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ALfA e.V. Magazin - LebnsForum / 141 / 1/2022

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Nr. <strong>141</strong> | 1. Quartal <strong>2022</strong> | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 5,– E B 42890<br />

Ausland<br />

Die Macht von<br />

Narrativen<br />

Politik<br />

Aus für § 219a:<br />

Nur der Anfang?<br />

Medizin<br />

Extreme Frühchen<br />

erfordern viel Mut<br />

Do-it-yourself-Abtreibung<br />

Sanft und<br />

sicher?<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V.<br />

1<br />

www.alfa-ev.de


INHALT<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

TITELTHEMA AUSLAND POLITIK<br />

Sanft und sicher?<br />

4<br />

Die Abtreibungspille erhöht das<br />

Risiko für Schwangere, in der<br />

Notaufnahme zu landen.<br />

Von Cornelia Kaminski<br />

Die Macht von Narrativen<br />

14<br />

Wie medizinische Tragödien<br />

instrumentalisiert werden,<br />

um Abtreibungen zu liberalisieren.<br />

Von Maria Witzel<br />

Nur der Anfang?<br />

20<br />

Der Gesetzesentwurf der<br />

Ampel-Regierung zur Streichung<br />

des § 219a StGB stößt auf Kritik.<br />

Von Stefan Rehder<br />

»Viele stehen<br />

unter Schock«<br />

8<br />

Der Gynäkologe Michael Kiworr<br />

und die Krankenschwester<br />

Natalie Bayer-Metzler sprechen über<br />

die Folgen für Frauen.<br />

Simsalabim<br />

22<br />

Aus dem Zylinder gezaubert:<br />

Wie aus einer analogen<br />

Straftat digitales Recht wird.<br />

Von Stefan Rehder<br />

Abtreibung umkehren?<br />

11<br />

Das britische General<br />

Medical Council revidiert<br />

das Verbot der »Umkehrbehandlung«.<br />

Von Maria Witzel<br />

2 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


EDITORIAL<br />

Wahrheit setzt sich durch<br />

MEDIZIN<br />

Mut zum Leben<br />

26<br />

Extrem Frühgeborene: Warum<br />

der Kampf um ihr Überleben<br />

zunächst Mut erfordert.<br />

Von Vera Novelli<br />

Ein Herz aus Schwein<br />

28<br />

Trotz des Todes des Patienten<br />

wollen Ärzte Xenotransplantationen<br />

weiter verfolgen.<br />

Von Stefan Rehder<br />

WEITERE THEMEN<br />

12<br />

30<br />

32<br />

34<br />

35<br />

Bioethik-Splitter<br />

Bücherforum<br />

Kurz vor Schluss<br />

Leserforum<br />

Impressum<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

seit Wochen tobt nun schon der Krieg in<br />

der Ukraine. Mit Schrecken schauen wir<br />

auf die Zerstörung und das Leid, das<br />

dort angerichtet wird. Das Entsetzen<br />

ist groß und schlägt in Hilfsbereitschaft<br />

um, die nun überall zu spüren ist.<br />

»Der größte Zerstörer des Friedens ist<br />

heute der Schrei des unschuldigen,<br />

ungeborenen Kindes.« Das sagte Mutter<br />

Teresa, als sie den Friedensnobelpreis<br />

erhielt. »In den Zeitungen lesen<br />

wir dieses und jenes, aber niemand<br />

spricht von den Millionen von Kleinen,<br />

die empfangen wurden mit der gleichen<br />

Liebe wie Sie und ich, mit dem<br />

Leben Gottes. Und wir sagen nichts,<br />

wir sind stumm.« Die Worte sind heute,<br />

über 40 Jahre später, von allergrößter<br />

Aktualität. Abtreibungen sind heute<br />

nur deswegen noch ein Thema, weil Lebensrechtler<br />

unermüdlich darauf hinweisen,<br />

dass die Wahrheit eine andere<br />

ist als die, die uns serviert wird: Abtreibungen<br />

seien kein Problem, sondern<br />

nichts anderes als ein Zurückdrehen<br />

der Uhr, sie seien nicht nur sicher, sondern<br />

gar ein Menschenrecht.<br />

Die Wahrheit<br />

setzt sich durch<br />

Die Wahrheit setzt sich durch. In England<br />

wurde aufgrund der Pandemie<br />

eine Heimabtreibung durch Postzustellung<br />

der entsprechenden Tabletten ermöglicht.<br />

Mit so schlimmen Folgen,<br />

dass dies ab August wieder verboten<br />

ist. Wir berichten ausführlich und<br />

sprechen im Interview mit dem Gynäkologen<br />

Michael Kiworr und der Krankenschwester<br />

Natalie Bayer-Metzler<br />

darüber, wie Frauen eine Abtreibung<br />

zuhause erleben.<br />

Dass es nicht um Frauengesundheit<br />

und Lebensrecht geht, sondern um<br />

Ideologie, zeigen nicht nur die Debatten<br />

zur Legalisierung der Werbung für<br />

Abtreibung, die im deutschen Bundestag<br />

geführt werden (siehe hierzu<br />

S. 20–24), sondern zeigt auch die Art,<br />

wie die Abtreibungslobby dramatische<br />

Schwangerschaftsverläufe für ihre Sache<br />

ausnutzt. Was in Irland so reibungslos<br />

ging, sollte doch<br />

auch in Polen funktionieren.<br />

Das ist offensichtlich<br />

die Ansicht der Journalisten,<br />

die nun den tödlichen<br />

Verlauf einer zu spät erkannten<br />

Sepsis bei einer<br />

polnischen Schwangeren<br />

skandalisierten. Wir berichten<br />

über die Strategie<br />

der international agierenden<br />

Lobby auf S. 14.<br />

Wahrheit ist das erste<br />

Kriegsopfer. Und es ist Krieg. Nicht nur<br />

in der Ukraine, auch unter uns: Die vorgeburtliche<br />

Tötung ungeborener Kinder<br />

zerstört den Frieden in den Partnerschaften,<br />

in den Familien, in der<br />

Gesellschaft.<br />

»Für mich sind die Nationen, die Abtreibung<br />

legalisiert haben, die ärmsten<br />

Länder. Sie fürchten die Kleinen,<br />

sie fürchten das ungeborene Kind. Und<br />

das Kind muss sterben, weil sie dies<br />

eine Kind nicht mehr haben wollen –<br />

nicht ein Kind mehr –, und das Kind<br />

muss sterben.« So Mutter Teresa damals<br />

in Oslo.<br />

Die Hilfsbereitschaft, die nun den Ukrainern<br />

erwiesen wird, zeigt: Wir schaffen<br />

das. Wir können unsere Hand ausstrecken<br />

nach den Ärmsten unter uns.<br />

Eines Tages werden das auch die Ungeborenen<br />

sein – arbeiten wir gemeinsam<br />

daran.<br />

Ihnen und Ihren Lieben ein gesegnetes<br />

Osterfest!<br />

Ihre<br />

Cornelia Kaminski<br />

Bundesvorsitzende der <strong>ALfA</strong> e.V.<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

3


TITELTHEMA<br />

Von wegen<br />

sanft und sicher<br />

Vorgeburtliche Kindstötungen per Abtreibungspille, die zuhause eingenommen wird, liegen<br />

im Trend. Ihre Zahl steigt rapide. Und das nicht erst seit der COVID-19-Pandemie.<br />

Ignoriert werden dabei zahlreiche Risiken. Fakt ist: Frauen, die auf diese Weise ein Kind<br />

abtreiben, haben ein um 53 Prozent erhöhtes Risiko, in der Notaufnahme zu landen.<br />

Von Cornelia Kaminski<br />

Zu dem nahezu unaufgebbaren<br />

Repertoire der Abtreibungsbefürworter<br />

gehört die Aussage,<br />

von Ärzten durchgeführte Abtreibungen<br />

seien notwendig, um Frauen vor<br />

schweren gesundheitlichen Schäden<br />

durch heimlich durchgeführte Abtreibungen<br />

zu bewahren. Solche Abtreibungen<br />

seien sicher, stellten keinerlei<br />

Risiko für die betroffenen Frauen dar,<br />

sondern seien vielmehr wesentlich weniger<br />

riskant als Schwangerschaft und<br />

Geburt. Deswegen seien sie unbedingt<br />

als Gesundheitsfürsorge zu betrachten.<br />

Frankreichs Präsident Emmanuel<br />

Macron verstieg sich gar zu Beginn<br />

der französischen Ratspräsidentschaft<br />

im Januar zu der Aussage, sie gehörten<br />

in die Grundrechtecharta der Europäischen<br />

Union.<br />

Eine medizinische Leistung, die zwei<br />

Menschen betrifft, die aber nur dann als<br />

erfolgreich betrachtet wird, wenn in ihrer<br />

Folge einer der beiden Menschen<br />

4 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


TITELTHEMA<br />

tot und der andere nicht geheilt oder<br />

genesen, sondern im besten Fall ohne<br />

weitere Schäden davongekommen ist,<br />

kann selbstverständlich niemals als Gesundheitsleistung<br />

gelten. Und zusehends<br />

muss die Frage gestellt werden, ob für<br />

die überlebende Person diese Behandlung<br />

tatsächlich so harmlos ist, wie gemeinhin<br />

dargestellt wird.<br />

In Deutschland wurden im Jahr 2020<br />

knapp 99.948 Abtreibungen durchgeführt,<br />

28.953 von ihnen mittels chemischer<br />

Präparate. In den USA sind es<br />

mehr als 50 Prozent der knapp 900.000<br />

Abtreibungen, die jedes Jahr auf diese<br />

Weise durchgeführt werden. 2001 waren<br />

es nur fünf Prozent. Sowohl der<br />

chirurgische Eingriff als auch die nun<br />

immer häufiger durchgeführte chemische<br />

Abtreibung sind ein massiver gesundheitlicher<br />

Eingriff für Frauen, der<br />

nicht verharmlost werden sollte. Diese<br />

Verharmlosung fing im Rahmen der<br />

Pandemie an, als Frauen in Deutschland<br />

nicht mehr persönlich zum Beratungsgespräch<br />

erscheinen mussten,<br />

und erreichte in den USA und England<br />

den traurigen Höhepunkt, als es<br />

dort möglich wurde, sich das Abtreibungsmittel<br />

per Post zusenden zu lassen.<br />

Die Ausnahmeregelung, die auch<br />

in den USA in Corona-Zeiten eingeführt<br />

wurde, wurde von der FDA Mitte<br />

Dezember 2021 zur Dauerregelung<br />

erklärt. In England wurde diese Regelung<br />

für weitere sechs Monate verlängert<br />

und gilt nun bis Ende August dieses<br />

Jahres, soll dann aber fallen.<br />

Die Verlagerung der Abtreibung aus<br />

der Klinik in das traute Heim ist ein<br />

sehr strategischer Schritt der Abtreibungsindustrie<br />

und hat das Potenzial,<br />

viel mehr Leben aufs Spiel zu setzen.<br />

Es macht die Sache einfacher und bequemer<br />

– vor allem natürlich für die abtreibenden<br />

Ärzte. Auch in Deutschland.<br />

Das zeigt ein Bericht des Bayerischen<br />

Rundfunks vom 26. Januar <strong>2022</strong>. Er erzählt,<br />

wie ein Ehepaar, im Beitrag Tom<br />

und Lena genannt, sich dagegen entscheidet,<br />

»das Kind zu behalten«. Weil<br />

es in der näheren Umgebung keine Abtreibungsärzte<br />

gibt, die eine chemische<br />

Abtreibung anbieten, wendet sich das<br />

Paar an das Berliner Familienplanungszentrum<br />

»Balance«, das ihnen die Abtreibungspille<br />

mit dem Wirkstoff Mifepristol<br />

per Post nach Hause sendet. Im<br />

Beisein ihres Ehemannes Tom schluckt<br />

Lena die erste Pille. Per Tablet zugeschaltet<br />

ist die Abtreibungsärztin im<br />

600 km entfernten Berlin.<br />

Mit der Patientin hat die Berliner<br />

Ärztin wenig zu tun. Alle Gespräche<br />

mit Lena hat sie online geführt. Dass<br />

dabei ein vertrauensvolles Verhältnis<br />

aufgebaut werden kann, ist zumindest<br />

zu bezweifeln. Eine gründliche körperliche<br />

Untersuchung kann natürlich gar<br />

nicht stattfinden. Wer übernimmt aber<br />

dann die Verantwortung, wenn bei der<br />

Abtreibung was schiefgeht?<br />

So müsste beispielsweise bestimmt<br />

werden, in welcher Schwangerschaftswoche<br />

die Frau sich befindet – manche<br />

zählen ab Empfängnis, Frauenärzte<br />

aber ab Ausbleiben der letzten Regel.<br />

Das ist wichtig, weil in Deutschland<br />

eine chemische Abtreibung nur<br />

bis zur neunten Schwangerschaftswoche<br />

erlaubt ist. Danach wird es für die<br />

Frau immer gefährlicher, da der Embryo<br />

schon größer, der Mutterkuchen<br />

schon weiterentwickelt ist und es somit<br />

auch zu immer heftigeren Blutungen<br />

kommt. Zudem sollte eine Ultraschalluntersuchung<br />

feststellen, dass es<br />

sich nicht um eine Eileiterschwangerschaft<br />

handelt, die mittels Mifepristol<br />

nicht abgetrieben werden kann, sondern<br />

in der Regel einen chirurgischen<br />

Eingriff erforderlich macht.<br />

Das Risiko für die abtreibungswillige<br />

Frau wächst ebenso wie ihre Eigenverantwortung,<br />

beides sinkt für den Abtreibungsarzt.<br />

Alles, was er tun muss,<br />

ist, ein paar Formulare zu unterschreiben,<br />

ein paar Pillen zu bestellen und ein<br />

Das Charlotte Loizer Institute mit Sitz in Arlington im US-Bundesstaat Virginia<br />

paar Minuten damit zu verbringen, mit<br />

der Kundin online zu reden. In diesem<br />

Gespräch wird er zwar die relevanten<br />

medizinischen Fragen stellen, kann sie<br />

aber nicht durch einen persönlichen Eindruck<br />

oder gar eine körperliche Untersuchung<br />

überprüfen – er kann nicht einmal<br />

sicherstellen, dass die Person, mit<br />

der er redet, auch dieselbe ist, die dann<br />

mittels der bestellten Medikamente abtreiben<br />

wird. Was der Arzt braucht, um<br />

die Abtreibung einzuleiten, sind die Adresse<br />

der Frau und ihre Kreditkarteninformationen<br />

– kein Termin für einen<br />

Klinikbesuch, keine Frauen im Wartezimmer,<br />

keine klinische Untersuchung,<br />

kein Ultraschall, kein Nachsorgebesuch<br />

oder eine Untersuchung zur Bestätigung<br />

des Abschlusses der Abtreibung.<br />

Solche Abtreibungen können<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

5


TITELTHEMA<br />

ganz ohne eigene Praxis durchgeführt<br />

werden; allenfalls ein paar untergeordnete<br />

Klinikangestellte könnten hinzugezogen<br />

werden, um eine Hotline für<br />

die Frauen zu besetzen, die mit Problemen<br />

anrufen. Wenn aber diese Hotline<br />

über eine Distanz von 600 km geschaltet<br />

ist, bringt sie den betroffenen<br />

Frauen herzlich wenig – mehr, als sie in<br />

die nächste Notaufnahme zu schicken,<br />

können sie auch nicht leisten.<br />

Für eine Abtreibung kann ein Arzt<br />

350 bis 600 Euro in Rechnung stellen.<br />

In seinem Flyer macht das Familienplanungszentrum<br />

»Balance« in Berlin, das<br />

den telemedizinischen Abbruch anbietet,<br />

darauf aufmerksam, dass die Patientinnen,<br />

die dafür in die Praxis kommen,<br />

den Betrag in bar mitbringen sollen.<br />

Vermutlich genügt für die Telemedizin<br />

eine Sofortüberweisung oder<br />

PayPal. Für den Postversand von ein<br />

paar Tabletten und ein, zwei Telefonate<br />

sind 350 bis 600 Euro eine stolze<br />

Summe. Die eigentliche medizinische<br />

Leistung – Ultraschalluntersuchung,<br />

Feststellung der Schwangerschaftswoche<br />

– hat (hoffentlich) zuvor ein Kollege<br />

vor Ort erledigt, der dafür allerdings<br />

bei Kassenpatientinnen nur die<br />

EBM-Pauschale in Höhe von 112 Euro<br />

abrechnen darf. Und in dieser Betreuungspauschale<br />

sind auch alle Kosten<br />

für die Nachuntersuchungen enthalten.<br />

Die chemische Abtreibung per<br />

Telemedizin sei genauso sicher wie die<br />

chemische Abtreibung in der Arztpraxis,<br />

argumentiert die Berliner Ärztin<br />

im Beitrag des Bayerischen Rundfunks<br />

und zitiert eine entsprechende Studie.<br />

Schon der Ansatz der Studie ist jedoch<br />

falsch, weil sie sich lediglich mit<br />

der Wirkweise der chemischen Abtreibung<br />

befasst und zu dem Schluss<br />

kommt, dass die abtreibende Wirkung<br />

bei einer Abtreibung per Telemedizin<br />

Von wegen sanft und sicher: Die Abtreibungspille Mifegyne (vormals RU 486)<br />

die gleiche ist wie bei Verabreichung<br />

der Tabletten in der Arztpraxis. Warum<br />

auch sollte ein Medikament eine andere<br />

Wirkung entfalten, wenn es statt in<br />

der Praxis im heimischen Badezimmer<br />

eingeworfen wird? Die zusätzlichen Risiken<br />

entstehen durch den Einnahmeort,<br />

nicht den Wirkstoff.<br />

Ein ganz anderes Bild entsteht daher,<br />

wenn man die Hospitalisierungsraten<br />

und Notfallaufnahmen von Frauen, die<br />

während der Pandemie per Heimabtreibung<br />

abgetrieben haben, mit den Zahlen<br />

vor der Pandemie vergleicht. England<br />

und die USA haben ein Jahr Erfahrung<br />

mit solchen Heimabtreibungen.<br />

Zudem liegen Ergebnisse vom Charlotte<br />

Lozier Institute vor, das genau analysiert<br />

hat, wie sich die medikamentöse<br />

Abtreibung auf die Frauengesundheit<br />

auswirkt. Die Ergebnisse sind ernüchternd<br />

und erschütternd. Der Studienleiter<br />

James Studnicki, Public-Health-<br />

Experte und ehemals Forscher an der<br />

renommierten Johns Hopkins University,<br />

weist darauf hin, dass die Risiken<br />

mittlerweile zu einem ernsthaften Problem<br />

geworden sind. »Die Sicherheit<br />

chemischer Abtreibungen wird stark<br />

übertrieben. Tatsächlich stellt die zunehmende<br />

Dominanz chemischer Abtreibungen<br />

und ihr unverhältnismäßiger<br />

Beitrag zur Morbidität in der Notaufnahme<br />

eine ernsthafte Belastung<br />

aus Public-Health-Perspektive dar«,<br />

so Studnicki. Sein Fazit: Das Gesundheitssystem,<br />

insbesondere die Notaufnahmen,<br />

werde durch die gesundheitlichen<br />

Risiken der chemischen Abtreibung<br />

deutlich belastet.<br />

Grundlage für die Studie des Charlotte<br />

Lozier Institute, die im Fachjournal<br />

»Health Services Research and Managerial<br />

Epidemiology« publiziert wurde,<br />

sind Daten aus 17 US-Bundesstaaten.<br />

Analysiert wurden 423.000 Abtreibungen,<br />

die Frauen mit Anspruch auf<br />

Kostenübernahme durch die staatliche<br />

Medicaid-Versicherung haben durchführen<br />

lassen.<br />

Das Ergebnis: Insgesamt steigt die<br />

Zahl der Notaufnahmen nach Abtreibungen.<br />

Zwischen 2002 und 2015 stieg<br />

die Rate der Notaufnahmen nach chemischer<br />

Abtreibung jedoch um mehr<br />

als 500 Prozent, bei chirurgischen Abtreibungen<br />

lediglich um 315 Prozent.<br />

Im selben Zeitraum war der Anteil chemischer<br />

Abtreibungen in dieser Gruppe<br />

von anfangs 4,4 Prozent auf 34,1 Prozent<br />

gestiegen. Schwere Blutungen, eine<br />

unvollständige Abtreibung des Fetus,<br />

Infektionen nach dem Abort sowie<br />

Wechselwirkungen aufgrund von<br />

Vorerkrankungen, die ärztlich nicht<br />

vorab abgeklärt wurden, führen zu besorgniserregenden<br />

Gesundheitszuständen.<br />

Im Vergleich zu chirurgischen Abtreibungen<br />

haben Frauen innerhalb<br />

von 30 Tagen nach dem Eingriff ein<br />

um 53 Prozent erhöhtes Risiko, wegen<br />

der Abtreibung in der Notaufnahme<br />

zu landen. Frauen, die innerhalb<br />

eines Jahres ein zweites Mal abtreiben,<br />

landen dort gar doppelt so häufig.<br />

Als problematisch erachten die Forscher<br />

des Charlotte Lozier Institute es<br />

auch, dass die abtreibungsbedingten<br />

Notaufnahmen in über 60 Prozent der<br />

Fälle falsch codiert wurden. Den Hinweis,<br />

dass Frauen bei Komplikationen<br />

6 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


TITELTHEMA<br />

dem Arzt gegenüber eine medikamentöse<br />

Abtreibung auch als Fehlgeburt<br />

bezeichnen könnten – Ärzte könnten<br />

den Unterschied nicht feststellen –, hat<br />

»Women on Web« in einem Video, in<br />

dem sie für die Abtreibungspille werben,<br />

gegeben. Dr. Donna Harrison, Co-<br />

Autorin der Studie, hat dafür keinerlei<br />

Verständnis: »Den behandelnden Ärzten<br />

nicht mitzuteilen, dass es sich um<br />

eine Abtreibungskomplikation handelt,<br />

kann durchaus fatal sein. So hat<br />

eine Frau nach einer chemischen Abtreibung<br />

immer noch einen positiven<br />

Schwangerschaftstest – das kann beispielsweise<br />

dazu führen, dass Ärzte sie<br />

in den OP schieben, um dort per Not-<br />

OP eine vermutete Eileiterschwangerschaft<br />

zu beseitigen. Außerdem können<br />

Abtreibungspräparate das Immunsystem<br />

unterdrücken, was zu schweren Infektionen<br />

führen kann. Wenn der Arzt<br />

das nicht weiß, wird er auf die möglicherweise<br />

subtilen Hinweise hierauf<br />

nicht achten.«<br />

In Großbritannien ist die Lage nicht<br />

besser. Seit April 2020 können dort Frauen<br />

die komplette Abtreibung zuhause<br />

durchführen – ohne ärztliche Überwachung.<br />

Die Abgeordnete Carla Lockhart<br />

von der Democratic Unionist Party<br />

aus Nordirland sieht hierin einen Bärendienst<br />

an den Frauen. Abtreibungsanbieter<br />

könnten nicht sicherstellen,<br />

dass die Pillen tatsächlich innerhalb der<br />

möglichen Frist eingenommen würden,<br />

schreibt sie in einem Beitrag für die Parlamentspublikation<br />

»The House« und<br />

zitiert eine E-Mail des National Health<br />

Service (NHS), die an die Öffentlichkeit<br />

gelangte. Darin ist von rupturierten Eileiterschwangerschaften,<br />

Reanimationen<br />

nach massivem Blutverlust, Abtreibungen<br />

im weit fortgeschrittenen Schwangerschaftsstadium<br />

und sogar Mord die<br />

Rede – in diesem Fall erfolgte die Abtreibung<br />

so spät, dass das Kind überlebte<br />

und anschließend getötet wurde.<br />

Die Abgeordnete zitiert eine Krankenschwester<br />

des NHS mit den Worten:<br />

»Es ist nicht zu fassen, dass Großbritannien<br />

mit all seiner Forschung diese<br />

Heimabtreibungen gutheißt. Es fühlt<br />

sich an, als machten wir einen Schritt<br />

zurück, und die Pandemie ist nun eine<br />

Entschuldigung dafür, dass wir Frauen<br />

nicht mehr mit dem gebührenden Respekt<br />

behandeln.«<br />

Die offiziellen Daten von fünf NHS-<br />

Ambulance-Trusts (Organisationen,<br />

die Krankentransporte in England und<br />

Wales anbieten), die 55 Prozent der Gesamtbevölkerung<br />

Englands abdecken,<br />

zeigen, dass im Jahr 2020 639 Frauen<br />

vom Rettungsdienst ins Krankenhaus<br />

gebracht werden mussten. Gegenüber<br />

dem Vergleichszeitraum von 2019 wurden<br />

in Großbritannien 30.000 mehr medikamentöse<br />

Abtreibungen durchgeführt<br />

– 67 Prozent davon waren komplette<br />

»at-home-abortions«. Ein weiterer<br />

Umstand macht Lockhart Sorge:<br />

Die Telefonkonsultation könne nicht<br />

sicherstellen, dass die Frauen tatsächlich<br />

während des Gesprächs allein sind<br />

und freiwillig um die Abtreibungspillen<br />

bitten, und sie zitiert eine Studie, der<br />

zufolge sieben Prozent der britischen<br />

Frauen bereits zu einer Abtreibung gezwungen<br />

worden seien.<br />

Man sollte meinen, dass diese Informationen<br />

dazu führen, Heimabtreibungen<br />

schnellstmöglich zu verbieten. Das<br />

Forscherteam des Charlotte Lozier Institute<br />

hatte die Ergebnisse seiner Untersuchungen<br />

noch im November 2021<br />

publiziert und an die amerikanische Gesundheitsbehörde<br />

FDA appelliert, diese<br />

bei der Risikobewertung medikamentöser<br />

Abtreibungen zu berücksichtigen.<br />

Leider vergeblich: Trotz der eindeutigen<br />

Datenlage und der daraus folgenden<br />

Hinweise darauf, dass chemische<br />

Abtreibungen zunehmend zu einem Gesundheitsrisiko<br />

für Frauen und einem<br />

Risiko für das öffentliche Gesundheitswesen<br />

insgesamt werden, hat die FDA<br />

diese Daten ignoriert und Heimabtreibungen<br />

zu einer regelhaften medizinischen<br />

Leistung werden lassen.<br />

Die deutschsprachige Webseite der Abtreibungsorganisation »Women on web«<br />

Auch hierzulande scheint die Tendenz<br />

dahin zu gehen, Abtreibungen zusehends<br />

aus der Hand des Arztes herauszunehmen<br />

und allein in die Hand<br />

der abtreibungswilligen Frau zu übergeben.<br />

Einerseits, weil es immer weniger<br />

Ärzte gibt, die ungeborene Kinder<br />

töten möchten, andererseits, weil es für<br />

die Ärzte, die das dann noch machen,<br />

sehr viel einfacher ist.<br />

Das Hauptargument der Abtreibungslobby<br />

ist stets, dass Frauen ohnehin<br />

abtreiben, und wenn es nicht legal<br />

ist, dann machen sie es selbst mit<br />

unsicheren Methoden und gefährden so<br />

ihre Gesundheit. Es ist unfassbar, dass<br />

dieselben Personen es nun gutheißen,<br />

dass Frauen Pillen für die Heimabtreibung<br />

nach Hause geschickt werden, und<br />

sie dabei gravierende gesundheitliche<br />

Risiken bis hin zu tödlichen Verläufen<br />

billigend in Kauf nehmen.<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

7


TITELTHEMA<br />

NEW AFRICA/STOCK.ADOBE.COM<br />

»Viele stehen<br />

unter Schock«<br />

Abtreibung in den heimischen vier Wänden mittels chemischer Präparate wie Mifepriston, das<br />

unter dem Handelsnamen »Mifegyne« erhältlich ist, haben während der Pandemie in vielen<br />

Ländern deutlich zugenommen. Im Normalfall setzt diese chemische Abtreibung mehrere<br />

Arztbesuche voraus. Mittlerweile ist es jedoch auch in Deutschland möglich, die Tabletten per Post<br />

zu bestellen. Mit dem Gynäkologen Dr. Michael Kiworr und mit Natalie Bayer-Metzler, Krankenschwester<br />

und Schwangerschaftsberaterin aus Vorarlberg, sprach für »LebensForum« Cornelia<br />

Kaminski über die Abgabepraxis des Medikaments in Deutschland und Folgen für die Frauen.<br />

Herr Dr. Kiworr, wie sind die Rahmenbedingungen<br />

für eine chemische Abtreibung<br />

in Deutschland?<br />

Dr. Michael Kiworr: Es sind mindestens<br />

drei Arztbesuche bei einem dafür<br />

zugelassenen Arzt erforderlich. Wenn<br />

es zu stärkeren Blutungen oder zu einer<br />

nicht vollständigen Ausstoßung kommt,<br />

muss er auch eine operative Abtreibung<br />

durchführen können. Es wird geprüft,<br />

ob es drei Tage Bedenkfrist nach der<br />

Beratung für die Frau gab. Erst dann<br />

kann mit der Abtreibung begonnen<br />

werden. Zunächst wird untersucht, ob<br />

überhaupt eine Schwangerschaft vorliegt.<br />

Eine Schwangerschaftsfeststellung<br />

durch Urin ist nämlich sehr ungenau. Es<br />

muss dringend festgestellt werden, ob<br />

eine Eileiterschwangerschaft vorliegt.<br />

Und natürlich wird geschaut, ob Kontraindikationen<br />

gegenüber den Medikamenten<br />

vorliegen, zum Beispiel Leber-<br />

oder Nierenerkrankungen.<br />

8 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


TITELTHEMA<br />

Ganz wichtig ist, dass der Rhesusfaktor<br />

der Frau überprüft werden muss.<br />

Dann wird aufgeklärt und beraten, auch<br />

über mögliche Nebenwirkungen und darüber,<br />

wie die weiteren Kontrollen aussehen.<br />

Wenn etwa bei der Frau Rhesus-<br />

Negativität vorliegt und das ungeborene<br />

Kind Rhesus-positiv ist, dann kann<br />

die Mutter Antikörper gegen Rhesuspositives<br />

Blut bilden – das kann bei der<br />

nächsten Schwangerschaft fatal sein. Es<br />

kann schwerste Folgen wie Fehlbildungen<br />

des Kindes oder eine Totgeburt mit<br />

sich bringen. Es gilt daher als medizinischer<br />

Kunstfehler, dies bei Schwangerschaften<br />

zu übersehen.<br />

Beim ersten Arztbesuch wird die Tablette<br />

Mifegyne unter Aufsicht eingenommen.<br />

Der zweite Besuch erfolgt ca.<br />

38 Stunden später. Mifegyne bewirkt,<br />

dass der Embryo abgetötet wird. Aber<br />

er muss dennoch geboren werden. Daher<br />

wird daraufhin das zweite Medikament<br />

eingenommen, Cytotec, was in der<br />

Gebärmutter Kontraktionen hervorruft<br />

und eine Erweichung des Muttermundes<br />

verursacht, damit das Kind ausgestoßen<br />

werden kann. Das geschieht unter ärztlicher<br />

Aufsicht über mehrere Stunden,<br />

weil es bei der Ausstoßung zu schweren<br />

Blutungen kommt. Dabei muss beobachtet<br />

werden, ob die Blutungen wieder<br />

zurückgehen, ob die Patientin die Prozedur<br />

verträgt und wie es ihrem Kreislauf<br />

geht. Nicht in allen Fällen erfolgt<br />

die Ausstoßung sofort. Manchmal geschieht<br />

es auch erst zuhause.<br />

Beim dritten Arztbesuch, nach zwei<br />

Wochen ungefähr, wird kontrolliert,<br />

ob die Abtreibung vollständig erfolgt<br />

ist oder ob Reste zurückgeblieben sind,<br />

ob es noch Blutungen gibt und ob das<br />

Schwangerschaftshormon zurückgeht.<br />

Das sind alles Untersuchungen, die dazu<br />

dienen, zu prüfen, ob noch eine operative<br />

Ausschabung gemacht werden<br />

muss.<br />

Die Weltgesundheitsorganisation WHO<br />

legt die Grenze für Abtreibungen mit<br />

Mifegyne in die zwölfte Schwangerschaftswoche.<br />

Deutsche Ärzte ziehen<br />

die Grenze aber schon bei der neunten<br />

Schwangerschaftswoche. Warum wird<br />

die Frist in Deutschland enger gesetzt?<br />

Der Grund ist, je später man es macht,<br />

desto höher ist das Risiko, dass doch Reste<br />

zurückbleiben, die dann zu einer Infektion<br />

führen können. Es ist trotzdem<br />

manchmal eine Ausschabung notwendig<br />

oder es kommt zu stärkeren Blutungen,<br />

die ohne operativen Eingriff nicht aufhören.<br />

Und manchmal gehen die Zählweisen<br />

der Schwangerschaftswochen<br />

durcheinander. Die juristischen Texte<br />

und auch die Embryologie sprechen<br />

vom ersten Lebenstag des Kindes. Sie<br />

rechnen also nach der Empfängnis (post<br />

conceptionem). Aber für uns Frauenärzte<br />

ist es der erste Tag der letzten Periode<br />

(post menstruationem), ab dem gerechnet<br />

wird. Zwischen diesen beiden<br />

Zählweisen liegen zwei Wochen.<br />

Worauf muss man bei der Einnahme<br />

von Mifegyne achten? Und wie gefährlich<br />

ist tatsächlich die Abtreibung zuhause<br />

mit einem solchen chemischen<br />

Präparat?<br />

Jedes Medikament hat seine Nebenwirkungen,<br />

auch wenn sie selten sind.<br />

Das muss man auch immer im richtigen<br />

Kontext sehen. Daher ist die Anamnese<br />

so wichtig. Für jemanden, der<br />

bereits Asthma hat, kann es lebensgefährlich<br />

sein, das falsche Präparat einzunehmen.<br />

Jemand, der vorher schon<br />

an Leber oder Nieren erkrankt war, für<br />

den kann es auch problematisch werden.<br />

Oder, wenn man eine nicht erkannte<br />

Blutungsstörung hat, dann kann die<br />

Blutung, die immer kommt, deutlich<br />

stärker sein. Und es gab auch Fälle, in<br />

Stand Rede und Antwort: Der Mannheimer Gynäkologe Dr. Michael Kiworr<br />

denen so starke Blutungen aufgetreten<br />

sind, dass es eine Bluttransfusion gebraucht<br />

hat. Deswegen findet die Einnahme<br />

unter Beobachtung statt, wie bei<br />

anderen Medikamenten auch. Da muss<br />

man schon genau schauen. Was immer<br />

vorkommt, sind Blutungen, denn der<br />

Embryo muss ja auch geboren werden.<br />

Eine solche Abtreibung ist automatisch<br />

mit einer Blutung verbunden, und diese<br />

Blutung kann auch manchmal sehr, sehr<br />

schwer sein. Und man darf keine Eileiterschwangerschaft<br />

übersehen. Manchmal<br />

überdenken Frauen ihre Entscheidung<br />

auch, und sobald es stärker blutet,<br />

sind nicht wenige Frauen verunsichert.<br />

Man sieht in Krankenhäusern vermehrt,<br />

dass die Frauen nicht zu den<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

9


TITELTHEMA<br />

Sprechstundenzeiten des abtreibenden<br />

niedergelassenen Arztes kommen,<br />

sondern nachts oder am Wochenende.<br />

Und nicht wenige sagen, dass sie sich<br />

das so gar nicht vorgestellt hatten. Sie<br />

wissen nicht, dass es so stark bluten<br />

sie zur Abtreibung gedrängt wurden.<br />

Häufig bedauern die Frauen, dass sie<br />

nicht auf ihr Herz gehört haben. Die<br />

Abtreibung zieht sich dann mit der Pille<br />

über die verschiedenen Tage hinweg<br />

und diese Zeitspanne empfinden<br />

die meisten Frauen als sehr grausam.<br />

Häufig realisieren die Frauen dann<br />

erst im Nachhinein, dass ihr Kind in<br />

ihrem eigenen Leib stirbt, und dieser<br />

Prozess des Todes wird als schreckliche<br />

Erfahrung von den Frauen wahrgenommen.<br />

Viele Frauen klagen über<br />

sehr starke Blutungen und Schmerzen<br />

und je nach Schwangerschaftswoche,<br />

also wie weit die Schwangerschaft<br />

ist, sehen die Frauen dann das<br />

tote Kind im Fruchtsack. Viele stehen<br />

unter Schock und spülen in diesem<br />

Schreck das Kind ins WC. Diese unveränderbare<br />

Tatsache, das Kind ins<br />

WC gespült zu haben, wird von vielen<br />

als schwere traumatische Erfahrung<br />

wahrgenommen. Es gibt auch<br />

Frauen, die versuchen, ihr Kind aufzufangen.<br />

Sie sind meistens sehr überrascht,<br />

wie weit ihr Kind bereits entwickelt<br />

ist. In der neunten Schwangerschaftswoche<br />

ist das Kind bereits<br />

zwei Zentimeter groß.<br />

Wie sind Ihre Erfahrungen mit Frauen,<br />

die chemisch abgetrieben haben?<br />

Natalie Bayer-Metzler begleitet Frauen in Schwangerschaftskonflikten<br />

kann und dass womöglich doch eine<br />

Ausschabung notwendig sei. Da gibt<br />

es eine große Unsicherheit.<br />

Natalie Bayer-Metzler begleitet schon<br />

seit 15 Jahren Frauen im Schwangerschaftskonflikt<br />

und hat bereits mit vielen<br />

Frauen gesprochen, die die Abtreibungspille<br />

eingenommen haben. In<br />

jedem Lockdown steigt die Zahl der<br />

Frauen, die nach Einnahme der Abtreibungspille<br />

anrufen, deutlich an. Frau<br />

Bayer-Metzler, wie erleben Sie diese<br />

Frauen?<br />

Natalie Bayer-Metzler: Ja, es gibt<br />

natürlich verschiedene Beweggründe,<br />

die Frauen zur Einnahme der Abtreibungspille<br />

veranlassen. Viele machen<br />

sich die Entscheidung abzutreiben<br />

nicht leicht. Etliche Frauen sagen, dass<br />

Ich habe ziemlich viel Erfahrung, weil<br />

ich beinahe täglich mit diesen Frauen<br />

im Kontakt bin. Ab dem Zeitpunkt,<br />

wenn die Frauen realisieren, dass die<br />

Abtreibung im Gange ist, sprechen<br />

sie wirklich von ihrem Kind und nicht<br />

vom Zellklumpen. Und in dem Zusammenhang<br />

würde ich gerne von<br />

einer Erfahrung erzählen. Eine Frau<br />

hat mir vor ein paar Tagen gesagt, sie<br />

habe sich eingeredet, dass es für das<br />

Kind besser ist, wenn es nicht geboren<br />

wird. In dieser Lüge hat sie die<br />

Pille geschluckt und sie sagt, in der<br />

Nacht danach wurde sie von schrecklichen<br />

Panikattacken und Schmerzen<br />

gequält. Das Kind abzutreiben, empfindet<br />

sie als den größten Fehler ihres<br />

Lebens. Und sie sagt, sie würde<br />

am liebsten ihr Leben für das Leben<br />

ihres Kindes geben. Ich denke, diese<br />

Seelenqual bringt deutlich zum Ausdruck,<br />

wie traumatisierend für Frauen<br />

dieser Prozess der Abtreibung ist,<br />

weil sie es wirklich miterleben. Sie sehen<br />

es, wenn die Blutungen kommen,<br />

sie sehen das tote Kind im Fruchtsack,<br />

und damit muss man psychisch<br />

erstmal fertig werden. Das ist Wahnsinn.<br />

Weitere Infos<br />

Weitere Informationen zu den<br />

Themen in diesem LebensForum<br />

finden Sie hier.<br />

Alternativ können Sie auch die<br />

Adresse https://www.alfa-ev.de/<br />

hintergrundinfos-zum-aktuellenlebensforum/<br />

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10 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


TITELTHEMA<br />

Abtreibung umkehren?<br />

Der britische Arzt Dr. Dermot Kearney darf wieder Behandlungen durchführen, die das Ziel<br />

verfolgen, eine bereits begonnene Abtreibung mit der Abtreibungspille Mifegyne zu stoppen<br />

und das Leben des Kindes zu retten. Das entschied jetzt das General Medical Council.<br />

Von Maria Witzel<br />

Bei manchen Frauen ist die Verzweiflung<br />

nach Einnahme der<br />

ersten Pillen, die die chemische<br />

Abtreibung einleiten, so groß, dass sie<br />

wünschten, sie könnten es ungeschehen<br />

machen. Eine solche »Umkehrbehandlung«<br />

bietet der englische Arzt Dr. Dermot<br />

Kearney an. Sie war ihm jedoch untersagt<br />

worden, nachdem ein im Vereinigten<br />

Königreich tätiger Abtreibungsanbieter<br />

eine Beschwerde eingereicht<br />

hatte. Kearney selbst ist Kardiologe.<br />

HTTPS://WWW.YOUTUBE.COM/WATCH?V=4EOV6VM6BXA<br />

ausstellte. Dies war ihm seit Mai 2021<br />

jedoch untersagt worden.<br />

Die Untersuchung des General Medical<br />

Council wurde von einem unabhängigen<br />

Experten durchgeführt. Er kam<br />

zu dem Schluss, dass die Umkehrbehandlung<br />

das Risiko einer Missbildung<br />

oder Schädigung des ungeborenen Kindes<br />

nicht erhöhe und auch nicht zu Gesundheitsschäden<br />

bei den behandelten<br />

Frauen führe. Diese berichteten zwar<br />

über Blutungen, deren Ursache sei jedoch<br />

eher auf die Wirkung des Abtreibungsmittels<br />

zurückzuführen als auf das<br />

verabreichte Progesteron. Kearney sagt<br />

aus, der Erfolg der Umkehrbehandlung<br />

hänge davon ab, wie viel Zeit bereits seit<br />

der Einnahme von Mifepriston vergangen<br />

sei. Er selbst gibt an, er habe bei 50<br />

bis 55 Prozent der behandelten Frauen<br />

die Schwangerschaft erhalten können,<br />

und spricht von 32 geborenen, gesunden<br />

Babys. Seit dem 7. März <strong>2022</strong><br />

darf Kearney die Umkehrbehandlungen<br />

wieder durchführen.<br />

Info<br />

Darf wieder »Umkehrbehandlungen« anbieten: Dr. Dermot Kearney<br />

Die Bezeichnung »Umkehrbehandlung«<br />

rührt daher, dass die Wirkung des<br />

ersten der beiden Medikamente, die<br />

bei einer chemischen Abtreibung zum<br />

Einsatz kommen, umgekehrt wird. Das<br />

Hormon Progesteron hält die Schwangerschaft<br />

aufrecht, es wird durch Mifepriston<br />

blockiert. Auf diese Weise wird<br />

die Versorgung des Embryos gestoppt,<br />

so dass er stirbt. Gibt man Frauen hohe<br />

Dosen von Progesteron oral oder intravenös,<br />

so kann die Wirkung von Mifepriston<br />

neutralisiert werden.<br />

Gegen diese Behandlungsmethode<br />

hatte Jonathan Lord, Direktor des Abtreibungsanbieters<br />

Mary Stopes International,<br />

Beschwerde beim General Medical<br />

Council (GMC) eingelegt. Das GMC ist<br />

für die Zulassung und Regulierung von<br />

Ärzten im Vereinigten Königreich zuständig.<br />

Beschwerdegrund war die Annahme,<br />

dass die Behandlung ein Gesundheitsrisiko<br />

für die Frauen darstelle und nicht sicher<br />

sei. Zudem gebe es keinen Beweis<br />

dafür, dass sie überhaupt funktioniere.<br />

Informationen über die Umkehrbehandlung<br />

werden von einer amerikanischen<br />

Lebensrechtsorganisation<br />

– Heartbeat International – verbreitet.<br />

Frauen aus Großbritannien, die die<br />

Behandlung in Anspruch nehmen wollten,<br />

wurden von Heartbeat International<br />

an Dr. Kearney verwiesen, der seit<br />

Juni 2020 die entsprechenden Rezepte<br />

Die Studienlage für Abtreibungsumkehrbehandlungen<br />

ist dürftig.<br />

Befürworter verweisen auf eine<br />

Publikation aus 2018, veröffentlicht<br />

in »Issues in Law and Medicine«,<br />

der zufolge nach intramuskulärer<br />

Gabe von Progesteron 64<br />

Prozent, nach oraler Gabe 68 Prozent<br />

der Abtreibungen gestoppt<br />

werden konnten, sofern das Medikament<br />

innerhalb von 72 Stunden<br />

nach Einnahme von Mifepriston<br />

verabreicht wird.<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

11


BIOETHIK-SPLITTER<br />

Frankreich verlängert<br />

Frist für Abtreibungen<br />

Paris (<strong>ALfA</strong>). Die französische Nationalversammlung<br />

hat die Verlängerung<br />

der gesetzlichen Abtreibungsfrist von<br />

12 auf 14 Wochen beschlossen. Das berichtet<br />

die katholische Wochenzeitung<br />

»Die Tagespost«. Demnach stimmten<br />

Anfang März in dritter und letzter Lesung<br />

135 Abgeordnete für das Gesetzesvorhaben<br />

aus der Feder der grünen Abgeordneten<br />

Albane Gaillot. 47 stimmten<br />

dagegen.<br />

Wie die Zeitung weiter meldet, war<br />

der Gesetzesentwurf zuvor zweimal im<br />

Senat gescheitert. Eine Vermittlungskommission<br />

habe keine gemeinsame Lösung<br />

beider Parlamentskammern erarbeiten<br />

können.<br />

Zudem erlaube das Gesetz erstmals<br />

nun auch Hebammen, chirurgische Abtreibungen<br />

durchzuführen. Seit 2016<br />

dürfen Hebammen in Frankreich chemische<br />

Abtreibungen mit der Abtreibungspille<br />

»Mifygene« überwachen.<br />

Ersatzlos gestrichen worden sei auch<br />

die gesetzlich vorgesehene Mindestfrist<br />

von 48 Stunden, die bis dato zwischen<br />

einer psychosozialen Beratung und der<br />

Vereinbarung eines Abtreibungstermins<br />

liegen musste. In einer früheren Fassung<br />

sah der Gesetzesvorschlag zudem vor,<br />

den Gewissensvorbehalt für Ärzte und<br />

medizinisches Personal zu streichen.<br />

Die entsprechende Passage sei jedoch<br />

im November aus dem Gesetz gestrichen<br />

worden.<br />

Wie die Zeitung weiter schreibt, sei<br />

am 20. Februar <strong>2022</strong> per Dekret zudem<br />

die Frist für eine chemische Abtreibung<br />

von fünf auf sieben Wochen heraufgesetzt<br />

worden. Ärzte in Frankreich<br />

können ein entsprechendes Rezept im<br />

Rahmen einer Onlinesprechstunde verschreiben.<br />

Abtreibungswille Schwangere<br />

können sich damit das für das Kind tödliche<br />

Präparat in einer Apotheke aushändigen<br />

lassen, womit die vormals obligatorische<br />

Einnahme in Gegenwart eines<br />

Arztes entfalle. Die erste Lesung zum<br />

Gesetz »Gaillot« fand im Oktober 2020<br />

statt. Damals erklärte Gaillot: »Ich bin<br />

von zahlreichen Frauen und von Planned<br />

Parenthood auf den durch die CO-<br />

VID-19-Epidemie erschwerten Zugang<br />

zu Abtreibungen aufmerksam gemacht<br />

worden.« Beim diesjährigen »Marsch<br />

für das Leben« demonstrierten am 16.<br />

Januar rund 20.000 Menschen in Paris<br />

gegen den Gesetzesvorschlag. reh<br />

USA: Florida verschärft<br />

Abtreibungsgesetz<br />

Tallahassee (<strong>ALfA</strong>). Der US-Bundesstaat<br />

Florida hat ein Gesetz erlassen,<br />

das vorgeburtliche Kindstötung nach<br />

der 15. Schwangerschaftswoche weitgehend<br />

verbietet. Ausnahmen sieht das<br />

Gesetz in Fällen vor, in denen das Leben<br />

der Mutter durch die Fortsetzung<br />

der Schwangerschaft gefährdet wird, sowie<br />

in solchen, in denen das ungeborene<br />

Kind eine letale Anomalie aufweist.<br />

Nachdem der von Republikanern dominierte<br />

Senat des im Süden der USA gelegenen<br />

Bundesstaates das Gesetz Anfang<br />

März verabschiedete, benötigt es,<br />

um in Kraft zu treten, noch die Unterschrift<br />

des republikanischen Gouverneurs<br />

Ron DeSantis. Floridas Senatspräsident<br />

Wilton Simpson zeigte sich Medienberichten<br />

zufolge zufrieden. »Das<br />

erste Mal seit vielen Jahren haben wir<br />

ein Gesetz, von dem ich glaube, dass es<br />

der Supreme Court tolerieren wird«,<br />

zitiert »USA Today« Simpson. reh<br />

Keine Erstattung bei<br />

Verstoß gegen ESchG<br />

München (<strong>ALfA</strong>). Krankenkassen müssen<br />

sich nicht an den Kosten einer künstlichen<br />

Befruchtung beteiligen, wenn bei<br />

dieser die Vorschriften des deutschen<br />

Embryonenschutzgesetzes (ESchG)<br />

nicht eingehalten wurden. Dies gilt auch<br />

dann, wenn die Behandlung in einem<br />

EU-Mitgliedstaat durchgeführt wurde,<br />

in dem andere Vorschriften gelten.<br />

Das berichtet das Online-Portal des<br />

»Deutschen Ärzteblatts« unter Berufung<br />

auf eine Entscheidung des Sozialgerichts<br />

München.<br />

Geklagt hatte eine Frau, die sich aus<br />

medizinischen Gründen für eine künstliche<br />

Befruchtung entschieden und sie<br />

von einer deutschen Krankenkasse hatte<br />

genehmigen lassen. Die Behandlung<br />

JUAN GÄRTNER/STOCK.ADOBE.COM<br />

In-vitro-Fertilisation (IVF)<br />

ließ sie dann in einer Praxis in Österreich<br />

durchführen. Dabei wurden sieben<br />

Eizellen befruchtet, aus denen sich vier<br />

Embryonen entwickelten. Einer davon<br />

wurde der Frau eingepflanzt, die anderen<br />

für spätere Versuche konserviert.<br />

Die Krankenkasse lehnte eine Beteiligung<br />

an den Kosten dann allerdings ab,<br />

weil bei der Behandlung in Österreich<br />

mehr Eizellen befruchtet wurden, als<br />

vom deutschen Embryonenschutzgesetz<br />

erlaubt. Laut dem Gesetz dürfen<br />

nicht mehr Embryonen erzeugt werden,<br />

als der Patientin in einem Zyklus<br />

übertragen werden können. Üblicherweise<br />

sind dies ein oder zwei befruchtete<br />

Eizellen.<br />

Es sei zwar durchaus zulässig gewesen,<br />

dass die Klägerin die Behandlung<br />

in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen<br />

Union habe durchführen<br />

lassen, entschied das Gericht. Dass die<br />

Krankenkasse die Kosten dafür übernimmt,<br />

komme aber nur dann infrage,<br />

wenn der Eingriff auch nach deutschem<br />

Embryonenschutzgesetz erlaubt<br />

gewesen wäre.<br />

reh<br />

Sterbehelfer stellen<br />

Leistungsbilanz vor<br />

Berlin (<strong>ALfA</strong>). Die in Deutschland tätigen<br />

Sterbehilfeorganisationen haben in<br />

Berlin ihre »Leistungsbilanz« des vergangenen<br />

Jahres vorgelegt. Demnach<br />

begleitete 2021 allein der von Hamburgs<br />

Ex-Justizsenator Roger Kusch<br />

gegründete Verein »Sterbehilfe« (vormals:<br />

»Sterbehilfe Deutschland«) im<br />

vergangenen Jahr 129 Menschen in irgendeiner<br />

Weise bei einem Suizid. Darunter<br />

auch acht Menschen, die von dem<br />

Verein als »gesund« eingestuft wurden,<br />

12 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


BIOETHIK-SPLITTER<br />

sowie sieben, die den Angaben zufolge<br />

an einer psychischen Erkrankung litten.<br />

Die Deutsche Gesellschaft für humanes<br />

Sterben (DGHS) ermöglichte im selben<br />

Zeitraum 120 Menschen einen Suizid.<br />

Weiteren 97 Menschen verhalf eigenen<br />

Angaben zufolge die deutsche Sektion<br />

der Schweizer Sterbehilfeorganisation<br />

»Dignitas« zu einem Suizid. In Summe<br />

gehen damit 346 organisierte Selbsttötungen<br />

auf das Konto der Sterbehilfevereine.<br />

Alle drei Sterbehilfeorganisationen<br />

ermöglichten zudem sogenannte<br />

Doppelsuizide, bei denen Paare gemeinsam<br />

den Tod wählen.<br />

Moderiert wurde die Veranstaltung<br />

von der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs).<br />

Die Veranstaltung, die im Haus der Bundespressekonferenz<br />

stattfand, stand unter<br />

der Überschrift: »Zwei Jahre Karlsruher<br />

Urteil: Praktische Erfahrungen mit Sterbehilfe<br />

in Deutschland«. Geleitet wurde<br />

sie von der ehemaligen SPD-Finanzexpertin<br />

und gbs-Beirätin Ingrid Matthäus-Maier.<br />

Dabei warnte die 76-Jährige<br />

ihre ehemaligen Abgeordnetenkollegen<br />

vor einer gesetzlichen Neuregelung der<br />

Suizidhilfe und drohte mit einem erneuten<br />

Gang nach Karlsruhe.<br />

Mit seinem Urteil vom 26. Februar<br />

2020 hatte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts<br />

unter Vorsitz des<br />

damaligen Gerichtspräsidenten Andreas<br />

Voßkuhle ein »Recht auf selbstbestimmtes<br />

Sterben« gewissermaßen erfunden<br />

und in den Rang eines Quasi-<br />

Grundrechts erhoben. Dem Gesetzgeber<br />

überließen die Karlsruher Richter die<br />

Aufgabe, ein Schutzkonzept zu erarbeitet,<br />

das Menschen davor bewahren soll,<br />

von dem vom Ersten Senat gestifteten<br />

»Recht« bei psychischen Krisen oder<br />

in anderen Notsituationen unüberlegt<br />

und vorschnell Gebrauch zu machen.<br />

Bislang haben Abgeordnete des Deutschen<br />

Bundestages drei verschiedene<br />

Gruppenanträge für eine gesetzliche<br />

Neuregelung der Suizidhilfe vorgestellt.<br />

Wann diese im Bundestag debattiert<br />

werden, ist noch offen.<br />

Eine Arbeitsgruppe des Deutschen<br />

Ethikrats erarbeitet derzeit eine Stellungnahme<br />

des Rates zur Suizid-Problematik.<br />

Wann mit deren Veröffentlichung<br />

gerechnet werden kann, ist ebenfalls<br />

noch unklar.<br />

reh<br />

Patientenmord: Gericht<br />

verurteilt Krankenpfleger<br />

Saarbrücken (<strong>ALfA</strong>). Wegen versuchter<br />

Morde an sechs Patienten und gefährlicher<br />

Körperverletzung hat das Landgericht<br />

Saarbrücken einen ehemaligen<br />

Krankenpfleger zu einer lebenslangen<br />

Freiheitsstrafe verurteilt. Das meldet das<br />

Online-Portal des »Deutschen Ärzteblatts«.<br />

Darüber hinaus belegte das Gericht<br />

Saarbrücken den 30-jährigen Deutschen<br />

mit einem lebenslangen Berufsverbot.<br />

Dem Antrag der Staatsanwaltschaft<br />

auf Sicherungsverwahrung folgten<br />

die Richter nicht. Die Verteidigung<br />

hatte Freispruch beantragt. Zum Zeitpunkt<br />

des Redaktionsschlusses war das<br />

Urteil noch nicht rechtskräftig.<br />

Nach Ansicht des Gerichts hatte der<br />

Krankenpfleger in den Jahren 2015 und<br />

2016 sechs Patienten in der SHG-Klinik<br />

in Völklingen und im Uni-Klinikum<br />

Homburg nicht verordnete Medikamente<br />

verabreicht. Nach Ansicht der<br />

Richter wollte er sich aus Geltungsdrang<br />

bei Wiederbelebungsmaßnahmen profilieren.<br />

Dass die Menschen dabei hätten<br />

sterben können, habe er billigend<br />

in Kauf genommen. Bei der Obduktion<br />

von Leichnamen waren Rückstände<br />

entsprechender Präparate gefunden<br />

worden. Nur zwei der sechs betroffenen<br />

Patienten hatten die Klinikaufenthalte<br />

überlebt. Der Angeklagte erklärte<br />

zum Prozessauftakt im Juni 2021, er<br />

habe die ihm zur Last gelegten Taten<br />

nicht begangen. Die aufwendigen Ermittlungen<br />

waren 2016 in Gang gekommen,<br />

nachdem sich der Mann in<br />

anderen Kliniken als Arzt ausgegeben<br />

hatte.<br />

reh<br />

Vatikan bekräftigt<br />

Position zur Suizidhilfe<br />

Rom (<strong>ALfA</strong>). Das vatikanische Dikasterium<br />

für Laien, Familie und Leben hat<br />

die kirchliche Position zum Thema Suizidbeihilfe<br />

bekräftigt. Sowohl der ärztlich<br />

assistierte Suizid als auch die Euthanasie<br />

seien keine Formen von gesellschaftlicher<br />

Solidarität oder christlicher<br />

Nächstenliebe, hielt die Kurienbehörde<br />

in einer Mitte Februar veröffentlichten<br />

Reflexion zu dem Thema fest.<br />

»Die ›Charta der menschlichen Staatsbürgerschaft‹<br />

– die im zivilen Gewissen<br />

aller, ob gläubig oder nicht, verankert<br />

ist – sieht die Akzeptanz des eigenen<br />

Todes und des Todes der anderen<br />

vor, schließt aber aus, dass dieser in irgendeiner<br />

Weise provoziert, beschleunigt<br />

oder verlängert werden kann«, so<br />

das Dikasterium weiter. Die Betreuung<br />

auf dem letzten Lebensabschnitt sei eine<br />

Der Petersplatz in Rom<br />

Verpflichtung gegenüber jedem Menschen.<br />

Die Pflicht ergebe sich aus dem<br />

gemeinsamen Gut, dem Leben.<br />

Das Dikasterium bezieht sich in seiner<br />

Stellungnahme auf ein angestrebtes<br />

Referendum zur aktiven Sterbehilfe<br />

in Italien. Das italienische Verfassungsgericht<br />

hat inzwischen einen Volksentscheid<br />

darüber abgelehnt. In seiner Entscheidung<br />

verwies das Gericht auf den<br />

verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz<br />

des menschlichen Lebens.<br />

Zudem müsse besondere Rücksicht auf<br />

die Schwächsten der Gesellschaft genommen<br />

werden. Die Referendumsfrage<br />

verstoße gegen diese Prinzipien<br />

und sei daher per se unzulässig.<br />

Das italienische Parlament befasst<br />

sich indes derzeit mit einer gesetzlichen<br />

Regel für assistierten Suizid. Hierzu<br />

war es 2019 vom Verfassungsgericht<br />

aufgefordert worden. Zugleich hatten<br />

die Richter damals festgestellt, dass es<br />

unter bestimmen Umständen straffrei<br />

sei, die Ausführung eines frei gebildeten<br />

Suizidvorsatzes zu erleichtern. Ein<br />

erster Gesetzesentwurf war Mitte Dezember<br />

im Parlament diskutiert worden.<br />

Eine Entscheidung soll im Frühjahr<br />

fallen.<br />

reh<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

13


AUSLAND<br />

SERGEY NOVIKOV/STOCK.ADOBE.COM<br />

Die Macht<br />

von Narrativen<br />

Sowohl in Polen als auch in Irland wurden medizinische Tragödien instrumentalisiert, um<br />

eine möglichst liberale Regelung vorgeburtlicher Kindstötungen zu erreichen. In beiden<br />

Fällen spielten Abgeordnete, die falsche Informationen im Europäischen Parlament<br />

verbreiteten, dabei eine unrühmliche Rolle.<br />

Von Maria Witzel<br />

Wer sich mit der Entwicklung<br />

der Abtreibungsgesetzgebungen<br />

befasst, dem<br />

fällt Folgendes auf: Parallel zu Bestrebungen,<br />

in einem Land eine Liberalisierung<br />

herbeizuführen, spielen plötzlich<br />

Schicksale einzelner Frauen in den<br />

nationalen und internationalen Medien<br />

eine große Rolle. Stets handelt es<br />

sich hierbei um Frauen, für die eine<br />

Schwangerschaft tragisch, wenn nicht<br />

gar tödlich verlaufen ist. Wenn Abtreibungen<br />

nicht erlaubt sind, so das Narrativ,<br />

sterben Frauen. Also müssen sie<br />

legalisiert werden.<br />

In Irland, der Wiege des europäischen<br />

Christentums, war es eine bildhübsche<br />

junge Frau, deren Foto schließlich nicht<br />

nur Titelseiten, sondern auch Plakate<br />

der Abtreibungsbefürworter zierte. Ihr<br />

Name: Savita Halappanavar. Was war<br />

passiert? Am 21. Oktober 2012 betrat<br />

die Zahnärztin Savita Halappanavar,<br />

eine 31 Jahre alte Inderin, seit 17 Wochen<br />

schwanger mit ihrem ersten Baby,<br />

das Universitätsklinikum Galway.<br />

Sie klagte über Schmerzen im unteren<br />

14 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


AUSLAND<br />

ZCBEATON (CC BY-SA 4.0)<br />

Rücken. Die Ärzte diagnostizierten eine<br />

bevorstehende Fehlgeburt. Sieben Tage<br />

später war Savita tot, gestorben an einer<br />

Sepsis, einer Blutvergiftung, verursacht<br />

durch ein aggressives Bakterium,<br />

das ihre Blutbahn infiziert hatte. Drei<br />

Wochen später lautete die Überschrift<br />

in der »Irish Times«: »Frau stirbt im<br />

Krankenhaus – weil man ihr eine Abtreibung<br />

verweigert hat.«<br />

Das war Öl ins Feuer der ohnehin<br />

hitzig geführten Abtreibungsdebatte. In<br />

Irland hatte zu dieser Zeit die Regierung<br />

ein Referendum angestoßen, um das in<br />

der Verfassung verankerte Abtreibungsverbot<br />

zu kippen. In der ganzen Welt<br />

brach Zorn aus – die »Indian Times«<br />

titelte: »Irlands Regierung tötet indische<br />

Zahnärztin«, der trauernde Ehemann<br />

erzählte den Reportern, man habe<br />

seine Frau einfach sterben lassen. In 17<br />

Jahren war in dieser Klinik in Galway<br />

keine Frau während einer Schwangerschaft<br />

gestorben. Wie konnte es zu Savitas<br />

Tod kommen – noch dazu in einem<br />

Land, das seit Jahren unter den weltweit<br />

führenden fünf Ländern in punkto<br />

Gesundheitsfürsorge für Schwangere<br />

zu finden ist?<br />

Mehr Fakten und Details kamen<br />

schließlich ans Licht. Zwei Ärzte hatten<br />

Savita nacheinander untersucht, beide<br />

waren zu dem Schluss gekommen, dass<br />

eine Fehlgeburt nicht zu vermeiden war<br />

und unmittelbar bevorstand. Bei einer<br />

dieser Untersuchungen wurde auch eine<br />

Blutprobe entnommen, die eine erhöhte<br />

Anzahl an weißen Blutkörperchen ergab<br />

– ein erster Hinweis auf eine Entzündung,<br />

die sich irgendwo in Savitas<br />

Körper breitmachte. Weder wurde das<br />

Ergebnis der Probe in der Krankenakte<br />

notiert, noch gab es in den folgenden<br />

zwei Tagen weitere Untersuchungen<br />

dazu. Wäre diese Infektion an die<br />

behandelnden Ärzte gemeldet worden,<br />

hätte man rechtzeitig Antibiotika geben<br />

und die Sepsis verhindern können.<br />

In Absprache mit Savita und ihrem<br />

Ehemann setzte dann eine Behandlung<br />

ein, die man als »Watch and Wait Management«<br />

– beobachten und abwarten<br />

– bezeichnet: Man behält die Patientin<br />

im Krankenhaus, gibt Schmerzmittel,<br />

beobachtet sie und lässt ansonsten<br />

die Natur ihren Lauf nehmen. Das<br />

ist das Standardverfahren bei Fehlgeburten<br />

im zweiten Schwangerschaftsdrittel.<br />

Wäre eine Infektion diagnostiziert<br />

worden, hätten die Ärzte eingegriffen,<br />

aber das war ja nicht passiert.<br />

Fiebermessung und Blutdruck gaben<br />

keinen Hinweis auf eine Erkrankung.<br />

In Savitas erster Nacht im Krankenhaus<br />

platzte Savitas Fruchtblase. Normalerweise<br />

kommt es dann innerhalb<br />

von 48 bis 72 Stunden zur Fehlgeburt.<br />

Am nächsten Morgen untersuchte die<br />

diensthabende Ärztin Savita, es wurden<br />

keine außergewöhnlichen Werte<br />

bei Puls und Blutdruck festgestellt. Die<br />

Ärztin führte einen Ultraschall durch,<br />

um festzustellen, ob das Herz des Fötus<br />

noch schlägt – dies, weil ein toter Fötus<br />

im Uterus das Infektionsrisiko der<br />

Mutter erhöht. Der Herzschlag war<br />

noch vernehmbar, die Ärzte diskutierten<br />

das weitere Vorgehen, wussten aber<br />

zu diesem Zeitpunkt immer noch nichts<br />

von den erhöhten Blutwerten, die eine<br />

Infektion andeuteten, und entnahmen<br />

folglich auch keine weitere Blutprobe,<br />

um zu schauen, ob diese weiter angestiegen<br />

waren.<br />

Entgegen den Richtlinien des Krankenhauses<br />

wurden Savita zunächst keine<br />

Antibiotika verabreicht. Dies hätte unmittelbar<br />

nach dem Platzen der Fruchtblase<br />

passieren müssen, als prophylaktische<br />

Maßnahme gegen eine Infektion.<br />

Eine geplatzte Fruchtblase stellt immer<br />

eine Eintrittspforte für Keime dar. Savita<br />

bekam das erste Antibiotikum aber<br />

erst 21 Stunden später, nachdem eine<br />

Hebamme den diensthabenden Arzt darum<br />

bat. Was das Krankenhauspersonal<br />

zu dem Zeitpunkt jedoch nicht wusste,<br />

Das Tragik-Schicksal von Savita Halappanavar wurde für Fake-News missbraucht<br />

war, dass der Keim, mit dem Savita infiziert<br />

war, ein multiresistenter, schwer<br />

diagnostizierbarer Keim war, der zudem<br />

auf das verabreichte Antibiotikum überhaupt<br />

nicht ansprach. Auch 32 Stunden<br />

später hatte Savita keine Fehlgeburt gehabt,<br />

es ging ihr augenscheinlich gut,<br />

für die sich aufbauende Infektion gab<br />

es keinen Hinweis.<br />

Dr. Asbury, ihre behandelnde Ärztin,<br />

stellte abermals per Ultraschall einen<br />

Herzschlag des Kindes fest. Savita<br />

fragte nach Medikamenten, die die<br />

Fehlgeburt beschleunigen könnten. Ihr<br />

Ehemann sagte später aus, sie habe um<br />

eine Abtreibung gebeten, und die habe<br />

ihr Dr. Asbury mit dem Hinweis verweigert,<br />

das sei ein katholisches Krankenhaus<br />

und die Gesetze des Landes<br />

würden eine Abtreibung verbieten. Dr.<br />

Asbury verneint das – sie habe lediglich<br />

auf die Gesetzeslage hingewiesen<br />

und erläutert, dass keine Lebensgefahr<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

15


AUSLAND<br />

FOTO-AG GYMNASIUM MELLE/CC BY SA 3.0<br />

für Savita bestehe. Eine Abtreibung sei<br />

daher nicht möglich. Über den katholischen<br />

Glauben hatte sie gar nicht gesprochen.<br />

Das tat eine Hebamme, die<br />

einen weiteren Ultraschall von Savitas<br />

Baby machte. Savita fragte, ob es irgendetwas<br />

gäbe, was den Herzschlag<br />

stoppen könnte, und die Hebamme<br />

sagte: »Das machen wir hier nicht.«<br />

Es sei »eine katholische Sache«, so etwas<br />

nicht zu tun. Aber auch in katholischen<br />

Krankenhäusern in Irland galt<br />

damals schon: Wenn eine Sepsis festgestellt<br />

wird, deren Zentrum in der Gebärmutter<br />

liegt und die das Leben der<br />

Mutter bedroht, wird eine Fehlgeburt<br />

eingeleitet, um das Leben der Mutter<br />

zu retten – allemal dann, wenn ohnehin<br />

das Leben des Kindes nicht zu retten<br />

ist, wie in Savitas Fall.<br />

Am zweiten Tag nach ihrer Einlieferung<br />

ins Krankenhaus ging es Savita<br />

abends deutlich schlechter. Ihr Puls<br />

war drastisch erhöht, sie war kaum<br />

noch ansprechbar. Die Aussagen darüber,<br />

ob der diensthabende Arzt informiert<br />

wurde oder nicht, gehen auseinander.<br />

Die Hebamme behauptet, sie<br />

habe ihn alarmiert, er leugnet das. Immer<br />

noch war dem Personal nicht bekannt,<br />

dass auch die Blutwerte auf eine<br />

Entzündung hinwiesen. Aber schon der<br />

stark erhöhte Puls hätte als Anzeichen<br />

einer beginnenden Sepsis gedeutet und<br />

behandelt werden müssen. Savita entwickelte<br />

dann Fieber, ein weiteres Zeichen<br />

für eine Sepsis. Dennoch wurden<br />

ihre Vitalzeichen, Puls und Blutdruck,<br />

nicht weiter beobachtet. Sie machte keinen<br />

besonders kranken Eindruck, was<br />

aber bei einer Sepsis auch nicht ungewöhnlich<br />

ist. Das ist es, was eine Blutvergiftung<br />

so tückisch macht.<br />

Erst am vierten Tag ihrer Einlieferung<br />

ging es Savita dramatisch schlechter.<br />

Ein faulig riechender Ausfluss wurde<br />

in ihrer Krankenakte notiert. Damit<br />

waren die geplatzte Fruchtblase und die<br />

Gebärmutter eindeutig als Infektionsherd<br />

identifiziert. Jetzt wäre eine Beendigung<br />

der Schwangerschaft die lebensrettende<br />

Maßnahme gewesen: Es<br />

galt, die Ursache für die Sepsis, nämlich<br />

die geplatzte Fruchtblase, zu beseitigen.<br />

Das wäre nach irischem Recht völlig legal<br />

gewesen. Aber auch hier kam es zu<br />

einem Kommunikationsversagen: Bei<br />

der Visite vergaß die Krankenschwester,<br />

von diesem Ausfluss zu berichten.<br />

Savita wurde erst einen Tag später zur<br />

Abtreibung in den OP geschoben, als<br />

die Ärztin sich anhand der drastisch<br />

verschlimmerten Vitalwerte zu diesem<br />

Schritt gezwungen sah. Dort kam es zur<br />

spontanen Fehlgeburt. Trotz einer eingeleiteten<br />

breiten Antibiotikabehandlung<br />

starb Savita.<br />

Es bleibt festzuhalten, dass Savitas<br />

Leben hätte gerettet werden können,<br />

wenn das Krankenhauspersonal sich an<br />

alle Richtlinien gehalten hätte, wenn<br />

die Kommunikation zwischen Hebammen,<br />

Krankenschwestern und Ärzten<br />

funktioniert hätte, wenn nicht eine<br />

Blutprobe verloren gegangen und deren<br />

Ergebnis wenigstens in die Krankenakte<br />

eingetragen worden wäre. All<br />

diese Informationen hätten eine völlig<br />

legale Abtreibung zur Rettung des Lebens<br />

der Mutter zur Folge gehabt. So<br />

aber starb Savita.<br />

Phil Prendergast, Europaabgeordnete<br />

der Labour Party in Irland und<br />

ehemalige Hebamme, führt aus: »Die<br />

Berichterstattung kann manchmal sehr<br />

emotional sein und sich auf Aspekte des<br />

Falls fokussieren, die relevant sind – oder<br />

auch nicht. Als Hebamme fand ich das<br />

besonders schwierig, weil im Europaparlament<br />

ein Brief eines Abgeordneten<br />

kursierte, in dem es hieß, dass hier<br />

in Irland eine Frau gestorben ist, weil<br />

wir dieses strenge Abtreibungsgesetz<br />

haben. Das stimmte aber gar nicht.«<br />

Harry Browne, Lehrender an der DIT-<br />

Medienschule, kommt zu folgendem<br />

Urteil: »Viele Menschen haben dann<br />

geglaubt, dass in Irland Abtreibungen<br />

nicht mal dann erlaubt sind, wenn das<br />

Leben der Mutter in Gefahr ist. Das<br />

Kennt sich aus: Die Hebamme und irische EU-Abgeordnete Phil Prendergast<br />

ist natürlich nicht der Fall. (…) Savita<br />

hat keine Abtreibung bekommen, weil<br />

die Ärzte nicht festgestellt haben, dass<br />

ihr Leben in Gefahr ist. Dieses ziemlich<br />

einfache Missverständnis hat dazu<br />

geführt, dass es einige Verdrehungen<br />

von Tatsachen gab.« Das interessierte<br />

die Medien damals nicht.<br />

Die Folgen bringt Browne folgendermaßen<br />

auf den Punkt: »Die Diskussion,<br />

die nach Savitas Tod losging,<br />

hat zu einer Debatte geführt, die nicht<br />

viel mit ihrem Tod zu tun hatte. Und<br />

die Gesetzgebung, die wir jetzt in Bezug<br />

auf Abtreibungen in Irland haben,<br />

hat sehr, sehr wenig mit dem Fall Savitas<br />

16 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


AUSLAND<br />

zu tun, der sie aber herbeigeführt hat.«<br />

Ihr Tod wurde durch eine sich anschließende<br />

Medienkampagne missbraucht,<br />

der Irland eines der liberalsten Abtreibungsgesetze<br />

Europas zu verdanken hat.<br />

Im November letzten Jahres hat sich<br />

nun diese Geschichte in Polen wiederholt<br />

– bis hin zu entsprechenden Vorkommnissen<br />

im Europäischen Parlament.<br />

Im September 2021 wurde eine<br />

30-jährige Frau in das Kreiskrankenhauses<br />

Pszczyna eingeliefert. Sie<br />

war in der 22. Schwangerschaftswoche<br />

und verlor Fruchtwasser. Die Ärzte<br />

stellten angeborene Fehlbildungen<br />

des Fötus fest und nahmen – ähnlich<br />

wie in Savitas Fall – eine »abwartende<br />

Haltung« ein. Marcin Leśniewski,<br />

Direktor des Kreiskrankenhauses Pszczyna,<br />

erklärte, dass zu diesem Zeitpunkt<br />

auch noch keine Entzündungsmarker<br />

festgestellt worden waren. Die<br />

junge Frau starb innerhalb eines Tages,<br />

vermutlich an einem septischen<br />

Schock. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt<br />

bereits tot. Die Ärzte hätten handeln<br />

und eine Abtreibung einleiten können,<br />

um auf diese Weise das Leben der<br />

Mutter zu retten, so Jerzy Kwaśniewski,<br />

Vorsitzender von Ordo Iuris. Dies sei<br />

durch das polnische Gesetz nicht verboten.<br />

Der Fall wurde gerade wegen der diagnostizierten<br />

Missbildungen des ungeborenen<br />

Kindes für die Medien interessant.<br />

Denn das polnische Verfassungsgericht<br />

hatte zur Empörung der internationalen<br />

Abtreibungslobby im Oktober<br />

2020 eugenische Abtreibungen für<br />

verfassungswidrig erklärt. Nun also war<br />

eine Frau gestorben, deren Kind ohne<br />

dieses Urteil möglicherweise aufgrund<br />

seiner Missbildungen bereits früher hätte<br />

abgetrieben werden können. Ob dies<br />

für die junge Frau infrage gekommen<br />

wäre, hat die berichtenden Medien zu<br />

keinem Zeitpunkt interessiert. Tatsache<br />

ist: Die bestehenden gesetzlichen Regelungen<br />

im Bereich des Lebensschutzes<br />

sind für den Tod der jungen Frau nicht<br />

verantwortlich. Sie sind vielmehr so gestaltet,<br />

dass die behandelnden Ärzte das<br />

Leben der Mutter retten können, auch<br />

wenn dafür das Leben des ungeborenen<br />

Kindes geopfert werden muss. Manchmal,<br />

wenn auch äußerst selten, kommt es<br />

trotz medizinischen Fortschritts zu Situationen,<br />

in denen es ungeachtet aller<br />

HTTPS://ORDOIURIS.PL<br />

Bemühungen der Ärzte nicht möglich<br />

ist, beide Patienten zu retten.<br />

Weder in Savitas Fall noch in dem<br />

der jungen Polin trifft dies jedoch zu:<br />

Bei Savita stand eine Fehlgeburt unmittelbar<br />

bevor, das Leben des Kindes war<br />

nicht zu retten; das Kind der Polin war<br />

Jerzy Kwaśniewski von der polnischen Denkfabrik »Ordo Iuris«<br />

bereits tot, als die Mutter an der Sepsis<br />

schwer erkrankte. Darauf hatte auch<br />

die Familie der Verstorbenen hingewiesen<br />

und betont, dass die rechtliche Situation<br />

in Polen mit dem Tod der jungen<br />

Frau nichts zu tun hat. Zahlreiche<br />

polnische Ärzte und Juristen haben dies<br />

bestätigt – was das Europäische Parlament<br />

aber nicht daran gehindert hat,<br />

am 11. November eine Entschließung<br />

anzunehmen, die seine Zuständigkeiten<br />

überschreitet und falsche Behauptungen<br />

über die Situation in Polen aufstellt, unter<br />

anderem die Behauptung, das Leben<br />

von abtreibungswilligen Frauen sei in<br />

Polen gefährdet, weswegen Polen Abtreibungen<br />

legalisieren und als »Menschenrecht«<br />

anerkennen müsse.<br />

Die EU-Abgeordneten nahmen diese<br />

Resolution mit einer Mehrheit von<br />

373 Ja-Stimmen bei 125 Nein-Stimmen<br />

(und 55 Enthaltungen) an. Gleichzeitig<br />

wurde der alternative Beschlussentwurf<br />

abgelehnt. In dem hatte es geheißen,<br />

dass Abtreibung kein Menschenrecht<br />

ist und es auch nie war, dass die<br />

Gesundheitspolitik in die ausschließliche<br />

Zuständigkeit der Mitgliedstaaten<br />

fällt und sich die Notwendigkeit zum<br />

Schutz des Lebens zwingend aus dem<br />

Völkerrecht ergibt. Die Abgeordneten<br />

nahmen auch eine Änderung der Entschließung<br />

an, die einen Zusammenhang<br />

herstellt zwischen dem Urteil des<br />

Verfassungsgerichts, das die Durchführung<br />

einer eugenischen Abtreibung verbietet,<br />

und dem Tod der 30-jährigen<br />

Mutter und ihres ungeborenen Kindes<br />

aus Pszczyna.<br />

Sowohl in Polen als auch in Irland<br />

wurde eine medizinische Tragödie instrumentalisiert,<br />

um das Ziel einer möglichst<br />

liberalen Regelung vorgeburtlicher<br />

Kindstötungen zu erreichen. Sowohl<br />

in Polen als auch in Irland spielten<br />

Europaabgeordnete dabei eine unrühmliche<br />

Rolle, indem sie falsche Informationen<br />

im Parlament verbreiteten. In<br />

Irland hat die auf diesem Fall aufbauende<br />

gezielte Desinformationskampagne<br />

dazu geführt, dass die Gesetze geändert<br />

und der Schutz des Lebens erheblich<br />

eingeschränkt wurden. Seit der<br />

Legalisierung der Abtreibungen hat<br />

sich ihre Zahl verdoppelt: Reisten früher<br />

rund 3.500 Frauen für eine Abtreibung<br />

nach England, so lassen Irinnen<br />

nun über 7.000-mal jährlich abtreiben,<br />

meist in Irland selbst.<br />

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19


AUSLAND POLITIK<br />

§ 219a:<br />

Nur der Anfang?<br />

Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Streichung des Werbeverbots für<br />

Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch (§ 219a StGB) ist außer bei Lebensrechtlern<br />

auch in Teilen von Politik und Kirche auf Kritik gestoßen<br />

Von Stefan Rehder<br />

MARTIN KRAFT, WIKIMEDIA COMMONS, CC BY-SA 4.0<br />

Günther Krings, CDU<br />

Frauen, die ungewollt schwanger<br />

geworden sind, ist mit einer<br />

Streichung des § 219a Strafgesetzbuch<br />

nicht geholfen«, erklärte der<br />

rechtspolitische Sprecher der CDU/<br />

CSU-Bundestagsfraktion Günther<br />

Krings (CDU). Vielmehr werde die<br />

»grundrechtliche Verpflichtung des<br />

Staates, auch das ungeborene menschliche<br />

Leben zu schützen«, missachtet.<br />

»Menschenwürde kommt auch schon<br />

dem ungeborenen Menschen zu.«<br />

Nach dem geltenden Schutzkonzept<br />

entscheide »richtigerweise letztlich<br />

die werdende Mutter über Fortsetzung<br />

oder Abbruch der Schwangerschaft«,<br />

so Krings weiter. Schutz erfahre<br />

das ungeborene Kind daher nur<br />

durch die Vorgaben zum Beratungsverfahren.<br />

»Diese Vorgaben darf der<br />

Staat nicht schleifen.« Nach Ansicht<br />

Krings sei bei einer Streichung des<br />

§ 219a aus dem Strafgesetzbuch »mit<br />

offener Werbung für Schwangerschaftsabbrüche<br />

zu rechnen«.<br />

Auch die bayerische Staatsministerin<br />

für Familie, Arbeit und Soziales,<br />

Ulrike Scharf (CSU), sprach sich gegen<br />

eine Streichung des § 219a StGB<br />

aus. »Das Selbstbestimmungsrecht<br />

von Frauen wird dadurch definitiv<br />

nicht verbessert«, erklärte Scharf. In<br />

den staatlich anerkannten, hochqualifizierten<br />

Beratungsstellen erhielten<br />

schwangere Frauen im persönlichen<br />

Gespräch alle erforderlichen Informationen<br />

und Hilfestellungen. Ausführliche<br />

Informationen von Ärztinnen<br />

und Ärzten, die den Abbruch vornähmen<br />

und daher als gesetzliche Beraterinnen<br />

und Berater ausgeschlossen<br />

seien, seien nicht notwendig. Auch<br />

wenn eine Aufhebung des § 219a derzeit<br />

nichts an der Rechtslage für die<br />

Beratungsregelung ändere, habe sie<br />

doch die Sorge, dass dies als Nächstes<br />

durch den Bund in Frage gestellt<br />

werde, so Scharf weiter.<br />

Die Vorsitzende der Frauenunion,<br />

Annette Widmann-Mauz (CDU),<br />

erklärte: »§ 219a StGB ist Teil eines<br />

Schutzkonzeptes, zu dem das Bundesverfassungsgericht<br />

den Gesetzgeber in<br />

§ 218 StGB verpflichtet hat und mit<br />

dem eine jahrzehntelange Diskussion<br />

befriedet wurde.« Die Bundesregierung<br />

rolle die schwierige Debatte<br />

HTTPS://WWW.FACEBOOK.COM/ULRIKE.SCHARF.ERDING/<br />

Ulrike Scharf, CSU<br />

nun neu auf. »Eine Kommission soll<br />

Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch<br />

außerhalb des Strafgesetzbuches<br />

prüfen. Die Aufhebung des<br />

Werbeverbots soll also nur der erste<br />

Schritt sein. Ein riskanter Weg, der<br />

droht, den Schutz des Lebens des Ungeborenen<br />

immer mehr aus dem Blick<br />

zu verlieren.«<br />

Kritik kam auch von den katholischen<br />

Bischöfen. »Sofern Reformbedarf<br />

besteht, halten wir eine Überarbeitung<br />

des § 219a StGB weiterhin für<br />

den besseren Weg als die Streichung<br />

aus dem Strafgesetzbuch«, erklärte der<br />

Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz<br />

(DBK), Bischof Georg Bätzing,<br />

zum Abschluss der Frühjahrs-<br />

20 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


POLITIK<br />

vollversammlung des deutschen Episkopats<br />

in Vierzehnheiligen.<br />

Um der Gefahr zu begegnen, dass<br />

nach Aufhebung des § 219a StGB unsachliche<br />

oder anpreisende Werbung<br />

für Schwangerschaftsabbrüche betrieben<br />

wird, sieht der Gesetzesentwurf<br />

der Bundesregierung eine Änderung<br />

des Heilmittelwerbegesetzes (HWG)<br />

vor. Da § 1 Absatz 1 Nummer 2 HWG<br />

nur Werbung für andere Mittel, Verfahren,<br />

Behandlungen und Gegenstände<br />

erfasst, soweit sich die Werbeaussage<br />

auf die Erkennung, Beseitigung<br />

oder Linderung von Krankheiten,<br />

Leiden, Körperschäden oder krankhaften<br />

Beschwerden bezieht, soll der<br />

Anwendungsbereich des HWG nun<br />

auch auf Schwangerschaftsabbrüche<br />

ohne Krankheitsbezug erweitert werden.<br />

Wie die Bundesregierung in ihrem<br />

Entwurf ausführt, führe »die Aufnahme<br />

der Werbung für medizinisch<br />

nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche<br />

in den Anwendungsbereich des<br />

HWG« dazu, »dass die Vorgaben des<br />

HWG für die Werbung für alle Arten<br />

von Schwangerschaftsabbrüchen<br />

Anwendung« fänden und »sowohl für<br />

Ärztinnen und Ärzte als auch für Dritte«<br />

gelten, »die für die Durchführung<br />

von Schwangerschaftsabbrüchen werben«.<br />

Verstöße seien bußgeldbewehrt.<br />

Dadurch »werde der Schutzpflicht des<br />

Gesetzgebers für das ungeborene Leben<br />

Rechnung getragen«.<br />

»Mit großer<br />

Skepsis und Sorge«<br />

»Ob dieser nun vorgeschlagene Weg<br />

geeignet ist, werden wir genauer prüfen«,<br />

kündigte Bätzing an. Die Bischöfe<br />

hätten jedoch »weiterhin die Sorge,<br />

dass das Schutzniveau zulasten des<br />

grundgesetzlich gebotenen Lebensschutzes<br />

zu sehr abgesenkt wird«.<br />

Schwangere Frauen in Konfliktsituationen<br />

seien auf seriöse, verlässliche<br />

und neutrale Informationen angewiesen.<br />

Auch dürften Abtreibungen<br />

nicht als alltäglicher, »der Normalität<br />

entsprechender Vorgang« erscheinen.<br />

»Der nun vorgelegte Gesetzesentwurf<br />

muss sich auch daran messen<br />

lassen«, so Bätzing weiter. Nach Ansicht<br />

des DBK-Vorsitzenden könne<br />

der Schutz des ungeborenen Lebens<br />

SANDRO HALANK, WIKIMEDIA COMMONS, CC BY-SA 4.0<br />

nur »mit der Mutter und keinesfalls<br />

gegen sie« erreicht werden. Daher käme<br />

»der unabhängigen psychosozialen<br />

Beratung und dem persönlichen Beratungsgespräch«<br />

eine »zentrale Bedeutung«<br />

zu. In der Diskussion käme<br />

dies oft zu kurz. »Es ist daher wichtig,<br />

die Beratungs- und Hilfsangebote<br />

für Frauen in einer Konfliktsituation<br />

zu stärken, um ihre Nöte und Bedarfe<br />

wahrzunehmen und ihnen auch<br />

Perspektiven für ein Leben mit dem<br />

Kind aufzuzeigen.«<br />

Annette Widman-Mauz, CDU<br />

Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende<br />

der Katholischen Frauengemeinschaft<br />

Deutschlands (kfd), Mechthild<br />

Heil. Wenn Bundesrat und Bundestag<br />

dem Gesetzesentwurf von Bundesjustizminister<br />

Marco Buschmann<br />

zur Abschaffung des Werbeverbots<br />

für Abtreibungen endgültig mehrheitlich<br />

zustimmen, sei dies ein erster<br />

Schritt zur Aufhebung eines gesellschaftlichen<br />

Konsenses. »Dieser<br />

hat bisher den bestmöglichen Schutz<br />

des ungeborenen Lebens bieten können«,<br />

so Heil. Auch bisher erhielten<br />

Frauen über die verpflichtende Beratung<br />

die notwendigen Informationen<br />

zu Personen und Institutionen, die<br />

Schwangerschaftsabbrüche vornähmen.<br />

Befürworter der Abschaffung des<br />

§ 219a StGB nähmen »eine mögliche<br />

Spaltung unserer Gesellschaft in Fragen<br />

des Schwangerschaftsabbruchs in<br />

Kauf. Schwangeren Frauen, die eine<br />

so folgenschwere Entscheidung treffen<br />

müssen, ist mit diesem politischen<br />

BISTUM LIMBURG<br />

Schritt nicht geholfen«, so die kfd-<br />

Vorsitzende.<br />

Mit »großer Skepsis und Sorge«<br />

blickt auch das Kolpingwerk Deutschland<br />

auf die von der Bundesregierung<br />

geplante Streichung des Werbeverbots<br />

für Abtreibungen. Nach Ansicht des<br />

Bischof Georg Bätzing<br />

Bundesvorstandes verschiebe dessen<br />

Abschaffung »die Prioritäten zu Ungunsten<br />

des ungeborenen Lebens und<br />

damit zu Lasten des Lebensschutzes«.<br />

Mit Blick auf die verfassungsrechtlichen<br />

Grundlagen müssten die Fragen<br />

einer flächendeckend sichergestellten<br />

kompetenten Beratung sowie einer<br />

den Bedürfnissen der Betroffenen<br />

entsprechenden Versorgungslage ins<br />

Zentrum rücken. Die Regierung sei<br />

in der Pflicht, die Beratungsangebote<br />

dauerhaft rechtlich abzusichern und<br />

für die Beratungsstellen beste Rahmenbedingungen<br />

zu schaffen. »Zielsetzung<br />

muss sein, die Beratungsstellen<br />

als den genuinen Ort kompetenter<br />

Informationen für schwangere Frauen<br />

in Konfliktsituationen zu erhalten<br />

und auszuweiten sowie professionelle<br />

medizinische Beratung deutlich<br />

von Werbung abzugrenzen«, heißt<br />

es in einer Erklärung des Bundesvorstands.<br />

Der besondere grundgesetzliche<br />

Schutz vom Anfang bis zum Ende<br />

des Lebens sei »eine Frage der Menschenwürde,<br />

die auch jedem ungeborenen<br />

Leben zusteht«. Abtreibungen<br />

dürften daher »nicht als normale medizinische<br />

Dienst- und Regelleistung<br />

betrachtet werden«.<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

21


AUSLAND POLITIK<br />

PARILOV/STOCK.ADOBE.COM<br />

Simsalabim<br />

Die Ampel-Regierung hat sich die Agenda der Abtreibungslobby auf ihre Fahnen geschrieben. Dagegen<br />

lässt sich angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag zunächst wenig ausrichten.<br />

Das gilt auch für den Versuch von Bundesjustizminister Marco Buschmann, eine analoge<br />

Straftat in digitales Recht zu verwandeln. Allerdings könnte die Union eine Normenkontrollklage erwägen<br />

und das Bundesverfassungsgericht mit der geplanten Aufhebung des § 219a StGB befassen.<br />

Von Stefan Rehder<br />

Es ist immer wieder erstaunlich,<br />

für wie dumm Politiker mitunter<br />

die Bürgerinnen und Bürger<br />

halten. Oder auch mit welcher Chuzpe<br />

sie selbst das Unbestreitbare leugnen.<br />

Doch nirgendwo wird dies gegenwärtig<br />

so augenfällig wie in der Debatte über<br />

die Streichung des § 219a aus dem Strafgesetzbuch.<br />

Bis vor Kurzem etwa hätte<br />

niemand zu bestreiten gewagt, dass die<br />

von dem Berliner Drucker Ernst Litfaß<br />

1854 erfundene runde Litfaßsäule<br />

keine Plattform für »Informationen«,<br />

sondern eine für »Werbung« sei. Litfaß<br />

selbst nannte die runden Werbeinseln<br />

übriges noch »Annoncier-Säulen«.<br />

Heute werden auf ihnen überwiegend<br />

Konzerte oder Kabarett-Programme<br />

plakatiert.<br />

Machte man sich den Informationsbegriff<br />

der Befürworter der Streichung<br />

des Werbeverbots für Abtreibungen zu<br />

eigen, dann dürften Stadtverwaltungen<br />

solche Litfaßsäulen nicht länger dem Bereich<br />

der »Außenwerbung« zurechnen.<br />

Tatsächlich werden auf ihnen Veranstaltungen<br />

lediglich »angezeigt« und keinesfalls<br />

explizit oder gar aggressiv »beworben«.<br />

In aller Regel erfahren Passanten<br />

hier bloß, wann wer wo auftritt. Selbst<br />

der Preis für die Karte wird nicht kommuniziert.<br />

Dennoch werden die Plakatflächen<br />

an Werbetreibende vermietet,<br />

22 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


POLTIK<br />

FDP.DE<br />

können Künstler und Konzertagenturen<br />

ihre diesbezüglichen Kosten als »Werbungskosten«<br />

geltend machen und von<br />

der Steuer absetzen. Der Grund: Mit<br />

der Information ist zugleich ein Angebot<br />

verbunden. Eine Offerte, die zwar<br />

unausgesprochen bleibt, aber dennoch<br />

eindeutig und unmissverständlich ist<br />

und lautet: Kommt und seht!<br />

Vergleichbares gilt auch für Handwerker,<br />

Reinigungsfirmen, Immobilienmakler,<br />

Anwaltskanzleien, Notariate<br />

etc., die in den Gelben Seiten annoncieren.<br />

Auch sie geben dort zumeist<br />

nur zur Kenntnis, dass sie existieren<br />

und wo und wie sie zu erreichen sind.<br />

Dennoch werden derartige Informationen<br />

als »Werbung« betrachtet. Folglich<br />

können auch hier die Werbetreibenden<br />

die Kosten ihrer »Anzeigen«<br />

als Werbungskosten verbuchen und<br />

von der Steuer absetzen.<br />

Nur für Ärzte, die vorgeburtliche<br />

Kindstötungen durchführen, soll all das<br />

auf einmal anders sein. Ärzte, die auf ihren<br />

Praxiswebseiten, digitalen Litfaßsäulen<br />

also, annoncieren, dass sie auch<br />

Abtreibungen durchführen, »werben«<br />

angeblich nicht, sie »informieren« ausschließlich.<br />

So sieht es die Abtreibungslobby,<br />

natürlich ohne deswegen auf die<br />

geldwerten Vorteile zu verzichten.<br />

In einem funktionierenden Gemeinwesen<br />

wäre das kein Problem. Zumindest<br />

kein unlösbares. Denn in ihm würden<br />

Ärzte, die sich auf diesen unhaltbaren<br />

Standpunkt stellten, einfach eines<br />

Besseren belehrt. Vorzugsweise durch<br />

die zuständigen Landesärztekammern,<br />

notfalls aber durch aufmerksame Bürger,<br />

die die Staatsanwaltschaft einschalten.<br />

Diese würden die Ärzte auf ihr Fehlverhalten<br />

hinweisen und erst wenn sie<br />

sich weigerten, sich rechtskonform zu<br />

verhalten, Anklage erheben. In der Folge<br />

würden Richter sich mit der geltenden<br />

Rechtslage befassen und die Angeklagten<br />

entweder verurteilen oder freisprechen.<br />

Und genauso wurde es in den<br />

vergangenen Jahren auch gehandhabt.<br />

Weil die Landesärztekammern untätig<br />

blieben, haben Bürger Anzeige erstattet,<br />

haben Staatsanwälte notorische<br />

Rechtsverweigerer wie die von der Abtreibungslobby<br />

und in Teilen der Medien<br />

hemmungslos gefeierte Gießener<br />

Abtreibungsärztin Kristina Hänel oder<br />

ihre Berliner Kollegin Bettina Gaber angeklagt,<br />

haben Gerichte sie in sämtlichen<br />

Instanzen, wenn auch eher milde,<br />

abgeurteilt, woraufhin diese von ihrem,<br />

in einem Rechtsstaat verbürgten Recht<br />

Gebrauch gemacht und Beschwerde<br />

beim Bundesverfassungsgericht eingereicht<br />

haben. So weit, so korrekt.<br />

Nun aber hat Bundesjustizminister<br />

Marco Buschmann angekündigt,<br />

der § 219a werde aus dem Strafgesetzbuch<br />

gestrichen. Mitte Januar kündigte<br />

der FDP-Politiker auf einer Pressekonferenz<br />

an, das Werbeverbot für<br />

Marco Buschmann, FDP<br />

Abtreibungen werde fallen, um einen<br />

»unhaltbaren Rechtszustand zu beenden«.<br />

»Denn«, so Buschmann weiter,<br />

»nach jetziger Rechtlage ist es so, dass<br />

Ärztinnen und Ärzte, die sachlich über<br />

ihre Arbeit informieren, über Methoden<br />

beispielsweise informieren, wie sie<br />

Schwangerschaftsabbrüche durchführen,<br />

mit strafrechtlichen Ermittlungen<br />

und Verurteilungen rechnen müssen«.<br />

Man hört und staunt.<br />

Und dies vor allem aus zwei Gründen.<br />

Zunächst, weil gerade die beiden,<br />

von allen Instanzen verurteilten Ärztinnen<br />

eben gar nicht sachlich über »ihre<br />

Arbeit« informierten. Wer das anders<br />

sieht, müsste etwa behaupten wollen,<br />

dass eine vorgeburtliche Kindstötung<br />

auch mit der Entfernung von »Schwangerschaftsgewebe«<br />

(Kristina Hänel) zutreffend<br />

beschrieben werden kann. Und<br />

wer meint, der Satz »auch ein medikamentöser,<br />

narkosefreier Schwangerschaftsabbruch<br />

in geschützter Atmosphäre<br />

gehört zu unseren Leistungen«<br />

DPA<br />

(Bettina Gaber) sei keine Werbung, der<br />

müsste sich auch auf den Standpunkt<br />

stellen, ein Immobilienbesitzer, der eine<br />

Mietwohnung mit Merkmalen wie<br />

»kautionsfrei« und »in ruhiger Wohnlage«<br />

anpriese, informiere lediglich. Auch<br />

ist die Abtreibungspille gar kein Medikament,<br />

sondern ein tödlich wirkendes<br />

Soll aufgehoben werden: § 219a<br />

chemisches Präparat. Wäre es anders,<br />

wäre Schwangerschaft eine Krankheit<br />

und das ungeborene Kind ein Erreger,<br />

der bekämpft werden darf.<br />

Sodann ist es Ärztinnen und Ärzten<br />

überhaupt nicht verboten, über die Methoden<br />

zu informieren, mit denen sie<br />

Abtreibungen durchführen. Nur ist der<br />

vom Gesetzgeber dafür vorgesehene<br />

Ort eben bislang das Arzt-Patienten-<br />

Gespräch und nicht etwa eine digitale<br />

Litfaßsäule gewesen. Der Grund:<br />

Der Gesetzgeber wollte nicht, dass eine<br />

vorgeburtliche Kindstötung wie eine<br />

x-beliebige medizinische Leistung dargestellt<br />

wird. Das sehen die Ampelkoalitionäre,<br />

wie ein Blick in den Koalitionsvertrag<br />

zeigt (siehe Kasten S. 23),<br />

inzwischen anders. Die Bagatellisierung<br />

und Umetikettierung vorgeburtlicher<br />

Kindstötungen als Teil der »Gesundheitsversorgung«<br />

von Frauen entstammt<br />

den Denkfabriken der Abtreibungslobby.<br />

Sie zur Regierungspolitik<br />

zu erheben, lässt tief blicken.<br />

Nur ist damit das Ende der Fahnenstange<br />

des Staunens noch keineswegs<br />

erreicht. Gefragt von einer Journalistin,<br />

was er zum Vorwurf der Union sage,<br />

mit seinem Gesetzesvorhaben werde<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

23


POLITIK<br />

»ein mühsam gefundener gesellschaftlicher<br />

Kompromiss aufgebrochen, indem<br />

ein Element entfernt würde«, antwortete<br />

der Bundesjustizminister: »Ich<br />

glaube, wir müssen das Recht der Gegenwart<br />

anpassen und dieser Kompromiss<br />

wurde in einer Zeit gefunden, als es<br />

noch kein Internet gab. Wo Ärzte eben<br />

nicht im Internet darstellen konnten,<br />

welche Eingriffe sie vornehmen, welche<br />

Techniken sie dazu anwenden und<br />

was aus medizinischer Sicht dafür und<br />

dagegen spricht. Und deswegen glaube<br />

ich, müssen wir das Recht dieser Gegenwart<br />

anpassen.«<br />

Was soll das heißen? Dass die Offerte<br />

eines Arztes in den Gelben Seiten,<br />

er führe Abtreibungen durch, ehedem<br />

zu Recht strafbar war? Dass aber<br />

dieselbe Offerte, wenn sie stattdessen<br />

auf eine im Internet auffindbare Praxishomepage<br />

verlegt wird, – Simsalabim<br />

– juristisch unanfechtbar und legal<br />

wird? Anders gefragt: Kann aus einer<br />

analogen Straftat, wenn sie im Internet<br />

begangen wird, digitales Recht<br />

werden? Und wenn ja, wie macht das<br />

Internet das? Besitzt es die Fähigkeit<br />

zur Transsubstantiation? Kann es Unrecht<br />

in Recht wie Wasser in Wein oder<br />

Wein in Blut verwandeln?<br />

Oder haben die gern als »selbsternannt«<br />

gelabelten Lebensrechtler nicht<br />

vielmehr Recht, wenn sie meinen, Buschmann<br />

streue den Bürgerinnen und Bürgern<br />

»Sand in die Augen«, wenn er behauptet,<br />

die Aufhebung des Werbeverbots<br />

für Abtreibungen ändere nichts<br />

an dem »Schutzkonzept« für das Leben<br />

ungeborener Kinder, zu welchem<br />

die Verfassung den Staat überdies verpflichtet?<br />

Treffen sie nicht den Nagel<br />

auf den Kopf, wenn sie beispielsweise<br />

in Gestalt der Bundesvorsitzenden der<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.,<br />

Cornelia Kaminski, behaupten: »Es ist<br />

praktisch niemand zu vermitteln, dass<br />

etwas, das beworben werden wird und<br />

für das geworben werden darf, eine<br />

rechtswidrige und prinzipiell strafbare<br />

Handlung darstellt«? Oder wenn sie zu<br />

Protokoll geben: »Die Bewerbung einer<br />

rechtswidrigen und prinzipiell strafbaren<br />

Handlung auf den Internetseiten<br />

von Arztpraxen, Kliniken und Einrichtungen<br />

lässt vorgeburtliche Kindstötungen<br />

wie jede andere medizinische Leistung<br />

oder Heilbehandlung erscheinen<br />

und versieht sie mit dem Anschein der<br />

Legitimität«?<br />

Wie dem auch sei, die Behauptung<br />

des Bundesjustizministers, »das Recht«<br />

müsse »der Gegenwart« angepasst werden,<br />

wirft weitere Fragen auf. Müssten,<br />

so ließen sich beispielsweise fragen,<br />

dann nicht auch Mord und Totschlag<br />

aus dem Strafgesetzbuch gestrichen<br />

werden? Oder wenigstens Betrug<br />

und Diebstahl? Anders gefragt: Müsste<br />

nicht gleich das ganze Strafgesetzbuch<br />

eingestampft werden? Im Grunde gibt<br />

es dieses doch nur, weil zumindest zwischen<br />

seinen Autoren und Kommentatoren<br />

Konsens darüber besteht, dass es<br />

Info<br />

Reproduktive Selbstbestimmung<br />

sich in Wirklichkeit genau andersherum<br />

verhält. Dass nämlich nicht das Recht<br />

der Gegenwart angepasst werden muss,<br />

sondern die Gegenwart dem Recht.<br />

Was ist Recht, wenn nicht in Paragrafen<br />

gegossene Ethik? Was, wenn nicht<br />

das Minimum, jener unverzichtbare Bestandteil<br />

an Moral, auf den jede Bürgerin<br />

und jeder Bürger zwecks eines gedeihlichen<br />

Zusammenlebens verpflichtet<br />

werden kann? Fragen über Fragen,<br />

die offenbar bei Bundesjustizminister<br />

Marco Buschmann nicht in den allerbesten<br />

Händen zu sein scheinen. Die<br />

Union sollte eine Normenkontrollklage<br />

erwägen.<br />

Auszug aus dem Koalitionsvertrag »Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für<br />

Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit« zwischen der Sozialdemokratischen<br />

Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90/Die Grünen und den Freien Demokraten<br />

(FDP), S. 115 f.<br />

»Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Wir stellen Versorgungssicherheit<br />

her. Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung<br />

sein. Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen<br />

gehört zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung. Sogenannten Gehsteigbelästigungen<br />

von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern setzen wir<br />

wirksame gesetzliche Maßnahmen entgegen. Wir stellen die flächendeckende<br />

Versorgung mit Beratungseinrichtungen sicher. Schwangerschaftskonfliktberatung<br />

wird auch künftig online möglich sein. Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche<br />

Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne<br />

eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Daher streichen wir § 219a StGB.<br />

Wir wollen Krankenkassen ermöglichen, Verhütungsmittel als Satzungsleistung<br />

zu erstatten. Bei Geringverdienenden werden die Kosten übernommen. Wir wollen<br />

die Forschungsförderung für Verhütungsmittel für alle Geschlechter anheben.<br />

Wir wollen ungewollt Kinderlose besser unterstützen. Künstliche Befruchtung<br />

wird diskriminierungsfrei auch bei heterologer Insemination, unabhängig von<br />

medizinischer Indikation, Familienstand und sexueller Identität förderfähig<br />

sein. Die Beschränkungen für Alter und Behandlungszyklen werden wir überprüfen.<br />

Der Bund übernimmt 25 Prozent der Kosten unabhängig von einer Landesbeteiligung.<br />

Sodann planen wir, zu einer vollständigen Übernahme der Kosten<br />

zurückzukehren. Die Kosten der Präimplantationsdiagnostik werden übernommen.<br />

Wir stellen klar, dass Embryonenspenden im Vorkernstadium legal sind,<br />

und lassen den ›elektiven Single Embryo Transfer‹ zu.<br />

Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin<br />

ein, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch<br />

außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende<br />

und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird.«<br />

24 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


POLITIK<br />

<strong>ALfA</strong>-PODCAST<br />

»LIFETALKS«<br />

Menschenrechte sind die Grundlage unseres friedlichen und freiheitlichen Zusammenlebens. Das<br />

erste Menschenrecht ist das Recht auf Leben. Darum, und um viele weitere Fragen, die den Lebensschutz<br />

betreffen, geht es in dem wöchentlich erscheinenden Podcast „Lifetalks“ der Aktion Lebensrecht<br />

für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V. Meist spricht hier die Bundesvorsitzende der <strong>ALfA</strong>, Cornelia Kaminski, mit<br />

Experten aus dem In- und Ausland über ein aktuelles Lebensrechtsthema. Interessierte können<br />

»Lifetalks« kostenlos abonnieren oder über Anchor, Spotify, Google Podcasts sowie über die <strong>ALfA</strong>-<br />

Homepage unter www.alfa-ev.de abrufen.<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e. V.<br />

Kitzenmarkt 20–22 | 86150 Augsburg<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

www.alfa-ev.de<br />

25


MEDIZIN<br />

ONDROOO/STOCK.ADOBE.COM<br />

Mut gehört<br />

immer zum Leben<br />

Der Kampf um das Überleben von extrem frühgeborenen Kindern bedarf<br />

zunächst einer Entscheidung für das Leben<br />

Von Vera Novelli<br />

Als Freya-Rose im Juli 2021 geboren<br />

wurde, wog sie nur 730<br />

Gramm. Babys mit diesem Geburtsgewicht<br />

haben eine Überlebenschance<br />

von rund 30 Prozent. Freya-Rose<br />

kam 15 Wochen zu früh auf die Welt.<br />

Wenn nicht ein Wunder geschehen würde,<br />

würde das winzige Baby sterben. Kinder,<br />

die vor der 28. Woche geboren werden,<br />

haben außerdem ein höheres Risiko,<br />

gesundheitliche Komplikationen zu<br />

erleiden, und benötigen während ihres<br />

Wachstums zusätzliche Pflege durch medizinisches<br />

Personal. Doch Freya-Rose<br />

hat es nicht nur geschafft, sondern durfte<br />

das Krankenhaus verlassen und ihr erstes<br />

Weihnachten zuhause in Greenock,<br />

Schottland, verbringen.<br />

Ihre Mutter Kimberley (25) erzählt:<br />

»Ich ging zu einem Ultraschall, um eine<br />

Zyste entfernen zu lassen, und entdeckte,<br />

dass da ein Baby drin war – vier<br />

Wochen nach Beginn der Schwangerschaft.<br />

Wir waren überglücklich über<br />

diese Nachricht!« Die frischgebackenen<br />

Eltern Kimberley und James glaubten<br />

zunächst nicht, dass Kimberley schwanger<br />

werden könnte, da sie an einem polyzystischen<br />

Ovarialsyndrom leidet.<br />

Das Blatt wendete sich, als Kimberley<br />

unerwartet zu bluten begann. Sie wurde<br />

ins Krankenhaus gebracht, wo die Wehen<br />

zwei Stunden lang anhielten und<br />

das winzige Mädchen zur Welt kam.<br />

Was folgte, war eine Reihe von Diagnosen<br />

für Freya-Rose und, wie Kimberley<br />

es nannte, »vier Monate im Krankenhaus<br />

und eine Menge Rückschläge«. Die<br />

frischgebackene Mutter und ihr Lebensgefährte<br />

James Gallacher (26) besuchten<br />

ihre Tochter im Princess Royal Maternity<br />

Hospital in Glasgow. Kimberley<br />

sagte, als sie Freya nach Hause brachte:<br />

»Sie ist wie ein neugeborenes Baby. Es<br />

war das schönste Weihnachtsgeschenk,<br />

als sie nach Hause kam.« Und obwohl<br />

Freya-Rose ein chronisches Lungenleiden<br />

hat, das ständig überwacht werden<br />

muss, konnte sie Weihnachten mit ihren<br />

Eltern zuhause verbringen und wog dabei<br />

gesunde 2.722 Gramm. James sprach<br />

über seine Dankbarkeit gegenüber den<br />

Ärzten: »Sie haben das Leben unseres<br />

Kindes gerettet.«<br />

26 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


MEDIZIN<br />

Frühchen haben einen schlechten<br />

Start. Aber man muss sie auch wollen.<br />

Eltern und Ärzte müssen den Willen<br />

und die Kraft zum Kampf für das Leben<br />

des winzigen Menschenkindes aufbringen.<br />

»Für die Therapie von extrem<br />

Frühgeborenen gibt es nur wenige Studien,<br />

die uns den Weg weisen würden,<br />

was richtig ist und was falsch. Oft stehen<br />

wir vor der Wahl, etwas zu versuchen<br />

oder nichts zu tun, was den wahrscheinlichen<br />

Tod bedeuten würde«, erklärt<br />

der Chefarzt der Kinderklinik Fulda,<br />

Professor Dr. Reinald Repp. »Man<br />

kann keine eindeutigen Grenzen ziehen,<br />

man darf die Entscheidung über<br />

Leben und Tod eines Frühgeborenen<br />

nicht nur an der Schwangerschaftswoche<br />

festmachen. In den Niederlanden<br />

oder der Schweiz werden sogar Frühgeborene<br />

in der 25. Schwangerschaftswoche<br />

oft nicht am Leben gehalten, dabei<br />

könnte mehr als jedes zweite dieser<br />

Kinder ohne Behinderung groß werden.<br />

Eine wichtige Rolle spielt zum Beispiel,<br />

ob eine Infektion vorliegt oder nicht.«<br />

2010 ermöglichte das Klinikum Fulda<br />

dem Frühchen Frieda, das nach 21 Wochen<br />

und fünf Tagen Schwangerschaft<br />

zur Welt gekommen war, das Überleben.<br />

Am 7. November 2010 kam eine<br />

33-Jährige mit Zwillingen, Schwangerschaft<br />

seit 21 Wochen und fünf Tagen,<br />

mit frühzeitigen Wehen in die Fuldaer<br />

Klinik. Die Eltern wollten Maximaltherapie!<br />

Tatsächlich schaffte es der kleine<br />

Kilian nicht, Frieda, seine Schwester,<br />

aber überlebte. Kilian kam sieben<br />

Stunden früher als Frieda zur Welt, und<br />

in der 22. Schwangerschaftswoche zählt<br />

jede zusätzliche Stunde im Mutterleib,<br />

so Repp. Frieda war damals gemeinsam<br />

mit einem Kind aus Kanada das jüngste<br />

Frühchen der Welt.<br />

Am 22. April 2019 konnte auch Melina,<br />

die nach nur 21 Wochen und vier<br />

Tagen Schwangerschaft das Licht der<br />

Welt erblickt hatte, aus dem Klinikum<br />

Fulda entlassen werden. Am Morgen<br />

des 5. März 2019 war Melina gemeinsam<br />

mit ihrem Zwillingsbruder bei einer<br />

ungeplanten Hausgeburt zur Welt<br />

gekommen – damals wog das kleine<br />

Mädchen nicht einmal 500 Gramm.<br />

Der Zwillingsbruder verstarb nur wenige<br />

Stunden nach dem Eintreffen im<br />

Klinikum, Melina kämpfte weiter. Kritisch<br />

für das Überleben sei laut Repp vor<br />

PETERBAKO/STOCK.ADOBE.COM<br />

allem die Unreife lebenswichtiger Organe<br />

aufgrund des extrem frühen Geburtstermins.<br />

»Die kleine Melina wurde mit einer<br />

Hochfrequenzoszillation beatmet.<br />

Das ist, wie wenn der Hund hechelt«,<br />

so Repp. Melinas Kreislauf stabilisierte<br />

sich, ebenso wie die Atmung. Hirnblutungen<br />

blieben aus. Frühchen, die<br />

vor der 24. Schwangerschaftswoche zur<br />

Welt kommen, müssen nach den deutschen<br />

Leitlinien nicht lebenserhaltend<br />

behandelt werden. In Melinas Fall entschieden<br />

sich die Ärzte für das Leben –<br />

mit Erfolg. 13 Monate nach ihrer Geburt<br />

konnte Melina schließlich nach<br />

Hause entlassen werden.<br />

Für die Prognose ist auch mitentscheidend,<br />

wo die extrem früh Geborenen<br />

zur Welt kommen: »Wir gehören<br />

seit vielen Jahren zu den Zentren<br />

mit den höchsten Überlebensraten und<br />

wenigsten Komplikationen – dabei sind<br />

Fälle wie Frieda gar nicht erfasst, nur<br />

Frühgeborene ab der abgeschlossenen<br />

24. Woche fließen in die Statistik ein«,<br />

erklärt Repp. »Das Perinatalzentrum<br />

Level 1 am Klinikum Fulda mit Repp<br />

als Chefarzt der Neonatologie (Versorgung<br />

der Frühgeborenen) zählt nach den<br />

Daten des IQTIG (Institut für Qualität<br />

und Transparenz im Gesundheitswesen)<br />

schon über viele Jahre hinweg zu<br />

den besten Perinatalzentren Deutschlands«,<br />

erläutert Priv.-Doz. Dr. Thomas<br />

Menzel, Vorstandssprecher des Klinikums<br />

Fulda. Menzel weiter: »Bei der<br />

Überlebensrate ohne schwerwiegende<br />

Komplikationen belegt das Perinatalzentrum<br />

des Klinikums Fulda aktuell<br />

Platz 1 von den 211 Zentren dieser<br />

Art in Deutschland und bei der Überlebensrate<br />

(mit und ohne Komplikationen)<br />

Platz 2.«<br />

Er wog nur 420 Gramm und passte<br />

in zwei Handflächen, als er auf die<br />

Welt kam: Curtis aus den USA ist nun<br />

offiziell das jüngste bekannte Frühchen<br />

der Welt, das überlebt hat. Damit steht<br />

Curtis jetzt im Guinnessbuch der Rekorde.<br />

Er kam am 5. Juli 2020 in einer<br />

Notoperation zur Welt – mit nur 21<br />

Über die Therapie von extrem Frühgeborenen gibt es nur wenige Studien<br />

Wochen, 132 Tage zu früh. Das kleine<br />

Kind hatte laut dem Ärzteteam der University<br />

of Alabama in Birmingham weniger<br />

als ein Prozent Überlebenschance.<br />

Seine Zwillingsschwester verstarb<br />

nur einen Tag nach der Geburt. Curtis<br />

konnte 275 Tage nach seiner Geburt<br />

das Krankenhaus verlassen.<br />

Es ist sicher realistisch zu sehen, dass<br />

extrem frühgeborene Kinder häufig mit<br />

Einschränkungen leben müssen. Curtis<br />

musste atmen »lernen«, Melina ebenso.<br />

Auch Frieda hat kleine motorische Einschränkungen.<br />

Aber der Kampf für das<br />

Leben lohnt sich. »Aufgrund der Behandlungserfolge<br />

der letzten zehn Jahre<br />

konnten wir mit Zuversicht in unserem<br />

außerordentlich engagierten Team alle<br />

lebenserhaltenden Maßnahmen durchführen«,<br />

zeigt sich Repp dankbar. »Wir<br />

versuchen die medizinischen Möglichkeiten<br />

mit dem Mut, sich zum Leben<br />

zu bekennen, zu verbinden.« Und Mut<br />

gehört immer zum Leben.<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

27


MEDIZIN<br />

FOTOSABINE/STOCK.ADOBE.COM<br />

Ein Herz<br />

aus Schwein<br />

Blut geleckt: Nach der geglückten Transplantation eines Schweineherzens wollen Ärzte das Konzept<br />

der Xenotransplantation trotz des Todes des Patienten nach rund zwei Monaten weiter verfolgen<br />

Von Stefan Rehder<br />

Der US-Amerikaner David Bennett,<br />

dem Ärzte des Medical<br />

Center der University of Maryland<br />

(UMMC) Anfang Januar <strong>2022</strong><br />

im Rahmen einer weltweit aufsehenerregenden,<br />

achtstündigen Operation<br />

das Herz eines genetisch modifizierten<br />

Schweins transplantiert hatten, ist tot.<br />

Das teilte das UMMC in einer Mitteilung<br />

der Klinik, einen Tag nach seinem<br />

Tod, am 9. März mit. Zu der genauen<br />

Todesursache machte die Klinik bislang<br />

keine Angaben. Wie es in der Mitteilung<br />

weiter hieß, habe sich der Zustand<br />

des 57-Jährigen schon einige Tage zuvor<br />

verschlechtert, nachdem er davor<br />

lange Zeit stabil gewesen sei.<br />

Laut dem UMMC litt der 57-Jährige<br />

an einer Herzinsuffizienz im Endstadium.<br />

Aufgrund seines Gesundheitszustandes<br />

sei er für eine Transplantation<br />

mit einem menschlichen Spenderherz<br />

nicht in Frage gekommen. Der Patient<br />

habe deshalb vor der Wahl gestanden,<br />

entweder zu sterben oder diese Operation<br />

durchführen zu lassen. Die US-amerikanische<br />

Aufsichtsbehörde, die Food<br />

and Drug Administration (FDA), hatte<br />

der Klinik für den Eingriff, der trotz des<br />

Todes des Patienten bereits als »Meilenstein«<br />

in der Geschichte der Transplantationsmedizin<br />

gilt, eine Notfallgenehmigung<br />

erteilt. Solche Genehmigungen<br />

sind nicht unüblich. Sie werden häufig<br />

dann erteilt, wenn Patienten lebensbedrohlich<br />

erkrankt sind und die Gabe eines<br />

experimentelles Medizinproduktes<br />

die einzige verbleibende Chance für ihr<br />

Überleben darstellt.<br />

Wie das UMMC nach der Operation<br />

mitteilte, sei der Patient zuvor umfassend<br />

über sämtliche Risiken des ex-<br />

28 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


MEDIZIN<br />

perimentellen Eingriffs aufgeklärt worden.<br />

Sechs Wochen zuvor sei er mit lebensbedrohlichen<br />

Herzrhythmusstörungen<br />

ins Krankenhaus eingeliefert und<br />

an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen<br />

worden. Nach der erfolgreichen<br />

Transplantation wurde der Patient<br />

auf Anzeichen für eine Organabstoßung<br />

überwacht. Die ersten 48 Stunden, die<br />

normalerweise als besonders kritisch<br />

gelten, seien ohne Zwischenfälle verlaufen.<br />

Auch die Möglichkeit des Auftretens<br />

von Infektionen, darunter<br />

solche, die von übertragbaren<br />

Schweineviren ausgelöst<br />

werden können, würden<br />

fortlaufend kontrolliert.<br />

Nach Informationen der<br />

»New York Times« stammte<br />

das transplantierte Herz<br />

von einem genetisch veränderten<br />

Schwein, das von der<br />

Firma »Revivicor«, einem<br />

Unternehmen für regenerative<br />

Medizin mit Firmensitz<br />

in Blacksburg im US-<br />

Bundesstaat Virginia, bereitgestellt<br />

wurde. Gegenüber<br />

normalen Schweinen habe<br />

das Spenderschwein zehn<br />

genetische Veränderungen<br />

besessen. Vier davon beträfen<br />

die Deaktivierung von<br />

Genen, unter anderem von<br />

solchen, die normalerweise<br />

zur Abstoßung des Organs<br />

führten. Die sechs anderen<br />

genetischen Veränderungen<br />

beträfen menschliche Gene, die in das<br />

Schweinegenom eingefügt worden seien.<br />

Mit ihnen werde das Ziel verfolgt,<br />

die Organe der Tiere für das menschliche<br />

Immunsystem »verträglicher«<br />

zu machen.<br />

Während Herzklappen von Schweinen<br />

bereits routinemäßig Menschen<br />

transplantiert werden und einige Diabetes-Patienten<br />

auch schon Schweine-Bauspeicheldrüsenzellen<br />

transplantiert<br />

bekommen hatten, war ein Experiment<br />

wie dieses noch nie zuvor durchgeführt<br />

wurden. Allerdings hatte das<br />

Ärzte-Team um den Direktor des Herztransplantationsprogramms<br />

des UM-<br />

MC, Bartley Griffith, den Eingriff zuvor<br />

trainiert und dabei Schweinherzen<br />

in mehreren Tierversuchen Pavianen<br />

erfolgreich transplantiert.<br />

Die Idee, Menschen Tierherzen zu<br />

transplantieren, ist nicht neu. 1984 hatten<br />

Ärzte in Kalifornien einem neugeborenen<br />

Mädchen, das an einer schweren<br />

Fehlbildung der linken Herzkammer<br />

litt, das Herz eines Pavians transplantiert.<br />

Anfangs sah auch hier alles<br />

nach einem Erfolg aus. Doch nach 20<br />

Tagen begann der Organismus der kleinen<br />

Fae Stephanie, das walnussgroße<br />

Herz abzustoßen. Das Mädchen starb<br />

nach drei Wochen.<br />

Gilt als neuer »Meilenstein« in der Transplantationsmedizin<br />

Dass nun auch David Bennett tot ist,<br />

wird Transplantationschirurgen nicht<br />

davon abhalten, weitere Operationen<br />

mit genetisch veränderten Schweineherzen<br />

durchzuführen. »Wir haben<br />

unbezahlbare Einblicke bekommen und<br />

gelernt, dass ein genetisch verändertes<br />

Schweineherz im menschlichen Körper<br />

gut funktionieren kann, wenn das<br />

Immunsystem angemessen unterdrückt<br />

wird. Wir bleiben optimistisch und planen,<br />

unsere Arbeit mit weiteren klinischen<br />

Versuchen fortzusetzen«, zitiert<br />

das UMMC Muhammad Mohiuddin,<br />

den wissenschaftlichen Leiter der Klinik.<br />

Andere werden versuchen, es dem<br />

UMMC gleichzutun. Man kann das<br />

verstehen. Allein in den USA warten<br />

jährlich rund 110.000 Patienten auf ein<br />

Spenderorgan. Rund 25 Prozent von ihnen<br />

versterben, ohne ein solches erhalten<br />

zu haben.<br />

In Deutschland sprach der Leiter der<br />

Sektion Xenotransplantation der Technischen<br />

Universität München, Konrad<br />

Fischer, von einem »großartigen<br />

Erfolg«: Grundsätzlich böte die Xenotransplantation<br />

»wesentliche Vorteile<br />

gegenüber der Mensch-zu-Mensch-<br />

Transplantation«. So könnten die Tiere<br />

»gezielt genetisch verändert werden,<br />

um Abstoßungsreaktionen zu verhindern«,<br />

erklärte Fischer gegenüber<br />

dem Science Media<br />

Center. »Auch können<br />

immunsuppressiv wirkende<br />

Substanzen direkt durch das<br />

Transplantat erzeugt werden.<br />

Die Haltung der Schweine<br />

kann unter standardisierten<br />

Bedingungen erfolgen, unter<br />

Ausschluss humanpathogener<br />

Viren und Bakterien. Somit<br />

kann auf lange Sicht für jeden<br />

Patienten das passende<br />

Spenderorgan zur Verfügung<br />

gestellt werden. Der aktuelle<br />

Forschungsschwerpunkt besteht<br />

vor allem darin, verzögerte<br />

Abstoßungsreaktionen,<br />

die nach einigen Wochen bis<br />

Monaten auftreten, zu verhindern<br />

und ein mehrjähriges<br />

Überleben der Patienten<br />

sicherzustellen«, so Fischer<br />

weiter.<br />

Skeptischer zeigte sich dagegen<br />

Uta Dahmen, Leiterin<br />

des Bereichs »Experimentelle Transplantationschirurgie«<br />

an der Universität<br />

Jena: »Es bleibt aktuell das Problem<br />

des erheblichen, auch finanziellen<br />

Aufwands, der von der Allgemeinheit<br />

für den einzelnen Patienten getragen<br />

werden muss. Bei begrenzten finanziellen<br />

Ressourcen verlagert sich das Problem<br />

von der alleinigen Verfügbarkeit eines<br />

Organs zumindest temporär auf die<br />

Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen.<br />

Bei steigender Nutzung dieser Quelle<br />

ist allerdings zu erwarten, dass auch der<br />

Aufwand für die Herstellung der Organe<br />

abnimmt und damit die Verfügbarkeit<br />

steigt.« Nach diesem »proof of<br />

principle« müssten nun »komplexe und<br />

sehr kostenträchtige klinische Studien<br />

durchgeführt werden, um den Nutzen<br />

dieses Verfahrens zu zeigen«.<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

29


BÜCHERFORUM<br />

Der Tod ist mir nicht unvertraut<br />

Über das Sterben kann man<br />

lang und breit schreiben.<br />

Rund ein halbes Dutzend Titel<br />

zeugen Jahr für Jahr davon. Aber<br />

kann man über das Sterben auch ausführlich<br />

sprechen? Noch dazu Kapitel<br />

für Kapitel, ein ganzes Buch lang? Persönlich<br />

und dennoch gewinnbringend<br />

für andere? Man kann.<br />

Richtiger wäre wohl, es so zu formulieren:<br />

Die Richterin Elke Büdenbender,<br />

vielen besser bekannt als Ehefrau von<br />

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier,<br />

und Eckhard Nagel, Transplantationschirurg<br />

und geschäftsführender<br />

Direktor des Instituts für Medizinmanagement<br />

und Gesundheitswissenschaften<br />

an der Universität Bayreuth,<br />

können es. Und noch richtiger wäre<br />

womöglich: Büdenbender und Nagel<br />

können es in eben genau jener Konstellation.<br />

Denn beide kennen sich seit<br />

über 30 Jahren. Ihre Familien sind seit<br />

Langem befreundet. Und sie haben jeweils<br />

– sehr persönliche – Erfahrungen<br />

mit dem Sterben gemacht, über die sie<br />

miteinander vertrauensvoll sprechen.<br />

Gespräche, die sie sodann in Form<br />

eben jenes Buches in den ungeschützten<br />

Raum der Öffentlichkeit entlassen.<br />

Was dieses Buch so besonders<br />

macht, ist, dass man an keiner Stelle<br />

das Gefühl bekommt, hier spräche<br />

jemand für die Galerie. Der »Trick«,<br />

wenn es überhaupt einer ist, besteht<br />

darin, dass das, worüber vielen Menschen<br />

nachzudenken und erst recht zu<br />

sprechen schwerfällt, hier zwei Vertraute<br />

einander anvertrauen. Der Leser<br />

wird also gewissermaßen erst über<br />

»die Bande« erreicht. Das ermöglicht<br />

einerseits ein hohes Maß an Authentizität<br />

und sorgt andererseits für ausreichend<br />

Distanz. Bei einem Thema, mit<br />

dem sich viele schwertun, eine Kombination,<br />

die Zugang und Beschäftigung<br />

zweifellos vielen erleichtern dürfte.<br />

Ob es – wie gleich zu Beginn – um das<br />

Sterben von Eltern und Kindern geht,<br />

um die »Ars moriendi«, die Kunst des<br />

Sterbens, die heute kaum noch jemand<br />

beherrscht, um Sterberituale oder um<br />

Suizidhilfe, bei der die Diskutanten<br />

völlig entgegengesetzte Positionen vertreten,<br />

oder um Fragen wie die, ob der<br />

Mensch eine Seele hat und es ein Leben<br />

nach dem Tod gibt, stets befindet sich<br />

der Leser in der komfortablen Position<br />

des Zaungastes, der nicht direkt angesprochen<br />

wird und Stellung beziehen<br />

muss, sondern sich, sofern und soweit<br />

er will, zu alledem selbst befragen kann.<br />

Ziel des Buches sei es, so der Klappentext,<br />

Perspektiven auf die eigene<br />

Endlichkeit, auf das Leben im Angesicht<br />

des Todes zu eröffnen und das<br />

gesellschaftliche Gespräch über dieses<br />

essenzielle Thema voranzubringen.<br />

Ein Ziel, das Büdenbender und Nagel<br />

mit diesem Buch zweifellos erreichen<br />

werden. Wer die Auseinandersetzung<br />

mit dem Thema, das aus dem öffentlichen<br />

Leben weitgehend verdrängt<br />

wurde, für sich selbst weiter vertiefen<br />

will, der findet am Ende ganze vier Seiten<br />

mit Literaturempfehlungen. Auch<br />

das ist, wie das Buch selbst, sicher eine<br />

gute Idee.<br />

Stefan Rehder<br />

Elke Büdenbender / Eckhard Nagel: Der<br />

Tod ist mir nicht unvertraut. Ein Gespräch<br />

über das Leben und das Sterben.<br />

Ullstein Verlag, Berlin <strong>2022</strong>. Gebunden.<br />

224 Seiten. 24,00 EUR.<br />

Lebensschutz für den Embryo in vitro<br />

Die Entwicklungen im Bereich der Human- und Fortpflanzungsmedizin<br />

haben überkommene Vorstellungen<br />

bezüglich des Entstehens menschlichen Lebens,<br />

der Schwangerschaft und Mutterschaft radikal verändert<br />

und erregen zunehmend Aufmerksamkeit. Aufgrund<br />

der Entwicklungen neuer Methoden in der Reproduktionsmedizin<br />

und der durch sie ermöglichten<br />

wachsenden Zugriffsmöglichkeiten ist nach Ansicht der<br />

Autorin die Beantwortung der Frage, ab wann der Embryo<br />

in vitro rechtlichen Schutz genießt, noch dringlicher<br />

geworden. Ihre Untersuchung kommt zu dem Ergebnis,<br />

dass es notwendig sei, ein umfassendes und präzises<br />

Fortpflanzungsmedizingesetz zu normieren, da das<br />

Embryonenschutzgesetz (ESchG) viele Lücken und Unklarheiten<br />

aufweise und durch neue medizinische Fortschritte<br />

an einigen Stellen überholt worden sei. san<br />

Melike S‚entürk Tur: Lebensschutz für den Embryo in<br />

vitro. Schriften zum Strafrecht. Bd. 374. Verlag Duncker<br />

& Humblot, Berlin 2021. 251 Seiten. 79,90 EUR.<br />

30 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


BÜCHERFORUM<br />

Anthropologie und Ethik der Biomedizin<br />

Wie kann es sein, dass in nahezu<br />

allen bioethischen<br />

Debatten nicht nur über<br />

Wege zur Erreichung von Zielen gestritten<br />

wird, sondern auch über diese<br />

selbst völlige Uneinigkeit herrscht?<br />

Auch dort, wo empirische Befunde<br />

wechselseitig anerkannt werden? Wer<br />

solchen Fragen nachgeht, gelangt mit<br />

erstaunlicher Regelmäßigkeit zu der<br />

Einsicht, dass es die differierenden<br />

Menschenbilder sind, die – obgleich sie<br />

oft unausgesprochen bleiben – für unterschiedliche<br />

Positionen und mitunter<br />

unüberbrückbare Gegensätze verantwortlich<br />

zeichnen. Das kann auch gar<br />

nicht anders sein. Denn wer etwa Menschen<br />

als ein zufälliges Produkt der<br />

Evolution betrachtet, muss bei der Frage,<br />

wie dieses mit sich und anderen verfahren<br />

darf, notwendigerweise zu ganz<br />

anderen Ergebnissen gelangen als der,<br />

der den Menschen als sich selbst aufgegebene<br />

Aufgabe oder – mehr noch – als<br />

eine von einem Schöpfergott gewollte<br />

Person begreift.<br />

Die beiden Herausgeber des vorliegenden<br />

Sammelbandes, die Professoren<br />

Christoph Böhr und Markus Rothhaar,<br />

sind deshalb überzeugt: »Bioethik<br />

kann nur zu tragfähigen Antworten<br />

gelangen, wenn sie die Frage nach dem<br />

Menschen nicht ausklammert, sondern<br />

im Gegenteil diese Frage an den<br />

Beginn aller nachfolgenden Auseinandersetzungen<br />

rückt.« Es gelte daher,<br />

die Voraussetzungen, die Aussagen<br />

und Forderungen zugrunde lägen, »explizit«<br />

zu machen. Dies leistet der im<br />

vergangenen Jahr erschienene Band auf<br />

vorbildliche Weise. Dabei gehen die in<br />

ihm versammelten Aufsätze auf eine<br />

wissenschaftliche Fachtagung zurück,<br />

die die beiden Herausgeber an der Philosophisch-Theologischen<br />

Hochschule<br />

Benedikt XVI. in Heiligenkreuz bei<br />

Wien veranstaltet haben.<br />

Gegliedert ist das lesenswerte Werk in<br />

fünf Teile: Der erste behandelt »Grundlagen«,<br />

ein zweiter »Leitfragen« und ein<br />

dritter »Streitfragen«, bevor der vierte<br />

einen »Sichtwechsel« wagt und ein fünfter<br />

schließlich »Bedingungen, Möglichkeiten,<br />

Ziele und Grenzen« der »Selbstbestimmung«<br />

in den Blick nimmt. Die<br />

Autoren sind allesamt ausgewiesene<br />

Experten. Unter ihnen finden sich Philosophen<br />

wie Walter Schweidler (»Den<br />

Mensch denken – Person und Ethik«),<br />

Günther Pöltner (»Medizinethik und<br />

ihre ontologisch-anthropologischen<br />

Voraussetzungen«) und Thomas Sören<br />

Hoffmann (»Autonomie leben: Über die<br />

Grenzen menschlicher Selbstbestimmung«),<br />

Medizinethiker wie Giovanni<br />

Maio (»Grundelemente einer Ethik der<br />

Sorge«), Axel W. Bauer (»Selbsttötung,<br />

Sterbehilfe, Tötung auf Verlangen: der<br />

›gute Tod‹ am Lebensende?«) und Susanne<br />

Kummer (»Ethik in der Reproduktionsmedizin«),<br />

aber auch Theologen<br />

wie Edmund Waldstein und Marian<br />

C. Gruber, der Arzt Christoph von Ritter<br />

und der Jurist Thomas Windhöfel. Und<br />

auch damit ist das Ende der versammelten<br />

Expertise noch keineswegs erreicht.<br />

Wenn es etwas gibt, das schmerzt, dann<br />

ist es der Preis des Bandes.<br />

Stefan Rehder<br />

Christoph Böhr / Markus Rothhaar<br />

(Hrsg.): Anthropologie und Ethik der<br />

Biomedizin. Grundlagen und Leitfragen.<br />

Verlag Springer VS, Wiesbaden<br />

2021. Gebunden. 446 Seiten. 89,99<br />

EUR. E-Book 69,99 EUR.<br />

Was es bedeutet, eine Mutter zu werden<br />

Jeder weiß heute, wie Kinder entstehen. In diesem<br />

Buch fragt die US-amerikanische Journalistin Abigail<br />

Tucker jedoch danach, wie Mütter entstehen. Wer<br />

über den lockeren, mitunter flapsigen Stil und unsinnige<br />

Vergleiche aus dem Tierreich hinwegsieht, wird<br />

in dem Buch mit einigen interessanten wissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen konfrontiert. Etwa mit der Tatsache,<br />

dass fetale Stammzellen während der Schwangerschaft<br />

in den mütterlichen Blutkreislauf gelangen<br />

und dort helfen, Krankheiten zu heilen. Oder dass das<br />

Gehirn von Schwangeren und Müttern in einem Ausmaß<br />

umgebaut wird, wie dies sonst nur während der<br />

Pubertät der Fall ist. Ob das für eine Kaufentscheidung<br />

ausreicht, mag jeder selbst entscheiden. san<br />

Abigail Tucker: Was es bedeutet, eine Mutter zu<br />

werden. Die Superkräfte von Müttern und was die<br />

Wissenschaft heute darüber weiß. Aus dem amerikanischen<br />

Englisch von Susanne Reinker. Ullstein<br />

Verlag, Berlin 2021. 416 Seiten. 17,99 EUR.<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

31


KURZ VOR SCHLUSS<br />

Expressis<br />

verbis<br />

Wir haben als Gesellschaft versagt,<br />

wenn die Reaktion auf eine Schwangerschaft<br />

nicht Freude, sondern<br />

Angst ist.«<br />

Die sieben katholischen Bischöfe des US-<br />

Bundesstaates New Jersey, der ein Gesetz<br />

verabschiedete, das vorgeburtliche<br />

Kindstötungen bis zur Geburt ermöglicht,<br />

in einer gemeinsamen Erklärung<br />

Im Jahr <strong>2022</strong> braucht niemand mehr<br />

diesen Paragrafen.«<br />

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel<br />

(Bündnis 90/Die Grünen) in der<br />

ZDF-Talkshow »Markus Lanz« über den<br />

§ 219a StGB<br />

Tops & Flops<br />

Cornelia Kaminski<br />

Die Stiftung für Ökologie und Demokratie,<br />

die sich zum Ziel gesetzt<br />

hat, die soziale Marktwirtschaft zu<br />

einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft<br />

fortzuentwickeln, hat<br />

die Bundesvorsitzende der Aktion<br />

Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.,<br />

STAGIAIREMGIMO, WIKIMEDIA COMMONS, CC BY-SA 4.0<br />

Klaus Reinhardt<br />

Für mich beginnt das Wunder menschlichen<br />

Lebens mit der Verschmelzung von<br />

Ei und Samenzelle, die den Beginn des<br />

Wachstums eines Embryos markiert.«<br />

Der bayerische Landesbischof Heinrich<br />

Bedford-Strohm in einer Pressemitteilung<br />

zur geplanten Abschaffung des<br />

§ 219a StGB<br />

Die Ampel-Regierung will den § 219a<br />

jetzt abschaffen. Justizminister Buschmann<br />

hat in dieser Woche einen Vorschlag<br />

für die Streichung des Paragrafen<br />

vorgelegt. Gut so!«<br />

Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende<br />

Margot Käßmann in einer Kolumne für<br />

die »Bild am Sonntag«<br />

Heute schreiben wir Geschichte.«<br />

Israels Gesundheitsminister Nitzan Horowitz<br />

bei der Vorstellung eines Gesetzes,<br />

das allen Bürgern des Landes erlaubt,<br />

Leihmütter zur Erfüllung von<br />

Kinderwünschen zu engagieren<br />

Cornelia Kaminski<br />

Cornelia Kaminski, in ihr Kuratorium<br />

berufen. Der Stiftungspräsident<br />

Hans-Joachim Ritter, selbst langjähriges<br />

<strong>ALfA</strong>-Mitglied und stellvertretender<br />

Vorsitzender der <strong>ALfA</strong>-Kreisgruppe<br />

Karlsruhe, freut sich über<br />

Kaminskis Zusage, denn sowohl die<br />

Stiftung als auch der gleichnamige<br />

Verein definierten den Ökologie-<br />

Begriff umfassend. Danach gehöre<br />

der Schutz des menschlichen Lebens<br />

von Anfang bis zu seinem Ende genauso<br />

dazu wie der Tier-, Naturund<br />

Klimaschutz. »Gerade jetzt, wo<br />

die neue Bundesregierung die Abtreibung<br />

salonfähig machen möchte<br />

und es ähnliche Bestrebungen auf<br />

Ebene der Europäischen Union gibt,<br />

ist es ein Gebot der Stunde, dagegen<br />

Flagge zu zeigen«, erklärte Ritter.<br />

reh<br />

Klaus Reinhardt<br />

Was hat dieser Mann genommen?<br />

Gegenüber dem »Redaktionsnetzwerk<br />

Deutschland« behauptet der<br />

Präsident der Bundesärztekammer<br />

(BÄK), Klaus Reinhardt, Gewalt und<br />

Drohungen gegen Mediziner, die<br />

vorgeburtliche Kindstötungen vornähmen,<br />

hätten zugenommen. Das<br />

Spektrum reiche von anonymen Beschimpfungen<br />

und Hass-Postings in<br />

den sozialen Netzwerken bis hin zu<br />

selbst ernannten Lebensschützern,<br />

die persönlich vor den Praxen auftauchten,<br />

so Reinhardt. Zahlen, wie<br />

häufig das passiere, gebe es nicht.<br />

Nun, wie kann der BÄK-Chef dann<br />

eine Zunahme behaupten? Ist das die<br />

berühmte Bauchevidenz? Fest steht,<br />

bislang gibt es keine Bilder von »selbst<br />

ernannten Lebensschützern«, die in<br />

Handschellen aus Arztpraxen geführt<br />

würden. Was es gibt, sind massenweise<br />

Bilder und Videos von friedlich demonstrierenden<br />

Lebensrechtlern, die<br />

von Polizisten in schwerer Schutzausrüstung<br />

gegen gewalttätige Abtreibungsbefürworter<br />

geschützt werden.<br />

reh<br />

32 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


KURZ VOR SCHLUSS<br />

Aus dem Netz<br />

»Wird alles gut? – Für einen Fortschritt nach menschlichem Maß«<br />

»(…) Eugenik, Euthanasie und Selektion:<br />

Das sind Begriffe, die in Deutschland<br />

mit schlimmen Erinnerungen<br />

verbunden sind. Sie rufen deshalb – zu<br />

Recht – emotionale Abwehr hervor.<br />

Trotzdem halte ich das Argument für<br />

Johannes Rau (1931–2006)<br />

ganz falsch und irreführend, wir Deutsche<br />

dürften bestimmte Dinge wegen<br />

unserer Geschichte nicht tun. Wenn<br />

wir etwas für unethisch und unmoralisch<br />

halten, dann deshalb, weil es<br />

immer und überall unethisch und unmoralisch<br />

ist. In fundamentalen ethischen<br />

Fragen gibt es keine Geografie<br />

des Erlaubten oder des Unerlaubten.<br />

Richtig ist: Die Erfahrung, die wir mit<br />

dem Nationalsozialismus gemacht haben,<br />

speziell mit Forschung und Wissenschaft<br />

im Dritten Reich, muss für<br />

die ethische Urteilsfindung – nicht nur<br />

bei uns – eine ganz wichtige Rolle spielen.<br />

Wir erinnern daran nicht, weil wir<br />

moralischer sein wollen als alle anderen.<br />

Nein, es geht nicht um deutsche<br />

Sondermoral. Niemand darf vergessen,<br />

was damals auch in Wissenschaft und<br />

Forschung geschehen ist. Entwicklungen,<br />

die schon vor 1933 und auch in<br />

anderen Ländern begonnen hatten,<br />

konnten dann ohne jede Grenze weiter<br />

gehen. Eine entfesselte Wissenschaft<br />

forschte – um ihrer wissenschaftlichen<br />

Ziele willen – ohne moralische Skrupel.<br />

Ich erinnere immer wieder daran,<br />

dass die Geschichte uns hilft – nicht<br />

nur uns Deutschen – zu begreifen, was<br />

geschieht, wenn Maßstäbe verrückt<br />

werden, wenn Menschen vom Subjekt<br />

zum Objekt gemacht werden. Wer einmal<br />

anfängt, menschliches Leben zu<br />

instrumentalisieren, wer anfängt, zwischen<br />

lebenswert und lebensunwert zu<br />

unterscheiden, der ist in Wirklichkeit<br />

auf einer Bahn ohne Halt. (…)«<br />

Auszug aus der »Berliner Rede« von<br />

Bundespräsident Johannes Rau (2001)<br />

»Die Welt. Die von morgen« (53)<br />

JOHANNES LIEBMANN<br />

GORODENKOFF/STOCK.ADEOBE.COM<br />

Kurz & bündig<br />

Studie: Einfluss<br />

des Partners bei<br />

Abtreibung hoch<br />

Nashville (<strong>ALfA</strong>). Die Pro-Life-Stiftung<br />

»Lifeway Research« mit Sitz in<br />

Nashville, im US-Bundesstaat Tennessee,<br />

hat eine Umfrage in Auftrag<br />

gegeben, um den Einfluss des<br />

Mannes bei der Entscheidung für<br />

eine Abtreibung herauszufinden.<br />

Befragt wurden 1.000 Männer aus<br />

den USA, deren Partnerinnen ein<br />

ungeborenes Kind abgetrieben haben<br />

und die davon Kenntnis hatten.<br />

Das Ergebnis: Männer spielen<br />

bei der Entscheidung für eine vorgeburtliche<br />

Kindstötung eine wichtige<br />

Rolle, sind sich dessen aber<br />

offenbar nur unzureichend bewusst.<br />

»Viele Abtreibungen finden<br />

statt, weil Männer ihre Partnerin<br />

dazu drängen«, erklärt Scott Mc-<br />

Connell, Geschäftsführer von Lifeway<br />

Research, aber nur knapp 40<br />

Prozent gäben zu, »dass sie den<br />

größten Einfluss auf die Entscheidung<br />

zur Abtreibung hatten«. reh<br />

GLOSSE<br />

In der Welt von morgen darf für Abtreibungen<br />

geworben werden. Und natürlich<br />

wird davon Gebrauch gemacht.<br />

Nicht im Stile von Rabattaktionen wie<br />

»Heute: zwei zum Preis von einer«<br />

oder: »30 Prozent auf alles – außer<br />

Tiernahrung«. Aber eben doch. Wegen<br />

des Satzes »Auch ein medikamentöser,<br />

narkosefreier Schwangerschaftsabbruch<br />

in geschützter Atmosphäre<br />

gehört zu unseren Leistungen« muss<br />

längst niemand mehr fürchten, belangt<br />

zu werden. In der Folge haben<br />

sich auch andere anpreisende Offerten<br />

durchgesetzt: So etwa »Ungewollt<br />

schwanger? Das muss nicht<br />

sein! Unsere erfahrenen Ärzte helfen<br />

Ihnen schnell und diskret bei der Lösung<br />

Ihres Problems.« Oder auch:<br />

»Hat die Verhütung mal versagt – Hilfe<br />

ist schon da! Kostenlose Hotline:<br />

0800/123 45 67 – einfach anrufen<br />

und Termin vereinbaren.« Bedauerlicherweise<br />

fehlt es an Wissenschaftlern,<br />

die deren gesellschaftliche Auswirkungen<br />

erforschen. Das kann man<br />

verstehen. Denn während sich die<br />

Erde erwärmt, lässt sich mit Modellierungen<br />

der Eiszeit der Herzen kein<br />

Blumentopf gewinnen. Stefan Rehder<br />

LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />

33


LESERFORUM<br />

Das Heft war SPITZE!<br />

Die Artikel sind gut<br />

recherchiert und sachlich<br />

(…), ohne zu polemisieren.<br />

Ich finde<br />

alle Hefte gut, aber<br />

dieses hat mich echt<br />

überwältigt.<br />

Elisabeth Saal, per E-Mail<br />

herausragenden Wissenschaftlern wie<br />

Prof. Cullen, Prof. Stöhr oder Prof. Ioannidis<br />

teilt, und es sagt mehr über die<br />

fragwürdige Gesinnung ihrer Kritiker<br />

aus als über sie selbst. Nicht zuletzt sei<br />

daran erinnert, dass die AfD zurzeit die<br />

einzige Partei im Deutschen Bundestag<br />

und in den Länderparlamenten ist,<br />

die sowohl programmatisch als auch<br />

in ihrer praktischen Politik einen konsequenten<br />

Lebensschutz vertritt. Dass<br />

ausgerechnet sie im »LebensForum«<br />

ausgegrenzt wird, während Linke und<br />

Grüne einen Platz finden, obwohl sie<br />

die Tötung Ungeborener vollständig<br />

legalisieren wollen, ist nicht nur ungerecht,<br />

sondern schadet auch unserer<br />

gemeinsamen Sache sehr.<br />

Tiefe Dankbarkeit<br />

Sie können sich nicht vorstellen, welche<br />

tiefe Dankbarkeit meine Kinder,<br />

meinen Mann und mich erfüllte, als<br />

wir kürzlich die Sonderausgabe Ihres<br />

»LebensForums« zum Thema<br />

COVID-19-Impfung in den Händen<br />

hielten. Wir sind Ihnen so dankbar,<br />

dass Sie dieses Thema ohne die übliche<br />

Medienpropaganda behandelt haben,<br />

dass ich Ihnen dieses unbedingt mitteilen<br />

muss.<br />

Andrea Baxpöhler-Bertram, Ennigerloh<br />

Nicht akzeptabel<br />

Zum Beitrag »Zank und Trotz« in »LebensForum<br />

Spezial <strong>2022</strong>«, S. 14–17<br />

»LebensForum Spezial <strong>2022</strong>« berichtet<br />

unter der Überschrift »Zank und<br />

Trotz« über die Orientierungsdebatte<br />

des Bundestages zur allgemeinen<br />

Impfpflicht gegen COVID-19. Dabei<br />

kommen alle dort vertretenen Fraktionen<br />

zu Wort – nur nicht die AfD.<br />

Was auch immer den Autor bewogen<br />

haben mag, diese wichtige Stimme in<br />

der Impfdebatte auszuschließen, es ist<br />

nicht akzeptabel. Denn keine andere<br />

Partei hat in den vergangenen Monaten<br />

so klar und eindeutig gegen die<br />

Impfpflicht Stellung bezogen wie die<br />

Alternative für Deutschland. Dabei<br />

hat sie all jene kritischen Argumente<br />

ins Feld geführt, die auch von der Lebensrechtsbewegung<br />

mit Recht vorgetragen<br />

werden: angefangen von der<br />

Verwendung embryonaler Zellen bei<br />

der Herstellung von Impfstoffen über<br />

deren weitgehende Unwirksamkeit<br />

und die sich häufenden Nebenwirkungen<br />

bis hin zu verfassungsrechtlichen<br />

Bedenken und der Sorge um eine Spaltung<br />

unserer Gesellschaft.<br />

Mit dieser Haltung spricht die<br />

AfD das aus, was viele Menschen bewegt.<br />

Dass sie dafür in die Ecke von<br />

Verschwörungstheoretikern und<br />

Schwurblern gestellt wird, ist kein Makel,<br />

sondern ein Schicksal, das sie mit<br />

Michael Frisch MdL, Vorsitzender der<br />

AfD-Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz<br />

Mit viel Begeisterung<br />

Zu den Beiträgen »Feind des Guten«<br />

und »Nihil nocere« in »LebensForum<br />

Spezial <strong>2022</strong>«, S. 24–27 und S. 4–7<br />

Selten habe ich ein »LebensForum«<br />

mit so viel Spannung und Begeisterung<br />

gelesen. Ein Artikel wie der andere:<br />

informativ und zum Nachdenken<br />

anregend. Besonders im Aufsatz von<br />

Cornelia Kaminski »Feind des Guten«<br />

mit dem Ausflug zu Bonhoeffer fand<br />

ich mich mit meinen Erfahrungen und<br />

Überlegungen wieder.<br />

»Gegen die Dummheit sind wir<br />

wehrlos«, und ja: zu »versuchen, den<br />

Dummen durch Gründe zu überzeugen<br />

(...), ist sinnlos und gefährlich«<br />

(Dietrich Bonhoeffer). Das habe ich in<br />

meinen nun bald zwei Jahre dauernden<br />

Versuchen, zu informieren und<br />

aufzuklären, immer wieder erleben<br />

müssen. Es bleibt zurück der Respekt<br />

vor jedem eigenen Lebensweg, auch<br />

wenn der dem Einzelnen wie dem<br />

Ganzen möglicherweise vermeidbare<br />

Herausforderungen beschert.<br />

Der Artikel von Prof. Dr. med. Paul<br />

Cullen hat einen hervorragenden<br />

Überblick über die gängigen Impfstoffe<br />

und deren Wirkungen und Unterschiede<br />

gegeben. Danke auch dafür!<br />

Ursula Kropp, per E-Mail<br />

34 LEBENSFORUM <strong>141</strong>


IMPRESSUM<br />

IMPRESSUM<br />

LEBENSFORUM<br />

Ausgabe Nr. <strong>141</strong>, 1. Quartal <strong>2022</strong><br />

ISSN 0945-4586<br />

Verlag<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Kitzenmarkt 20–22, 86150 Augsburg<br />

Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />

www.alfa-ev.de, E-Mail: info@alfa-ev.de<br />

Herausgeber<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e.V.<br />

Bundesvorsitzende Cornelia Kaminski (V. i. S. d. P.)<br />

Kooperation<br />

Ärzte für das Leben e.V. – Geschäftsstelle<br />

z.H. Dr. med. Karl Renner<br />

Sudetenstraße 15, 87616 Marktoberdorf<br />

Tel.: 0 83 42 / 74 22, E-Mail: k.renner@aerzte-fuer-das-leben.de<br />

www.aerzte-fuer-das-leben.de<br />

Redaktionsleitung<br />

Stefan Rehder M. A.<br />

Redaktion<br />

Alexandra Maria Linder M. A., Stefan Matthaei,<br />

Prof. Dr. med. Paul Cullen (Ärzte für das Leben e.V.)<br />

E-Mail: lebensforum@alfa-ev.de<br />

Anzeigenverwaltung<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Kitzenmarkt 20–22, 86150 Augsburg<br />

Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />

www.alfa-ev.de, E-Mail: info@alfa-ev.de<br />

Satz / Layout<br />

Rehder Medienagentur, Würzburg<br />

www.rehder-agentur.de<br />

Auflage<br />

9.500 Exemplare<br />

Anzeigen<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 8 vom 1. Februar 2017.<br />

Erscheinungsweise<br />

»LebensForum« 142 erscheint am 25. Juni <strong>2022</strong>.<br />

Redaktionsschluss ist der 6. Mai <strong>2022</strong>.<br />

Jahresbezugspreis<br />

20,– EUR (für ordentliche Mitglieder der <strong>ALfA</strong> und der<br />

Ärzte für das Leben im Beitrag enthalten)<br />

Bankverbindung<br />

VR-Bank Augsburg-Ostallgäu<br />

IBAN: DE85 7209 0000 0005 0409 90<br />

BIC: GENODEF1AUB<br />

Spenden erwünscht<br />

Druck<br />

Reiner Winters GmbH<br />

Wiesenstraße 11, 57537 Wissen<br />

www.rewi.de<br />

Titelbild<br />

Dipl.-Des. (FH) Daniel Rennen/Rehder Medienagentur<br />

www.rehder-agentur.de<br />

Das »LebensForum« ist auf umweltfreundlichem chlorfrei<br />

gebleichtem Papier gedruckt.<br />

Mit vollem Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt<br />

die Meinung der Redaktion oder der <strong>ALfA</strong> wieder<br />

und stehen in der Verantwortung des jeweiligen Autors.<br />

Fotomechanische Wiedergabe und Nachdruck – auch auszugsweise<br />

– nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion.<br />

Für unverlangt eingesandte Beiträge können wir keine<br />

Haftung übernehmen. Unverlangt eingesandte Rezensionsexemplare<br />

werden nicht zurückgesandt. Die Redaktion behält<br />

sich vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />

Helfen Sie Leben retten!<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Kitzenmarkt 20–22, 86150 Augsburg<br />

Telefon (08 21) 51 20 31,Fax (08 21) 156407, http://www.alfa-ev.de<br />

Spendenkonto: VR-Bank Augsburg-Ostallgäu, IBAN: DE85 7209 0000 0005 0409 90, BIC: GENODEF1AUB<br />

Herzlich laden wir Sie ein, unsere <strong>ALfA</strong>-Arbeit durch Ihre Mitgliedschaft zu unterstützen.<br />

Ein »LebensForum«-Abonnement ist in der Mitgliedschaft enthalten.<br />

c 12,– E jährlich für Schüler, Studenten und Arbeitslose<br />

c 24,– E jährlich Mindestbeitrag<br />

c 35,– E jährlich Familienbeitrag<br />

c _________ E jährlich freiwilliger Beitrag.<br />

c 20,– E jährlich LebensForum-Abo ohne Mitgliedschaft<br />

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Mitgliedsbeiträge und Spenden sind steuerlich abzugsfähig!<br />

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c Ja, ich möchte auch per E-Mail über Spendenaktionen und Lebensrechtskampagnen der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. informiert<br />

werden.<br />

c Um Verwaltungskosten zu sparen und weil es für mich bequemer ist, bitte ich Sie, meine Beiträge jährlich von meinem Konto<br />

einzuziehen:<br />

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35


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Ottmarsgäßchen 8, 86152 Ausgburg<br />

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