Swissmechanic_Journal_2022-05

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22.08.2022 Aufrufe

Transmutex 26 Forschung an sauberer Kernenergie Das im Raum Genf angesiedelte Start-up Transmutex entwickelt einen neuen Typ von Kraftwerk. Dieses basiert auf der Verwendung eines Teilchenbeschleunigers. Das Kraftwerk kann Energie in Form von Strom, Wasserstoff oder Fern- bzw. Prozesswärme erzeugen und zudem hochradioaktive Abfälle eliminieren. A Quellen: Transmutex, Swissinfo tomkraftwerke erzeugen Strom, indem die durch Kernspaltung freigesetzte Wärme genutzt wird. In einem klassischen Reaktor wird das Brennmaterial – in der Regel Uran oder Plutonium – mit einem Neutronenstrahl beschossen. Die Atome spalten sich, wobei Energie und weitere Neutronen freigesetzt werden, was zu einer Kettenreaktion führt. Die durch die Spaltung erzeugte Wärme wird zuerst zur Erzeugung von Dampf und schliesslich zur Produktion von Strom genutzt. Ein Kernkraftwerk produziert kontinuierlich und in grossen Mengen Elektrizität, ohne Treibhausgase auszustossen. Doch beim Kernspaltungsprozess entstehen radioaktive Abfälle. Fast alle Länder, darunter auch die Schweiz, wissen nicht, wo sie diese radioaktiven Abfälle sicher endlagern können – und das für Jahrhunderte. Thorium statt Uran Bei Transmutex soll als Brennstoff letztendlich Thorium anstelle von Uran verwendet werden, kombiniert mit einem Teilchenbeschleuniger. Thorium ist ein schwach radioaktives Metall, das in den Gesteinen fast der gesamten Erdkruste reichlich vorhanden ist. Das meiste Uran, das als Kernbrennstoff verwendet wird, stammt hingegen aus Bergwerken in Kasachstan, Australien und Kanada. Thorium wird in einem Reaktor mit Neutronen aus einem Teilchenbeschleuniger unterkritisch gespalten. Dies bedeutet, dass die Anlage im Gegensatz zu konventionellen Atomkraftanlagen nicht in der Lage ist, eine Kettenreaktion aufrechtzuerhalten. Sobald der Neutronenfluss unterbrochen wird, kommt die Reaktion zum Erliegen. Dieser Mechanismus hätte den nuklearen Unfall von Tschernobyl im Jahr 1986 verhindern können. Weniger radioaktive Abfälle Die radioaktiven Halbwertszeiten der Thorium-Nebenprodukte sind viel kürzer als diejenigen einer Urananlage – 300 Jahre statt 300‘000 Jahre. Auch die Menge an gefährlichem radioaktivem Abfall würde erheblich reduziert (einige Kilogramm statt Tonnen). Der Thoriumkreislauf hätte auch den Vorteil, dass er eine allfällige Verbreitung von Atomwaffen verhindert. Die Nebenprodukte der Thoriumspaltung können nur schlecht für den Bau von Atombomben verwendet werden. Ein Thoriumreaktor könnte zudem auch mit radioaktiven Abfällen aus bestehenden Kernkraftwerken betrieben werden. Ein Teil der kurzlebigen radioaktiven Abfälle liesse sich durch den Teilchenbeschleuniger in stabilere Elemente umwandeln, was im Fachjargon als «Transmutation» bezeichnet wird (daher der Name des Start-up-Unternehmens Transmutex). Anders gesagt: Langlebige Radionuklide – wie etwa Plutonium – verwandeln sich unter einem Neutronenbeschuss in viel weniger lang strah-

Energie und Umwelt Transmutex 27 lende Elemente. Dies könnte das Problem der Anhäufung und Lagerung hochradioaktiver Abfälle lösen. Ziel von Transmutex ist es, bis Anfang der 2030er-Jahre ein erstes 300 MW- Heizkraftwerk zu erstellen. Das Start-up schätzt die einmaligen Entwicklungs-, Genehmigungs- und Baukosten auf bescheidene 1,5 Milliarden Franken. Idee am CERN entwickelt Der treibende Kopf hinter Transmutex ist Federico Carminati – Kernphysiker und wissenschaftlicher Direktor von Transmutex. Carlo Rubbia, der einstige Direktor der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) in Genf und Physik-Nobelpreisträger 1984, bat 1990 den damals jungen CERN-Mitarbeiter, an der Entwicklung eines neuen Kernreaktortyps mitzuwirken. Die Idee eines Thoriumreaktors in Kombination mit einem Teilchenbeschleuniger landete damals in der Schublade – die Atomindustrie zeigte wenig Interesse an einer Neuentwicklung und die Teilchenbeschleunigerindustrie für medizinische Radioisotope gab es seinerzeit noch nicht. Heute, nach rund 30 Jahren, ist für Federico Carminati der Zeitpunkt gekommen, das Projekt von damals zu reaktivieren. Im Jahr 2019 gründete er zusammen mit dem französischen Unternehmer Franklin Servan-Schreiber das Start-up Transmutex. Renaissance der Kernenergie Die Zeiten scheinen reif für eine neue Art von Kernenergie. Die Notwendigkeit, die CO 2 -Emissionen zu reduzieren, und die Angst vor längeren Stromausfällen lassen das Interesse an subkritischer Transmutation in ganz Europa wachsen. Die Europäische Kommission rechnet selbst traditionellen Atomstrom, genauso wie Erdgas, jetzt zu den «grünen Energiequellen», um die Energiewende zu schaffen. Dieser Ansatz wird von Frank- Skizze der Funktionsweise des Thoriumreaktors in Kombination mit einem Teilchenbeschleuniger. Quelle: Transmutex reich unterstützt, aber von Deutschland abgelehnt, das nach dem nuklearen Unfall von Fukushima beschlossen hatte, aus der Kernkraft auszusteigen. Auch die Schweiz hat sich für einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie entschieden. Die Vertreter/innen der bürgerlichen Parteien fordern jedoch, die Nutzung von Atomkraft im Rahmen der langfristigen Energiestrategie zu überdenken, um Versorgungsengpässe zu vermeiden. Der Energie Club Schweiz, eine Vereinigung von Atomkraftbefürwortern, schliesst die Lancierung einer Volksinitiative mit dem Titel «Stoppt den Blackout» nicht aus. Ziel der Initiative wäre es, das 2017 vom Schweizer Volk beschlossene Verbot für den Bau neuer Kernkraftwerke aufzuheben. transmutex.com/

Transmutex<br />

26<br />

Forschung an sauberer Kernenergie<br />

Das im Raum Genf angesiedelte Start-up Transmutex entwickelt einen neuen Typ<br />

von Kraftwerk. Dieses basiert auf der Verwendung eines Teilchenbeschleunigers.<br />

Das Kraftwerk kann Energie in Form von Strom, Wasserstoff oder Fern- bzw. Prozesswärme<br />

erzeugen und zudem hochradioaktive Abfälle eliminieren.<br />

A<br />

Quellen: Transmutex, Swissinfo<br />

tomkraftwerke erzeugen Strom,<br />

indem die durch Kernspaltung freigesetzte<br />

Wärme genutzt wird. In einem<br />

klassischen Reaktor wird das Brennmaterial<br />

– in der Regel Uran oder Plutonium<br />

– mit einem Neutronenstrahl beschossen.<br />

Die Atome spalten sich, wobei<br />

Energie und weitere Neutronen freigesetzt<br />

werden, was zu einer Kettenreaktion<br />

führt. Die durch die Spaltung erzeugte<br />

Wärme wird zuerst zur Erzeugung<br />

von Dampf und schliesslich zur Produktion<br />

von Strom genutzt.<br />

Ein Kernkraftwerk produziert kontinuierlich<br />

und in grossen Mengen Elektrizität,<br />

ohne Treibhausgase auszustossen.<br />

Doch beim Kernspaltungsprozess entstehen<br />

radioaktive Abfälle. Fast alle Länder,<br />

darunter auch die Schweiz, wissen<br />

nicht, wo sie diese radioaktiven Abfälle<br />

sicher endlagern können – und das für<br />

Jahrhunderte.<br />

Thorium statt Uran<br />

Bei Transmutex soll als Brennstoff letztendlich<br />

Thorium anstelle von Uran verwendet<br />

werden, kombiniert mit einem<br />

Teilchenbeschleuniger. Thorium ist ein<br />

schwach radioaktives Metall, das in den<br />

Gesteinen fast der gesamten Erdkruste<br />

reichlich vorhanden ist. Das meiste Uran,<br />

das als Kernbrennstoff verwendet wird,<br />

stammt hingegen aus Bergwerken in Kasachstan,<br />

Australien und Kanada.<br />

Thorium wird in einem Reaktor mit Neutronen<br />

aus einem Teilchenbeschleuniger<br />

unterkritisch gespalten. Dies bedeutet,<br />

dass die Anlage im Gegensatz zu konventionellen<br />

Atomkraftanlagen nicht in<br />

der Lage ist, eine Kettenreaktion aufrechtzuerhalten.<br />

Sobald der Neutronenfluss<br />

unterbrochen wird, kommt die Reaktion<br />

zum Erliegen. Dieser Mechanismus<br />

hätte den nuklearen Unfall von<br />

Tschernobyl im Jahr 1986 verhindern<br />

können.<br />

Weniger radioaktive Abfälle<br />

Die radioaktiven Halbwertszeiten der<br />

Thorium-Nebenprodukte sind viel kürzer<br />

als diejenigen einer Urananlage – 300<br />

Jahre statt 300‘000 Jahre. Auch die Menge<br />

an gefährlichem radioaktivem Abfall<br />

würde erheblich reduziert (einige Kilogramm<br />

statt Tonnen).<br />

Der Thoriumkreislauf hätte auch den<br />

Vorteil, dass er eine allfällige Verbreitung<br />

von Atomwaffen verhindert. Die<br />

Nebenprodukte der Thoriumspaltung<br />

können nur schlecht für den Bau von<br />

Atombomben verwendet werden.<br />

Ein Thoriumreaktor könnte zudem auch<br />

mit radioaktiven Abfällen aus bestehenden<br />

Kernkraftwerken betrieben werden.<br />

Ein Teil der kurzlebigen radioaktiven Abfälle<br />

liesse sich durch den Teilchenbeschleuniger<br />

in stabilere Elemente umwandeln,<br />

was im Fachjargon als «Transmutation»<br />

bezeichnet wird (daher der<br />

Name des Start-up-Unternehmens<br />

Transmutex). Anders gesagt: Langlebige<br />

Radionuklide – wie etwa Plutonium –<br />

verwandeln sich unter einem Neutronenbeschuss<br />

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