />
aus dem Bereich <strong>Seltene</strong><br />
<strong>Krankheiten</strong>. Diese spielen eine<br />
wichtige Rolle bei der Weitergabe von<br />
spezifischem Wissen und unterstützen<br />
bei der Bewältigung der Krankheit. Da<br />
die meisten <strong>Krankheiten</strong> jedoch sehr<br />
selten sind, existieren für sie oft keine<br />
spezifischen Patient:innenorganisationen.<br />
Von solchen «Rare Diseases»<br />
betroffenen Menschen geben wir<br />
unter unserem Dach ebenfalls eine<br />
Stimme und vernetzen sie. Deshalb<br />
unser Aufruf an alle, die in genau<br />
dieser Situation sind: Melden Sie sich<br />
bei uns, damit Sie mit Ihrer Krankheit<br />
nicht allein bleiben. Dank unserem<br />
grossen und breiten Netzwerk konnten<br />
wir schon den einen oder anderen<br />
Kontakt zwischen Betroffenen mit derselben<br />
Krankheit ermöglichen.<br />
Expertise der Betroffenen<br />
ist gefragt<br />
Auch spielen die Vernetzung und<br />
Zusammenarbeit zwischen den<br />
Akteuren des Gesundheitswesens, zu<br />
denen auch die Betroffenen gehören,<br />
eine wichtige Rolle. Das wurde bereits<br />
2015 bei der Planung der Umsetzung<br />
des Nationalen Konzepts <strong>Seltene</strong><br />
<strong>Krankheiten</strong> erkannt. ProRaris ist als<br />
Schlüsselpartnerin genannt und<br />
seither an allen Projekten beteiligt,<br />
indem wir die Patient:innenexpertise<br />
einbringen und die Patient:innenbeteiligung<br />
koordinieren. Eine weitere<br />
Möglichkeit zur Vernetzung bietet<br />
unser Jahresanlass zum «Tag der<br />
seltenen <strong>Krankheiten</strong>». Der Anlass ist<br />
öffentlich und eine Plattform für<br />
Betroffene, ihre Familien und<br />
Fachleute. Er dient auch dazu, Erfolge<br />
sichtbar zu machen.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
Weitere Informationen unter proraris.ch<br />
Unterstützen Sie unsere Arbeit für<br />
Menschen mit seltenen <strong>Krankheiten</strong>!<br />
Spendenkonto (IBAN): CH22 0076 7000 E525 2446 2 (BCV)<br />
<strong>Seltene</strong> Erkrankungen<br />
bringen unseren Forschergeist zum Abheben<br />
Jeder Patient, dem wir helfen können aktiv am<br />
Leben teilzunehmen, ist unseren vollen Einsatz wert.<br />
Stand 01/2022, CH.ORL.00001<br />
011545_BIOORL_AD_V1_AW_205x97mm_CH-3.indd 1 16.02.2022 15:53:08
4 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />
INTERVIEW<br />
Lungenhochdruck:<br />
Auch die Psyche braucht Hilfe<br />
Manuela Vögeli lebt mit einer chronisch thromboembolischen pulmonalen<br />
Hypertonie (CTEPH), einer speziellen Form von Lungenhochdruck. Warum für<br />
sie neben der körperlichen auch die psychische Belastung im Umgang mit der<br />
Erkrankung eine Rolle spielt, lesen Sie hier.<br />
Text<br />
Magdalena<br />
Reiter-Reitbauer<br />
Schweizer Verein<br />
für Menschen mit<br />
Pulmonaler Hypertonie<br />
(SPHV)<br />
Der SPHV hilft Betroffenen und<br />
deren Angehörigen ihr Leben<br />
mit Lungenhochdruck (Pulmonale<br />
Hypertonie) besser bewältigen<br />
zu können. Unser Verein<br />
wurde am 15. Januar 2010 in<br />
Olten gegründet und unterstützt<br />
bei unterschiedlichen Aspekten<br />
des täglichen Lebens. Der<br />
SPHV hilft bei sozialen Fragen,<br />
bietet emotionale Unterstützung<br />
und Tipps für den Alltag oder<br />
informiert Sie über verschiedene<br />
Fachstellen. Wir stehen mit<br />
Rat und Tat zur Seite und stellen<br />
auf Wunsch Kontakt zu anderen<br />
Betroffenen her.<br />
Weitere Informationen<br />
finden Sie unter:<br />
www.lungenhochdruck.ch<br />
Kontakt:<br />
praesi@lungenhochdruck.ch<br />
Tel.: +41 (0)79 385 74 04<br />
Welche Symptome haben bei<br />
Ihnen zur Diagnose<br />
Lungenhochdruck geführt?<br />
Bis zur richtigen Diagnose vergingen<br />
bei mir sechs Jahre. Ich hatte<br />
Mühe mit der Atmung und verspürte<br />
eine ganz grosse Müdigkeit. Die<br />
Ärzte waren überfordert und ein<br />
Lungenfacharzt sagte mir damals<br />
sogar, ich wäre eine Simulantin.<br />
Die Situation war für mich sehr<br />
belastend und ich war deprimiert.<br />
Damals habe ich in einer Vollzeitanstellung<br />
gearbeitet und bin einfach<br />
immer eingeschlafen, sobald<br />
ich von der Arbeit nach Hause kam.<br />
Erst durch eine Lungenbiopsie<br />
wurde erkannt, dass ich sehr viele<br />
Lungenembolien hatte.<br />
Wie kann man sich ein Leben<br />
und den Alltag mit<br />
Lungenhochdruck vorstellen?<br />
Dank einer Operation geht es mir<br />
heute besser. Aber davor waren<br />
selbst kleinste Arbeiten sehr<br />
beschwerlich. Sogar beim Staubsaugen<br />
bekam ich Atemnot. Man<br />
kann das damit vergleichen, als<br />
würde ein gesunder Mensch zwölf<br />
Stunden durchgehend joggen.<br />
Was hat sich durch die Operation<br />
verändert?<br />
Seit der Operation brauche ich<br />
keinen extra Sauerstoff mehr.<br />
Zuvor war ich auch in der Nacht auf<br />
Sauerstoff angewiesen. Die Operation<br />
selbst ist zwar gut verlaufen,<br />
allerdings konnten aufgrund der<br />
Lage nicht alle Embolien entfernt<br />
werden. Bei grösseren Anstrengungen<br />
oder beim Bergaufgehen<br />
brauche ich deshalb immer wieder<br />
Pausen. Meine Lunge hat heute<br />
eine Leistung von 75 %. Allerdings<br />
hat der Lungenhochdruck bei mir<br />
eine Rechtsherzinsuffizienz ausgelöst.<br />
Das beeinflusst mich heute<br />
mehr – der Lungenhochdruck ist<br />
zur Nebensache geworden.<br />
Inwiefern beeinflusst<br />
Lungenhochdruck<br />
nicht nur die<br />
körperliche,<br />
sondern auch<br />
Ihre<br />
psychische<br />
Gesundheit?<br />
Während der<br />
langen Zeit bis<br />
zur richtigen<br />
Diagnose der<br />
pulmonalen<br />
Hypertonie habe<br />
ich psychiatrische<br />
Hilfe erhalten. Auch<br />
nach der Operation und<br />
einer anschliessenden<br />
Reha hatte ich Angst wieder<br />
nach Hause zu kommen, weil<br />
ich nicht wusste, wie ich den<br />
Alltag wieder bewältigen sollte.<br />
Man braucht einfach jemanden,<br />
mit dem man über all das sprechen<br />
kann. Früher war ich ein sehr<br />
aktiver Mensch, meine Tage waren<br />
sehr lange und ich hatte Freude<br />
daran. Die psychische Belastung ist<br />
für mich genauso schwer, wie die<br />
Krankheit an sich. Es hält sich für<br />
mich in der Waage.<br />
Welche Empfehlungen und<br />
Tipps können Sie anderen<br />
Patientinnen und Patienten mitgeben?<br />
Man muss die Krankheit auf jeden<br />
Fall annehmen und akzeptieren,<br />
dass nicht jeder Tag planbar ist.<br />
Natürlich kann man weiterhin<br />
Pläne machen, aber man muss<br />
damit rechnen, dass nicht immer<br />
alles gleich gut durchführbar ist.<br />
Ich habe gelernt, „Nein“ zu sagen<br />
und auf mich zu schauen. Durch<br />
meine Erkrankung musste ich<br />
meinen Lebensalltag komplett<br />
umstellen. Das zu tun ist schwierig<br />
– und dafür darf man gerne auch<br />
Hilfe annehmen!<br />
Manuela Vögeli<br />
Vizepräsidentin<br />
Schweizer PH-Verein<br />
FOTO: ZVG<br />
Lungenhochdruck<br />
ist also eine<br />
Erkrankung, die man nicht nur<br />
rein körperlich, sondern auch<br />
auf anderen Ebenen behandeln<br />
sollte?<br />
Genau, richtig! Ich habe gemerkt,<br />
dass gerade die Psyche auch den<br />
Körper verändern kann. Ich finde<br />
es wichtig, dass man mit einer<br />
professionellen, neutralen Person<br />
darüber spricht. Das Familienumfeld<br />
und die Freunde wissen nicht<br />
immer, wie sie am besten damit<br />
umgehen sollen oder sie geben gut<br />
gemeinte Ratschläge, die man<br />
selbst aber nicht immer so gut<br />
erträgt. Viele Menschen sagen, dass<br />
psychologische oder psychiatrische<br />
Unterstützung für sie nicht in Frage<br />
kommt. Dem möchte ich klar<br />
widersprechen. Denn diese<br />
Unterstützung in Anspruch zu<br />
nehmen ist keine Schande,<br />
sondern kann im Gegensatz sogar<br />
sehr hilfreich sein.
MEDIAPLANET | 5<br />
EXPERTISE<br />
Wenn alles<br />
anstrengend wird<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
Wenn akute Lungenembolien nicht<br />
abheilen, spricht man von einer chronisch<br />
thromboembolischen pulmonalen<br />
Hypertonie. Prof. Dr. Silvia Ulrich klärt<br />
im Interview über Diagnostik und<br />
Behandlungsmöglichkeiten auf.<br />
Was versteht man unter einer<br />
chronisch thromboembolischen<br />
pulmonalen Hypertonie<br />
(CTEPH)?<br />
Wenn sich bei Patienten Blutgerinnsel<br />
in den Bein-, Arm- oder<br />
Bauchvenen bilden und diese<br />
Gerinnsel mit dem Blutstrom<br />
zurück in die Lunge gelangen und<br />
dort stecken bleiben, spricht man<br />
von einer akuten Lungenembolie.<br />
Das ist eine häufige Erkrankung,<br />
die vor allem bei älteren Personen<br />
mit Vorerkrankungen, aber auch<br />
bei jungen mit gewissen Risikofaktoren<br />
vorkommt. Rund 98 % dieser<br />
akuten Lungenembolien können<br />
mit Blutverdünnung geheilt<br />
werden. In ca. 2 % der Fälle heilt<br />
dieses Gerinnsel in den Lungengefässen<br />
jedoch nicht ab. Dadurch<br />
kommt es zu Vernarbungen und<br />
die Lungengefässe können sich bei<br />
Belastung nicht mehr dehnen, um<br />
mehr Blutfluss durch die Lunge<br />
zu generieren. Der Druck in den<br />
«steifen» Lungengefässen steigt,<br />
sodass schliesslich eine chronisch<br />
thromboembolische pulmonale<br />
Hypertonie entsteht.<br />
Welche Symptome treten bei<br />
dieser Erkrankung auf?<br />
Das Herz muss bei zunehmender<br />
Belastung mehr Blut fördern,<br />
damit in den Lungengefässen<br />
genügend Sauerstoff aufgenommen<br />
werden kann. Sind<br />
die Lungengefässe nun narbig<br />
versteift oder gar verstopft bei<br />
nicht abheilenden Embolien,<br />
kann dadurch nicht genügend<br />
Blut durch die Lungengefässe<br />
gepumpt werden und es kommt zu<br />
FOTO: ZVG<br />
Prof. Dr. med.<br />
Silvia Ulrich<br />
Stv. Klinikdirektorin,<br />
Leitende<br />
Ärztin Klinik für<br />
Pneumologie<br />
Universitätsspital<br />
Zürich<br />
Text<br />
Magdalena<br />
Reiter-Reitbauer<br />
Herzversagen auf der rechten Seite.<br />
Patienten verspüren dann eine<br />
anstrengungsabhängige Atemnot.<br />
Das ist gleichzeitig auch das<br />
Leitsymptom dieser Erkrankung.<br />
Selbst kleinste Anstrengungen<br />
sind dann nicht mehr möglich.<br />
Es gibt aber auch Patienten, die<br />
gerade in Frühstadien kaum über<br />
Beschwerden klagen und auch die<br />
Lungenfunktion zeigt sich in Tests<br />
noch normal. Daher braucht man<br />
zur Diagnosestellung dringend<br />
einen Belastungstest sowie eine<br />
Rechtsherzkatheteruntersuchung<br />
und eine Bildgebung der<br />
Lungengefässe.<br />
Wie häufig tritt die CTEPH in<br />
der Bevölkerung auf?<br />
Es gibt wahrscheinlich eine sehr<br />
hohe Dunkelziffer. Da die Lungenembolie<br />
eine so häufige Erkrankung<br />
ist, sind vielleicht mehr<br />
Patienten als angenommen von<br />
der CTEPH betroffen. Bei uns im<br />
Universitätsspital Zürich sehen wir<br />
heute zumindest deutlich häufigere<br />
Abklärungen als noch früher.<br />
Was kann passieren, wenn eine<br />
CTEPH nicht diagnostiziert oder<br />
behandelt wird?<br />
Wenn die Erkrankung fortschreitet,<br />
können sich die Patienten im<br />
schlimmsten Fall gar nicht mehr<br />
belasten und sind nahezu bettlägerig.<br />
Es braucht daher so schnell<br />
wie möglich eine Behandlung –<br />
auch, um das Herz zu entlasten.<br />
Die wichtigste Behandlung ist<br />
die Blutverdünnung, sodass sich<br />
keine neuen Gerinnsel bilden. Die<br />
CTEPH kann hiermit zwar nicht<br />
geheilt, aber immerhin stabilisiert<br />
und mit unten genannten Therapien<br />
auch deutlich verbessert<br />
werden.<br />
Welche interventionellen und<br />
nicht interventionellen Behandlungsoptionen<br />
können heute<br />
angewandt werden?<br />
Den Verlauf der Blutgefässe vom<br />
rechten Herzen zur Lunge kann<br />
man sich wie einen Baum vorstellen<br />
– von zuerst breiten, dicken<br />
Arterien wie ein Stamm bis hin zu<br />
den kleinsten Ästen, den Lungenkapillaren.<br />
Die Behandlung hängt<br />
davon ab, wo auf diesem Weg<br />
Vernarbungen auftreten. Sind die<br />
Veränderungen nahe am Herzen,<br />
ist die beste Möglichkeit eine<br />
Operation, um die Narben auszuschälen.<br />
Durch diese OP besteht<br />
eine sehr hohe Chance, dass sich<br />
die Erkrankung stark verbessert;<br />
oft sind die Patienten nachher<br />
sogar beschwerdefrei. Betrifft die<br />
CTEPH die mittleren Lungengefässe,<br />
kann eine Ballonangioplastie<br />
durchgeführt werden, um die<br />
Gefässe wieder zu öffnen. Sind<br />
kleine Gefässe betroffen, gibt es<br />
medikamentöse Therapien. Es<br />
kann auch sein, dass Patienten<br />
mehrere dieser Behandlungsoptionen<br />
als multimodale Therapie<br />
benötigen; und meist gelingt es<br />
damit, die Belastbarkeit und<br />
Lebensqualität der Betroffenen<br />
erheblich zu verbessern. Es ist<br />
daher wichtig, dass CTEPH-Patienten<br />
in Zentren mit grosser Erfahrung<br />
behandelt werden, denn für<br />
die Therapieentscheidung braucht<br />
es Experten.
6 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />
INTERVIEW<br />
FOTO: WWW.SANTEMEDIA.CH<br />
Warum engagieren Sie sich für<br />
Kinder und Jugendliche mit<br />
seltenen <strong>Krankheiten</strong> und was<br />
war die Initialzündung für die<br />
Gründung des Fördervereins?<br />
Der Wunsch, etwas Sinnstiftendes<br />
mit grosser Nachhaltigkeit<br />
zu schaffen, ist bei mir vor zehn<br />
Jahren aufgekommen. Damals<br />
habe ich eine Familie, deren Sohn<br />
eine seltene und tödliche Krankheit<br />
hat, kennengelernt. Durch<br />
die Eltern habe ich erfahren,<br />
mit welchen immensen Herausforderungen<br />
betroffene Familien<br />
Tag für Tag konfrontiert sind und<br />
wie wenig ihre Bedürfnisse in der<br />
Schweiz wahrgenommen werden.<br />
Um diese Familien auf ihrem Weg<br />
nachhaltig zu begleiten, habe ich<br />
mich 2014 dazu entschieden, den<br />
gemeinnützigen Förderverein für<br />
Kinder mit seltenen <strong>Krankheiten</strong><br />
(KMSK) zu gründen. Seither setze<br />
ich mich mit grosser Leidenschaft<br />
für mein Herzensprojekt ein.<br />
Mit ganzem<br />
Herzen für seltene<br />
<strong>Krankheiten</strong><br />
Manuela Stier ist Gründerin und Geschäftsführerin des<br />
Fördervereins für Kinder mit seltenen <strong>Krankheiten</strong>. Für<br />
ihre Arbeit wurde die Kommunikationsexpertin mit<br />
dem Viktor Award als herausragendste Persönlichkeit<br />
im Schweizer Gesundheitswesen ausgezeichnet.<br />
Für welche Anliegen setzt<br />
sich der Förderverein ein? Vor<br />
welchen Herausforderungen<br />
stehen die Eltern von Kindern<br />
mit seltenen <strong>Krankheiten</strong>?<br />
Fünf bis acht Prozent der<br />
Schweizer Bevölkerung sind von<br />
einer seltenen Krankheit betroffen,<br />
50 Prozent davon Kinder<br />
und Jugendliche. Dies bringt<br />
grosse Herausforderungen für<br />
die ganze Familie mit sich: Zu<br />
Beginn verändert die Diagnose<br />
«seltene Krankheit» deren Eltern,<br />
die am Rande ihrer Kräfte sind,<br />
Geschwister kommen zu kurz,<br />
finanzielle Sorgen tauchen auf,<br />
Kämpfe mit den Versicherungen<br />
sind auszutragen und oft kommt<br />
auch soziale Isolation dazu.<br />
Wir unterstützen die Familien<br />
finanziell (seit 2014 2 Mio. CHF),<br />
führen KMSK Familien-Events<br />
durch, um diese zu vernetzen<br />
(seit 2014 mehr als 7'500 Personen)<br />
und fördern den Wissenstransfer<br />
rund um das Thema<br />
«<strong>Seltene</strong> <strong>Krankheiten</strong>» bei (neu)<br />
betroffenen Eltern, Fachpersonen<br />
und in der Öffentlichkeit. Dies<br />
erreicht die Organisation mit<br />
Medienbeiträgen (2021/22 sind<br />
bislang 120 unabhängige Berichterstattungen<br />
in Kooperation<br />
mit dem Förderverein erschienen)<br />
sowie mit den fünf KMSK
MEDIAPLANET | 7<br />
Wissensbüchern «<strong>Seltene</strong> <strong>Krankheiten</strong>»,<br />
die in einer Auflage von je<br />
10'000 Exemplaren kostenlos an<br />
betroffene Familien, Kinderspitäler<br />
und Fachpersonen abgegeben<br />
werden.<br />
Ein Mensch, der sich mit so viel<br />
Herz und Leidenschaft für dieses<br />
wichtige Thema einsetzt und so<br />
viele Extrameilen geht, hat den<br />
Award mehr als verdient!<br />
Urs Vögeli, Geschäftsführer von Janssen Schweiz,<br />
würdigte Manuela Stier für ihr<br />
grossartiges Engagement<br />
Zwischenzeitlich sind schon<br />
rund 700 betroffene Familien<br />
in unserem KMSK Familien-<br />
Netzwerk sowie 621 Mütter<br />
und Väter in der KMSK<br />
Facebook-Selbsthilfegruppe<br />
Schweiz! Wir kennen die Bedürfnisse<br />
der betroffenen Familien<br />
und setzen mit diesem Wissen<br />
effizient neue Projekte um, die<br />
einen grossen Nutzen für die<br />
Familien bieten und eine nachhaltige<br />
Wirkung erzeugen.<br />
Welche Bedeutung hat der<br />
„Oscar des Gesundheitswesens“,<br />
der Viktor Award, für Sie<br />
persönlich und für die Arbeit<br />
des Fördervereins?<br />
Dass ich mit dem Viktor Award<br />
2021 in der Kategorie «herausragendste<br />
Persönlichkeit des<br />
Schweizerischen Gesundheitswesens»<br />
ausgezeichnet wurde,<br />
bedeutet mir sehr viel. Ich bin<br />
dankbar für die Wertschätzung,<br />
die mir mit diesem Award entgegengebracht<br />
wurde. Zugleich<br />
war es auch überwältigend zu<br />
erleben, wie viele betroffene<br />
Familien, Freunde, Gesundheitspolitiker:innen,<br />
Netzwerkpartner<br />
und Gönner – inklusive der<br />
breiten Öffentlichkeit – hinter mir<br />
und dem Förderverein und somit<br />
hinter den betroffenen Familien<br />
stehen.<br />
Was wünschen Sie sich für die<br />
Zukunft? Welche Ziele wollen<br />
Sie mit dem Förderverein<br />
konkret in den nächsten Jahren<br />
erreichen?<br />
Wir wollen den betroffenen<br />
Familien den Lebensweg nachhaltig<br />
erleichtern und ihnen ein<br />
Sprachrohr sein. Dazu setzen wir<br />
eine digitale KMSK-Wissensplattform<br />
für Eltern und Fachpersonen<br />
um. Die Familien erhalten<br />
ab Ende Oktober 2022 relevante<br />
Informationen zu Unterstützungsleistungen,<br />
Anlaufstellen<br />
und Fachpersonen – übersichtlich,<br />
kostenfrei und unabhängig<br />
von der medizinischen Diagnose<br />
des Kindes. Unser Ziel ist es,<br />
dass die Familien die organisatorischen,<br />
administrativen,<br />
psychologischen und finanziellen<br />
Herausforderungen besser und<br />
schneller meistern können.<br />
Was macht bei uns den Unterschied?<br />
Wir binden unsere<br />
zwischenzeitlich 700 KMSK<br />
Familien aktiv in unsere nachhaltig<br />
wirkenden Projekte mit ein.<br />
Dies garantiert, dass die einzelnen<br />
Massnahmen eine möglichst<br />
grosse und nachhaltige Wirkung<br />
erzielen; wie die zwischenzeitlich<br />
fünf KMSK Wissensbücher<br />
«<strong>Seltene</strong> <strong>Krankheiten</strong>» und das<br />
KMSK Wissens-Forum «<strong>Seltene</strong><br />
<strong>Krankheiten</strong>», das am 25.2.2023<br />
im KKL Luzern zum internationalen<br />
Tag der seltenen <strong>Krankheiten</strong><br />
bereits zum 10. Mal<br />
durchgeführt wird. Moderiert<br />
wird das Jubiläums-Wissensforum<br />
von Daniela Lager.<br />
Seit 30 Jahren engagieren wir bei Alexion uns<br />
jeden Tag für Menschen mit schwerwiegenden<br />
seltenen Erkrankungen und ihre Familien, indem<br />
wir lebensverändernde Therapien erforschen,<br />
entwickeln und verbreiten.<br />
Weitere Informationen unter www.alexion.com<br />
DE/CH/AT/UNB-U/0050
8 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />
INSIGHT<br />
Şevin – schön,<br />
stark und verletzlich:<br />
ihr Leben mit der<br />
Schmetterlingskrankheit<br />
Die Geschichte und der Lebensweg<br />
von Şevin sind aussergewöhnlich:<br />
gezeichnet von zahlreichen<br />
Schicksalsschlägen, viel Leid, aber<br />
auch von Freude, Mut, Zuversicht<br />
und unermüdlichem Kampfgeist.<br />
Die 16-jährige Şevin ist von<br />
der unheilbaren und seltenen<br />
Hautkrankheit Epidermolysis<br />
bullosa, kurz EB, betroffen.<br />
Şevins Haut, Schleimhäute und<br />
Organe sind permanent von<br />
tiefen Wunden übersät, die<br />
Schmerzen unerträglich. Ihre<br />
Lebensfreude lässt sich Şevin<br />
davon aber nicht nehmen.<br />
Text Anna Birkenmeier, Barbara Stotz Würgler
MANUELA STIER<br />
BARBARA STOTZ WÜRGLER<br />
ŞEVIN ÖCAL<br />
Die Geschichte und der Lebensweg von Şevin sind aussergewöhnlich:<br />
gezeichnet von zahlreichen Schicksalsschlägen, viel Leid, aber auch<br />
von Freude, Mut, Zuversicht und unermüdlichen Kampfgeist.<br />
MEDIAPLANET | 9<br />
FOTO: SANDRA MEIER WWW.GESTALTUNGSKIOSK.CH<br />
Als Şevin im<br />
November 2005<br />
zur Welt kommt,<br />
komplikationslos<br />
und scheinbar<br />
kerngesund, ist<br />
das Glück ihrer Eltern perfekt.<br />
Wie sehr hatten sie sich auf ihre<br />
erste Tochter gefreut. Als sie ihr<br />
Neugeborenes allerdings genauer<br />
betrachteten, erschraken sie:<br />
Şevin hatte an einer Hand und<br />
an beiden Füssen keine Haut.<br />
«Es war ein Schock, wir wussten<br />
nicht was mit unserer Tochter<br />
los war und die Ärzte waren im<br />
ersten Moment ebenfalls ratlos»,<br />
erinnert sich Mukkader, Şevins<br />
Mama. Şevin wurde umgehend<br />
auf die Intensivstation des<br />
Kantonsspitals verlegt und blieb<br />
in der Folge drei Wochen dort.<br />
Es wurden unzählige Untersuchungen<br />
gemacht und Şevin<br />
stand unter ständiger Beobachtung.<br />
Relativ bald fand man den<br />
Grund für die fehlende Haut an<br />
ihrem Körper: Şevin leidet an<br />
der seltenen Krankheit Epidermolysis<br />
bullosa – der sogenannten<br />
Schmetterlingskrankheit.<br />
Epidermolysis bullosa ist ein<br />
vererbbarer Gendefekt, der zur<br />
Folge hat, dass die drei verschiedenen<br />
Hautschichten eines<br />
Menschen mangelhaft oder gar<br />
nicht miteinander verbunden<br />
sind. Die Haut von Betroffenen<br />
ist deshalb so zart und verletzlich<br />
wie ein Schmetterlingsflügel.<br />
«Was die Krankheit für das Leben<br />
von Şevin und für unser Leben<br />
bedeutet, war uns zu diesem<br />
Zeitpunkt nicht bewusst. Wir<br />
mussten einfach funktionieren»,<br />
so Mukkader.<br />
Die ersten Jahre verlief die<br />
Krankheit relativ mild, vor<br />
FOTO: SANDRA MEIER WWW.GESTALTUNGSKIOSK.CH<br />
allem Şevins Hände und Füsse<br />
waren betroffen. Seit ihrem 10.<br />
Lebensjahr verschlimmert sich<br />
sie Situation allerdings drastisch,<br />
inzwischen bilden sich täglich<br />
schmerzhafte Blasen auf der<br />
Haut und an den Schleimhäuten.<br />
Nebst höllischen Schmerzen, zu<br />
vergleichen mit Brandwunden 2.<br />
und 3. Grades, sind Vernarbungen,<br />
Deformierungen und eine<br />
erhöhte Infektionsgefahr die Folge.<br />
Täglich ist Mukkader mehrere<br />
Stunden damit beschäftigt, die<br />
offenen Stellen am Körper ihrer<br />
Tochter zu versorgen und einzubinden.<br />
«Obschon Şevin starke<br />
Schmerz- und Beruhigungsmittel<br />
bekommt, ist sie nie ganz<br />
schmerzfrei. Es bricht mir jedes<br />
Mal das Herz, wenn sie während<br />
der Wundpflege schreit», erzählt<br />
Mukkader.<br />
«Ich bin glücklich und<br />
dankbar für mein Leben»<br />
Trotz all dem Schmerz, dem<br />
Leid und der Hoffnungslosigkeit<br />
der Medizin, strahlt Şevin viel<br />
Lebensfreude aus. «Ich bin ein<br />
glücklicher Mensch und habe<br />
Freude an kleinen Dingen, wie an<br />
meinen Pflanzen, am Essen oder<br />
am Basteln», sagt sie. Dass sie<br />
immer wieder mit Ausgrenzung<br />
und verletzenden Kommentaren<br />
konfrontiert wird, versucht sie<br />
nicht an sich heranzulassen.<br />
«Ich konzentriere mich auf die<br />
positiven Menschen, die mir Mut<br />
zusprechen. Zum Glück gibt es<br />
davon auch ganz viele», betont<br />
Şevin. Die 16-Jährige<br />
ist auf Social<br />
Media ein kleiner<br />
Star und hat<br />
inzwischen über<br />
3500 Follower:innen.<br />
Es ist ihr Tor<br />
zur Aussenwelt. Denn<br />
zur Schule kann sie<br />
nur noch einen Nachmittag<br />
pro Woche; von<br />
Freizeitaktivitäten,<br />
einer Shoppingtour<br />
oder Ausgang mit<br />
Freund:innen kann sie<br />
nur träumen.<br />
Wenn ich nicht<br />
mehr da bin …<br />
Wie Şevins Krankheit<br />
verlaufen wird<br />
ist unklar, Prognosen<br />
gibt es keine.<br />
Wie unberechenbar<br />
die Krankheit ihrer<br />
Tochter ist, mussten<br />
Şevins Eltern zuletzt<br />
im April 2020 erfahren.<br />
«Şevins Nierenwerte waren<br />
so schlecht, dass uns die Ärzte<br />
eine Dialyse (Blutreinigung,<br />
Anm. d. Redaktion) empfahlen.<br />
Wir mussten entscheiden, ob wir<br />
in die Behandlung einwilligen»,<br />
denkt Mukkader zurück.<br />
Sie entschieden sich dagegen,<br />
wäre eine Dialyse für Şevin<br />
schliesslich ein zu grosses Risiko<br />
gewesen. Wie durch ein Wunder<br />
verbesserte sich Şevins Zustand<br />
– und das, obwohl die Ärzte und<br />
Ärztinnen die Familie bereits<br />
darauf vorbereitet hatten, dass<br />
Şevin sterben könnte. «Şevin ist<br />
unser Wunderkind und wir<br />
wünschen uns nichts mehr, als<br />
dass sie noch lange bei uns ist»,<br />
hofft Mukkader.<br />
FOTO: SANDRA MEIER<br />
WWW.GESTALTUNGSKIOSK.CH<br />
ŞEVIN<br />
SCHÖN, STARK UND VERLETZLICH:<br />
IHR LEBEN MIT DER<br />
SCHMETTERLINGSKRANKHEIT<br />
KMSK WISSENSBUCH<br />
Şevin weiss, dass ihre Lebenszeit begrenzt<br />
ist. Deshalb wünschte sie sich eine Biografie<br />
über ihr Leben: «Damit man sich an mich<br />
erinnert, wenn ich nicht mehr da bin». Der<br />
Förderverein für Kinder mit seltenen <strong>Krankheiten</strong><br />
KMSK hat ihr diesen Wunsch erfüllt,<br />
entstanden ist eine berührende Biografie.<br />
Link zur Bestellung https://bit.ly/3S1igIF<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
ŞEVINS KRANKHEIT<br />
Schwere Epidermolysis bullosa dystrophyca<br />
(RDEB generalized severe) ist eine genetisch<br />
bedingte und derzeit unheilbare Hauterkrankung.<br />
Die Haut von Menschen mit Epidermolysis<br />
bullosa – auch Schmetterlingskrankheit<br />
genannt – ist sehr verletzlich (wie die Flügel eines<br />
Schmetterlings), was zu schwersten körperlichen<br />
Beeinträchtigungen und Schmerzen führt. Weil<br />
Epidermolysis bullosa angeboren ist, äussert sich<br />
die Krankheit schon bei der Geburt oder in den<br />
ersten Tagen danach. Aufgrund eines Gendefekts<br />
wird ein bestimmtes Kollagen vom Körper<br />
gar nicht oder nur mangelhaft gebildet. Dies führt<br />
dazu, dass die einzelnen Hautschichten nicht<br />
richtig zusammenhalten, bei geringster Belastung<br />
bilden sich Blasen oder Risse. In der Schweiz leiden<br />
rund 30 Personen wie Şevin an der schwersten<br />
Form der Schmetterlingskrankheit.<br />
Quelle: Biografie Şevin – schön, stark und verletzlich:<br />
ihr Leben mit der Schmetterlingskrankheit
10 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />
INTERVIEW<br />
Ein Leben mit<br />
Morbus Gaucher<br />
Ilse Schretter lebt mit der seltenen Erkrankung Morbus Gaucher.<br />
Wie sich ihr Leben durch eine Therapie verändert hat und was sie anderen<br />
Patient:innen mit Morbus Gaucher mitgeben möchte,<br />
lesen Sie im Interview.<br />
Text Magdalena Reiter-Reitbauer<br />
Ilse Schretter<br />
Obmann-<br />
Stellvertreterin<br />
Österreichische<br />
Gesellschaft für<br />
Gauchererkrankungen<br />
FOTO: ZVG<br />
Wie lange hat es gedauert, bis bei Ihnen die<br />
richtige Diagnose gestellt wurde?<br />
Ich bin ein sehr seltener Fall, weil ich bereits bei<br />
der Geburt mit Morbus Gaucher diagnostiziert<br />
wurde. Ich kam mit einer vergrösserten Milz auf<br />
die Welt und hatte bereits als Baby Nasenbluten.<br />
Und da auch mein um acht Jahre älterer Bruder<br />
zu diesem Zeitpunkt schon die Diagnose Morbus<br />
Gaucher erhalten hatte, war bei meinen Symptomen<br />
sofort klar, dass ich ebenso an der seltenen<br />
Speichererkrankung leide. Bei Morbus Gaucher<br />
besteht im Körper ein Enzymmangel. Der Körper<br />
kann gewisse Stoffe nicht abbauen und speichert<br />
diese in den Organen.<br />
Bei Ihnen war zwar von Geburt an klar, dass<br />
Sie an Morbus Gaucher leiden, aber haben Sie<br />
damals auch gleich eine Therapie erhalten?<br />
Ich wurde 1948 geboren. Damals gab es noch nicht<br />
jene Enzymersatztherapie, die heute Standard<br />
ist. Wir wussten zwar, was es bedeutet, an Morbus<br />
Gaucher zu leiden, nur konnte man nichts<br />
dagegen tun. Mein Bruder hatte zum Beispiel keine<br />
Probleme, obwohl er die gleichen Gene wie ich<br />
hat. Bei mir hat sich bereits im Mutterleib dieser<br />
Enzymmangel stark auf die Milz ausgewirkt. Eine<br />
Therapie habe ich erst mit meinem 40. Lebensjahr<br />
erhalten.<br />
Wie hat sich Morbus Gaucher bei Ihnen geäussert<br />
bzw. welche Beschwerden hatten Sie?<br />
Ich war oft monatelang im Krankenhaus. Ich hatte<br />
eine stark vergrösserte Milz und auch die Leber<br />
und das Knochenmark waren betroffen. Meine<br />
gesamte Schulzeit hindurch hatte ich häufig sehr<br />
starke Schmerzen, die unterschiedlich lange<br />
angehalten haben – von zwei Stunden bis hin zu<br />
mehreren Wochen. Ausserdem litt ich während<br />
meiner gesamten Kindheit an häufigem und<br />
schwerem Nasenbluten. Dieses dauerte immer<br />
mindestens eine Stunde an, was im Alltag sehr<br />
belastend für mich war. Als ich 16 Jahre alt war,<br />
wurde mir schliesslich die Milz entnommen.<br />
Diese hat zum Zeitpunkt der Entnahme sechs<br />
Kilogramm gewogen. Danach ist es mir zehn bis<br />
fünfzehn Jahre deutlich besser gegangen – auch<br />
das Nasenbluten hat nach der Operation aufgehört.<br />
Trotz Knochenschmerzen ging ich immer normal<br />
arbeiten und bekam auch zwei Kinder.<br />
Wie geht es Ihnen heute mit Morbus Gaucher?<br />
Ich bin wirklich glücklich, dass ich eine Therapie<br />
erhalten kann. Ich bekomme meine Enzymersatztherapie<br />
alle 14 Tage von meinem Hausarzt<br />
verabreicht und bin sehr gut eingestellt. Zweimal<br />
im Jahr wird die Dosis von einem Spezialisten kontrolliert.<br />
Hin und wieder habe ich noch Knochenschmerzen,<br />
aber grundsätzlich sind die Schmerzen<br />
zu 90 % weg. Ich bin ja nicht mehr die Jüngste und<br />
schon über 70 Jahre alt. Aber ich bin glücklich –<br />
auch mein Bruder übrigens. Er ist schon über 80<br />
Jahre alt, und was Morbus Gaucher betrifft, geht es<br />
uns beiden wirklich gut.<br />
Inwiefern beeinflusst Morbus Gaucher Ihren<br />
Alltag?<br />
Ich bin mit dieser Erkrankung geboren. Als Kind<br />
habe ich es einfach so hingenommen, dass ich<br />
eben immer wieder krank war. Ich kenne nichts<br />
anderes. Über die Jahre hat sich das natürlich<br />
verändert. Heute kann ich dank der Therapie das<br />
Leben eines gesunden Menschen führen und zum<br />
Beispiel wandern gehen.<br />
Was möchten Sie neu-diagnostizierten<br />
Morbus-Gaucher-Patient:innen mit<br />
auf den Weg geben?<br />
Seien Sie glücklich! Wir leiden zwar an einer sehr<br />
seltenen Erkrankung, aber uns sieht man Morbus<br />
Gaucher nicht an. Wir sehen ja alle ganz normal<br />
aus! Wenn man sich schon eine seltene Erkrankung<br />
aussucht, dann wenigstens Morbus Gaucher. Denn<br />
uns kann man glücklicherweise zu 100 % helfen!<br />
Morbus Gaucher<br />
Morbus Gaucher ist eine erbliche Stoffwechselstörung<br />
und zählt zur Gruppe der<br />
Speicherkrankheiten. Bei den Betroffenen<br />
liegt ein genetisch bedingter Defekt des<br />
Enzyms Glukozerebrosidase vor.
Informationen für in der Schweiz<br />
ansässige Patienten mit seltenen<br />
lysosomalen Speicherkrankheiten<br />
und ihre Angehörigen<br />
Entdecken Sie die Website!<br />
sanofi-aventis (schweiz) ag | 3, route de Montfleury | CH-1214 Vernier/GE<br />
MAT-CH-2200138-2.0 – 08/2022
12 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />
Video-<br />
Selbsthilfe<br />
besteht Feuerprobe<br />
Trotz grosser Einschränkungen während<br />
der Corona-Pandemie zeigt sich, dass<br />
gemeinschaftliche Selbsthilfe Menschen<br />
zusammenbringt. Selbsthilfegruppen<br />
waren und sind eine wesentliche Stütze in<br />
unsicheren Zeiten. Mit anderen zumindest<br />
per Video in Kontakt zu bleiben hilft vielen<br />
Betroffenen, soziale Isolation auszuhalten,<br />
Vereinsamung vorzubeugen und<br />
Zusammenhalt zu erleben, auch im Kontext<br />
von «<strong>Seltene</strong>n <strong>Krankheiten</strong>». Deshalb<br />
bleibt es für Selbsthilfe Schweiz wichtig,<br />
selbsthilfeunterstützende Strukturen wie<br />
die Video-Selbsthilfegruppen weiterhin<br />
verfügbar und zugänglich zu machen und<br />
auszubauen.<br />
Selbsthilfe Schweiz<br />
Seit 2000 agiert die Stiftung Selbsthilfe Schweiz auf<br />
nationaler Ebene im Dienst der gemeinschaftlichen<br />
Selbsthilfe, unabhängig von der Thematik, dem Grad<br />
der Betroffenheit oder der Form der Hilfe für die Idee<br />
der gemeinschaftlichen Selbsthilfe im Sinne von «Gemeinsam<br />
geht es besser». Die Stiftung hat seit 2001<br />
einen Leistungsauftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen<br />
(BSV), den sie zusammen mit 21 regionalen<br />
Selbst-hilfezentren und fünf Selbsthilfeorganisationen für<br />
rund 2‘800 Selbsthilfegruppen und 43‘000 Teilnehmende<br />
umsetzt. Die Selbsthilfe leistet einen wichtigen Beitrag<br />
zum Schweizer Sozial- und Gesundheitswesen. Eine<br />
rechtliche Verankerung der Selbsthilfe auf Bundesebene<br />
fehlt jedoch weiterhin. Selbsthilfe Schweiz setzt sich<br />
für eine bessere Anerkennung der Selbsthilfe und ihres<br />
Angebots in der Schweiz ein.<br />
FOTO: SELBSTHILFE SCHWEIZ<br />
Seit 2014 ist die Anzahl<br />
von Selbsthilfegruppen<br />
zu sozialen, somatischen<br />
und psychischen Themen<br />
um 14 % angestiegen. Die Anzahl<br />
der Beratungen in den regionalen<br />
Selbsthilfezentren hat sich in den<br />
letzten zwei Jahr um 51 % erhöht.<br />
Alleine im Jahr 2020 entstanden in<br />
der Schweiz 133 neue Selbsthilfegruppen.<br />
Die Corona-Pandemie<br />
hat die gemeinschaftliche Selbsthilfe<br />
und deren Förderung vor<br />
grosse Herausforderungen gestellt.<br />
Es mussten alternative Treffmöglichkeiten<br />
gefunden werden, bis<br />
sich die schweizweit über 2‘800<br />
Selbsthilfegruppen und ihre rund<br />
43‘000 Selbsthilfegruppenmitglieder<br />
wieder zumindest teilweise<br />
physisch treffen durften. Viele<br />
Selbsthilfegruppen sind während<br />
der Corona-Pandemie auf virtuelle<br />
Austauschmöglichkeiten – wie die<br />
Video-Selbsthilfe – umgestiegen.<br />
Die Mitglieder unterstützen sich<br />
auch in diesem Format gegenseitig<br />
bei der Bewältigung ihres<br />
Alltags und im Umgang mit den oft<br />
anspruchsvollen medizinischen<br />
Behandlungen. Der Aufbau von<br />
Video-Selbsthilfegruppen mit<br />
Schwerpunkten bei Selbsthilfe<br />
Zürich war ein erster wichtiger<br />
Schritt in der Weiterentwicklung<br />
der gemeinschaftlichen Selbsthilfe<br />
im virtuellen Raum durch Selbsthilfe<br />
Schweiz.<br />
Video-Selbsthilfe bewegt<br />
Selbsthilfegruppen haftet bisweilen<br />
ein etwas verstaubtes Image<br />
an – zu Unrecht: Die Corona-Pandemie<br />
hat zum flexiblen Ausbau<br />
der virtuellen Selbsthilfeangebote<br />
in der Schweiz geführt, vor allem<br />
im Bereich der Video-Selbsthilfe.<br />
Das neue Selbsthilfe-Format<br />
ergänzt die Treffen vor Ort ideal.<br />
Dafür gibt es zahlreiche Gründe.<br />
Zu den meistgenannten gehört,<br />
dass auch mobilitätseingeschränkte<br />
Personen oder solche mit langer<br />
Anreise teilnehmen können; oder<br />
auch von «<strong>Seltene</strong>n <strong>Krankheiten</strong>»<br />
Betroffene, die über die ganze<br />
Schweiz verteilt sind und sich nur<br />
schwierig vor Ort mit den wenigen<br />
anderen mit gleichem Schicksal<br />
austauschen können.<br />
Chancen und Herausforderungen<br />
der Video-Selbsthilfe<br />
Die Digitalisierung in Form von<br />
Lukas Zemp,<br />
Geschäftsführer<br />
Selbsthilfe<br />
Schweiz<br />
Selbsthilfe Schweiz | Laufenstrasse 12 | CH-4053 Basel<br />
Tel. 061 333 86 01 | info@selbsthilfeschweiz.ch |<br />
www.selbsthilfeschweiz.ch<br />
FOTO: SELBSTHILFE SCHWEIZ<br />
Für Rückfragen stehen wir<br />
Ihnen gerne zur Verfügung:<br />
Lukas Zemp, Geschäftsführer<br />
Selbsthilfe Schweiz<br />
Tel. 061 333 86 01 oder<br />
l.zemp@selbsthilfeschweiz.ch<br />
Video-Selbsthilfe nahm in der<br />
Schweiz durch die Pandemie<br />
erheblich an Fahrt auf. In der<br />
Video-Selbsthilfegruppe sprechen<br />
sich die Mitglieder über Ängste,<br />
Sorgen und auch Mutmachendes<br />
aus. Dennoch fehlen vielen aktiven<br />
Personen die Gruppentreffen, die<br />
aufgrund der Corona-Bestimmungen<br />
wegfallen mussten. Oft gelingt<br />
der Umzug in den virtuellen Raum<br />
zwar gut, aber nicht immer auf<br />
Dauer und für alle Gruppen<br />
zufriedenstellend. Den persönlichen<br />
Austausch von Angesicht zu<br />
Angesicht vor Ort – diesen können<br />
Video-Treffen nur bedingt<br />
ersetzen. Und dennoch boten und<br />
bieten die Video-Selbsthilfegruppen<br />
für viele eine wichtige<br />
Möglichkeit, um überhaupt in<br />
Kontakt zu bleiben. Zudem stellen<br />
Video-Selbsthilfegruppen vor<br />
allem für junge Menschen einen<br />
niedrigschwelligen, ersten Zugang<br />
zur gemeinschaftlichen Selbsthilfe<br />
dar. Deshalb wird Selbsthilfe<br />
Schweiz gemeinsam mit den<br />
regionalen Selbsthilfezentren die<br />
Video-Selbsthilfe weiterhin<br />
anbieten und weiter ausbauen.<br />
Dabei liegt der Fokus immer auf<br />
den Betroffenen und den gesellschaftlichen<br />
und sozialen Entwicklungen<br />
in der Schweiz.
MEDIAPLANET | 13<br />
Hereditäre<br />
Angioödem-Typen:<br />
Typ I (80 bis 85 %):<br />
gekennzeichnet durch C1-Inhibitor-Mangel<br />
Typ II (15 bis 20 %):<br />
gekennzeichnet durch C1-Inhibitor-Dysfunktion<br />
Die Vererbung erfolgt autosomal-dominant.<br />
Klinisch zeigt<br />
es sich in der Regel während<br />
der Kindheit oder Adoleszenz.<br />
Eine seltene Form des<br />
hereditären Angioödems<br />
(hereditäres Angioödem Typ<br />
III) ist durch normale C1-Inhibitor-Spiegel<br />
gekennzeichnet.<br />
Dieser Typ tritt hauptsächlich<br />
bei Frauen auf.<br />
Hereditäres<br />
Angioödem (HAE):<br />
Beschwerdefreiheit dank<br />
Prophylaxetherapie<br />
160 Menschen sind in der Schweiz vom hereditären Angioödem (HAE)<br />
betroffen. Trotz der Seltenheit der Erkrankung läuft die Forschung<br />
auf Hochtouren. Neue prophylaktische Therapien ermöglichen den<br />
Betroffenen nun eine hohe Lebensqualität. PD Dr. med. Urs Steiner ist<br />
Klinischer Immunologe und Allergologe an der Klinik für Rheumatologie und<br />
Immunologie des Universitätsspitals, Inselspital Bern.<br />
Text Anna Birkenmeier<br />
PD Dr. med.<br />
Urs Steiner<br />
Leitender Arzt<br />
Universitätsklinik<br />
für Rheumatologie<br />
und<br />
Immunologie<br />
Inselspital,<br />
Universitätsspital<br />
Bern<br />
FOTO: UNIVERSITÄTSSPITAL ZÜRICH<br />
Das hereditäre Angioödem<br />
(HAE) ist eine genetisch<br />
bedingte Erkrankung, die<br />
durch Schwellungsattacken<br />
gekennzeichnet ist. Welche<br />
neuen Therapieoptionen gibt<br />
es hier?<br />
Mit den neuen prophylaktischen<br />
Therapien haben sich die<br />
Behandlungsmöglichkeiten des<br />
HAE deutlich verbessert. Seit<br />
diesem Jahr steht in der Schweiz<br />
eine neue orale HAE-Prophylaxe<br />
zur Verfügung. Diese wird einmal<br />
täglich als Tablette eingenommen<br />
und führt zu einer<br />
deutlichen Verminderung der<br />
Anfälle. Die Behandlung wird<br />
sehr gut vertragen. Zugelassen<br />
ist die Therapie für Kinder ab<br />
zwölf Jahren. Seit einigen Jahren<br />
gibt es die Prophylaxetherapie<br />
zudem als subkutane Spritze<br />
mit einer sehr guten Wirkung.<br />
Welches Therapieziel steht<br />
dabei im Vordergrund?<br />
Mit den uns zur Verfügung<br />
stehenden Medikamenten kann<br />
man die Krankheit nicht heilen,<br />
jedoch so kontrollieren, dass<br />
die Patienten zumeist symptomfrei<br />
sind. Für Patienten,<br />
die regelmässig an schmerzhaften<br />
und entstellenden<br />
HAE-Attacken gelitten haben,<br />
bedeutet das einen hohen<br />
Gewinn an Lebensqualität.<br />
Insbesondere für Jugendliche<br />
und junge Erwachsene schafft<br />
die Prophylaxetherapie neue<br />
Perspektiven, etwa hinsichtlich<br />
ihrer Berufswahl.<br />
Wann wird eine prophylaktische<br />
Therapie empfohlen?<br />
Das hereditäre Angioödem zeigt<br />
sehr unterschiedliche Verläufe:<br />
Manche Patienten haben zweimal<br />
jährlich eine Attacke, andere<br />
wiederum zweimal monatlich.<br />
Bei jenen Patienten mit seltenen<br />
Anfällen reicht eine Akuttherapie.<br />
Bei Patienten, die mehrmals<br />
pro Monat eine Attacke<br />
haben, lohnt sich eine prophylaktische<br />
Therapie. Allerdings<br />
kann es auch unter der Prophylaxetherapie<br />
zu Durchbruchattacken<br />
kommen – weshalb die<br />
Patienten immer hinsichtlich<br />
Akuttherapie geschult werden<br />
sollten.<br />
Welche neuen Erkenntnisse<br />
über HAE konnte man in<br />
jüngster Zeit gewinnen?<br />
Obschon HAE eine seltene<br />
Krankheit ist, tut sich viel in<br />
der Forschung. Aktuell wird in<br />
der Schweiz eine Daten- und<br />
Biobank der Betroffenen aufgebaut,<br />
die es uns in Zukunft<br />
ermöglichen soll, die Pathomechanismen<br />
der Krankheit<br />
besser zu verstehen. So wissen<br />
wir momentan beispielsweise<br />
noch nicht, weshalb in derselben<br />
Familie der Verlauf<br />
einer HAE Erkrankung sehr<br />
unterschiedlich sein kann.<br />
Ebenso erlangen wir zunehmend<br />
neue Erkenntnisse über<br />
die auslösenden Faktoren, die<br />
zu einer Attacke führen können.<br />
Dazu gehören etwa hormonelle<br />
Faktoren, aber auch Emotionen<br />
wie Stress und Freude. Je mehr<br />
wir über die Krankheit wissen,<br />
desto besser können wir die<br />
Patienten beraten.<br />
Relativ unbekannt ist der<br />
HAE-Typ III. Wie unterscheidet<br />
sich dieser von Typ I und II<br />
und welche Therapieoptionen<br />
gibt es hier?<br />
Beim HAE-Typ III oder neu<br />
HAE mit normalem C1-Inhibitor<br />
Protein (HAE-nC1-INH) sind<br />
die klinischen Symptome und<br />
Therapieempfehlungen sehr<br />
ähnlich wie beim HAE Typ I und<br />
II. Bisher sind sechs verschiedene<br />
Formen des HAE-nC1-INH<br />
bekannt aufgrund der gefundenen<br />
Mutationen. Bei zwei davon<br />
ist das Gefässendothel involviert,<br />
und bei diesen Patienten<br />
braucht es auch andere<br />
Therapieansätze.<br />
Was raten Sie den Betroffenen<br />
abschliessend?<br />
Wenden Sie sich an ein kompetentes<br />
Zentrum, das auf die<br />
Behandlung von HAE spezialisiert<br />
und über die neuesten<br />
therapeutischen Möglichkeiten<br />
informiert ist.
14 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />
INTERVIEW<br />
Mit politischem<br />
Erfahrungsschatz<br />
für seltene<br />
Erkrankungen<br />
Yvonne Feri ist die neue Präsidentin von ProRaris. Im<br />
Interview erzählt die langjährige Politikerin, wie sie die<br />
Interessen des Dachverbandes für seltene Erkrankungen in<br />
der Schweiz vorantreiben möchte.<br />
Text Magdalena Reiter-Reitbauer<br />
Yvonne Feri<br />
Präsidentin von<br />
ProRaris<br />
Allein in der<br />
Schweiz sind<br />
Schätzungen<br />
zufolge<br />
zwischen<br />
500'000 und<br />
600'000<br />
Menschen von<br />
einer seltenen<br />
Krankheit<br />
betroffen.<br />
FOTO: DAS SCHWEIZER PARLAMENT<br />
Frau Feri, Sie wurden im Juni<br />
dieses Jahres zur neuen Präsidentin<br />
von ProRaris gewählt.<br />
Mit welchen Erwartungen<br />
beginnen Sie Ihre Amtszeit?<br />
Ich möchte gemeinsam mit dem<br />
Vorstand die Mission von Pro-<br />
Raris weiterentwickeln und die<br />
Zukunft des Verbandes vorantreiben.<br />
Ich bin eine sehr effiziente<br />
Person, arbeite pragmatisch<br />
und verstehe die Unterschiede<br />
von operativen und strategischen<br />
Aufgaben. Im Moment arbeitet<br />
der Vorstand auch operativ, in<br />
Zukunft soll er sich nur auf die<br />
Strategie konzentrieren können.<br />
Welche Ziele streben Sie konkret<br />
gemeinsam mit ProRaris<br />
an und welche konkreten<br />
Verbesserungen möchten Sie<br />
in den nächsten Jahren erreichen?<br />
Wir müssen uns unbedingt die<br />
Finanzen ansehen, denn aktuell<br />
besteht keine gute finanzielle<br />
Grundlage. Neben der Vertretung<br />
der Betroffenen von<br />
seltenen <strong>Krankheiten</strong> in diversen<br />
Projekten ist das Hauptziel, eine<br />
finanziell stabile Zukunft für<br />
den Verband zu sichern. ProRaris<br />
leistet eine so wichtige Aufgabe!<br />
Weltweit gibt es ungefähr 8.000<br />
verschiedene seltene Erkrankungen.<br />
Allein in der Schweiz<br />
sind Schätzungen zufolge<br />
zwischen 500'000 und 600'000<br />
Menschen von einer seltenen<br />
Krankheit betroffen. Das ist eine<br />
insgesamt sehr grosse Gruppe<br />
an Menschen, die wir sichtbar<br />
machen müssen, um ihre<br />
Situation im Gesundheitswesen<br />
zu verbessern. Als Dachverband<br />
bündeln wir die Expertise der<br />
einzelnen Patientenorganisationen<br />
und bringen diese<br />
in diversen Projekten für die<br />
Verbesserung der Lebenssituationen<br />
von Menschen mit seltenen<br />
<strong>Krankheiten</strong> ein. Auch geben wir<br />
den zahlreichen Betroffenen, die<br />
über keine krankheitsspezifische<br />
Patientenorganisation verfügen,<br />
eine Stimme. Es geht aber nicht<br />
nur um den Gesundheitsbereich,<br />
sondern gerade auch für Kinder<br />
um strukturelle Verbesserungen.<br />
Deshalb braucht es ProRaris als<br />
Dachverband und Allianz der<br />
rund 100 Patientenorganisationen<br />
für Menschen mit einer<br />
seltenen Erkrankung.<br />
Sie sind seit 2011 Nationalrätin<br />
und Mitglied der Kommission<br />
für soziale Sicherheit und Gesundheit.<br />
Welchen Einfluss hat<br />
Ihre langjährige Tätigkeit als<br />
Politikerin auf das politische<br />
Engagement im Bereich der<br />
seltenen Erkrankungen in der<br />
Schweiz?<br />
Ich bin auf Bundesebene sehr gut<br />
mit anderen Politikerinnen und<br />
Politikern vernetzt und kenne<br />
auch die Abläufe in der Verwaltung.<br />
Dieser Erfahrungsschatz<br />
ist für die Lobbyarbeit für unsere<br />
Patientinnen und Patienten nützlich<br />
und auch für unsere politische<br />
Agenda. ProRaris wurde als<br />
Schlüsselpartnerin im nationalen<br />
Konzept seltener <strong>Krankheiten</strong><br />
anerkannt. Nun braucht es endlich<br />
rechtliche Grundlagen, um<br />
diese öffentliche Aufgabe auch<br />
finanziell abgleichen zu können.<br />
Was sind für Sie aktuell die<br />
grössten Herausforderungen im<br />
Bereich der seltenen Erkrankungen<br />
in der Schweiz?<br />
Wir brauchen eine stärkere<br />
Vernetzung – auch unter den<br />
Patientinnen und Patienten, weil<br />
es dabei auch um die Vermittlung<br />
von krankheitsspezifischem<br />
Wissen geht. Für sie ist es sehr<br />
wichtig, dass sie Zugang zu<br />
Therapien haben. Es ist heute<br />
keine Selbstverständlichkeit, dass<br />
Medikamente und Therapien,<br />
die im Ausland zugelassen sind,<br />
auch bei uns zugelassen und<br />
von den Krankenkassen bezahlt<br />
werden. Dieser Themenbereich<br />
ist unglaublich wichtig! Zudem<br />
wurde im Parlament ein Vorstoss<br />
eingereicht, damit Patientinnen<br />
und Patienten mit seltenen<br />
<strong>Krankheiten</strong> zukünftig eine durch<br />
Leistungsverträge gestärkte<br />
Patientenvertretung erhalten. Der<br />
Nationalrat hat erfreulicherweise<br />
schon zugestimmt, nun braucht<br />
es noch die Stimmen aus dem<br />
Ständerat; dafür möchte ich mich<br />
weiter stark engagieren.<br />
Was wünschen Sie sich persönlich<br />
für Menschen mit seltenen<br />
Erkrankungen in Zukunft?<br />
Zugang zu Therapien! Neueste<br />
Therapien sollen möglichst rasch<br />
in der Schweiz auf den Markt<br />
kommen und finanziert werden,<br />
sodass alle Betroffenen einen<br />
Zugang dazu erhalten. Ausserdem<br />
ist es mein Ziel, die Kompetenzen<br />
von ProRaris als Dachverband mit<br />
den Ressourcen ins Gleichgewicht<br />
zu bringen, damit die Allianz<br />
langfristig Bestand hat.
Jeder einzelne Mensch<br />
motiviert uns Tag für Tag<br />
unser Bestes zu geben<br />
MSD ist eines der weltweit führenden,<br />
forschenden biopharmazeutischen<br />
Unternehmen mit einer über 125-jährigen<br />
Geschichte. Wir haben es uns zur Aufgabe<br />
gemacht, zur weltweiten Verbesserung<br />
der Gesundheit beizutragen.<br />
Pulmonale Hypertonie ist eine seltene<br />
chronische Krankheit, die unbehandelt<br />
lebensbedrohlich ist.<br />
MSD engagiert sich für Menschen mit<br />
pulmonaler Hypertonie.<br />
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MSD Merck Sharp & Dohme AG, Werftestrasse 4, 6005 Lucerne. CH-NON-01745 08/2022
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seltene <strong>Krankheiten</strong>?<br />
Werden Sie Teil unserer Kampagne –<br />
die nächste Ausgabe erscheint zum<br />
Rare Disease Day, dem 28.02.2023.<br />
Melden Sie sich unter:<br />
kerstin.koeckenbauer@mediaplanet.com<br />
FOTO: KELLEY BOZARTH