Hinz&Kunzt_354_August
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Eines Morgens saß Hanadi<br />
Chawaf auf einer Bank in<br />
Winterhude und beobachtete,<br />
wie ihre Wut und ihre<br />
Trauer von einer Hauswand gekratzt<br />
wurden. Es kratzte die Besitzerin eines<br />
Luftballongeschäfts, an dessen Wand<br />
Chawaf eines ihrer Werke geklebt hatte:<br />
ein Junge, der seinen großen Kopf in<br />
seine kleinen Hände stützte, eine Träne<br />
floss aus seinem Auge. So saß er unter<br />
der Werbung für Luftballons.<br />
Es war das Jahr 2014 und das<br />
Bild des Jungen ihr Blick auf ihre<br />
Heimat Syrien, auf die gewaltsame<br />
Niederschlagung der Proteste und die<br />
Gewalt, die sie jeden Tag in den Nachrichten<br />
sah.<br />
„Wie sollte ich schon rebellieren?“,<br />
fragt die 40-Jährige heute. Was, ausgerechnet<br />
von ihr, eine bemerkenswerte<br />
Frage ist, weil man die Geschichte ihres<br />
Lebens selbst als eine der Rebellion erzählen<br />
könnte. Doch damals fühlte sie<br />
sich vor allem hilflos und seltsam schuldig:<br />
weil sie hier lebte, die grausamen<br />
Bilder sah, aber nicht mit den anderen<br />
demonstrieren konnte.<br />
Sie wollte, dass die Welt – ihre Welt,<br />
in der sie nun lebte, Hamburg, Europa,<br />
der Westen – hinsah: Wie das Regime<br />
in Syrien mit äußerster Brutalität auf<br />
46<br />
die Protestierenden reagierte, wie es immer<br />
wieder zu Gewalt kam, auch gegen<br />
Kinder. So wurden im März 2011 in<br />
der Stadt Daraa mehrere Kinder festgenommen<br />
und misshandelt, weil sie ein<br />
Graffiti als Protest gegen Präsident<br />
Bashar Al-Assad gesprüht hatten. Graffiti,<br />
Street-Art generell, werden seit Beginn<br />
des Arabischen Frühlings in Ägypten<br />
und Tunesien zu einer wichtigen<br />
Ausdrucksform des Protests.<br />
Und ja, vielleicht würden die Menschen<br />
in Hamburg für einen Moment<br />
an diese Kinder denken, wenn sie ihr<br />
Bild sehen und ihren eigenen Kindern<br />
einen Luftballon kaufen, dachte sie.