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IMPRESSUM
Eröffnungsausstellung des Stadels
Alte Post, Haus für zeitgenössische Kunst
Graf-Lenberger-Str.13, 84371 Triftern
Kurator: Bernd Stöcker
Kataloggestaltung: Herbert Oeller
Druck: Leonhard Druck, Gangkofen
Auflage: 500 Stück
BILDHAUER FREUNDE!
HANS WIMMER
GERHARD MARCKS
HELMUT HEINZE
ALTE POST
HAUS FÜR ZEIT
GENÖSSISCHE
KUNST
TRIFTERN
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Am Anfang des 20.Jahrhunderts fand in Paris ein
reger Künstleraustausch statt. Pablo Picasso, George
Braque, Henri Laurens, José Gonzales, um nur einige bekanntere
Namen zu nennen, trafen sich im Café oder besuchten
sich gegenseitig in ihren Ateliers. In Deutschland
gab es keine Caféhauskultur wie in Paris, Rom oder Wien.
In Berlin gab es während der Nazizeit aber eine Ateliergemeinschaft
Klosterstrasse. Hier hatten sich Künstler
zusammengefunden, die in stiller Zurückgezogenheit
den Lockungen und Pressalien des Regimes versuchten
zu trotzen. Hier lernten sich Hans Wimmer und Gerhard
Marcks kennen. Nach dem Kriege wuchs daraus eine
lebenslange Freundschaft, die in einem ausgedehnten
Briefwechsel und im gemeinsamen Urlaub geführt wurde.
Und es gab einen brieflichen Künstleraustausch durch
den Eisernen Vorhang hindurch. Helmut Heinze und seine
Studenten an der Dresdener Hochschule für Bildende
Künste beschäftigten sich intensiv mit den Werken von
Hans Wimmer. Erst 1990 konnte Helmut Heinze Hans
Wimmer und Gerhard Marcks dann in München und Köln
in ihren Ateliers besuchen.
5
HANS WIMMER
Bisci di volorit et dolupie nessit inctianda cumque
et dolorep tatur, ommolum re voluptamus num harunt,
offictatem nossitatibus excesedita coriaero eos reperit
inctate nimust, sandantis re conet faccupitiur sum et
aut enis sum rem volo et accatem fugit, sitae. Itas etum
quodias invellorrum etur reictas sam, nonsequ iandis etur,
quam hilic torera quiae. Ebitam nulpa sequam autet eum
untotat uscimenim arumquatquo eserum soluptatem re,
id eum faccatiae. Poribusdae invenda simoluptatia volor
autenda musant qui odi conest ad unt voluten delicae sa
dolum vollorum facipist, arum eaquisque vit untem id et
volore velignate simpe comnimus, ute pero estiam et iusam
descimus.
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GERHARD MARCKS
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HELMUT HEINZE
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Texte
Helmut Heinze
Arie Hartog
Heiner Protzmann
Friedrich-Wilhelm Junge
Uta Kuhl
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Helmut Heinze
Hans Wimmers Schrift „Über die Bildhauerei“
Hans Wimmers Schrift – und die DDR-Zeit
Auf der Erstausgabe dieser Schrift im Insel-Verlag
1961 steht auf der Titelseite: „Erfahrungen bei der Arbeit,
Notizen in der Werkstatt.“ 1 Mit einem kurzen Vorwort hat
Wimmer die Entstehung seiner Schrift erläutert: „Im Laufe
von dreißig Jahren haben sich Zettel angesammelt, die
hier aneinandergeheftet sind. Sie enthalten, was ich bei
der Arbeit erfahren, nicht was ich mir ausgedacht habe.“
Diesen Aufzeichnungen und Werkstatt-Notizen hat
Wimmer noch einen Text von Schiller vorangesetzt: „Es
ist ja überhaupt noch die Frage, ob die Kunstphilosophie
dem Künstler etwas zu sagen hat. Der Künstler braucht
mehr empirische und spezielle Formeln, die eben deswegen
für den Philosophen zu eng und zu unrein sind,
dagegen dasjenige, was für diesen den gehörigen Gehalt
hat und sich zum allgemeinen Gesetze qualifiziert,
für den Künstler bei der Ausübung immer hohl und leer
erscheinen wird.“ (Schiller an Wilhelm von Humboldt am
27. Juni 1798).
Hans Wimmers schmales Büchlein von 60 Seiten mit
seinen „Notizen in der Werkstatt“ (Abb. 56) wurde auch
in unserem Atelier gelesen. Bei den Bildhauerstudenten
in meiner Klasse in der Hochschule für Bildende Künste
in Dresden lag das Büchlein immer im Atelier. 2 Es war ein
besonderes Exemplar. Da wir in der Zeit der DDR diese
Schrift nicht kaufen konnten,
haben wir von einem unter Schwierigkeiten geliehenen
Wimmer-Bändchen mit einer Kleinbildkamera die
Seiten abfotografieren, die Aufnahmen vergrößern und
Seite für Seite auf Pappe aufziehen lassen. Die starken
Seiten wurden fest zu einem handlichen Buch gebunden.
Kopiergeräte gab es in der ehemaligen DDR nicht, die
Staatssicherheit hatte Angst vor
Aktionen mit unerlaubten Drucksachen. Ich habe
bei einem Besuch 1997 in Pfarrkirchen Peter Wimmer
dieses besonders gefertigte Exemplar der Schrift seines
Vaters gezeigt und er hat gestaunt über dieses im
Atelier genutzte und abgegriffene Wimmer-Buch. In der
Zeitschrift „Bildende Kunst“, die in Ost-Berlin erschien,
gelang es mir 1987 anlässlich des 80. Geburtstages von
Hans Wimmer eine Würdigung zu veröffentlichen, in der
ich auch viele Sätze mit Notizen aus seiner Schrift „Über
die Bildhauerei“ zitiert habe, damit sie auch bei uns in
der DDR gelesen werden konnten. 3 In einem Brief vom
17. Oktober 1987 schrieb mir Hans Wimmer: „Ich glaube,
Sie haben mich verstanden. Für dieses Verständnis
muß ich Ihnen herzlich danken und tue es mit der Genug-
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tuung, daß es offenbar nicht umsonst war, daß ich das
Büchlein geschrieben habe.“ 4 1988 wurde Hans Wimmer
zum Ehrensenator der Hochschule für Bildende Künste in
Dresden ernannt.
Die Bildhauerei und die Gesetzmäßigkeiten –
Kubus und Raum
Seine Aufzeichnungen sind im Atelier entstanden.
Gleich am Anfang hat er auf die sinngebende Kraft der
Werke der Bildhauerei hingewiesen: „Die Bildhauerei hat
die Aufgabe, einen Gegenstand zu vergegenwärtigen
und ihm Dauer zu verleihen. [...] Eine handgreifliche Nähe
soll zustande kommen, ein Stellvertreter des Gegenstandes
soll erschaffen werden. Mit diesem Stellvertreter
muss man reden können. Man ist nicht mehr allein, wenn
man ihn hat. Er kann Furcht, Freude, Sicherheit einflößen
[...] Eine solche Aktivität des Gegenstandes setzt voraus,
dass dieser kraftvoll gestaltet ist, das heißt: er muss
Tiefe, Raum haben. Die dritte Dimension ist es, die ihm
Kraft verleiht. Man muss ihn abtasten können. (Die alten
Griechen haben ihre Götterbilder an hohen Festen gebadet.)“
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Das Generalthema der Bildhauerei, das Volumen,
handelt er am Pferd ab, mit dem er von Kindsbeinen an
vertraut ist. 6 „Will ich ein Pferd plastisch darstellen“, so
schreibt er, „so muß ich wissen, um was für einen Kubus
es sich überhaupt handelt, ob um eine Kugel, ob um einen
Würfel, ob um einen Zylinder. Betrachtet man einen
Pferdekörper von größerer Entfernung gegen die Sonne
(eine Konstellation welche die Sicht besonders deutlich
macht), dann sieht man eine horizontal gelegene Tonne,
die von vier dünnen (man empfindet sie sehr dünn) Beinen
getragen wird, und in ein flaches, im Gegensatz zum
Volumen des Rumpfes stehendes Volumen, den Hals,
nach oben ausklingt. Sehe ich dieses Volumen nicht, so
erfasse ich das Volumen nicht, welches Pferd heißt. Das
Erkennen des Volumens ist für den Bildhauer alles.“ An
anderer Stelle steht der Satz – wie ein Hauptsatz: „Die
Bildhauerei ist diejenige Kunstgattung, die sich mittels
Kubus und Raum im wirklichen Sinn ausdrückt.“ 7 Über
das Pferd entdeckt Wimmer Aufrisse, Maße, Verhältnisse
als Elemente, die eine Gestalt bilden. Diese Entdeckungen
bei der bildhauerischen Arbeit sind wie das Freilegen
immer wiederkehrender Ordnungen der Natur: „Welches
Erstaunen hat mich neulich ergriffen, als ich mir die Maße
des Pferdekörpers klarmachen wollte und im Riß von vorne
eine Ansicht fand, die, auf den Kopf gestellt, eine Variante
der ersten ergab. Der Kopf steht zu Hals und Brust
etwa im Goldenen Schnitt. Die Eckpunkte werden jeweils
durch eine runde Form (Augen, Nasenlöcher, Kugelgelenk
des Schulterkopfes) markiert. Ja sogar die rundliche
Zweiteilung (Schädeldecke, gespaltene Oberlippe, Brustmuskel)
entsprechen sich [...] Auch daß der Bauch in der
Mitte sitzt und daß er die dickste Stelle von vorne wie im
Grundriß ist, hat ornamentalen Sinn. Wie überhaupt bei
allen Gebilden die Symmetrie wichtig ist.“ 8
Natur und Kunst – das Ornament als höchste
Steigerung des Figürlichen
Wimmer erkennt hier einen ornamentalen Sinn, bedeutend
für die Gestalt und Form der Figur. An einer anderen
Stelle seiner Notizen hat er ausführlich über diesen
ornamentalen Sinn geschrieben und erklärt: „Die bildhauerische
Komposition muß sich zum Ornament entwickeln.
Das Wort Ornament gebrauche ich hier in einem
nicht allgemein üblichen Sinn: dem Ornament nähert sich
jede Darstellung, die Gültigkeit hat. In der Mathematik
bezeichnet man es mit Formel. Vor allem meine ich damit
keinen Gegensatz zum Figürlichen, sondern im Gegenteil
die höchste Steigerung des Figürlichen. Ornament bedeutet
in der Bildhauerei das Herausschälen des Gesetzes
der Figur und das Herausstellen der in der Natur enthaltenen
architektonischen Elemente. ‚Es ist ein Gewahrwerden
der wesentlichen Form, mit der die Natur gleichsam
nur immer spielt‘, sagt Goethe. Das Ornament ist also die
stärkste und charakteristischste Aussage. Die Architektur
des Akanthusblattes des antiken Kapitells steckt schon in
der Natur, in jedem Blatt, in jeder Pflanze, in jedem Tier,
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im Menschen, überall. Das ist der Berührungspunkt von
Natur und Kunst.“
Gerade weil auch das Naturstudium immer als geistlos
abgetan, das abstrakte Arbeiten als geistig herausgehoben
wurde, waren diese Klarstellungen von Wimmer
in seiner Schrift so wertvoll. Dieses Herausarbeiten
der Ordnungsprinzipien in der Natur ist Abstraktion, es
sind Ordnungen, die mit Größerem zusammenhängen.
Das Wort „ornare“ heißt „schmücken“. Kosmos heißt
griechisch „Weltall“, aber auch „Schmuck“, „Ordnung“.
Der Gegensatz ist Chaos. Wimmer nennt die Ordnung
der Gestalt im Figürlichen Ornament als höchste Verdichtung.
Die Urform des menschlichen Körpers ist gestaltet
nach einem immer wiederkehrenden Bauprinzip.
Die Gestalt des Menschen ist einbezogen in den Rhythmus
kosmischer Kräfte wie Pflanzen und Tiere. Wimmer
schreibt: „Alle Kreatur hat einen Aufbau von unten nach
oben. Unten, an den Erdmittelpunkt gebunden, steht sie
(Beine, Stiel), oben schließt sie mit einer Form ab, die keinen
Anschluß sucht (Kopf).“ 10 Als Bildhauer erläutert er
die praktische Figuren-Arbeit ganz ähnlich: „Baue deine
Figur von unten auf, sonst steht sie nicht. Nicht von oben.
Setz den Kopf gleich darauf, du bringst ihn später nicht
mehr hinauf. Mach dir klar, wie die Schritte im Grundriß
übereinanderliegen. Das Aufeinander der einzelnen Teile
bringt Festigkeit in deine Figur.“ 11 Immer wieder betont
Wimmer das Herausschälen der Gesetze der Figur als Ornament:
„Der ‚Münchner Kuros‘“, so schreibt er, „zeigt
anschaulich, wie die Natur, bildhauerisch gesehen zum
Ornament und damit zur Gültigkeit gesteigert wird“(Abb.
60).12 Immer wieder notiert er sich Erkenntnisse über den
Zusammenhang von Natur und Kunst. So schreibt er: „Die
Oberfläche des Körpers aus Fleisch und Blut geht sozusagen
eine Metamorphose ein: das atmende Leben des
Steins, in das atmende Leben der Steinoberfläche, der
Bronzeoberfläche. Das Atmen der Natur aber dem Stein,
der Bronze abnötigen zu wollen, wäre Irrtum, Unwahrheit.
Jeden Menschen, der seinen künstlerischen Sinn einigermaßen
ausgebildet hat, muß eine Naturnachahmung im
Wettlauf mit der Natur widerlich berühren, während ihn
ein Werk, in welchem nicht die Täuschung, sondern der
Begriff herrscht, mit Macht ergreift. Wahrheit in der Natur
ist etwas anderes als Wahrheit in der Kunst.“ 13 Wimmers
Sätze haben eine befreiende Eindeutigkeit. Sein Ringen,
seine Besessenheit und seine Anstrengungen um die Klärung
der Begriffe ist in dieser Schrift mit den Aufzeichnungen
seiner Erfahrungen bei der Arbeit deutlich zu spüren.
„Was ist Naturalismus?“, so fragt er in seinem Text und
gibt die Antwort: „Die verstandene Natur ist niemals Naturalismus.
Naturalismus ist die unverstandene Natur. Alles
Übrige ist Laiengeschwätz.“ 14
Porträt und Figur – ohne Figur kein Porträt
Das waren Leitsätze für das Bildhauerstudium. Besonders
beim Porträtstudium in meiner Klasse an der
Hochschule für Bildende Künste in Dresden haben wir
eine Notiz fast auswendig gelernt: „Bilde dir nicht ein,
vom Allgemeinen ausgehend zu einer Dichtigkeit der
Form zu gelangen. Umgekehrt ist es. Du musst dir den
Einzelfall vornehmen, ihn auswendig lernen und aus dieser
Fülle heraus arbeiten. Wirst du nicht müde, deinen
Fleiß und deine Zähigkeit an diesem Einzelfall zu üben,
dann bist du auf dem rechten Weg; es gibt keinen anderen.
Die Zeichnung der Mutter von Dürer ist das Spezifischste
und zugleich das Allgemeinste. Das Pferd vom
Gattamelata ist das Spezifischste und zugleich das Allgemeinste.“
15 Für die Porträtarbeit ist aber auch noch eine
andere Notiz von großer Bedeutung. Porträt ist nicht zu
trennen von der ganzen Figur, von der Haltung des Porträtierten.
Oft haben wir beim Porträtstudium das Modell
hingestellt, um aus der ganzen Figur den Kopf anzulegen.
Wimmer schreibt in seinen Aufzeichnungen: „Strenggenommen
müsste man, wenn man einen Menschen darstellt,
die ganze Figur darstellen. So ist es in frühen Zeiten
auch gewesen. Mit dem Wort Bildnis soll nicht gemeint
sein, daß Schluß ist wo der Schneider anfängt, im Gegenteil:
unter Bildnis ist die menschliche Figur zu verstehen,
im Kopf konzentriert, also pars pro toto. Machst du einen
Kopf, so fange bei den Zehen an. Ohne Figur kein Port-
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rät.“ 16 Man kann diese treffende Formulierung auch umdrehen:
Ohne Porträt keine Figur. Auch das Aktmodell
ist ein Porträtkörper, ein Einzelfall. Auch für das Figuren
bauen gilt: „Du musst Dir den Einzelfall vornehmen, ihn
auswendig lernen und aus dieser Fülle heraus arbeiten.“
Auch das Aktmodell, sei es nun ein Mann, eine Frau, ein
Knabe, ein Mädchen oder ein Kind ist ein Einzelfall, ein
Porträtkörper als Figur. „Die Aktfigur“, so schreibt Wimmer,
„muß so sein, dass man gar nicht auf den Gedanken
kommt, ihr Kleider anzuziehen. Sonst ist es keine Aktfigur,
sondern eine ausgezogene Figur. Marées hat die Konzeption
der Aktfigur besessen.“ 17 Auch über die Bewegung
bei einer Figur hat Wimmer Wesentliches notiert: „Wichtig
ist nicht die Bewegung in dem Sinn, dass dieselbe
die Beobachtung der Muskelbewegung zeigt, sondern
in dem Sinn, dass die Funktion der Bewegung deutlich
wird. (Gliederpuppe).“ 18 Um auch die lebendige Arbeit
des Figuren- Bildhauers zu erklären, schreibt er in seinen
Aufzeichnungen: „Der Bildhauer hat mit dem Schauspieler
manches gemein. Der im Theater auftretenden Figur
muß man ansehen, ob sie soeben jemanden ermordet
hat oder ob Sie jemanden ermorden will; dass sie an einem
Leid trägt, ja was das Schicksal mit ihr vorhat. Die
Lady Macbeth wird anders in den Saal treten als das Gretchen
in die Stube. Solche Unterschiede durch die Art des
Gehens, Stehens, Sichbewegens auszudrücken, ist auch
Aufgabe des Bildhauers.“ 19 Wimmers Hinweise in seiner
Schrift sind für Bildhauer im Atelier wie eine Quelle. „Laß
dich von der Natur ruhig überwältigen. Gib dich ruhig der
Fläche von einem Schulterkopf zum anderen Schulterkopf
hin: es kommt der Moment, da du nicht mehr die Natur
siehst, sondern die Figur. Die Begeisterung ist schon zur
Hälfte Abstraktion. Ohne Verliebtheit keine Figur.“ 20 Ganz
in diesem Zusammenhang steht die wunderbare Notiz:
„Triffst du in den innersten Bezirk und treten die Sohlen
leiser, dann fliehe die Form, damit sie dir – bleibt. Trink
wieder aus der hohlen Hand.“ 21 Bei meinem Versuch einer
Erläuterung der Schrift von Hans Wimmer musste ich
viel weglassen, so zum Beispiel die Notizen über Raum
und Fläche, über das Relief, über Material und Form,
über den Kontrapost, über das Reiterstandbild, über
Brunnengestaltung. Beschränkt hab ich mich auf Teile der
Aufzeichnungen, die mir besonders im Rahmen meiner
Lehrtätigkeit Hauptsachen waren wie zum Beispiel die
Erläuterungen über Volumen und Raum, über Natur und
Kunst, über Porträt und Figur. Aber zwei Notizen des Bildhauers
will ich noch zitieren: „Und wenn die Wange des
Kindes zu dir redet und das Auge des Tieres – halte still,
bewahre den Augenblick!“ 22 oder auch: „Du seist zu wenig
modern – da sei deine letzte Sorge. Eine Bildhauerwerkstatt
ist kein Hutsalon. Wenn du aus den Quellen der
Gegenwart schöpfst, kannst du gar nicht unmodern sein.
Nicht das sogenannte Interessante: das Uninteressante ist
interessant.“ 23 Der Satz in Wimmers Schrift: „Die Einfachheit
steht am Ende, nicht am Anfang, sie ist Resultat, nicht
Programm,“ 24 ist immer Anregung, dass die Formfindung
ein Weg, oft ein sehr langer Weg ist. Der Auftrag – das
Ebenbild Gottes in der Figur zu retten Hans Wimmer hat
seiner Schrift „Über die Bildhauerei“ noch ein sehr persönliches
Nachwort angefügt. Er schreibt: „Im Vorstehenden
habe ich so getan, als ob alles in schönster Ordnung
wäre, als ob es kein Fragezeichen, kein Rufzeichen gäbe;
als ob ich das Eis unter den Füßen nicht krachen hörte
und die Totengräber nicht bemerkte: das heitere Preisen
unseres stündlichen Fortschritts ohne Perspektive auf seine
Auswirkung, das Verlagern unserer Bildung von der
Höhe in die Breite.“ Und er fährt in diesem Nachwort fort:
„Auch die Kunst ist Mitvollzieherin einer Entwicklung, die
in ihrer gegenwärtigen Phase die Kraft der Menschen beinahe
übersteigt.“ 25
In Anbetracht dieser Gefährdung und der tiefen Anarchie,
„welche im kulturellen Handeln herrscht“,26 setzt
Wimmer einen bedeutenden Satz dagegen: „Auch die
Bildhauerei hat darin ihren Auftrag, nämlich: das Ebenbild
Gottes in der Figur zu retten.“
Ebenbild meint nicht, dass die Figur gleich ist: „Von
Gott aber gibt es kein Bild“, 27 schreibt der Münchner Religionsphilosoph
Romano Guardini, den Wimmer hoch
schätzte und er führt an einer anderen Stelle aus, „daß
Gott, wenn es erlaubt ist, so zu sprechen, die unendliche
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Fülle und vollkommene Einfachheit seines Wesensbildes
in die Endlichkeit und Gebrechlichkeit seines Geschöpfes
übersetzt. Ist das so, dann bedeutet das aber auch, dass
diese Ebenbildlichkeit das ganze Sein des Menschen
durchdringt.“28 Wimmers religiöse Sicht, das Ebenbild
Gottes in der Figur zu retten, ist biblisch – und tiefer gegründet
als viele der zeitgenössischen realistischen und
formalen Figurenkonzepte. In seinem Nachwort fährt
der Bildhauer Wimmer fort: „Nicht dadurch, daß wir die
menschliche Figur den Kühlerhauben der Autos angleichen,
indem wir in ungreiflicher Verwirrung sinnliche Anschauung
und technisches Gebilde in einen Topf werfen
und umrühren – von dieser Suppe werden wir nicht satt
–, sondern dadurch, daß wir es aufgeben, das Kranke, ja
Todbringende großartig zu finden. Es ist eben in nichts
großartig – für sich allein. Das Kranke spielt in der Kunst
eine Rolle, aber nicht die einzige, keinesfalls die tragende.
Ebensowenig wie das Nur-Gesunde! [...] Wenn uns
noch etwas zuwächst, dann allein aus dem Erkennen dieser
unserer Situation. Das Erkennen aber muß zum Bekennen
werden. Deshalb hab ich diese fragmentarischen
Aufzeichnungen aus der Schublade genommen.“ Auch
dieses Nachwort war in unserem handgefertigten Exemplar
der Schrift von Hans Wimmer enthalten; das Exemplar
lag im Atelier der Hochschule in Dresden in meiner
Bildhauerklasse. Dieses Nachwort entsprach natürlich
nicht der marxistischen Weltanschauung, die in der DDR
bestimmend war. Aber die klar formulierten Gedanken
und Erkenntnisse über Bildhauerei haben alle mit großem
Interesse gelesen. „Am besten verstehen ihn Künstler seinesgleichen,
diejenigen Bildhauer, denen die Darstellung
der menschlichen Figur als die zentrale Aufgabe ihrer
Disziplin bedeutet. Für sie gilt Wimmer als Maßstab, als
ein Bildhauer, der selbst von der Existenz solcher Maßstäbe
überzeugt war – nicht von akademisch ableitbaren
Regeln, sondern von allgemeingültigen Ordnungsprinzipien“,
29 schreibt Heinz Spielmann.
Diese fragmentarischen Aufzeichnungen von Hans
Wimmer sind über Arbeitserfahrungen im Atelier hinaus
ein Zeugnis eines bedeutenden Bildhauers im 20. Jahrhundert
nach der nationalsozialistischen Katastrophe.
Mich hat besonders die tief religiöse Haltung Wimmers
beeindruckt, die von seinem künstlerischen Wissen um
die Gesetzmäßigkeiten der bildhauerischen Form nicht
zu trennen ist. „Ich wünsche meinen Figuren, daß sie am
Jüngsten Tag auferstehen können“, 30 ist einer der Sätze
auf der letzten Seite seiner Schrift „Über die Bildhauerei“.
1 Hans Wimmer, Über die
Bildhauerei. Frankfurt/M. 1961;
2. Aufl. München, Zürich 1986.
2 Helmut Heinze, Meine
Beziehungen zu dem Bildhauer
Hans Wimmer, in: Kat.
Pfarrkirchen 1997, o. P.; Helmut
Heinze, Hans Wimmer und die
Musik, in: Kat. Pulsnitz 2000, o. P.
3 Helmut Heinze, Der Bildhauer
Hans Wimmer, in: Bildende
Kunst. H. 8, Berlin 1987, S.
356-359.
4 Brief von Hans Wimmer an den
Autor vom 17.10.1987.
5 Wimmer 1961, S. 7.
6 Röthel 1964, S. 16.
7 Wimmer 1961, S. 8, 9.
8 Wimmer 1961, S. 18.
9 Wimmer 1961, S. 17, 18.
10 Wimmer 1961, S. 21.
11 Wimmer 1961, S. 52.
12 Wimmer 1961, S. 19.
13 Wimmer 1961, S. 35, 36.
14 Wimmer 1961, S. 38.
15 Wimmer 1961, S. 50.
16 Wimmer 1961, S. 42.
17 Wimmer 1961, S. 41.
18 Wimmer 1961, S. 22.
19 Wimmer 1961, S. 40.
20 Wimmer 1961, S. 53.
21 Wimmer 1961, S. 53.
22 Wimmer 1961, S. 53.
23 Wimmer 1961, S. 49.
24 Wimmer 1961, S. 51.
25 Wimmer 1961, S. 59, 60.
26 Romano Guardini, Die Kultur
als Werk und Gefährdung, in:
Die Sorge um den Menschen.
Mainz 1988, Bd.1, S. 30.
27 Romano Guardini, Der Mensch
im Lichte der Offenbarung,
in: Gläubiges Dasein. Die
Annahme seiner selbst. Mainz
1993, S. 83.
28 Romano Guardini, Der Mensch
im Lichte der Offenbarung,
in: Gläubiges Dasein. Die
Annahme seiner selbst. Mainz
1993, S. 90.
29 Heinz Spielmann, Zeit
und Zeitlosigkeit, in: Kat.
Pfarrkirchen 1997, o. P.
30 Wimmer 1961, S. 55.
49
Arie Hartog
Form und Rückbindung:
Die Methode von Gerhard Marcks
Gerhard Marcks (1889–1981) gehört zu den bestdokumentierten
deutschen Künstlern des 20. Jahrhunderts.
Er pflegte eine ausführliche Korrespondenz, in der er
über sein eigenes Werk und seine Methodik berichtete.
Die etwa 15.000 Zeichnungen in der Sammlung des Gerhard-Marcks-Hauses
geben deutliche Hinweise auf eine
Arbeitsweise, die er nach seiner Abkehr vom Bauhaus in
1925 bis 1935 schrittweise entwickelte. Am Anfang stand
dabei der in der damaligen Kunstkritik oft formulierte Gegensatz
zwischen Auguste Rodin (1840–1917) und Adolf
von Hildebrand (1847–1921). Marcks versuchte, den Widerspruch
dieser Positionen aufzulösen.
Hildebrand hatte 1893 in seinem Buch „Das Problem
der Form in der bildenden Kunst“ eine komplizierte
Theorie rundum das menschliche Sehen und seine Konsequenzen
für die Bildhauerei entwickelt. Danach gab es
zwei Extreme der Wahrnehmung: Aus der Distanz sieht
ein Betrachter ein einheitliches (flaches) Bild ohne räumliche
Details, aus der Nähe kann sich das Auge über die
Bestandteile und dreidimensionalen Zusammenhänge
bewegen, wobei aber das Gesamtbild aus dem Blick
gerät. Die Kombination dieser beiden Modi, die in der
Vorstellung entsteht, nannte Hildebrand das „Gesichtsbild“.
Gute Bildhauerei, so die Lehre, die die nächsten
Generationen aus seiner Theorie zogen, versuche ein
solches Gesichtsbild zu vermitteln. Rodin dagegen verwarf
die Idee des Einheitlichen und suchte die bewegte
Figur als eine endlose Abfolge von Umrissen. Das sei nun
aber – so die deutschen Kollegen und Kolleginnen – zwar
anregend und spannend in der Wahrnehmung von allen
Seiten, vermittle jedoch kein ruhiges, durchkomponiertes
Bild, was dem französischen Bildhauer und seinen Nachfolgern
herzlich egal war. Oder anders, ein Problem war
es nur für die deutschen Künstler, die bei Rodin eine lebendig
wirkende Kunst sahen, aber gelernt hatten, die
Form müsse geordnet sein. Die Generation von Marcks,
die in den Jahren um den Ersten Weltkrieg den Expressionismus
erlebt hatte und damit die Möglichkeit, die Darstellung
radikal von allen althergebrachten Konventionen
zu lösen, fand eine Lösung für das Dilemma in einem Mittelweg.
Für Marcks lag der erste Schritt in der Zeichnung
nach dem sich frei bewegenden Modell. Dazu dienten
ihm Familienmitglieder und Freunde. Jeder Mensch hat
eine eigene Körperhaltung und mit diesem Ausgangspunkt
positionierte er sich gegen die akademische Tradition
und ihren festgelegten Posen. Einzelne Positionen
wurden festgehalten und dann wurde entschieden, aus
50
welchen Haltungen sich Skulpturen entwickeln ließen.
Ohne Modell, aber mit den Zeichnungen (und dabei gebrauchmachend
von früheren Blättern, die er nach anderen
Menschen gezeichnet hatte), ging es anschließend
im zweiten Schritt an die bildhauerische Umsetzung. Für
Marcks garantierte diese Methode die notwendige Distanz
zum Naturvorbild. Er bezog sich bei den Umrissen
der Figur immer auf Linien, die er in der Natur beobachtet
und gezeichnet hatte, gleichzeitig nahm er sich die
Freiheit, bei der plastischen Gestaltung vom Vorbild abzuweichen.
Einzelne Volumen werden herausgearbeitet,
ihre Grundform durch Übertreibung von Fläche, Kante
oder Konkave gestärkt. Für die meisten Menschen in
Deutschland um 1933 entsprachen Marcks‘ Modelle nicht
den gängigen Schönheitsidealen und sie sahen, wie er
die Natur verzerrte. Die Ablehnung seiner Kunst durch
die nationalsozialistische Kunstpolitik war damit vorprogrammiert,
auch wenn er weiterhin in Deutschland blieb
und in bescheidenem Maße weiterarbeiten und ausstellen
konnte. Von 1945 bis etwa 1965 gehört Marcks zu
den erfolgreichsten modernen Bildhauern in Europa. Sein
Versuch, einen Mittelweg zwischen Abstraktion und Natur
zu finden und seine Fähigkeit, über die Motive ein breites
und über die Gestaltung ein spezialisiertes Publikum anzusprechen,
machten ihn zu einem zentralen Künstler der
jungen Bundesrepublik.
Marcks verfolgte bis 1981 das Ziel in seiner Kunst
ein Gleichgewicht zwischen dem Naturvorbild und klaren,
übersichtlichen Formen zu finden. Im Nachhinein betrachtet
scheint sein Werk sich wie ein Pendel zwischen
diesen beiden Polen zu bewegen. Er schuf ein Œuvre, in
dem weder Hildebrand noch Rodin sichtbar waren. Während
die Formvereinfachung von einigen Kollegen immer
weitergetrieben wurde, beharrte er auf der Rückbindung
an die Natur. Aus der Methode erklärt sich, warum es für
ihn keinen Fortschritt in der Kunst geben konnte, sondern
nur Vertiefung des eigenen Ansatzes. Die Frage nach
dem Gleichgewicht stellte sich immer wieder neu, weil
jeder Mensch und seine Bewegungsabläufe und typische
Haltungen anders sind.
51
Heiner Protzmann
Helmut Heinze, Bildhauer
Vom einmalig persönlichen Fall, vom Hinschauen
aufs Individuelle – so hat Helmut Heinze öfters gesagt –
ginge seine Arbeit in jedem Fall aus. Also: von keinem formalen
Kanon, von keiner Idee deduziert seine Kunst.¹ Da
sie leise spricht, gedämpftes Licht bevorzugt und Musikalität
der Form gern dem Windschliff, naturmechanischer
und vegetativer Vergänglichkeit ausgesetzt begreift, muß
man sich langsam nähern, bis auf Nahsicht gehen, vorsichtig
analysieren, geduldig hinhören, bis Haupt- und
Nebenstimmen sich voneinander abheben.
Was heißt heute, figürlich - und obendrein realistisch
– zu arbeiten? Figürlich, das ist die zweite vom
Künstler selber gesetzte Prämisse, bedeutet ihm stets die
ganze Gestalt, die auch dort, wo sie fortgelassen, doch
mitgedacht ist. Zum Beispiel im Porträt Friedrich-Wilhelm
Junge von 1976, Heinzes Meisterwerk unter den wenigen
Charakterporträts aus seiner Hand: der knapp und
energisch gebogene Kahlschädelumriß gibt konzentriert
plastisches Volumen, das sprüht intellektuelle Funken aus
dem erhobenen Gesicht, und die Steilaufrichtung des
Kopfes läßt den ganzen Mann, seine federnd angespannt
aufrechte Haltung im Gegenüber zum angesprochenen
Publikum deutlich durchfühlen.
Indessen hat Heinze die Verlockung zur Spezialität
des Charakterbildnisses, für das er offensichtlich besonders
begabt ist, leider nicht oft nachgegeben. Sein
existentielles Grund- und Dauerthema bleibt vielmehr
die Figur, vom Statuettentorso bis zur überlebensgroßen
Statue. Von daher faltet sich das Oeuvre aus, dort
gibt es deutliche Entwicklung, nämlich von der kleinen
Genregruppe oder -figur bis zu den ranken Standbildern
nackter junger Männer vor und nach 1980. Daran läßt
sich beobachten eine schrittweise Reduktion der Bildsubstanz,
ein Kargwerden der Formsprache. Haben wir
um 1970 noch behagliche Fülle und Ausbreitung animalischen
Wohlseins in melodiösem Umriß, woran Albikersche
Musikalität noch nachklingen mochte, so strafft und
schmälert sich die Figur bis hin zum großen Stehenden
derart, daß auch die Reste klassischer tradition deutsch
realistischer Bildhauerei ganz verstummen. Die spröde
Ernüchterung der Bildsprache seit 1980 geht hinter Vorbilder,
die Heinze bei Hans Steger, einem seiner Dresdener
Lehrer, manchmal finden konnte, zurück ins kahl Expressive,
ähnlich der neuen Sachlichkeit, ohne daß sich
in dieser älteren Phase massiv gedrungener figürlicher
Kunst dieses Jahrhunderts eindeutige Muster für Heinzes
asketischen Stil finden.
Nehmen wir die Frage nach Figürlichkeit als heutiges
Problem auf, so kompliziert sie sich hier bereits. Das
zwingt zu etwas weiterer Umschau.
Abgerissen war dieser Faden auch angesichts der
Traditionsbrüche in der Moderne nie. Doch die nach dem
1. Krieg einsetzende Besinnung auf „Valori Plastici“, auf
Figur und isoliertes Objekt, war schon ein Gegenschlag
polemischen Charakters, Zurückweisung der abstrakten
und gegenstandslosen Kunst, ein Nein zur Moderne,
ein Ja zur Tradition. Während Boccioni „das traditionell
52
Erhabene des Sujets abschaffen“ will, betonen die Neusachlichen
und „Metaphysiker“ fremdartige Feierlichkeit,
magische Isolation und Bedeutsamkeit des Objektes, betonen
die figurativen Bildhauer die Würde des Menschen
unentwegt im Sinne Goethes als „Hauptzweck der Plastik“.²
Es folgt, zuerst in Italien, dann i Deutschland, was
man die erste politisch diktierte Spaltung - vielleicht sachgerechter
die erste Verengung der Entwicklung unter
staatlichem Druck nennen kann. Sie erledigen sich selbst
auf die Dauer im Distanzlosen der Affirmation. Expressionisten
und Abstrakte werden aus Deutschland vertrieben
oder zum Schweigen gebracht. Die Verweigerer
unter den Figurativen führen in den faschistischen oder
faschistoiden Ländern die Entwicklung fort, verengt in
ihren Möglichkeiten, die sich nach 1945 für einige Überlebende
weiten, denkt man in Deutschland an Toni Stadler,
Hans Wimmer und an Gerhard Marcks.
Typisch für die Vertreter der visuell gespeisten gegenständlichen
Kunst ist der polemische Abgrund meist
gegenseitiger Mißachtung, der diese ästhetische Partei
von dem nunmehrigen Hauptstrom der Gegenstandslosen
trennt. Am schärfsten führt die Polemik ein Maler,
der alte Oskar Kokoschka, der in Salzburg seine „Schule
des Sehens“ mit einem Gegenprogramm zur Abstrakten
gründet, unterstützt von dem linken radikal-expressiven
und naturalistischen Bildhauer Alfred Hrdlicka.
Gleichzeitig kommt es zu der zweiten ästhetischen
Spaltung, die das Schicksal der figürlichen Kunst aber
nicht am Eisernen Vorhang auseinanderschneidet. Denn
die zuvor genannten Bildhauer arbeiten im Westen, dort
angestemmt gegen den Majoritätsdruck der gegenstandslosen
Kunst.
Die Entwicklung auf der Ostseite des Eisernen Vorhanges
nach der hoffnungsvollen Allgemeinen Deutschen
Kunstausstellung 1946 in Dresden, die den Pluralismus
der Zeit vor 1933 momentan hatte aufleben lassen, ist
bekannt. Das Ganze wirkt wie ein nur leicht gedämpftes
Echo auf das dröhnende Zeitalter zwei Jahrzehnte zuvor,
vergleicht man das Jahr 1933 mit 1953. Der aus britischem
Exil zurückgekehrte große Überlebende des linken
Expressionismus und Verismus, der mit Dix befreundete
Albiker-.Schüler Eugen Hoffmann hätte eine überragende
Lehrerfigur werden können. Er starb 1955 demoralisiert
und verbittert in Dresden in dem Land seiner anfänglichen
Hoffnung, wo sein Werk und Einfluß von der Politästhetik
entfremdet steckengeblieben war.
Die damals jüngeren Weiterarbeitenden, vergleichbar
jenem Häuflein von Künstlern, die das innere Exil im
Dritten Reich in der Berliner Klosterstraße in Ateliergemeinschaft
durchgestanden hatten, waren ihrerseits stille
Verweigerer, die so gut es ging, zu ihren natürlichen
Verbündeten, den Antiabstrakten im Westen, Verbindung
hielten; beispielsweise Heinze zu Marcks und Wimmer.
Die Qualität dieser Gruppe von Bildhauern wird in den
besseren Sammlungen von Plastik der DDR dokumentiert.
Gerhard Marcks sympathisierte aktiv mit der realistischen
Bildhauerei der DDR und fragte sich sogar, ob dort
nicht die „gesündere“ Entwicklung vor sich ginge.³
Wie immer man das beurteilen mag - die eigentlich
schwierigste Dialektik um das Für und Wider die Figurativen
hebt an im nächsten Geschichtsabschnitt, nachdem
im Jahr 1989 das morsch gewordene politische Stauwerk
gerissen war und nun von Schnellurteilenden die eben zusammenschießenden
Wasser neu geteilt werden sollten
- ein sinnloses Geschäft der Verwirrung, des arroganten
Mißverstehens.
An alles das muß hier erinnert werden, um die wechselnden
Windrichtungen, wenn nicht gar Stürme zu ermessen,
in denen auch ein Künstler wie dieser stand, dessen
Naturell eher zu Freundlichkeit und Toleranz geneigt
ist und der den Dualismus von figürlich und abstrakt keineswegs
disjunktiv als glaubenskriegerische Alternative
sieht. Helmut Heinze hat in der zähe festgehaltenen Zentralaufgabe
seines Werks und seiner Lehre al Hochschulprofessor
in Dresden den Begriff der Statue immer neu
umkreist und ihn gedanklich etymologisch durchgespielt.
Standbild versteht er wörtlich und reflektiert darin charakterologisch
das Aufrechte, das Bestehen und Durchstehen.
Im Gegensatz zu Gerstel und manchen Künstlern der
statuarischen Tradition seit Lehmbruck, die Heinze beschäftigt
haben, bemerkt man bei ihm keine Liegenden
53
und kaum Sitzende. Nach einem wohlfundierten Grundsatz
wird Standbild hier buchstäblich genommen, obwohl
auch der junge Heinze, in jenen frühen Krisenjahren im
Einflußbereich von Seitz, Grzimek, Steger beginnend,
seine Zweifel an der Orthodoxie der Standbildüberlieferung
in der Brust gewälzt hatte. Hans Steger wohl am
meisten überzeugte ihn durch sein sachtes Vorbild davon,
daß sich das Weben der Natur ringsum und das Gestaltwerden
am besten in der Figur verdichtet. Die leibliche
Phänomenologie des Stehens war einst von Hegel klargestellt
und sollte noch weiter von Canetti definiert werden.
Beide stellten darin das Freie, die potenzielle Energie von
Bewegungsfähigkeit, von vertikaler Initiative - kurzum:
ein Geistiges, gegen die Trägheitsmächte der Gravitation
„Stehendes“, fest.
Mit der erwähnten „Nahsicht“ und dem „vorsichtigen
Analysieren“ muß nun ernst gemacht werden vor
Heinzes Standbildern junger Männer, versammelt um das
große Hauptwerk von 1981, das in Teilgüssen und Varianten
existiert, aber als ganzes den Kabinettcharakter der
Ausstellungen in Pillnitz und Görlitz sprengen würde. Wie
sind Formen eines Realisten der Art zu lesen? Wörtlich?
Uneigentlich? Expressiv gewiß, also doch wohl metaphorisch.
Dieser Bildhauer ist kein neuer Wilder, kein Expressionist,
seine Form neigt nicht zur spezifischen Größe der
Monumentalität. Worum also handelt es sich? 4
Alles ist auf engstes um die Vertikalachse zusammengezogene,
asthenische Schmächtigkeit kontrahiert. Das
verschiebt Proportionen, manchmal ins Unwahrscheinliche,
worin sich die expressive Botschaft unverkennbar
sammelt. Zurückhaltender Schrittstand, durchgedrückte
Knie, Frontalität - in alledem hält dieser Statuentyp sich
auf der Linie archaisierenden Stils, ohne aber dadurch
schon dem Bildhauer zu ähneln, der diese Mittel am konsequentesten
im frühgriechischen Sinn ergreift, nämlich
Gerhard Marcks. Eine andere Verwandtschaft drängt sich
bei diesen wie vom Raum angezehrten Schmalfiguren
auf, gegen die man Heinze abgrenzen muß: Alberto Giacometti.
Nur ausnahmsweise, wie in den „Überlebenden“
von 1979, lehnt er sich direkt an dessen Vorbild an. Der
Abstand zeigt sich schon in der quasi neusachlichen Dichte
von Heinzes Gastaltoberflächen, die nur zuweilen sich
kräuseln und auflösen, wie in dem der feinporigen Punktstruktur
z. B. beim Großen Stehenden von 1981bleibt
auch dort die Form unangetastet und entzieht sich nicht
vorsätzlich dem Blickeszugriff, wie die mondenen, kraterzerrissenen
Oberflächen der Figurenschatten Giacomettis
tun, jenem selber, wie bezeugt ist, ins Nichts zu entgleiten
drohten in dem Sog der allesverschlingenden „Furie
des Verschwindens“ (Enzensberger). Kein Verschwinden
also vorliegendenfalls, aber Rückzug auf ein Minimum an
körperlicher Realität: Was will das bedeuten?
Die große Hauptfigur, die heute im Sächsischen
Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst in Dresden
steht, hat von archaischer Dichte und Strahlkraft fast
nichts übrigbehalten. Bei aller Gebundenheit des Schrittstandes
geht es wie Elastizität im Gegenwind der Welt
durch diese Gertenschlankheit. Der (geschorene) Kopf
wirkt fast kahl ernüchtert, das Knabenporträt ist ins Allgemeine
gerückt, das Antlitz hat etwas schon illusionslos
Fragendes, die pendelnden Arme mit den offenen
großen Händen sind befangen wie von Unschlüssigkeit.
Das ist kein zeitenthobenes, situationsloses Stehen, doch
der überindividuelle Grad von Symbolik ist hoch. Etwas
von galvanischem Erschrecken überzieht die Haut. Dieses
leise schwankende Innehalten verrät existentielles Betroffensein,
wie ein Zagen vor der Zukunft. Die unausgesprochene
Frage richtet sich an den unbetreten davorliegenden
Raum als eine problemgeladene Aufgabe.
Die feinporige, quasi osmotische Struktur der Oberfläche
ebenso wie die Reduktion auf ein Restvolumen läßt
an einen Begriff aus der Lehre Heinzes denken: „Psychisierung
der Materie“. Gerade dort wo es eng wird, bringt
sich das in Erinnerung. Heinze weist seine Studenten auf
den Figurenraum, das Innenvolumen, vergleicht das mit
einem Mückenschwarm, unzähligen Punkten, die den Gefühlsraum
vibrierend erfüllen. Nimmt man zur Erläuterung
dieser Psychisierung Heinzes Federzeichnungen hinzu,
die als räumlichen Lineament das gedachte Volumen
zirruswolkenartig umspinnen, so erkennt man deutlicher
den Sinn dieser „Innenraum“-Spekulation. Das hebt noch
die Problematik des an und für sich „Luftigen“, dem Um-
54
raum Ausgesetzten dieser Kompositionen.
Ein Ungenügen am tatsächlichen Sein der Welt
setzt solche Figuren in existentielle Spannung zu ihr.
Diese Spannung kommt vom Widerstand ungeachtet
physischer Schwäche als geistige Initiative aus Abstand
zur Faktizität. Selbstgewißheit zählt nicht, Monumentalität
ist zurückgenommen. Das traditionell Affirmative der
Statuarik im Sinn von Denkmal oder gar Kultmal weicht
dem Infragestellen und Sichbehauptenmüssen der Existenz.
Schwäche, Zeiterosion, das Asthenische dieser Art
von Zerbrechlichkeit der Figur beweist nichts gegen sie.
Adornos Kritik der Vollkommenheit und Unvergänglichkeit
des Kunstwerkes gegenüber dem Zeitverfall spricht
zum gleichen Thema. 5
Jedes Inswerksetzen von Widerstand gegen das
Faktische der Welt ist in der Tat im Nachteil gegen die
Macht der fundierenden Seins-Schichten der materiellen
Realität. Nach den von Nicolai Hartmann klargestellten
Schichtengesetzen der Ontologie ist aber das höhere
Sein, obzwar der Materie gegenüber das Schwächere,
doch das Freiere, nämlich Geistige.6
Auf diesen Kern von Widerstand gegen den Druck
der Faktizität - ein Gegenprinzip auch im Hinblick auf zeitliche
Erosion - läßt sich ein Gedichtwort Paul Celans anwenden:
Die Vergänglichkeit greift ratlos durch uns hindurch
Anmerkungen
1 Was er über einen seiner begabtesten Schüler schreibt, könnte er von
sich selber sagen: „Fast steckt für ihn die Form in dem besonderen
Kopf und der besonderen Figur. Er sucht im immer wiederkehrenden
Bau des menschlichen Körpers das Individuelle, das Einmalige, im
Gesetz die Variation. Er tut nicht soviel mehr dazu. Seine Poesie
ist sachlicher, seine Form entsteht über Erlebnis, Anschauung und
Beobachtung.“ … „Auch die Figur ist für Thomas Jastram eine
individuelle und besondere Form.“ (Man darf hinzufügen: Heinzes
Saat ist im Werk seines Schülers aufgegangen). In: Thomas Jastram,
Skulpturen und Zeichnungen, Ausstellungskatalog Galerie am Alten
Markt, Rostock 1996.
2 Zur figürlichen Tradition seit 1920: Barbara Lülf, Die Plastik im
Realismus der zwanziger Jahre (Bonner Studien zur Kunstgeschichte
6), Diss. Bonn 1993 (Daraus die Zitate im letzten Satz).
3 Gerhard Marcks 1889-1981. Briefe und Werke, herausg. von U. Frenzel,
München 1988, 198 (an W. Grzimek).
4 H. Protzmann: Helmut Heinze, Bildhauer und Theoretiker, in: Dresdener
Kunstblätter 4/93, 120 f.
5 Th. W. Adorno, Ästhetische Theorie (aus dem Nachlaß herausg. von G.
Adorno und R. Tiedemann), Frankfurt/M. 1973, 264 f., 288 f.
6 N. Hartmann, Der Aufbau der realen Welt. Grundriß der allgemeinen
Kategorienlehre; Berlin 1964, 474-477 (Kategoriales Grundgesetz),
479 (Gegensatz von Stärke und Höhe im Schichtenbau), 493-495
(Gesetz der Freiheit).
55
Friedrich-Wilhelm Junge
Für Helmut Heinze
„Ich hab es öfters rühmen hören, ein Komödiant
könnt’ einen Pfarrer lehren“, das läßt Goethe seinen Wissenschafts-Beamten
Wagner im „Faust“ sagen. Aber was
besagt das schon, wenn ein Schauspieler sich anschickt,
einen Gruß an einen Bildhauer zu formulieren?
Nun ja, sowohl der Bildhauer als auch der Komödiant
sind „Künstler“; Individualisten, die versuchen, das
ganz Subjektive für eine möglichst breite Öffentlichkeit
so zu gestalten, daß ihr subjektiver Gestaltungswille begriffen
werden kann als Ausdruck von Zeitgeist. Aber hier
schon öffnet sich die Schere. Das Werk eines Bildhauers
(ausgenommen Kreationen, hergestellt aus den Materialien
„zum alsbaldigen Verzehr bestimmt“) hat die Chance,
das biologische Dasein des Schöpfers zu überdauern, so
daß eine entzückte Nachwelt, verspätet zwar, noch Lorbeerkränze
flechten kann. Was der Kasper auf der Bühne
nicht sofort an Beifallsstürmen hervorruft, ist nicht mehr
einzuholen, wenn der Vorhang sich geschlossen hat. Ein
Schauspieler ist in Personalunion Produzierender und Produkt;
unmöglich, daß er sich neben sein Geschöpf (Rolle)
stellen kann, um es von außen zu betrachten. Also: bei
Helmut Heinze und mit entstehen im künstlerischen Schaffensprozeß
unvergleichbare Ergebnisse.
Was aber könnt’ ein Bildhauer einen Komödianten
lehren? Maßhalten. Das ist ein gutes deutsches Wort, und
wer unsere Sprache beim Wort zu nehmen versteht, der
wird entdecken können, wie präzise man etwas bezeichnen
kann, um es zu begreifen. Kann man mich begreifen,
werde ich aber auch angreifbar. Unfaßlich sind die schwiemeligen
Erzeugnisse im Bereich des allgemein befindlichen
„Irgendwie-Irgendwo“.
Habe ich überhaupt die Absicht, etwas auszudrücken,
so bedarf es des Ausdrucks, das heißt der Formulierung,
das ist Formung, das ist Form. Jede Form hat ihre
Begrenzung, hat ihre Abmessung, hat ein Maß. Das ist
sichtbar und meßbar.
Mit dem Ende unseres Jahrtausends tritt die Menschheit
in den Stand der empirischen Erkenntnismöglichkeit,
daß es für sie das Ende bedeutet, wenn sie alles macht,
was sie kann.
„Sünde ist, wenn man unter seiner Erkenntnis
wirkt“ - dieser Ausspruch stammt von Bernhard Kretzschmar.
Jetzt wissen wir genau: das Zeitalter „höher, weiter,
schneller und immer mehr“ ist beendet, nicht „alles ist erlaubt“,
sondern Beschränkung. Maßhalten steht auf der
Tagesordnung - vorausgesetzt, daß die Glieder der Sozietät
Menschheit auf diesem Globus gewillt sind, nicht
ausschließlich an ihre Selbstverwirklichung zu denken, und
nicht weiter in Maßlosigkeit ihren Erfolg suchen.
Wo nichts mehr zu messen ist, tritt die Behauptung
an die Stelle der Meßlatte, da sind die Schneider von des
Kaisers neuen Kleidern die Designer, da feiert sich bedeutungsschwanger
der flapsige oder zynische Kabarett-Gag
selber, da ist das Terrain für „Comedy“-Kunst.
Als Schauspieler habe ich den Ehrgeiz, erkannt und
verstanden zu werden, man soll mich begreifen können.
So kann ich das Werk von Helmut Heinze begreifen, in des
deutschen Wortes genauester und vielfältigster Bedeutung.
Hinter dieser Faßbarkeit steckt Verletzbarkeit. Aber
wenn wir - und hier ist der Komödiant wiedr nah beim Bildhauer
- unsere Geschöpfe formen, so sind das Akte der
Enthüllung, des Bloßlegens – da sind wir tief zu ergründen
und wesenhaft zu erkennen. (Das Wort „Erkennen“ hat
in Luthers Bibel-Deutsch noch eine weitere Bedeutung).
Laß’ es mich mit Thomas Mann sagen: Dank für die
Erhöhung des Lebens.
56
57
Uta Kuhl
Gerhard Marcks und Hans Wimmer.
Eine Künstlerfreundschaft
Die Bildhauer Gerhard Marcks (1889–1981) und
Hans Wimmer (1907–1993) verband eine fast vierzigjährige
Freundschaft, die während des Zweiten Weltkriegs
ihren Anfang nahm und erst 1981, wenige Monate vor
Marcks’ Tod endete. Beide Bildhauer standen in der Tradition
einer figürlichen Bildhauerei, wie sie in den ersten
Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Deutschland maßgeblich
war und mit Namen wie Wilhelm Lehmbruck verbunden
ist. Beide waren dem Vorbild der griechischen
Antike verpflichtet – und suchten darin ein Gegenbild zur
offiziellen Kunst des Nationalsozialismus, um die figürliche
Bildhauerei für die Zeit nach 1945 zu retten. Dieser
figurativen Tradition bleiben sie bis zum Ende ihres Schaffens
in hohem Alter treu, auch wenn sie sich damit zunehmend
gegen den Zeitgeist positionierten.
Über ihr Selbstverständnis, aber auch über das Gefühl,
zunehmend weniger Teil der zeitgenössischen Kunst
zu sein, gibt die Korrespondenz der beiden Künstlerfreunde
beredt Auskunft. Schon früh ist in den Briefen
beider Künstler ein Unterton zu vernehmen, der auf ein
Gefühl der Missachtung beziehungsweise Isoliertheit hinweist.
Bereits am 22.1.1946 schrieb Wimmer an Marcks:
„Ich finde mich jeden Tag entfernter von den Kollegen,
denn man kann ohne wirkliche Schätzung der Arbeit keine
brauchbare Beziehung unterhalten. Sie sind fast der
58
einzige der bleibt.“ Worauf Marcks antwortete: „Was
noch übrig ist und guten Willens, das schließe sich zusammen.
Denn es wird schlimme Stürme auf unsre Existenzberechtigung
geben im Zeitalter der Vulgarisierung!
- Darum freuen wir uns an jedem Kollegen, der’s mit der
Kunst ernst meint!“
Die rund 1000 Briefe ihres Briefwechsels werden heute
im Deutschen Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums
Nürnberg bewahrt und sind das sprechendste
Dokument einer langjährigen Künstler-Freundschaft, die
sowohl auf einer engen persönlichen Beziehung wie auch
auf weitgehenden künstlerischen Übereinstimmungen
beruhte; sie erschienen 2008 in Buchform. Es gibt wohl
kaum einen zweiten Künstler der deutschen Moderne,
von dem so viele Briefeditionen publiziert wurden wie
von Gerhard Marcks. Seit 1979, noch zu seinen Lebzeiten,
die Publikation „Dokumente zu Leben und Werk des
Bildhauers und Graphikers Gerhard Marcks“ vom Germanischen
Nationalmuseum Nürnberg herausgegeben
wurde, erschienen bis heute mindestens neun Editionen
seiner Briefe. Doch mit keinem anderen hielt Marcks über
einen so langen Zeitraum eine dermaßen intensive Korrespondenz
aufrecht wie mit seinem Bildhauerkollegen
Hans Wimmer. In ihrer Dichte und Kontinuität ebenso wie
in der Bandbreite der künstlerisch-konzeptionellen Aus-
einandersetzung und offenen Direktheit sind die Briefe
beider Künstler ein Quellenschatz, der kunsthistorisch
sehr ergiebig ist. Darüber hinaus ist die Korrespondenz
in der Schärfe der Beobachtung und der Vielfalt der behandelten
Themen ein beredtes kulturgeschichtliches
Dokument über eine Zeit, die gerade in der Bildenden
Kunst deutliche Umbrüche erlebte. Dabei beschränkt sich
vor allem Marcks‘ Interesse nicht allein auf kunst- und kulturgeschichtliche
Themen sowie die Historie, sondern ist
auch auf das politische Tagesgeschehen gerichtet. „Am
politischen Horizont „klärt sich’s dicke uff“. Es giebt nun
zu den Miss und Missis auch noch Missiles, eine Art Reinemachfrauen,
und es wird ja auch Zeit mal wieder „aufzuräumen“.
Ich habe eigentlich keine rechte Lust nochmal
sowas zu erleben. Aber wir werden ja nicht gefragt“
schreibt er an Wimmer am 24. Juli 1977.
Die ersten, noch seltenen Briefe von Marcks an
Wimmer stammen aus dem Jahr 1942. Zu diesem Zeitpunkt
war Marcks schon 53 Jahre alt und hatte bereits ein
zahlreiches Oeuvre geschaffen. Er hatte beträchtliche Höhen
und Tiefen, frühen Ruhm und die Verfemung als „entarteter“
Künstler erlebt. Schon 1919 war er durch Walter
Gropius an das Staatliche Bauhaus in Weimar berufen
worden und hatte in Dornburg die Bauhaus-Töpferei gegründet.
1925 wechselte er an die Kunstgewerbeschule
Burg Giebichenstein in Halle, wo er eine Bildhauerklasse
leitete, bis er 1933 entlassen wurde; auf die Umstände
dieser Entlassung wird noch zurückzukommen sein. Nach
1945 war Marcks der bekannteste Bildhauer aus der Zeit
der Weimarer Republik, der noch lebte und sich nicht
durch Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten korrumpiert
hatte. „Er war zum meist gefragten Bildhauer
für Denkmäler geworden, wie er selber leicht ironisch bemerkte
zum „Thorak der Entarteten“.
59
In dieser Zeit hatte auch Wimmer, der 1907 geboren
wurde und damit fast eine halbe Generation jünger war
als Marcks, über München hinaus Anerkennung gefunden.
Er war auf wichtigen Ausstellungen zeitgenössischer
Kunst vertreten, darunter der international beachteten
Ausstellung „Kunst in Deutschland 1930– 1949“, die 1949
in Zürich gezeigt wurde. Einzelausstellungen machen ihn
bald in ganz Deutschland bekannt. Auf der Dokumenta I
in Kassel 1955 waren beide Bildhauer vertreten.
Gerhard Marcks und Hans Wimmer hatten sich 1936
bei einem Besuch Wimmers in der berühmten Ateliergemeinschaft
der Berliner Klosterstraße kennen gelernt,
die in der Zeit des Nationalsozialismus eine Oase weitgehender
Selbstverwaltung war und die Freiraum zur
künstlerischen Arbeit wie zum Austauschs mit Kollegen
bot. 1933 war Marcks als Dozent der Burg Giebichenstein
entlassen worden, weil er dagegen protestiert hatte,
dass Marguerite Friedländer–Wildenhain wegen ihrer
jüdischen Herkunft entlassen wurde. Als weitere Folge
war auch eine Berufung an die Akademie Düsseldorf gescheitert.
Dennoch schien das Jahr 1937 zunächst sogar
erfolgversprechend zu sein, denn die Preußische Akademie
sowie die Galerie Buchholz zeigten Ausstellungen,
die große Aufmerksamkeit erregten und Marcks wurde
als neues Mitglied der Akademie vorgeschlagen. Diese
Berufung wurde jedoch von Hitler persönlich verhindert,
und Marcks kommt auf die Liste „entarteter“ Künstler. Im
September 1937 wurden etliche seiner Werke beschlagnahmt,
die Bronzen größtenteils für Rüstungszwecke eingeschmolzen.
Angesichts dieser bedrohlichen Situation
erwägt Marcks wie etliche seiner Freunde in die USA auszuwandern.
Es war wohl vor allem seine Verbundenheit
zum ‚alten Europa’, die ihn davon abhielt.
Das Jahr 1943 bedeutete einen absoluten Tiefpunkt
für Gerhard Marcks. Am 27. Januar fiel sein ältester Sohn
Herbert. Am 22. November zerstörte ein Bombentreffer
das erst 1938 fertig gestellte Haus und Atelier in Berlin-
Nikolassee und damit einen Großteil seines bisherigen
Schaffens. Angesichts dieser Verluste freilich erstaunt, wie
wenig Marcks davon berichtet. Den Tod seines Sohnes
teilte er Wimmer zu diesem Zeitpunkt nicht mit. Über den
Verlust seines Ateliers schrieb er nur lapidar zum Jahresende.
Erst sehr viel später kommt er – wiederholt – auf
diese Katastrophe zurück. Dies mag darauf zurückzuführen
sein, dass das Verhältnis beider zu diesem Zeitpunkt
noch nicht sehr eng war. Auch sind aus den Kriegsjahren
nur sehr wenige Briefe, ausschließlich von Gerhard
Marcks, erhalten. Wie aus diesen Briefen der Jahre 1943
und 1944 hervorgeht, gab es Antworten Wimmers, die
aber nicht erhalten sind, was v mit der Zerstörung von
Marcks’ Wohnhaus in Berlin zu erklären ist.
Hans Wimmer hatte schon als junger Student in
München vor allem mit einigen Portraits Furore gemacht
und in den dreißiger Jahren einige lukrative Aufträge erhalten.
Auf die Berufung an die Nürnberger Akademie
im Jahr 1941 hatte er, trotz finanzieller Not, verzichtet,
weil die Voraussetzung ein Eintritt in die NSDAP gewesen
wäre. An seiner Weigerung, Parteimitglied zu werden,
scheiterte auch eine Berufung an die Kunstakademie
München sowie eine an die Technische Hochschule Prag.
1943 wurde Hans Wimmer einberufen und in den Russlandfeldzug
geschickt, nachdem er zuvor als Bildender
Künstler vom Wehrdienst zunächst befreit worden war.
Möglicherweise war dies die späte Folge von Wimmers
schonungslosem Portrait des Duce, das er auf der Münchner
Kunstausstellung im Maximilianeum im Jahr 1942
ausgestellt hatte.
Nach dem Krieg boten eine Reihe deutscher Kunsthochschulen
Marcks einen Lehrstuhl an, darunter Berlin,
Dresden, Halle und Weimar. Die Berufung an die Landeskunstschule
in Hamburg nahm er an und lehrte dort seit
dem 1.Juli 1946. 1948, als sich die Umzugspläne nach
Köln konkretisieren, schlug er Hans Wimmer als seinen
Nachfolger vor. Wohl vor allem aus Verbundenheit zu
seiner süddeutschen Heimat konnte sich dieser jedoch
nicht zu diesem Schritt entschließen. Stattdessen übernahm
Hans Wimmer 1949 die Professur für Bildhauerei
an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg,
die er bis zu seiner Emeritierung innehatte. Dort prägte
er nicht nur eine ganze Reihe von Bildhauern im Süden
60
Deutschlands, sondern wirkte – gerade auch in der Zeit
von Deutschlands Teilung bis 1989 – für etliche Bildhauer
in Ostdeutschland als Vorbild. Zugleich wurde Wimmer
immer als Erbe und Vermittler der Münchner Bildhauerschule
verstanden.
Aus den Briefen dieser Jahre geht deutlich hervor,
wie sehr sich beide Künstler gegenseitig schätzten. Selbst
manche kritischen Worte, die Marcks als der Ältere gegenüber
dem Jüngeren nicht scheut, sind eingebunden
in die unverkennbare Hochachtung, die sich auch in dem
Tausch von Werken äußert, der seit dieser Zeit ein über
Jahre gepflegter Brauch wird. „Ich spreche ja aus Sorge
um die deutsche oder europäische Plastik, deren Schild
Ihnen anvertraut wird“, schrieb Marcks an Wimmer am
26.11.1949.
1950 siedelt Marcks nach Köln-Müngersdorf über,
wo ihm von der Stadt Köln das Haus Belvedere 149a gestiftet
worden war und lebte seitdem als freier Bildhauer.
Bis in die 60er Jahre hinein erhält er wichtige öffentliche
Monumentalaufträge wie das Totenmal für die Stadt Köln,
die „Große Trauernde“, die er 1949 vollendet, und den
„Charonsnachen“ als Mahnmal für die Bombenopfer der
Stadt Hamburg auf dem Ohlsdorfer Friedhof von 1951.
Es folgen u. a. 1952 der überlebensgroße “Mannheimer
Engel“ als Mahnmal für die Toten des Zweiten Weltkrieges,
1955 das Totenmal der Stadt Bochum und die Gedenkstätte
für den Grafen Stauffenberg in Lautlingen,
1963 der „Gefesselte“ als Mahnmal für die Widerstandskämpfer
des 20. Juli für die Stadt Osnabrück und 1967
das Mahnmal der Opfer beider Weltkriege für die Stadt
Mühlheim an der Ruhr. Der Anerkennung seines Werkes
durch große Aufträge – weitere ließen sich aufzählen,
werden aber in den Briefen selbst auch angesprochen –
wie durch zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland
folgen eine Reihe ehrenvoller Auszeichnungen. 1952 wird
Marcks zum Ritter der Friedensklasse des Ordens Pour le
mérite ernannt, 1959 erhält er das Große Verdienstkreuz
der Bundesrepublik Deutschland, 1964 das Große Verdienstkreuz
mit Stern, um nur einige zu nennen.
Auch Wimmer, der zeitlebens seinen Münchner
Wohnsitz beibehielt und bis zu seiner Emeritierung 1972
an der Akademie Nürnberg lehrte – die erhoffte Berufung
nach München kam nie zustande –, wurden zahlreiche
Ehrungen und öffentliche Anerkennung zuteil, darunter
1966 ebenfalls die Mitgliedschaft im Orden Pour le mérite.
1967 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz mit
Stern. Neben großen öffentlichen Aufträgen vor allem in
Süddeutschland wurden ihm in ganz Deutschland Einzelausstellungen
gewidmet.
Die Übereinstimmung in wesentlichen künstlerischen
Fragen und die zunehmende persönliche Vertrautheit
lassen die Korrespondenz ab den fünfziger Jahren
immer regelmäßiger werden. Auch geben die Briefe Hinweise
auf gegenseitige Besuche, die beiden Künstlern
wichtig waren, nicht zuletzt, um die Werke des Anderen
im Original sehen zu können. Seit 1951 wurde ein gemeinsamer
Urlaub in Südtirol ins Auge gefasst, der 1956
zustande kam und beiden Künstlern wie ihren Familien als
bereichernd in Erinnerung blieb. Unter anderem entstanden
dort eine Reihe von Portraitzeichnungen, die Marcks
von Wimmers Tochter Christel machte und ihm später
schenkte.
1959 schuf Wimmer das Portrait von Gerhard
Marcks als ein Geschenk zu dessen 70. Geburtstag, wofür
ihm der Freund bei einem Besuch in München saß.
Unter der großen Zahl von Portraitköpfen Wimmers, die
zu den wichtigsten Bildnissen des 20. Jahrhunderts gehören,
ist dieses Portrait eines der kühnsten und besten.
Ins selbe Jahr fällt eine – zufällige – Begegnung auf Korfu
in Griechenland, die beiden wichtig blieb. Bedeutsamer
noch war der gemeinsame Aufenthalt in Kypseli auf Ägina
im Jahr 1968, wo Marcks ein Ferienhaus besaß. Wimmer
inspirierte diese Reise zu einer Reihe von Kleinplastiken
sowie zur lebensgroßen Figur „Aglaia“, die in ihrer
Selbstverständlichkeit und Gelöstheit zu seinen reifsten
und schönsten Figuren gehört. Auch in seinen Briefen
kommt dies zum Ausdruck, wenn er emphatisch, geradezu
poetisch schreibt: „Das war eine anregende Zeit in
Ägina! Und zusammen mit Ihnen! So ein paar Wochen tun
unendlich gut. Dazu Delacroix, aus Ihrem Munde sogar
Heine. Die rosenfingrige Frühe, die untergehende Sonne,
der grüne Mond ....“.
61
Seit seiner ersten Griechenlandreise im Jahr 1928
war die Kunst des archaischen Griechenland für Marcks
zum entscheidenden Vorbild und künstlerischen Maßstab
geworden. „Ich halte es je älter ich werde je mehr mit den
Griechen [...] Unfassbar für uns zu spät Geborene ist das
Wunder der Olympia-Giebel“. Im Gegensatz zu seinen
künstlerischen Anfängen, die die Auseinandersetzung mit
dem Expressionismus verraten, bedeutete dies für sein
weiteres Werk eine formale Konzentration und klassische
Ausrichtung – durchaus im Einklang mit der europaweit
zu beobachtenden Hinwendung zu einer Klassizität, der
‚Modernen Klassik’ der frühen 30er Jahre.
Von den modernen Strömungen der ersten Jahrzehnte
des 20. Jahrhunderts blieb in der Nachkriegszeit
blieb Marcks, neben seinem handwerklichen Ethos, ein
weit gefasster humanistischer Ansatz, der allerdings zugleich
eine antizivilisatorische Tendenz hatte. Der Gegensatz
zwischen „technisch-industrieller Alltagskultur und
der handwerklich vorindustriellen inspirativen Hochkultur“
blieb für ihn s unüberbrückbar und übertrug sich
auch auf seine Haltung gegenüber der zeitgenössischen
Moderne der Nachkriegszeit. Dies wird deutlich aus einer
Briefstelle vom 14. Juni 70, wo er ausführt: „Die Situation
ist vielleicht so: unsre Zeit ist gross in Naturwissenschaft,
Mathematik, Technik. Dahin strömen die Begabungen.
Die Kunst hat keine Hochzeit, sie bemüht sich vielleicht
um neue Fundamente, ein Gebäude, ein neues, ist nicht
in Sicht. Wir Bildhauer sind, unserm Handwerk gemäss,
konservativer als Maler, es kann bei uns vielleicht auf die
„klassische“ Art noch etwas erzielt werden, was nach Inhalt
und Form gleich tendiert. Dies zu unsrer Entschuldigung.
Die ganze „abstrakte“ Richtung scheint mir eine
Disziplin, die der Bindung an die Anschauung – oder an
die Architektur bedarf.“ Kurz darauf, am 15. Juli 70, lautet
seine lapidare Zusammenfassung „. Die Industrielandschaft
gebiert die abstrakte Kunst.“
Die öffentliche Anerkennung, die beide Künstler erhielten,
betraf nur einen Teil der Gesellschaft und konnte
nicht über die schmerzhafte Erfahrung hinwegtrösten,
dass sich zu den Modernen der 1950er und 1960er Jahre
eine Kluft gegenseitigen Unverständnisses auftat. Sich
hier gegenseitig Gesprächspartner, aber auch Rückhalt zu
sein, war beiden von großer Wichtigkeit.
In Marcks‘ Brief vom 4. Januar 1972 fällt erstmals die
Bemerkung „Wir sind letzte Mohikaner“, im Anschluss
an die Frage, wer Wimmers Nachfolger an der Akademie
in Nürnberg werden könne. Wenige Jahre später,
am Sylvestertag 1978, klingt seine Einschätzung der Lage
noch pessimistischer: „Was ich Preusse mache, ist Nachhutgeplänkel.
Es giebt ja auch keine Architekten mehr,
nur Techniker – und Dilettanten. Das alte Europa ist im
Sterben. Ob’s ein Neues giebt, chi lo sa. So, das ist das
Résumé an Sylvester.“
Diese Empfindung, die Marcks vor allem in den
letzten Jahren seines Lebens wiederholt zum Ausdruck
brachte, bezog sich nicht allein auf die künstlerische Entwicklung
der 1950er und 1960er Jahre, der er weder folgen
konnte noch wollte. Für ihn mehr noch als für Wimmer
waren die Tendenzen der zeitgenössischen Kunst
Symptome, die er als Hinweis auf einen grundsätzlichen
gesellschaftlichen Verfall deutete. So schreibt er am 10.
Januar 1980: „Im dritten Reich gab es die Hofkunst – und
die Entarteten, heute in der B.R.D. giebt es die Conzeptkunst
– und die Totgeschwiegenen. Zu letzteren gehöre
ich zwar nicht, doch die Tücke der Kriegführung habe ich
mehr als einmal zu merken gekriegt. Das Ganze ist ja der
Untergang des Abendlandes, den die Kunst als feinstes
Instrument zuerst zeigt“. Für Marcks offenbarte sich in der
Kunst ein grundlegender Bruch mit der kulturellen Überlieferung
des klassischen Europa, der er sich in besonderer
Weise verpflichtet fühlte: „was wäre uns die Welt,
wenn nicht Europa“.
Im Laufe der folgenden Jahren wird Marcks‘ Ton,
aller öffentlichen Anerkennung zum Trotz, zunehmend
bitterer. Er ist spürbar dominiert von dem Gefühl, in der
westdeutschen Kunstszene zunehmend isoliert zu sein.
Der Kulturpessimismus, der bei Marcks mit zunehmendem
Alter und in Abhängigkeit von seiner persönlichen
Stimmungslage an Schärfe gewinnt, verquickt sich
in späteren Jahren mit einer Rassenideologie und anti-
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semitischen Tönen, die befremden angesichts der Integrität,
die er in seinem Handeln immer und gerade während
des Nationalsozialismus bewiesen hatte. Als ein Beispiel
nur sei der mutige Einsatz für die jüdische Kollegin und
Freundin Marguerite Friedländer im Jahr 1933 erwähnt,
den Marcks mit dem Verlust seines Lehrstuhls bezahlte.
Zwar basiert seine Anschauung weniger auf einer biologischen
Grundlage, sondern ist eher landschaftlich klimatisch
begründet; dennoch ist erstaunlich, wie dieses
Gedankengut trotz seiner scharfen Beobachtungsgabe,
die ihn z. T. zu gegensätzlichen Beobachtungen kommen
ließ, bis ins hohe Alter immer wieder an die Oberfläche
dringt. Verschiedene künstlerische Ausdrucksformen und
Temperamente führte er auf die Herkunftslandschaften
zurück. So schreibt er beispielsweise am 16. November
1977 an Wimmer: „Ich frage mich, wo in dem trocknen
Preussen das halbe Dutzend grosser Maler und Bildhauer
vom Himmel gefallen ist? Das kunstsinnige Bayern kann
damit nicht antreten, auch Klenze kam von Braunschweig.
Dabei sind die Leute im Norden wie gegen Kunst geimpft“.
Marcks‘ grundsätzliche Haltung kommt gleichwohl
eher in einer Passage vom 17. Januar 1966 zum Ausdruck,
in dem er die Menschheit mit einem großen Orchester
vergleicht: „Jeder Musiker, jedes Volk hat sein
Instrument und kann’s mehr oder weniger vollkommen
spielen. Es giebt auch hin und wieder grosse Dirigenten
(Religionsstifter etc). Aber der Componist, nach dem alles
spielt, bleibt ewig verborgen. Dem kann man nicht in die
Partitur pfuschen.“
Unbestreitbar ist, dass Marcks’ Weg von der Avantgarde
des Bauhauses zu einer klassischen Gesinnung
dem allgemeinen Innovationstrend geradezu entgegen
lief. Während er in der ersten Hälfte seines Lebens ein
anerkannter Vertreter moderner Kunstbewegungen wie
beispielsweise der Reformbewegung des Bauhaus’ war,
gilt die Kunst, für die er sein ganzes Leben lang eingetreten
ist, nach 1945 zunehmend weniger als zeitgemäß.
Dennoch gehört Gerhard Marcks, wohl mehr noch als
Hans Wimmer, heute unzweifelhaft zu den bekanntesten
deutschen Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Einige seiner
Plastiken wie die Bremer Stadtmusikanten, der „Albertus
Magnus“ in Köln oder auch die Figuren für St. Katharinen
in Lübeck sind in das Bildrepertoire des Jahrhunderts eingegangen,
selbst wenn mancher Betrachter den Schöpfer
dieser Werke nicht kennen mag. Kaum weniger bekannt
und geachtet ist sein graphisches Werk.
Für beide Künstler, Marcks wie Wimmer, gilt in je individueller
Ausprägung, eine Balance zwischen geschauter
Natur und gestalteter Form. Für ihre Gestaltung der
menschlichen Figur bedeutete dies, dass der menschliche
Körper in ein autonomes künstlerisches Werk überführt
wird, jedes Glied des Körpers durchgestaltet und
eingeordnet ist in eine formal strenge Komposition, die
ihren eigenen Rhythmus hat. Insofern distanzieren sich
beide Künstler von einem direkten Naturalismus, der für
sie „unverstandene Natur“ war. Für sie bestand das Wesen
der Abstraktion in der Rückführung auf eine Formel,
im Herausarbeiten einer allgemein gültigen Form, die erst
in der konsequenten formalen Gestaltung der sichtbaren
Natur zur Kunst wird. Den Verfechtern ungegenständlicher
Kunst dagegen erschienen figurativ arbeitende
Künstler als Vertreter einer überholten Kunsttradition, wobei
vielen die Fähigkeit verloren ging, den Grad von for-
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maler Reflexion bzw. „Abstraktion“ im Werk von Marcks
wie auch von Wimmer zu erkennen. So schrieb Marcks,
auf eine Umfrage von Eduard Trier an mehrere deutsche
Künstler über das Verhältnis zur abstrakten Kunst: „Im
Grunde gibt es keine Kunst ohne Abstraktion. Sie vollzieht
sich schon im Unbewußten. Das Operieren mit mathematischen
Elementen von Fläche, Volumen und Raum,
den Reizen der Strukturen usw. ist die Grundlage. Und es
gibt ja Kulturen, die sich mit dieser Grundlage begnügt
haben. Jedoch – ich fand, daß das höchste Geheimnis,
die Blüte, in der Vereinigung der abstrakten Denkformen
mit der Darstellung des Lebendigen beschlossen ist.“
Nur wenig früher, in seinen 1961 erschienenen Aufzeichnungen
„Über die Bildhauerei“ schrieb Wimmer;
„Jede Kunst ist abstrakt. Tizian ebenso wie Klee. Es gibt
nur Gegenständlich und Nichtgegenständlich.“
Interessant ist, welche Entwicklung im Laufe der
Korrespondenz im Verhältnis der beiden Kollegen zu
Tage tritt. Zu Beginn ist vor allem der zu spüren, mit dem
der deutlich jüngere Wimmer sich Marcks gegenüber äußert
und der ihn überwiegend als dankbar Nehmenden
erscheinen lässt. „Für Ihre freien Worte drücke ich Ihnen
die Hand. Ich schätze mich glücklich an Ihnen den Mentor
zu haben der mich zur rechten Zeit auf die Schulter
klopft. Was immer Sie in Zukunft zu mir sagen werden
– ich nehme es entgegen als das Wertvollste was Sie
neben Ihrer Arbeit zu geben haben“, schreibt Wimmer
am 12.11.1949. Dennoch vertritt er schon zu diesem Zeitpunkt
seinen Standpunkt mit Selbstbewusstsein, und als
Marcks einige kritische Bemerkungen nachträglich zu mildern
versucht, schreibt er ausdrücklich: „Sie hatten sich
gar nicht schlecht ausgedrückt, sondern im Gegenteil
sehr klar. Es ist anders: hier gehen unsre Anschauungen
auseinander. Ich habe es schon eine Zeitlang gefühlt und
war und bin darüber froh, denn dadurch allein kann ich
mir Rat und Mahnung Ihrer Teilnahme an meinen Bemühungen
zunutze machen. Sie sehen: ich bleibe ein gesunder
Geist.“
Auch anderen kritischen Anmerkungen von Marcks
– sei es zu eigenen Werken, sei es zu den Arbeiten anderer
Künstler –, die Wimmer anfangs noch meist schweigend
hinnimmt, setzt er mit den Jahren seinen eigenen
Standpunkt selbstbewusster entgegen und tritt als künstlerisch
Ebenbürtiger auf, was sich nicht zuletzt sprachlich
niederschlägt. Wimmers Briefe, die anfangs noch förmlich,
ja zum Teil beinahe ehrfurchtsvoll klingen, werden
zunehmend lockerer und lassen nun immer öfter auch
seinen trockenen Humor aufblitzen.
Damit werden zwangsläufig Unterschiede in den
künstlerischen Auffassungen deutlicher thematisiert,
wozu sich Wimmer in seinem Brief vom 14. Juni 1971
direkt äußert: „Unser Beider Verhältnis gründet nicht zuletzt
in der Verschiedenheit der Meinungen zu manchen
Punkten, die vielleicht in der unterschiedlichen Herkunft
und Landschaft und Ausbildung ihre Wurzel hat. Finde es
übrigens schön und – gewinnreich; wenigstens für mich.“
Ein für beide Bildhauer zentraler Begriff ist, ausgehend
von Adolf von Hildebrands Schrift „Das Problem
der Form in der bildenden Kunst“, mit dem dieser die
deutsche Bildhauerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts
neu zu begründen suchte. Dennoch hatte die „Form“ für
Wimmer einen höheren Stellenwert, war sie für ihn eine
quasi absolute, dem Gegenstand innewohnende Ordnung.
Diese „absolute“ Form stand für ihn am Ziel aller
bildhauerischen Arbeit. Das lässt sich besonders an Wimmers
lebensgroßen Figuren verdeutlichen, die ohne Auftrag
entstanden, deren künstlerische Aufgabe er sich also
selbst stellte, und an denen er oft über Jahre arbeitete.
Ihr Thema ist der menschliche Körper, dessen Bewegungen
und Ausdrucksmöglichkeiten Wimmer im Stehen,
Schreiten, Sitzen und Liegen durchdeklinierte. Auch die
Titel lassen dies erkennen. Meist lauten sie lapidar: „Stehendes
Mädchen“ oder „Stehender Jüngling“; „Sitzende“
oder „Liegende“. Gab Wimmer seinen späteren Figuren
mythologische Namen wie „Aglaia“ – die Schöne,
Strahlende – oder auch nach Shakespeares Figur „Desdemona“,
dann erst nach der Vollendung. In seinen Schriften
umkreist Wimmer immer wieder „die Form“, um sie
in Bezug auf sein eigenes Schaffen zu definieren und sich
ihrer Bedeutung zu versichern: In seinen Jahreskalendern
notierte er sich wiederholt Gedanken zur Form, zuletzt
im Jahr 1988: „Form scheint mir etwas […], das wir aber
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als sittliche erzieherische Aufgabe, wenn wir sie deutlich
empfinden, annehmen müssen, wenn anders wir nicht
jeden Boden unter den Füßen verlieren wollen […] die
Summe der Abstraktion. Die Form ist also etwas Absolutes.
Die geringste Störung, der leiseste Eingriff verletzt
sie bis zur Unkenntlichkeit, weil es ihren Kern betrifft.“
Eine für die jeweilige Kunstauffassung beider
Künstler sehr aufschlussreiche Kontroverse, die Marcks
und Wimmer über Jahre hinweg führen, behandelt den
Stellenwert der „Details“ innerhalb der gesamten Komposition.
Während Marcks in lapidarer Kürze wiederholt
postulierte „Es giebt keine Details“, vertrat Wimmer
den Standpunkt, dass dem formal bewältigten Detail die
wichtige Aufgabe zukomme, den Maßstab der Gesamtkomposition
zu bestimmen und bei einer sorgsam durchkomponierten
Plastik „jede Höhe und jede Tiefe, jede
Fläche und jede Wölbung ihren Platz, ja ihre Notwendigkeit
hat. Dabei ergibt sich das Detail ganz von selber, man
braucht nicht Angst zu haben es zu machen bzw. wegzulassen,
vielmehr stellen sich die Gliederungswerte von
selber heraus.“
Immerhin gesteht Marcks seinem Freund Wimmer
seine Auffassung zu, wenn er an Wimmer schreibt (am
1.1.1968): „Sie wissen, dass ich Sie um die Sensibilität in
den Details beneide! Das ist zwar mit der heutigen Mode
nicht zu vereinen, aber Sie arbeiten ja auch als echter
Künstler nicht für die Zeit sondern für das, was wir mit
„Ewigkeit“ umschreiben. Sagen wir schlicht: Qualität.“
Selbst wenn Marcks also in der Praxis nicht so streng
war wie in der Theorie formuliert und den Details durchaus
Zeit und Raum gab – „die Details will ich in aller Ruhe
machen“, schlug sich die unterschiedliche Auffassung
beider doch in der künstlerischen Arbeit von der Konzeption
bis hin zur technischen Ausführung der Güsse nieder.
Wimmer begleitete den Guss jedes seiner Werke in der
Gießerei persönlich und ziselierte jede seiner Bronzen
selbst. Deshalb entstanden von den meisten seiner Plastiken
nur wenige Güsse, die sich oft in Details wie der
Inschrift unterscheiden. Dagegen überließ Marcks die
Erstellung der Bronzen seinem Gießer und betrachtete
ein Werk als abgeschlossen, wenn das Gipsmodell sein
Atelier verließ. Wiederholt kommen diese Unterschiede
in der Arbeitsauffassung in den Briefen zum Ausdruck.
Vielleicht deutlicher noch zeigen sie sich in dem Oeuvre,
das beide Bildhauer hinterlassen haben: Während von
Wimmer knapp 500 Werke verzeichnet sind, umfasst das
Werkverzeichnis von Marcks 1200 Nummern.
Nicht nur in seinen Werken, die er oft über Monate
und Jahre hinweg immer einer oft radikalen Überarbeitung
unterzog, zeigte sich Wimmer als der Bedächtigere
und weniger Leichthändige. Auch in der Korrespondenz
ist Marcks derjenige, der weitaus häufiger zur Feder greift.
Regelmäßig tauschen sie sich über die Werke aus, an denen
sie gerade arbeiten und verschicken dazu Fotos und
Kataloge. Für das Oeuvre beider ergeben sich daraus bedeutsame
Hinweise, die sich nicht allein auf die Werkgenese
bzw. die Chronologie einzelner Arbeiten beziehen,
sondern auch zur Konzeption und zur Einschätzung des
eigenen Schaffens interessante Aufschlüsse geben.
So dienen beiden Künstlern ihre Briefe immer wieder
auch dazu, sich Rechenschaft abzulegen über den
eigenen künstlerischen Standpunkt, im Dialog mit einem
Kollegen, mit dem sie sich in wesentlichen Fragen einig
wissen. Umso erstaunlicher ist das Ende der Korrespondenz
und wohl auch ihrer Freundschaft. Über die Uneinigkeit
in der Beurteilung des Bildhauerkollegen Waldemar
Grzimek bzw. über die Frage, ob er für den Pour le mérite
vorzuschlagen sei, entspinnt sich in den letzten Jahren ein
Dissenz, dessen Schärfe nur schwer nachvollziehbar ist.
Er führt im Sommer vor Marcks‘ Tod am 13. November
1981 zum abrupten Abbruch der Korrespondenz – angesichts
der Intensität und Intimität dieses Briefwechsels
ein geradezu erschütterndes Ende. Wie viel versöhnlicher
klingt Gerhard Marcks da in seinem Brief vom 6./7 Juni
1976 „Immer bin ich entzückt von der Fantasie, mit der
Du die Details zum Leben erweckst! Wie weiss ich als asketischer
Rentierjäger diese Gabe zu schätzen! Manchmal
denke ich, wenn der Schöpfer nicht so zerstreut wäre, hätte
er aus uns beiden einen Bildhauer machen sollen.“
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Biografien
Hans Wimmer
Bisci di volorit et dolupie nessit inctianda cumque
et dolorep tatur, ommolum re voluptamus num harunt,
offictatem nossitatibus excesedita coriaero eos reperit
inctate nimust, sandantis re conet faccupitiur sum et
aut enis sum rem volo et accatem fugit, sitae. Itas etum
quodias invellorrum etur reictas sam, nonsequ iandis etur,
quam hilic torera quiae. Ebitam nulpa sequam autet eum
untotat uscimenim arumquatquo eserum soluptatem re,
id eum faccatiae. Poribusdae invenda simoluptatia volor
autenda musant qui odi conest ad unt voluten delicae sa
dolum vollorum facipist, arum eaquisque vit untem id et
volore velignate simpe comnimus, ute pero estiam et iusam
descimus.
66
Gerhard Marcks
Bisci di volorit et dolupie nessit inctianda cumque
et dolorep tatur, ommolum re voluptamus num harunt,
offictatem nossitatibus excesedita coriaero eos reperit
inctate nimust, sandantis re conet faccupitiur sum et
aut enis sum rem volo et accatem fugit, sitae. Itas etum
quodias invellorrum etur reictas sam, nonsequ iandis etur,
quam hilic torera quiae. Ebitam nulpa sequam autet eum
untotat uscimenim arumquatquo eserum soluptatem re,
id eum faccatiae. Poribusdae invenda simoluptatia volor
autenda musant qui odi conest ad unt voluten delicae sa
dolum vollorum facipist, arum eaquisque vit untem id et
volore velignate simpe comnimus, ute pero estiam et iusam
descimus.
Helmut Heinze
Bisci di volorit et dolupie nessit inctianda cumque
et dolorep tatur, ommolum re voluptamus num harunt,
offictatem nossitatibus excesedita coriaero eos reperit
inctate nimust, sandantis re conet faccupitiur sum et
aut enis sum rem volo et accatem fugit, sitae. Itas etum
quodias invellorrum etur reictas sam, nonsequ iandis etur,
quam hilic torera quiae. Ebitam nulpa sequam autet eum
untotat uscimenim arumquatquo eserum soluptatem re,
id eum faccatiae. Poribusdae invenda simoluptatia volor
autenda musant qui odi conest ad unt voluten delicae sa
dolum vollorum facipist, arum eaquisque vit untem id et
volore velignate simpe comnimus, ute pero estiam et iusam
descimus.
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DANKSAGUNG
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