ALfA e.V. Magazin - LebnsForum / 141 / 1/2022
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Nr. <strong>141</strong> | 1. Quartal <strong>2022</strong> | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 5,– E B 42890<br />
Ausland<br />
Die Macht von<br />
Narrativen<br />
Politik<br />
Aus für § 219a:<br />
Nur der Anfang?<br />
Medizin<br />
Extreme Frühchen<br />
erfordern viel Mut<br />
Do-it-yourself-Abtreibung<br />
Sanft und<br />
sicher?<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V.<br />
1<br />
www.alfa-ev.de
INHALT<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
TITELTHEMA AUSLAND POLITIK<br />
Sanft und sicher?<br />
4<br />
Die Abtreibungspille erhöht das<br />
Risiko für Schwangere, in der<br />
Notaufnahme zu landen.<br />
Von Cornelia Kaminski<br />
Die Macht von Narrativen<br />
14<br />
Wie medizinische Tragödien<br />
instrumentalisiert werden,<br />
um Abtreibungen zu liberalisieren.<br />
Von Maria Witzel<br />
Nur der Anfang?<br />
20<br />
Der Gesetzesentwurf der<br />
Ampel-Regierung zur Streichung<br />
des § 219a StGB stößt auf Kritik.<br />
Von Stefan Rehder<br />
»Viele stehen<br />
unter Schock«<br />
8<br />
Der Gynäkologe Michael Kiworr<br />
und die Krankenschwester<br />
Natalie Bayer-Metzler sprechen über<br />
die Folgen für Frauen.<br />
Simsalabim<br />
22<br />
Aus dem Zylinder gezaubert:<br />
Wie aus einer analogen<br />
Straftat digitales Recht wird.<br />
Von Stefan Rehder<br />
Abtreibung umkehren?<br />
11<br />
Das britische General<br />
Medical Council revidiert<br />
das Verbot der »Umkehrbehandlung«.<br />
Von Maria Witzel<br />
2 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
EDITORIAL<br />
Wahrheit setzt sich durch<br />
MEDIZIN<br />
Mut zum Leben<br />
26<br />
Extrem Frühgeborene: Warum<br />
der Kampf um ihr Überleben<br />
zunächst Mut erfordert.<br />
Von Vera Novelli<br />
Ein Herz aus Schwein<br />
28<br />
Trotz des Todes des Patienten<br />
wollen Ärzte Xenotransplantationen<br />
weiter verfolgen.<br />
Von Stefan Rehder<br />
WEITERE THEMEN<br />
12<br />
30<br />
32<br />
34<br />
35<br />
Bioethik-Splitter<br />
Bücherforum<br />
Kurz vor Schluss<br />
Leserforum<br />
Impressum<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
seit Wochen tobt nun schon der Krieg in<br />
der Ukraine. Mit Schrecken schauen wir<br />
auf die Zerstörung und das Leid, das<br />
dort angerichtet wird. Das Entsetzen<br />
ist groß und schlägt in Hilfsbereitschaft<br />
um, die nun überall zu spüren ist.<br />
»Der größte Zerstörer des Friedens ist<br />
heute der Schrei des unschuldigen,<br />
ungeborenen Kindes.« Das sagte Mutter<br />
Teresa, als sie den Friedensnobelpreis<br />
erhielt. »In den Zeitungen lesen<br />
wir dieses und jenes, aber niemand<br />
spricht von den Millionen von Kleinen,<br />
die empfangen wurden mit der gleichen<br />
Liebe wie Sie und ich, mit dem<br />
Leben Gottes. Und wir sagen nichts,<br />
wir sind stumm.« Die Worte sind heute,<br />
über 40 Jahre später, von allergrößter<br />
Aktualität. Abtreibungen sind heute<br />
nur deswegen noch ein Thema, weil Lebensrechtler<br />
unermüdlich darauf hinweisen,<br />
dass die Wahrheit eine andere<br />
ist als die, die uns serviert wird: Abtreibungen<br />
seien kein Problem, sondern<br />
nichts anderes als ein Zurückdrehen<br />
der Uhr, sie seien nicht nur sicher, sondern<br />
gar ein Menschenrecht.<br />
Die Wahrheit<br />
setzt sich durch<br />
Die Wahrheit setzt sich durch. In England<br />
wurde aufgrund der Pandemie<br />
eine Heimabtreibung durch Postzustellung<br />
der entsprechenden Tabletten ermöglicht.<br />
Mit so schlimmen Folgen,<br />
dass dies ab August wieder verboten<br />
ist. Wir berichten ausführlich und<br />
sprechen im Interview mit dem Gynäkologen<br />
Michael Kiworr und der Krankenschwester<br />
Natalie Bayer-Metzler<br />
darüber, wie Frauen eine Abtreibung<br />
zuhause erleben.<br />
Dass es nicht um Frauengesundheit<br />
und Lebensrecht geht, sondern um<br />
Ideologie, zeigen nicht nur die Debatten<br />
zur Legalisierung der Werbung für<br />
Abtreibung, die im deutschen Bundestag<br />
geführt werden (siehe hierzu<br />
S. 20–24), sondern zeigt auch die Art,<br />
wie die Abtreibungslobby dramatische<br />
Schwangerschaftsverläufe für ihre Sache<br />
ausnutzt. Was in Irland so reibungslos<br />
ging, sollte doch<br />
auch in Polen funktionieren.<br />
Das ist offensichtlich<br />
die Ansicht der Journalisten,<br />
die nun den tödlichen<br />
Verlauf einer zu spät erkannten<br />
Sepsis bei einer<br />
polnischen Schwangeren<br />
skandalisierten. Wir berichten<br />
über die Strategie<br />
der international agierenden<br />
Lobby auf S. 14.<br />
Wahrheit ist das erste<br />
Kriegsopfer. Und es ist Krieg. Nicht nur<br />
in der Ukraine, auch unter uns: Die vorgeburtliche<br />
Tötung ungeborener Kinder<br />
zerstört den Frieden in den Partnerschaften,<br />
in den Familien, in der<br />
Gesellschaft.<br />
»Für mich sind die Nationen, die Abtreibung<br />
legalisiert haben, die ärmsten<br />
Länder. Sie fürchten die Kleinen,<br />
sie fürchten das ungeborene Kind. Und<br />
das Kind muss sterben, weil sie dies<br />
eine Kind nicht mehr haben wollen –<br />
nicht ein Kind mehr –, und das Kind<br />
muss sterben.« So Mutter Teresa damals<br />
in Oslo.<br />
Die Hilfsbereitschaft, die nun den Ukrainern<br />
erwiesen wird, zeigt: Wir schaffen<br />
das. Wir können unsere Hand ausstrecken<br />
nach den Ärmsten unter uns.<br />
Eines Tages werden das auch die Ungeborenen<br />
sein – arbeiten wir gemeinsam<br />
daran.<br />
Ihnen und Ihren Lieben ein gesegnetes<br />
Osterfest!<br />
Ihre<br />
Cornelia Kaminski<br />
Bundesvorsitzende der <strong>ALfA</strong> e.V.<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
3
TITELTHEMA<br />
Von wegen<br />
sanft und sicher<br />
Vorgeburtliche Kindstötungen per Abtreibungspille, die zuhause eingenommen wird, liegen<br />
im Trend. Ihre Zahl steigt rapide. Und das nicht erst seit der COVID-19-Pandemie.<br />
Ignoriert werden dabei zahlreiche Risiken. Fakt ist: Frauen, die auf diese Weise ein Kind<br />
abtreiben, haben ein um 53 Prozent erhöhtes Risiko, in der Notaufnahme zu landen.<br />
Von Cornelia Kaminski<br />
Zu dem nahezu unaufgebbaren<br />
Repertoire der Abtreibungsbefürworter<br />
gehört die Aussage,<br />
von Ärzten durchgeführte Abtreibungen<br />
seien notwendig, um Frauen vor<br />
schweren gesundheitlichen Schäden<br />
durch heimlich durchgeführte Abtreibungen<br />
zu bewahren. Solche Abtreibungen<br />
seien sicher, stellten keinerlei<br />
Risiko für die betroffenen Frauen dar,<br />
sondern seien vielmehr wesentlich weniger<br />
riskant als Schwangerschaft und<br />
Geburt. Deswegen seien sie unbedingt<br />
als Gesundheitsfürsorge zu betrachten.<br />
Frankreichs Präsident Emmanuel<br />
Macron verstieg sich gar zu Beginn<br />
der französischen Ratspräsidentschaft<br />
im Januar zu der Aussage, sie gehörten<br />
in die Grundrechtecharta der Europäischen<br />
Union.<br />
Eine medizinische Leistung, die zwei<br />
Menschen betrifft, die aber nur dann als<br />
erfolgreich betrachtet wird, wenn in ihrer<br />
Folge einer der beiden Menschen<br />
4 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
TITELTHEMA<br />
tot und der andere nicht geheilt oder<br />
genesen, sondern im besten Fall ohne<br />
weitere Schäden davongekommen ist,<br />
kann selbstverständlich niemals als Gesundheitsleistung<br />
gelten. Und zusehends<br />
muss die Frage gestellt werden, ob für<br />
die überlebende Person diese Behandlung<br />
tatsächlich so harmlos ist, wie gemeinhin<br />
dargestellt wird.<br />
In Deutschland wurden im Jahr 2020<br />
knapp 99.948 Abtreibungen durchgeführt,<br />
28.953 von ihnen mittels chemischer<br />
Präparate. In den USA sind es<br />
mehr als 50 Prozent der knapp 900.000<br />
Abtreibungen, die jedes Jahr auf diese<br />
Weise durchgeführt werden. 2001 waren<br />
es nur fünf Prozent. Sowohl der<br />
chirurgische Eingriff als auch die nun<br />
immer häufiger durchgeführte chemische<br />
Abtreibung sind ein massiver gesundheitlicher<br />
Eingriff für Frauen, der<br />
nicht verharmlost werden sollte. Diese<br />
Verharmlosung fing im Rahmen der<br />
Pandemie an, als Frauen in Deutschland<br />
nicht mehr persönlich zum Beratungsgespräch<br />
erscheinen mussten,<br />
und erreichte in den USA und England<br />
den traurigen Höhepunkt, als es<br />
dort möglich wurde, sich das Abtreibungsmittel<br />
per Post zusenden zu lassen.<br />
Die Ausnahmeregelung, die auch<br />
in den USA in Corona-Zeiten eingeführt<br />
wurde, wurde von der FDA Mitte<br />
Dezember 2021 zur Dauerregelung<br />
erklärt. In England wurde diese Regelung<br />
für weitere sechs Monate verlängert<br />
und gilt nun bis Ende August dieses<br />
Jahres, soll dann aber fallen.<br />
Die Verlagerung der Abtreibung aus<br />
der Klinik in das traute Heim ist ein<br />
sehr strategischer Schritt der Abtreibungsindustrie<br />
und hat das Potenzial,<br />
viel mehr Leben aufs Spiel zu setzen.<br />
Es macht die Sache einfacher und bequemer<br />
– vor allem natürlich für die abtreibenden<br />
Ärzte. Auch in Deutschland.<br />
Das zeigt ein Bericht des Bayerischen<br />
Rundfunks vom 26. Januar <strong>2022</strong>. Er erzählt,<br />
wie ein Ehepaar, im Beitrag Tom<br />
und Lena genannt, sich dagegen entscheidet,<br />
»das Kind zu behalten«. Weil<br />
es in der näheren Umgebung keine Abtreibungsärzte<br />
gibt, die eine chemische<br />
Abtreibung anbieten, wendet sich das<br />
Paar an das Berliner Familienplanungszentrum<br />
»Balance«, das ihnen die Abtreibungspille<br />
mit dem Wirkstoff Mifepristol<br />
per Post nach Hause sendet. Im<br />
Beisein ihres Ehemannes Tom schluckt<br />
Lena die erste Pille. Per Tablet zugeschaltet<br />
ist die Abtreibungsärztin im<br />
600 km entfernten Berlin.<br />
Mit der Patientin hat die Berliner<br />
Ärztin wenig zu tun. Alle Gespräche<br />
mit Lena hat sie online geführt. Dass<br />
dabei ein vertrauensvolles Verhältnis<br />
aufgebaut werden kann, ist zumindest<br />
zu bezweifeln. Eine gründliche körperliche<br />
Untersuchung kann natürlich gar<br />
nicht stattfinden. Wer übernimmt aber<br />
dann die Verantwortung, wenn bei der<br />
Abtreibung was schiefgeht?<br />
So müsste beispielsweise bestimmt<br />
werden, in welcher Schwangerschaftswoche<br />
die Frau sich befindet – manche<br />
zählen ab Empfängnis, Frauenärzte<br />
aber ab Ausbleiben der letzten Regel.<br />
Das ist wichtig, weil in Deutschland<br />
eine chemische Abtreibung nur<br />
bis zur neunten Schwangerschaftswoche<br />
erlaubt ist. Danach wird es für die<br />
Frau immer gefährlicher, da der Embryo<br />
schon größer, der Mutterkuchen<br />
schon weiterentwickelt ist und es somit<br />
auch zu immer heftigeren Blutungen<br />
kommt. Zudem sollte eine Ultraschalluntersuchung<br />
feststellen, dass es<br />
sich nicht um eine Eileiterschwangerschaft<br />
handelt, die mittels Mifepristol<br />
nicht abgetrieben werden kann, sondern<br />
in der Regel einen chirurgischen<br />
Eingriff erforderlich macht.<br />
Das Risiko für die abtreibungswillige<br />
Frau wächst ebenso wie ihre Eigenverantwortung,<br />
beides sinkt für den Abtreibungsarzt.<br />
Alles, was er tun muss,<br />
ist, ein paar Formulare zu unterschreiben,<br />
ein paar Pillen zu bestellen und ein<br />
Das Charlotte Loizer Institute mit Sitz in Arlington im US-Bundesstaat Virginia<br />
paar Minuten damit zu verbringen, mit<br />
der Kundin online zu reden. In diesem<br />
Gespräch wird er zwar die relevanten<br />
medizinischen Fragen stellen, kann sie<br />
aber nicht durch einen persönlichen Eindruck<br />
oder gar eine körperliche Untersuchung<br />
überprüfen – er kann nicht einmal<br />
sicherstellen, dass die Person, mit<br />
der er redet, auch dieselbe ist, die dann<br />
mittels der bestellten Medikamente abtreiben<br />
wird. Was der Arzt braucht, um<br />
die Abtreibung einzuleiten, sind die Adresse<br />
der Frau und ihre Kreditkarteninformationen<br />
– kein Termin für einen<br />
Klinikbesuch, keine Frauen im Wartezimmer,<br />
keine klinische Untersuchung,<br />
kein Ultraschall, kein Nachsorgebesuch<br />
oder eine Untersuchung zur Bestätigung<br />
des Abschlusses der Abtreibung.<br />
Solche Abtreibungen können<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
5
TITELTHEMA<br />
ganz ohne eigene Praxis durchgeführt<br />
werden; allenfalls ein paar untergeordnete<br />
Klinikangestellte könnten hinzugezogen<br />
werden, um eine Hotline für<br />
die Frauen zu besetzen, die mit Problemen<br />
anrufen. Wenn aber diese Hotline<br />
über eine Distanz von 600 km geschaltet<br />
ist, bringt sie den betroffenen<br />
Frauen herzlich wenig – mehr, als sie in<br />
die nächste Notaufnahme zu schicken,<br />
können sie auch nicht leisten.<br />
Für eine Abtreibung kann ein Arzt<br />
350 bis 600 Euro in Rechnung stellen.<br />
In seinem Flyer macht das Familienplanungszentrum<br />
»Balance« in Berlin, das<br />
den telemedizinischen Abbruch anbietet,<br />
darauf aufmerksam, dass die Patientinnen,<br />
die dafür in die Praxis kommen,<br />
den Betrag in bar mitbringen sollen.<br />
Vermutlich genügt für die Telemedizin<br />
eine Sofortüberweisung oder<br />
PayPal. Für den Postversand von ein<br />
paar Tabletten und ein, zwei Telefonate<br />
sind 350 bis 600 Euro eine stolze<br />
Summe. Die eigentliche medizinische<br />
Leistung – Ultraschalluntersuchung,<br />
Feststellung der Schwangerschaftswoche<br />
– hat (hoffentlich) zuvor ein Kollege<br />
vor Ort erledigt, der dafür allerdings<br />
bei Kassenpatientinnen nur die<br />
EBM-Pauschale in Höhe von 112 Euro<br />
abrechnen darf. Und in dieser Betreuungspauschale<br />
sind auch alle Kosten<br />
für die Nachuntersuchungen enthalten.<br />
Die chemische Abtreibung per<br />
Telemedizin sei genauso sicher wie die<br />
chemische Abtreibung in der Arztpraxis,<br />
argumentiert die Berliner Ärztin<br />
im Beitrag des Bayerischen Rundfunks<br />
und zitiert eine entsprechende Studie.<br />
Schon der Ansatz der Studie ist jedoch<br />
falsch, weil sie sich lediglich mit<br />
der Wirkweise der chemischen Abtreibung<br />
befasst und zu dem Schluss<br />
kommt, dass die abtreibende Wirkung<br />
bei einer Abtreibung per Telemedizin<br />
Von wegen sanft und sicher: Die Abtreibungspille Mifegyne (vormals RU 486)<br />
die gleiche ist wie bei Verabreichung<br />
der Tabletten in der Arztpraxis. Warum<br />
auch sollte ein Medikament eine andere<br />
Wirkung entfalten, wenn es statt in<br />
der Praxis im heimischen Badezimmer<br />
eingeworfen wird? Die zusätzlichen Risiken<br />
entstehen durch den Einnahmeort,<br />
nicht den Wirkstoff.<br />
Ein ganz anderes Bild entsteht daher,<br />
wenn man die Hospitalisierungsraten<br />
und Notfallaufnahmen von Frauen, die<br />
während der Pandemie per Heimabtreibung<br />
abgetrieben haben, mit den Zahlen<br />
vor der Pandemie vergleicht. England<br />
und die USA haben ein Jahr Erfahrung<br />
mit solchen Heimabtreibungen.<br />
Zudem liegen Ergebnisse vom Charlotte<br />
Lozier Institute vor, das genau analysiert<br />
hat, wie sich die medikamentöse<br />
Abtreibung auf die Frauengesundheit<br />
auswirkt. Die Ergebnisse sind ernüchternd<br />
und erschütternd. Der Studienleiter<br />
James Studnicki, Public-Health-<br />
Experte und ehemals Forscher an der<br />
renommierten Johns Hopkins University,<br />
weist darauf hin, dass die Risiken<br />
mittlerweile zu einem ernsthaften Problem<br />
geworden sind. »Die Sicherheit<br />
chemischer Abtreibungen wird stark<br />
übertrieben. Tatsächlich stellt die zunehmende<br />
Dominanz chemischer Abtreibungen<br />
und ihr unverhältnismäßiger<br />
Beitrag zur Morbidität in der Notaufnahme<br />
eine ernsthafte Belastung<br />
aus Public-Health-Perspektive dar«,<br />
so Studnicki. Sein Fazit: Das Gesundheitssystem,<br />
insbesondere die Notaufnahmen,<br />
werde durch die gesundheitlichen<br />
Risiken der chemischen Abtreibung<br />
deutlich belastet.<br />
Grundlage für die Studie des Charlotte<br />
Lozier Institute, die im Fachjournal<br />
»Health Services Research and Managerial<br />
Epidemiology« publiziert wurde,<br />
sind Daten aus 17 US-Bundesstaaten.<br />
Analysiert wurden 423.000 Abtreibungen,<br />
die Frauen mit Anspruch auf<br />
Kostenübernahme durch die staatliche<br />
Medicaid-Versicherung haben durchführen<br />
lassen.<br />
Das Ergebnis: Insgesamt steigt die<br />
Zahl der Notaufnahmen nach Abtreibungen.<br />
Zwischen 2002 und 2015 stieg<br />
die Rate der Notaufnahmen nach chemischer<br />
Abtreibung jedoch um mehr<br />
als 500 Prozent, bei chirurgischen Abtreibungen<br />
lediglich um 315 Prozent.<br />
Im selben Zeitraum war der Anteil chemischer<br />
Abtreibungen in dieser Gruppe<br />
von anfangs 4,4 Prozent auf 34,1 Prozent<br />
gestiegen. Schwere Blutungen, eine<br />
unvollständige Abtreibung des Fetus,<br />
Infektionen nach dem Abort sowie<br />
Wechselwirkungen aufgrund von<br />
Vorerkrankungen, die ärztlich nicht<br />
vorab abgeklärt wurden, führen zu besorgniserregenden<br />
Gesundheitszuständen.<br />
Im Vergleich zu chirurgischen Abtreibungen<br />
haben Frauen innerhalb<br />
von 30 Tagen nach dem Eingriff ein<br />
um 53 Prozent erhöhtes Risiko, wegen<br />
der Abtreibung in der Notaufnahme<br />
zu landen. Frauen, die innerhalb<br />
eines Jahres ein zweites Mal abtreiben,<br />
landen dort gar doppelt so häufig.<br />
Als problematisch erachten die Forscher<br />
des Charlotte Lozier Institute es<br />
auch, dass die abtreibungsbedingten<br />
Notaufnahmen in über 60 Prozent der<br />
Fälle falsch codiert wurden. Den Hinweis,<br />
dass Frauen bei Komplikationen<br />
6 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
TITELTHEMA<br />
dem Arzt gegenüber eine medikamentöse<br />
Abtreibung auch als Fehlgeburt<br />
bezeichnen könnten – Ärzte könnten<br />
den Unterschied nicht feststellen –, hat<br />
»Women on Web« in einem Video, in<br />
dem sie für die Abtreibungspille werben,<br />
gegeben. Dr. Donna Harrison, Co-<br />
Autorin der Studie, hat dafür keinerlei<br />
Verständnis: »Den behandelnden Ärzten<br />
nicht mitzuteilen, dass es sich um<br />
eine Abtreibungskomplikation handelt,<br />
kann durchaus fatal sein. So hat<br />
eine Frau nach einer chemischen Abtreibung<br />
immer noch einen positiven<br />
Schwangerschaftstest – das kann beispielsweise<br />
dazu führen, dass Ärzte sie<br />
in den OP schieben, um dort per Not-<br />
OP eine vermutete Eileiterschwangerschaft<br />
zu beseitigen. Außerdem können<br />
Abtreibungspräparate das Immunsystem<br />
unterdrücken, was zu schweren Infektionen<br />
führen kann. Wenn der Arzt<br />
das nicht weiß, wird er auf die möglicherweise<br />
subtilen Hinweise hierauf<br />
nicht achten.«<br />
In Großbritannien ist die Lage nicht<br />
besser. Seit April 2020 können dort Frauen<br />
die komplette Abtreibung zuhause<br />
durchführen – ohne ärztliche Überwachung.<br />
Die Abgeordnete Carla Lockhart<br />
von der Democratic Unionist Party<br />
aus Nordirland sieht hierin einen Bärendienst<br />
an den Frauen. Abtreibungsanbieter<br />
könnten nicht sicherstellen,<br />
dass die Pillen tatsächlich innerhalb der<br />
möglichen Frist eingenommen würden,<br />
schreibt sie in einem Beitrag für die Parlamentspublikation<br />
»The House« und<br />
zitiert eine E-Mail des National Health<br />
Service (NHS), die an die Öffentlichkeit<br />
gelangte. Darin ist von rupturierten Eileiterschwangerschaften,<br />
Reanimationen<br />
nach massivem Blutverlust, Abtreibungen<br />
im weit fortgeschrittenen Schwangerschaftsstadium<br />
und sogar Mord die<br />
Rede – in diesem Fall erfolgte die Abtreibung<br />
so spät, dass das Kind überlebte<br />
und anschließend getötet wurde.<br />
Die Abgeordnete zitiert eine Krankenschwester<br />
des NHS mit den Worten:<br />
»Es ist nicht zu fassen, dass Großbritannien<br />
mit all seiner Forschung diese<br />
Heimabtreibungen gutheißt. Es fühlt<br />
sich an, als machten wir einen Schritt<br />
zurück, und die Pandemie ist nun eine<br />
Entschuldigung dafür, dass wir Frauen<br />
nicht mehr mit dem gebührenden Respekt<br />
behandeln.«<br />
Die offiziellen Daten von fünf NHS-<br />
Ambulance-Trusts (Organisationen,<br />
die Krankentransporte in England und<br />
Wales anbieten), die 55 Prozent der Gesamtbevölkerung<br />
Englands abdecken,<br />
zeigen, dass im Jahr 2020 639 Frauen<br />
vom Rettungsdienst ins Krankenhaus<br />
gebracht werden mussten. Gegenüber<br />
dem Vergleichszeitraum von 2019 wurden<br />
in Großbritannien 30.000 mehr medikamentöse<br />
Abtreibungen durchgeführt<br />
– 67 Prozent davon waren komplette<br />
»at-home-abortions«. Ein weiterer<br />
Umstand macht Lockhart Sorge:<br />
Die Telefonkonsultation könne nicht<br />
sicherstellen, dass die Frauen tatsächlich<br />
während des Gesprächs allein sind<br />
und freiwillig um die Abtreibungspillen<br />
bitten, und sie zitiert eine Studie, der<br />
zufolge sieben Prozent der britischen<br />
Frauen bereits zu einer Abtreibung gezwungen<br />
worden seien.<br />
Man sollte meinen, dass diese Informationen<br />
dazu führen, Heimabtreibungen<br />
schnellstmöglich zu verbieten. Das<br />
Forscherteam des Charlotte Lozier Institute<br />
hatte die Ergebnisse seiner Untersuchungen<br />
noch im November 2021<br />
publiziert und an die amerikanische Gesundheitsbehörde<br />
FDA appelliert, diese<br />
bei der Risikobewertung medikamentöser<br />
Abtreibungen zu berücksichtigen.<br />
Leider vergeblich: Trotz der eindeutigen<br />
Datenlage und der daraus folgenden<br />
Hinweise darauf, dass chemische<br />
Abtreibungen zunehmend zu einem Gesundheitsrisiko<br />
für Frauen und einem<br />
Risiko für das öffentliche Gesundheitswesen<br />
insgesamt werden, hat die FDA<br />
diese Daten ignoriert und Heimabtreibungen<br />
zu einer regelhaften medizinischen<br />
Leistung werden lassen.<br />
Die deutschsprachige Webseite der Abtreibungsorganisation »Women on web«<br />
Auch hierzulande scheint die Tendenz<br />
dahin zu gehen, Abtreibungen zusehends<br />
aus der Hand des Arztes herauszunehmen<br />
und allein in die Hand<br />
der abtreibungswilligen Frau zu übergeben.<br />
Einerseits, weil es immer weniger<br />
Ärzte gibt, die ungeborene Kinder<br />
töten möchten, andererseits, weil es für<br />
die Ärzte, die das dann noch machen,<br />
sehr viel einfacher ist.<br />
Das Hauptargument der Abtreibungslobby<br />
ist stets, dass Frauen ohnehin<br />
abtreiben, und wenn es nicht legal<br />
ist, dann machen sie es selbst mit<br />
unsicheren Methoden und gefährden so<br />
ihre Gesundheit. Es ist unfassbar, dass<br />
dieselben Personen es nun gutheißen,<br />
dass Frauen Pillen für die Heimabtreibung<br />
nach Hause geschickt werden, und<br />
sie dabei gravierende gesundheitliche<br />
Risiken bis hin zu tödlichen Verläufen<br />
billigend in Kauf nehmen.<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
7
TITELTHEMA<br />
NEW AFRICA/STOCK.ADOBE.COM<br />
»Viele stehen<br />
unter Schock«<br />
Abtreibung in den heimischen vier Wänden mittels chemischer Präparate wie Mifepriston, das<br />
unter dem Handelsnamen »Mifegyne« erhältlich ist, haben während der Pandemie in vielen<br />
Ländern deutlich zugenommen. Im Normalfall setzt diese chemische Abtreibung mehrere<br />
Arztbesuche voraus. Mittlerweile ist es jedoch auch in Deutschland möglich, die Tabletten per Post<br />
zu bestellen. Mit dem Gynäkologen Dr. Michael Kiworr und mit Natalie Bayer-Metzler, Krankenschwester<br />
und Schwangerschaftsberaterin aus Vorarlberg, sprach für »LebensForum« Cornelia<br />
Kaminski über die Abgabepraxis des Medikaments in Deutschland und Folgen für die Frauen.<br />
Herr Dr. Kiworr, wie sind die Rahmenbedingungen<br />
für eine chemische Abtreibung<br />
in Deutschland?<br />
Dr. Michael Kiworr: Es sind mindestens<br />
drei Arztbesuche bei einem dafür<br />
zugelassenen Arzt erforderlich. Wenn<br />
es zu stärkeren Blutungen oder zu einer<br />
nicht vollständigen Ausstoßung kommt,<br />
muss er auch eine operative Abtreibung<br />
durchführen können. Es wird geprüft,<br />
ob es drei Tage Bedenkfrist nach der<br />
Beratung für die Frau gab. Erst dann<br />
kann mit der Abtreibung begonnen<br />
werden. Zunächst wird untersucht, ob<br />
überhaupt eine Schwangerschaft vorliegt.<br />
Eine Schwangerschaftsfeststellung<br />
durch Urin ist nämlich sehr ungenau. Es<br />
muss dringend festgestellt werden, ob<br />
eine Eileiterschwangerschaft vorliegt.<br />
Und natürlich wird geschaut, ob Kontraindikationen<br />
gegenüber den Medikamenten<br />
vorliegen, zum Beispiel Leber-<br />
oder Nierenerkrankungen.<br />
8 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
TITELTHEMA<br />
Ganz wichtig ist, dass der Rhesusfaktor<br />
der Frau überprüft werden muss.<br />
Dann wird aufgeklärt und beraten, auch<br />
über mögliche Nebenwirkungen und darüber,<br />
wie die weiteren Kontrollen aussehen.<br />
Wenn etwa bei der Frau Rhesus-<br />
Negativität vorliegt und das ungeborene<br />
Kind Rhesus-positiv ist, dann kann<br />
die Mutter Antikörper gegen Rhesuspositives<br />
Blut bilden – das kann bei der<br />
nächsten Schwangerschaft fatal sein. Es<br />
kann schwerste Folgen wie Fehlbildungen<br />
des Kindes oder eine Totgeburt mit<br />
sich bringen. Es gilt daher als medizinischer<br />
Kunstfehler, dies bei Schwangerschaften<br />
zu übersehen.<br />
Beim ersten Arztbesuch wird die Tablette<br />
Mifegyne unter Aufsicht eingenommen.<br />
Der zweite Besuch erfolgt ca.<br />
38 Stunden später. Mifegyne bewirkt,<br />
dass der Embryo abgetötet wird. Aber<br />
er muss dennoch geboren werden. Daher<br />
wird daraufhin das zweite Medikament<br />
eingenommen, Cytotec, was in der<br />
Gebärmutter Kontraktionen hervorruft<br />
und eine Erweichung des Muttermundes<br />
verursacht, damit das Kind ausgestoßen<br />
werden kann. Das geschieht unter ärztlicher<br />
Aufsicht über mehrere Stunden,<br />
weil es bei der Ausstoßung zu schweren<br />
Blutungen kommt. Dabei muss beobachtet<br />
werden, ob die Blutungen wieder<br />
zurückgehen, ob die Patientin die Prozedur<br />
verträgt und wie es ihrem Kreislauf<br />
geht. Nicht in allen Fällen erfolgt<br />
die Ausstoßung sofort. Manchmal geschieht<br />
es auch erst zuhause.<br />
Beim dritten Arztbesuch, nach zwei<br />
Wochen ungefähr, wird kontrolliert,<br />
ob die Abtreibung vollständig erfolgt<br />
ist oder ob Reste zurückgeblieben sind,<br />
ob es noch Blutungen gibt und ob das<br />
Schwangerschaftshormon zurückgeht.<br />
Das sind alles Untersuchungen, die dazu<br />
dienen, zu prüfen, ob noch eine operative<br />
Ausschabung gemacht werden<br />
muss.<br />
Die Weltgesundheitsorganisation WHO<br />
legt die Grenze für Abtreibungen mit<br />
Mifegyne in die zwölfte Schwangerschaftswoche.<br />
Deutsche Ärzte ziehen<br />
die Grenze aber schon bei der neunten<br />
Schwangerschaftswoche. Warum wird<br />
die Frist in Deutschland enger gesetzt?<br />
Der Grund ist, je später man es macht,<br />
desto höher ist das Risiko, dass doch Reste<br />
zurückbleiben, die dann zu einer Infektion<br />
führen können. Es ist trotzdem<br />
manchmal eine Ausschabung notwendig<br />
oder es kommt zu stärkeren Blutungen,<br />
die ohne operativen Eingriff nicht aufhören.<br />
Und manchmal gehen die Zählweisen<br />
der Schwangerschaftswochen<br />
durcheinander. Die juristischen Texte<br />
und auch die Embryologie sprechen<br />
vom ersten Lebenstag des Kindes. Sie<br />
rechnen also nach der Empfängnis (post<br />
conceptionem). Aber für uns Frauenärzte<br />
ist es der erste Tag der letzten Periode<br />
(post menstruationem), ab dem gerechnet<br />
wird. Zwischen diesen beiden<br />
Zählweisen liegen zwei Wochen.<br />
Worauf muss man bei der Einnahme<br />
von Mifegyne achten? Und wie gefährlich<br />
ist tatsächlich die Abtreibung zuhause<br />
mit einem solchen chemischen<br />
Präparat?<br />
Jedes Medikament hat seine Nebenwirkungen,<br />
auch wenn sie selten sind.<br />
Das muss man auch immer im richtigen<br />
Kontext sehen. Daher ist die Anamnese<br />
so wichtig. Für jemanden, der<br />
bereits Asthma hat, kann es lebensgefährlich<br />
sein, das falsche Präparat einzunehmen.<br />
Jemand, der vorher schon<br />
an Leber oder Nieren erkrankt war, für<br />
den kann es auch problematisch werden.<br />
Oder, wenn man eine nicht erkannte<br />
Blutungsstörung hat, dann kann die<br />
Blutung, die immer kommt, deutlich<br />
stärker sein. Und es gab auch Fälle, in<br />
Stand Rede und Antwort: Der Mannheimer Gynäkologe Dr. Michael Kiworr<br />
denen so starke Blutungen aufgetreten<br />
sind, dass es eine Bluttransfusion gebraucht<br />
hat. Deswegen findet die Einnahme<br />
unter Beobachtung statt, wie bei<br />
anderen Medikamenten auch. Da muss<br />
man schon genau schauen. Was immer<br />
vorkommt, sind Blutungen, denn der<br />
Embryo muss ja auch geboren werden.<br />
Eine solche Abtreibung ist automatisch<br />
mit einer Blutung verbunden, und diese<br />
Blutung kann auch manchmal sehr, sehr<br />
schwer sein. Und man darf keine Eileiterschwangerschaft<br />
übersehen. Manchmal<br />
überdenken Frauen ihre Entscheidung<br />
auch, und sobald es stärker blutet,<br />
sind nicht wenige Frauen verunsichert.<br />
Man sieht in Krankenhäusern vermehrt,<br />
dass die Frauen nicht zu den<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
9
TITELTHEMA<br />
Sprechstundenzeiten des abtreibenden<br />
niedergelassenen Arztes kommen,<br />
sondern nachts oder am Wochenende.<br />
Und nicht wenige sagen, dass sie sich<br />
das so gar nicht vorgestellt hatten. Sie<br />
wissen nicht, dass es so stark bluten<br />
sie zur Abtreibung gedrängt wurden.<br />
Häufig bedauern die Frauen, dass sie<br />
nicht auf ihr Herz gehört haben. Die<br />
Abtreibung zieht sich dann mit der Pille<br />
über die verschiedenen Tage hinweg<br />
und diese Zeitspanne empfinden<br />
die meisten Frauen als sehr grausam.<br />
Häufig realisieren die Frauen dann<br />
erst im Nachhinein, dass ihr Kind in<br />
ihrem eigenen Leib stirbt, und dieser<br />
Prozess des Todes wird als schreckliche<br />
Erfahrung von den Frauen wahrgenommen.<br />
Viele Frauen klagen über<br />
sehr starke Blutungen und Schmerzen<br />
und je nach Schwangerschaftswoche,<br />
also wie weit die Schwangerschaft<br />
ist, sehen die Frauen dann das<br />
tote Kind im Fruchtsack. Viele stehen<br />
unter Schock und spülen in diesem<br />
Schreck das Kind ins WC. Diese unveränderbare<br />
Tatsache, das Kind ins<br />
WC gespült zu haben, wird von vielen<br />
als schwere traumatische Erfahrung<br />
wahrgenommen. Es gibt auch<br />
Frauen, die versuchen, ihr Kind aufzufangen.<br />
Sie sind meistens sehr überrascht,<br />
wie weit ihr Kind bereits entwickelt<br />
ist. In der neunten Schwangerschaftswoche<br />
ist das Kind bereits<br />
zwei Zentimeter groß.<br />
Wie sind Ihre Erfahrungen mit Frauen,<br />
die chemisch abgetrieben haben?<br />
Natalie Bayer-Metzler begleitet Frauen in Schwangerschaftskonflikten<br />
kann und dass womöglich doch eine<br />
Ausschabung notwendig sei. Da gibt<br />
es eine große Unsicherheit.<br />
Natalie Bayer-Metzler begleitet schon<br />
seit 15 Jahren Frauen im Schwangerschaftskonflikt<br />
und hat bereits mit vielen<br />
Frauen gesprochen, die die Abtreibungspille<br />
eingenommen haben. In<br />
jedem Lockdown steigt die Zahl der<br />
Frauen, die nach Einnahme der Abtreibungspille<br />
anrufen, deutlich an. Frau<br />
Bayer-Metzler, wie erleben Sie diese<br />
Frauen?<br />
Natalie Bayer-Metzler: Ja, es gibt<br />
natürlich verschiedene Beweggründe,<br />
die Frauen zur Einnahme der Abtreibungspille<br />
veranlassen. Viele machen<br />
sich die Entscheidung abzutreiben<br />
nicht leicht. Etliche Frauen sagen, dass<br />
Ich habe ziemlich viel Erfahrung, weil<br />
ich beinahe täglich mit diesen Frauen<br />
im Kontakt bin. Ab dem Zeitpunkt,<br />
wenn die Frauen realisieren, dass die<br />
Abtreibung im Gange ist, sprechen<br />
sie wirklich von ihrem Kind und nicht<br />
vom Zellklumpen. Und in dem Zusammenhang<br />
würde ich gerne von<br />
einer Erfahrung erzählen. Eine Frau<br />
hat mir vor ein paar Tagen gesagt, sie<br />
habe sich eingeredet, dass es für das<br />
Kind besser ist, wenn es nicht geboren<br />
wird. In dieser Lüge hat sie die<br />
Pille geschluckt und sie sagt, in der<br />
Nacht danach wurde sie von schrecklichen<br />
Panikattacken und Schmerzen<br />
gequält. Das Kind abzutreiben, empfindet<br />
sie als den größten Fehler ihres<br />
Lebens. Und sie sagt, sie würde<br />
am liebsten ihr Leben für das Leben<br />
ihres Kindes geben. Ich denke, diese<br />
Seelenqual bringt deutlich zum Ausdruck,<br />
wie traumatisierend für Frauen<br />
dieser Prozess der Abtreibung ist,<br />
weil sie es wirklich miterleben. Sie sehen<br />
es, wenn die Blutungen kommen,<br />
sie sehen das tote Kind im Fruchtsack,<br />
und damit muss man psychisch<br />
erstmal fertig werden. Das ist Wahnsinn.<br />
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10 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
TITELTHEMA<br />
Abtreibung umkehren?<br />
Der britische Arzt Dr. Dermot Kearney darf wieder Behandlungen durchführen, die das Ziel<br />
verfolgen, eine bereits begonnene Abtreibung mit der Abtreibungspille Mifegyne zu stoppen<br />
und das Leben des Kindes zu retten. Das entschied jetzt das General Medical Council.<br />
Von Maria Witzel<br />
Bei manchen Frauen ist die Verzweiflung<br />
nach Einnahme der<br />
ersten Pillen, die die chemische<br />
Abtreibung einleiten, so groß, dass sie<br />
wünschten, sie könnten es ungeschehen<br />
machen. Eine solche »Umkehrbehandlung«<br />
bietet der englische Arzt Dr. Dermot<br />
Kearney an. Sie war ihm jedoch untersagt<br />
worden, nachdem ein im Vereinigten<br />
Königreich tätiger Abtreibungsanbieter<br />
eine Beschwerde eingereicht<br />
hatte. Kearney selbst ist Kardiologe.<br />
HTTPS://WWW.YOUTUBE.COM/WATCH?V=4EOV6VM6BXA<br />
ausstellte. Dies war ihm seit Mai 2021<br />
jedoch untersagt worden.<br />
Die Untersuchung des General Medical<br />
Council wurde von einem unabhängigen<br />
Experten durchgeführt. Er kam<br />
zu dem Schluss, dass die Umkehrbehandlung<br />
das Risiko einer Missbildung<br />
oder Schädigung des ungeborenen Kindes<br />
nicht erhöhe und auch nicht zu Gesundheitsschäden<br />
bei den behandelten<br />
Frauen führe. Diese berichteten zwar<br />
über Blutungen, deren Ursache sei jedoch<br />
eher auf die Wirkung des Abtreibungsmittels<br />
zurückzuführen als auf das<br />
verabreichte Progesteron. Kearney sagt<br />
aus, der Erfolg der Umkehrbehandlung<br />
hänge davon ab, wie viel Zeit bereits seit<br />
der Einnahme von Mifepriston vergangen<br />
sei. Er selbst gibt an, er habe bei 50<br />
bis 55 Prozent der behandelten Frauen<br />
die Schwangerschaft erhalten können,<br />
und spricht von 32 geborenen, gesunden<br />
Babys. Seit dem 7. März <strong>2022</strong><br />
darf Kearney die Umkehrbehandlungen<br />
wieder durchführen.<br />
Info<br />
Darf wieder »Umkehrbehandlungen« anbieten: Dr. Dermot Kearney<br />
Die Bezeichnung »Umkehrbehandlung«<br />
rührt daher, dass die Wirkung des<br />
ersten der beiden Medikamente, die<br />
bei einer chemischen Abtreibung zum<br />
Einsatz kommen, umgekehrt wird. Das<br />
Hormon Progesteron hält die Schwangerschaft<br />
aufrecht, es wird durch Mifepriston<br />
blockiert. Auf diese Weise wird<br />
die Versorgung des Embryos gestoppt,<br />
so dass er stirbt. Gibt man Frauen hohe<br />
Dosen von Progesteron oral oder intravenös,<br />
so kann die Wirkung von Mifepriston<br />
neutralisiert werden.<br />
Gegen diese Behandlungsmethode<br />
hatte Jonathan Lord, Direktor des Abtreibungsanbieters<br />
Mary Stopes International,<br />
Beschwerde beim General Medical<br />
Council (GMC) eingelegt. Das GMC ist<br />
für die Zulassung und Regulierung von<br />
Ärzten im Vereinigten Königreich zuständig.<br />
Beschwerdegrund war die Annahme,<br />
dass die Behandlung ein Gesundheitsrisiko<br />
für die Frauen darstelle und nicht sicher<br />
sei. Zudem gebe es keinen Beweis<br />
dafür, dass sie überhaupt funktioniere.<br />
Informationen über die Umkehrbehandlung<br />
werden von einer amerikanischen<br />
Lebensrechtsorganisation<br />
– Heartbeat International – verbreitet.<br />
Frauen aus Großbritannien, die die<br />
Behandlung in Anspruch nehmen wollten,<br />
wurden von Heartbeat International<br />
an Dr. Kearney verwiesen, der seit<br />
Juni 2020 die entsprechenden Rezepte<br />
Die Studienlage für Abtreibungsumkehrbehandlungen<br />
ist dürftig.<br />
Befürworter verweisen auf eine<br />
Publikation aus 2018, veröffentlicht<br />
in »Issues in Law and Medicine«,<br />
der zufolge nach intramuskulärer<br />
Gabe von Progesteron 64<br />
Prozent, nach oraler Gabe 68 Prozent<br />
der Abtreibungen gestoppt<br />
werden konnten, sofern das Medikament<br />
innerhalb von 72 Stunden<br />
nach Einnahme von Mifepriston<br />
verabreicht wird.<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
11
BIOETHIK-SPLITTER<br />
Frankreich verlängert<br />
Frist für Abtreibungen<br />
Paris (<strong>ALfA</strong>). Die französische Nationalversammlung<br />
hat die Verlängerung<br />
der gesetzlichen Abtreibungsfrist von<br />
12 auf 14 Wochen beschlossen. Das berichtet<br />
die katholische Wochenzeitung<br />
»Die Tagespost«. Demnach stimmten<br />
Anfang März in dritter und letzter Lesung<br />
135 Abgeordnete für das Gesetzesvorhaben<br />
aus der Feder der grünen Abgeordneten<br />
Albane Gaillot. 47 stimmten<br />
dagegen.<br />
Wie die Zeitung weiter meldet, war<br />
der Gesetzesentwurf zuvor zweimal im<br />
Senat gescheitert. Eine Vermittlungskommission<br />
habe keine gemeinsame Lösung<br />
beider Parlamentskammern erarbeiten<br />
können.<br />
Zudem erlaube das Gesetz erstmals<br />
nun auch Hebammen, chirurgische Abtreibungen<br />
durchzuführen. Seit 2016<br />
dürfen Hebammen in Frankreich chemische<br />
Abtreibungen mit der Abtreibungspille<br />
»Mifygene« überwachen.<br />
Ersatzlos gestrichen worden sei auch<br />
die gesetzlich vorgesehene Mindestfrist<br />
von 48 Stunden, die bis dato zwischen<br />
einer psychosozialen Beratung und der<br />
Vereinbarung eines Abtreibungstermins<br />
liegen musste. In einer früheren Fassung<br />
sah der Gesetzesvorschlag zudem vor,<br />
den Gewissensvorbehalt für Ärzte und<br />
medizinisches Personal zu streichen.<br />
Die entsprechende Passage sei jedoch<br />
im November aus dem Gesetz gestrichen<br />
worden.<br />
Wie die Zeitung weiter schreibt, sei<br />
am 20. Februar <strong>2022</strong> per Dekret zudem<br />
die Frist für eine chemische Abtreibung<br />
von fünf auf sieben Wochen heraufgesetzt<br />
worden. Ärzte in Frankreich<br />
können ein entsprechendes Rezept im<br />
Rahmen einer Onlinesprechstunde verschreiben.<br />
Abtreibungswille Schwangere<br />
können sich damit das für das Kind tödliche<br />
Präparat in einer Apotheke aushändigen<br />
lassen, womit die vormals obligatorische<br />
Einnahme in Gegenwart eines<br />
Arztes entfalle. Die erste Lesung zum<br />
Gesetz »Gaillot« fand im Oktober 2020<br />
statt. Damals erklärte Gaillot: »Ich bin<br />
von zahlreichen Frauen und von Planned<br />
Parenthood auf den durch die CO-<br />
VID-19-Epidemie erschwerten Zugang<br />
zu Abtreibungen aufmerksam gemacht<br />
worden.« Beim diesjährigen »Marsch<br />
für das Leben« demonstrierten am 16.<br />
Januar rund 20.000 Menschen in Paris<br />
gegen den Gesetzesvorschlag. reh<br />
USA: Florida verschärft<br />
Abtreibungsgesetz<br />
Tallahassee (<strong>ALfA</strong>). Der US-Bundesstaat<br />
Florida hat ein Gesetz erlassen,<br />
das vorgeburtliche Kindstötung nach<br />
der 15. Schwangerschaftswoche weitgehend<br />
verbietet. Ausnahmen sieht das<br />
Gesetz in Fällen vor, in denen das Leben<br />
der Mutter durch die Fortsetzung<br />
der Schwangerschaft gefährdet wird, sowie<br />
in solchen, in denen das ungeborene<br />
Kind eine letale Anomalie aufweist.<br />
Nachdem der von Republikanern dominierte<br />
Senat des im Süden der USA gelegenen<br />
Bundesstaates das Gesetz Anfang<br />
März verabschiedete, benötigt es,<br />
um in Kraft zu treten, noch die Unterschrift<br />
des republikanischen Gouverneurs<br />
Ron DeSantis. Floridas Senatspräsident<br />
Wilton Simpson zeigte sich Medienberichten<br />
zufolge zufrieden. »Das<br />
erste Mal seit vielen Jahren haben wir<br />
ein Gesetz, von dem ich glaube, dass es<br />
der Supreme Court tolerieren wird«,<br />
zitiert »USA Today« Simpson. reh<br />
Keine Erstattung bei<br />
Verstoß gegen ESchG<br />
München (<strong>ALfA</strong>). Krankenkassen müssen<br />
sich nicht an den Kosten einer künstlichen<br />
Befruchtung beteiligen, wenn bei<br />
dieser die Vorschriften des deutschen<br />
Embryonenschutzgesetzes (ESchG)<br />
nicht eingehalten wurden. Dies gilt auch<br />
dann, wenn die Behandlung in einem<br />
EU-Mitgliedstaat durchgeführt wurde,<br />
in dem andere Vorschriften gelten.<br />
Das berichtet das Online-Portal des<br />
»Deutschen Ärzteblatts« unter Berufung<br />
auf eine Entscheidung des Sozialgerichts<br />
München.<br />
Geklagt hatte eine Frau, die sich aus<br />
medizinischen Gründen für eine künstliche<br />
Befruchtung entschieden und sie<br />
von einer deutschen Krankenkasse hatte<br />
genehmigen lassen. Die Behandlung<br />
JUAN GÄRTNER/STOCK.ADOBE.COM<br />
In-vitro-Fertilisation (IVF)<br />
ließ sie dann in einer Praxis in Österreich<br />
durchführen. Dabei wurden sieben<br />
Eizellen befruchtet, aus denen sich vier<br />
Embryonen entwickelten. Einer davon<br />
wurde der Frau eingepflanzt, die anderen<br />
für spätere Versuche konserviert.<br />
Die Krankenkasse lehnte eine Beteiligung<br />
an den Kosten dann allerdings ab,<br />
weil bei der Behandlung in Österreich<br />
mehr Eizellen befruchtet wurden, als<br />
vom deutschen Embryonenschutzgesetz<br />
erlaubt. Laut dem Gesetz dürfen<br />
nicht mehr Embryonen erzeugt werden,<br />
als der Patientin in einem Zyklus<br />
übertragen werden können. Üblicherweise<br />
sind dies ein oder zwei befruchtete<br />
Eizellen.<br />
Es sei zwar durchaus zulässig gewesen,<br />
dass die Klägerin die Behandlung<br />
in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen<br />
Union habe durchführen<br />
lassen, entschied das Gericht. Dass die<br />
Krankenkasse die Kosten dafür übernimmt,<br />
komme aber nur dann infrage,<br />
wenn der Eingriff auch nach deutschem<br />
Embryonenschutzgesetz erlaubt<br />
gewesen wäre.<br />
reh<br />
Sterbehelfer stellen<br />
Leistungsbilanz vor<br />
Berlin (<strong>ALfA</strong>). Die in Deutschland tätigen<br />
Sterbehilfeorganisationen haben in<br />
Berlin ihre »Leistungsbilanz« des vergangenen<br />
Jahres vorgelegt. Demnach<br />
begleitete 2021 allein der von Hamburgs<br />
Ex-Justizsenator Roger Kusch<br />
gegründete Verein »Sterbehilfe« (vormals:<br />
»Sterbehilfe Deutschland«) im<br />
vergangenen Jahr 129 Menschen in irgendeiner<br />
Weise bei einem Suizid. Darunter<br />
auch acht Menschen, die von dem<br />
Verein als »gesund« eingestuft wurden,<br />
12 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
BIOETHIK-SPLITTER<br />
sowie sieben, die den Angaben zufolge<br />
an einer psychischen Erkrankung litten.<br />
Die Deutsche Gesellschaft für humanes<br />
Sterben (DGHS) ermöglichte im selben<br />
Zeitraum 120 Menschen einen Suizid.<br />
Weiteren 97 Menschen verhalf eigenen<br />
Angaben zufolge die deutsche Sektion<br />
der Schweizer Sterbehilfeorganisation<br />
»Dignitas« zu einem Suizid. In Summe<br />
gehen damit 346 organisierte Selbsttötungen<br />
auf das Konto der Sterbehilfevereine.<br />
Alle drei Sterbehilfeorganisationen<br />
ermöglichten zudem sogenannte<br />
Doppelsuizide, bei denen Paare gemeinsam<br />
den Tod wählen.<br />
Moderiert wurde die Veranstaltung<br />
von der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs).<br />
Die Veranstaltung, die im Haus der Bundespressekonferenz<br />
stattfand, stand unter<br />
der Überschrift: »Zwei Jahre Karlsruher<br />
Urteil: Praktische Erfahrungen mit Sterbehilfe<br />
in Deutschland«. Geleitet wurde<br />
sie von der ehemaligen SPD-Finanzexpertin<br />
und gbs-Beirätin Ingrid Matthäus-Maier.<br />
Dabei warnte die 76-Jährige<br />
ihre ehemaligen Abgeordnetenkollegen<br />
vor einer gesetzlichen Neuregelung der<br />
Suizidhilfe und drohte mit einem erneuten<br />
Gang nach Karlsruhe.<br />
Mit seinem Urteil vom 26. Februar<br />
2020 hatte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts<br />
unter Vorsitz des<br />
damaligen Gerichtspräsidenten Andreas<br />
Voßkuhle ein »Recht auf selbstbestimmtes<br />
Sterben« gewissermaßen erfunden<br />
und in den Rang eines Quasi-<br />
Grundrechts erhoben. Dem Gesetzgeber<br />
überließen die Karlsruher Richter die<br />
Aufgabe, ein Schutzkonzept zu erarbeitet,<br />
das Menschen davor bewahren soll,<br />
von dem vom Ersten Senat gestifteten<br />
»Recht« bei psychischen Krisen oder<br />
in anderen Notsituationen unüberlegt<br />
und vorschnell Gebrauch zu machen.<br />
Bislang haben Abgeordnete des Deutschen<br />
Bundestages drei verschiedene<br />
Gruppenanträge für eine gesetzliche<br />
Neuregelung der Suizidhilfe vorgestellt.<br />
Wann diese im Bundestag debattiert<br />
werden, ist noch offen.<br />
Eine Arbeitsgruppe des Deutschen<br />
Ethikrats erarbeitet derzeit eine Stellungnahme<br />
des Rates zur Suizid-Problematik.<br />
Wann mit deren Veröffentlichung<br />
gerechnet werden kann, ist ebenfalls<br />
noch unklar.<br />
reh<br />
Patientenmord: Gericht<br />
verurteilt Krankenpfleger<br />
Saarbrücken (<strong>ALfA</strong>). Wegen versuchter<br />
Morde an sechs Patienten und gefährlicher<br />
Körperverletzung hat das Landgericht<br />
Saarbrücken einen ehemaligen<br />
Krankenpfleger zu einer lebenslangen<br />
Freiheitsstrafe verurteilt. Das meldet das<br />
Online-Portal des »Deutschen Ärzteblatts«.<br />
Darüber hinaus belegte das Gericht<br />
Saarbrücken den 30-jährigen Deutschen<br />
mit einem lebenslangen Berufsverbot.<br />
Dem Antrag der Staatsanwaltschaft<br />
auf Sicherungsverwahrung folgten<br />
die Richter nicht. Die Verteidigung<br />
hatte Freispruch beantragt. Zum Zeitpunkt<br />
des Redaktionsschlusses war das<br />
Urteil noch nicht rechtskräftig.<br />
Nach Ansicht des Gerichts hatte der<br />
Krankenpfleger in den Jahren 2015 und<br />
2016 sechs Patienten in der SHG-Klinik<br />
in Völklingen und im Uni-Klinikum<br />
Homburg nicht verordnete Medikamente<br />
verabreicht. Nach Ansicht der<br />
Richter wollte er sich aus Geltungsdrang<br />
bei Wiederbelebungsmaßnahmen profilieren.<br />
Dass die Menschen dabei hätten<br />
sterben können, habe er billigend<br />
in Kauf genommen. Bei der Obduktion<br />
von Leichnamen waren Rückstände<br />
entsprechender Präparate gefunden<br />
worden. Nur zwei der sechs betroffenen<br />
Patienten hatten die Klinikaufenthalte<br />
überlebt. Der Angeklagte erklärte<br />
zum Prozessauftakt im Juni 2021, er<br />
habe die ihm zur Last gelegten Taten<br />
nicht begangen. Die aufwendigen Ermittlungen<br />
waren 2016 in Gang gekommen,<br />
nachdem sich der Mann in<br />
anderen Kliniken als Arzt ausgegeben<br />
hatte.<br />
reh<br />
Vatikan bekräftigt<br />
Position zur Suizidhilfe<br />
Rom (<strong>ALfA</strong>). Das vatikanische Dikasterium<br />
für Laien, Familie und Leben hat<br />
die kirchliche Position zum Thema Suizidbeihilfe<br />
bekräftigt. Sowohl der ärztlich<br />
assistierte Suizid als auch die Euthanasie<br />
seien keine Formen von gesellschaftlicher<br />
Solidarität oder christlicher<br />
Nächstenliebe, hielt die Kurienbehörde<br />
in einer Mitte Februar veröffentlichten<br />
Reflexion zu dem Thema fest.<br />
»Die ›Charta der menschlichen Staatsbürgerschaft‹<br />
– die im zivilen Gewissen<br />
aller, ob gläubig oder nicht, verankert<br />
ist – sieht die Akzeptanz des eigenen<br />
Todes und des Todes der anderen<br />
vor, schließt aber aus, dass dieser in irgendeiner<br />
Weise provoziert, beschleunigt<br />
oder verlängert werden kann«, so<br />
das Dikasterium weiter. Die Betreuung<br />
auf dem letzten Lebensabschnitt sei eine<br />
Der Petersplatz in Rom<br />
Verpflichtung gegenüber jedem Menschen.<br />
Die Pflicht ergebe sich aus dem<br />
gemeinsamen Gut, dem Leben.<br />
Das Dikasterium bezieht sich in seiner<br />
Stellungnahme auf ein angestrebtes<br />
Referendum zur aktiven Sterbehilfe<br />
in Italien. Das italienische Verfassungsgericht<br />
hat inzwischen einen Volksentscheid<br />
darüber abgelehnt. In seiner Entscheidung<br />
verwies das Gericht auf den<br />
verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz<br />
des menschlichen Lebens.<br />
Zudem müsse besondere Rücksicht auf<br />
die Schwächsten der Gesellschaft genommen<br />
werden. Die Referendumsfrage<br />
verstoße gegen diese Prinzipien<br />
und sei daher per se unzulässig.<br />
Das italienische Parlament befasst<br />
sich indes derzeit mit einer gesetzlichen<br />
Regel für assistierten Suizid. Hierzu<br />
war es 2019 vom Verfassungsgericht<br />
aufgefordert worden. Zugleich hatten<br />
die Richter damals festgestellt, dass es<br />
unter bestimmen Umständen straffrei<br />
sei, die Ausführung eines frei gebildeten<br />
Suizidvorsatzes zu erleichtern. Ein<br />
erster Gesetzesentwurf war Mitte Dezember<br />
im Parlament diskutiert worden.<br />
Eine Entscheidung soll im Frühjahr<br />
fallen.<br />
reh<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
13
AUSLAND<br />
SERGEY NOVIKOV/STOCK.ADOBE.COM<br />
Die Macht<br />
von Narrativen<br />
Sowohl in Polen als auch in Irland wurden medizinische Tragödien instrumentalisiert, um<br />
eine möglichst liberale Regelung vorgeburtlicher Kindstötungen zu erreichen. In beiden<br />
Fällen spielten Abgeordnete, die falsche Informationen im Europäischen Parlament<br />
verbreiteten, dabei eine unrühmliche Rolle.<br />
Von Maria Witzel<br />
Wer sich mit der Entwicklung<br />
der Abtreibungsgesetzgebungen<br />
befasst, dem<br />
fällt Folgendes auf: Parallel zu Bestrebungen,<br />
in einem Land eine Liberalisierung<br />
herbeizuführen, spielen plötzlich<br />
Schicksale einzelner Frauen in den<br />
nationalen und internationalen Medien<br />
eine große Rolle. Stets handelt es<br />
sich hierbei um Frauen, für die eine<br />
Schwangerschaft tragisch, wenn nicht<br />
gar tödlich verlaufen ist. Wenn Abtreibungen<br />
nicht erlaubt sind, so das Narrativ,<br />
sterben Frauen. Also müssen sie<br />
legalisiert werden.<br />
In Irland, der Wiege des europäischen<br />
Christentums, war es eine bildhübsche<br />
junge Frau, deren Foto schließlich nicht<br />
nur Titelseiten, sondern auch Plakate<br />
der Abtreibungsbefürworter zierte. Ihr<br />
Name: Savita Halappanavar. Was war<br />
passiert? Am 21. Oktober 2012 betrat<br />
die Zahnärztin Savita Halappanavar,<br />
eine 31 Jahre alte Inderin, seit 17 Wochen<br />
schwanger mit ihrem ersten Baby,<br />
das Universitätsklinikum Galway.<br />
Sie klagte über Schmerzen im unteren<br />
14 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
AUSLAND<br />
ZCBEATON (CC BY-SA 4.0)<br />
Rücken. Die Ärzte diagnostizierten eine<br />
bevorstehende Fehlgeburt. Sieben Tage<br />
später war Savita tot, gestorben an einer<br />
Sepsis, einer Blutvergiftung, verursacht<br />
durch ein aggressives Bakterium,<br />
das ihre Blutbahn infiziert hatte. Drei<br />
Wochen später lautete die Überschrift<br />
in der »Irish Times«: »Frau stirbt im<br />
Krankenhaus – weil man ihr eine Abtreibung<br />
verweigert hat.«<br />
Das war Öl ins Feuer der ohnehin<br />
hitzig geführten Abtreibungsdebatte. In<br />
Irland hatte zu dieser Zeit die Regierung<br />
ein Referendum angestoßen, um das in<br />
der Verfassung verankerte Abtreibungsverbot<br />
zu kippen. In der ganzen Welt<br />
brach Zorn aus – die »Indian Times«<br />
titelte: »Irlands Regierung tötet indische<br />
Zahnärztin«, der trauernde Ehemann<br />
erzählte den Reportern, man habe<br />
seine Frau einfach sterben lassen. In 17<br />
Jahren war in dieser Klinik in Galway<br />
keine Frau während einer Schwangerschaft<br />
gestorben. Wie konnte es zu Savitas<br />
Tod kommen – noch dazu in einem<br />
Land, das seit Jahren unter den weltweit<br />
führenden fünf Ländern in punkto<br />
Gesundheitsfürsorge für Schwangere<br />
zu finden ist?<br />
Mehr Fakten und Details kamen<br />
schließlich ans Licht. Zwei Ärzte hatten<br />
Savita nacheinander untersucht, beide<br />
waren zu dem Schluss gekommen, dass<br />
eine Fehlgeburt nicht zu vermeiden war<br />
und unmittelbar bevorstand. Bei einer<br />
dieser Untersuchungen wurde auch eine<br />
Blutprobe entnommen, die eine erhöhte<br />
Anzahl an weißen Blutkörperchen ergab<br />
– ein erster Hinweis auf eine Entzündung,<br />
die sich irgendwo in Savitas<br />
Körper breitmachte. Weder wurde das<br />
Ergebnis der Probe in der Krankenakte<br />
notiert, noch gab es in den folgenden<br />
zwei Tagen weitere Untersuchungen<br />
dazu. Wäre diese Infektion an die<br />
behandelnden Ärzte gemeldet worden,<br />
hätte man rechtzeitig Antibiotika geben<br />
und die Sepsis verhindern können.<br />
In Absprache mit Savita und ihrem<br />
Ehemann setzte dann eine Behandlung<br />
ein, die man als »Watch and Wait Management«<br />
– beobachten und abwarten<br />
– bezeichnet: Man behält die Patientin<br />
im Krankenhaus, gibt Schmerzmittel,<br />
beobachtet sie und lässt ansonsten<br />
die Natur ihren Lauf nehmen. Das<br />
ist das Standardverfahren bei Fehlgeburten<br />
im zweiten Schwangerschaftsdrittel.<br />
Wäre eine Infektion diagnostiziert<br />
worden, hätten die Ärzte eingegriffen,<br />
aber das war ja nicht passiert.<br />
Fiebermessung und Blutdruck gaben<br />
keinen Hinweis auf eine Erkrankung.<br />
In Savitas erster Nacht im Krankenhaus<br />
platzte Savitas Fruchtblase. Normalerweise<br />
kommt es dann innerhalb<br />
von 48 bis 72 Stunden zur Fehlgeburt.<br />
Am nächsten Morgen untersuchte die<br />
diensthabende Ärztin Savita, es wurden<br />
keine außergewöhnlichen Werte<br />
bei Puls und Blutdruck festgestellt. Die<br />
Ärztin führte einen Ultraschall durch,<br />
um festzustellen, ob das Herz des Fötus<br />
noch schlägt – dies, weil ein toter Fötus<br />
im Uterus das Infektionsrisiko der<br />
Mutter erhöht. Der Herzschlag war<br />
noch vernehmbar, die Ärzte diskutierten<br />
das weitere Vorgehen, wussten aber<br />
zu diesem Zeitpunkt immer noch nichts<br />
von den erhöhten Blutwerten, die eine<br />
Infektion andeuteten, und entnahmen<br />
folglich auch keine weitere Blutprobe,<br />
um zu schauen, ob diese weiter angestiegen<br />
waren.<br />
Entgegen den Richtlinien des Krankenhauses<br />
wurden Savita zunächst keine<br />
Antibiotika verabreicht. Dies hätte unmittelbar<br />
nach dem Platzen der Fruchtblase<br />
passieren müssen, als prophylaktische<br />
Maßnahme gegen eine Infektion.<br />
Eine geplatzte Fruchtblase stellt immer<br />
eine Eintrittspforte für Keime dar. Savita<br />
bekam das erste Antibiotikum aber<br />
erst 21 Stunden später, nachdem eine<br />
Hebamme den diensthabenden Arzt darum<br />
bat. Was das Krankenhauspersonal<br />
zu dem Zeitpunkt jedoch nicht wusste,<br />
Das Tragik-Schicksal von Savita Halappanavar wurde für Fake-News missbraucht<br />
war, dass der Keim, mit dem Savita infiziert<br />
war, ein multiresistenter, schwer<br />
diagnostizierbarer Keim war, der zudem<br />
auf das verabreichte Antibiotikum überhaupt<br />
nicht ansprach. Auch 32 Stunden<br />
später hatte Savita keine Fehlgeburt gehabt,<br />
es ging ihr augenscheinlich gut,<br />
für die sich aufbauende Infektion gab<br />
es keinen Hinweis.<br />
Dr. Asbury, ihre behandelnde Ärztin,<br />
stellte abermals per Ultraschall einen<br />
Herzschlag des Kindes fest. Savita<br />
fragte nach Medikamenten, die die<br />
Fehlgeburt beschleunigen könnten. Ihr<br />
Ehemann sagte später aus, sie habe um<br />
eine Abtreibung gebeten, und die habe<br />
ihr Dr. Asbury mit dem Hinweis verweigert,<br />
das sei ein katholisches Krankenhaus<br />
und die Gesetze des Landes<br />
würden eine Abtreibung verbieten. Dr.<br />
Asbury verneint das – sie habe lediglich<br />
auf die Gesetzeslage hingewiesen<br />
und erläutert, dass keine Lebensgefahr<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
15
AUSLAND<br />
FOTO-AG GYMNASIUM MELLE/CC BY SA 3.0<br />
für Savita bestehe. Eine Abtreibung sei<br />
daher nicht möglich. Über den katholischen<br />
Glauben hatte sie gar nicht gesprochen.<br />
Das tat eine Hebamme, die<br />
einen weiteren Ultraschall von Savitas<br />
Baby machte. Savita fragte, ob es irgendetwas<br />
gäbe, was den Herzschlag<br />
stoppen könnte, und die Hebamme<br />
sagte: »Das machen wir hier nicht.«<br />
Es sei »eine katholische Sache«, so etwas<br />
nicht zu tun. Aber auch in katholischen<br />
Krankenhäusern in Irland galt<br />
damals schon: Wenn eine Sepsis festgestellt<br />
wird, deren Zentrum in der Gebärmutter<br />
liegt und die das Leben der<br />
Mutter bedroht, wird eine Fehlgeburt<br />
eingeleitet, um das Leben der Mutter<br />
zu retten – allemal dann, wenn ohnehin<br />
das Leben des Kindes nicht zu retten<br />
ist, wie in Savitas Fall.<br />
Am zweiten Tag nach ihrer Einlieferung<br />
ins Krankenhaus ging es Savita<br />
abends deutlich schlechter. Ihr Puls<br />
war drastisch erhöht, sie war kaum<br />
noch ansprechbar. Die Aussagen darüber,<br />
ob der diensthabende Arzt informiert<br />
wurde oder nicht, gehen auseinander.<br />
Die Hebamme behauptet, sie<br />
habe ihn alarmiert, er leugnet das. Immer<br />
noch war dem Personal nicht bekannt,<br />
dass auch die Blutwerte auf eine<br />
Entzündung hinwiesen. Aber schon der<br />
stark erhöhte Puls hätte als Anzeichen<br />
einer beginnenden Sepsis gedeutet und<br />
behandelt werden müssen. Savita entwickelte<br />
dann Fieber, ein weiteres Zeichen<br />
für eine Sepsis. Dennoch wurden<br />
ihre Vitalzeichen, Puls und Blutdruck,<br />
nicht weiter beobachtet. Sie machte keinen<br />
besonders kranken Eindruck, was<br />
aber bei einer Sepsis auch nicht ungewöhnlich<br />
ist. Das ist es, was eine Blutvergiftung<br />
so tückisch macht.<br />
Erst am vierten Tag ihrer Einlieferung<br />
ging es Savita dramatisch schlechter.<br />
Ein faulig riechender Ausfluss wurde<br />
in ihrer Krankenakte notiert. Damit<br />
waren die geplatzte Fruchtblase und die<br />
Gebärmutter eindeutig als Infektionsherd<br />
identifiziert. Jetzt wäre eine Beendigung<br />
der Schwangerschaft die lebensrettende<br />
Maßnahme gewesen: Es<br />
galt, die Ursache für die Sepsis, nämlich<br />
die geplatzte Fruchtblase, zu beseitigen.<br />
Das wäre nach irischem Recht völlig legal<br />
gewesen. Aber auch hier kam es zu<br />
einem Kommunikationsversagen: Bei<br />
der Visite vergaß die Krankenschwester,<br />
von diesem Ausfluss zu berichten.<br />
Savita wurde erst einen Tag später zur<br />
Abtreibung in den OP geschoben, als<br />
die Ärztin sich anhand der drastisch<br />
verschlimmerten Vitalwerte zu diesem<br />
Schritt gezwungen sah. Dort kam es zur<br />
spontanen Fehlgeburt. Trotz einer eingeleiteten<br />
breiten Antibiotikabehandlung<br />
starb Savita.<br />
Es bleibt festzuhalten, dass Savitas<br />
Leben hätte gerettet werden können,<br />
wenn das Krankenhauspersonal sich an<br />
alle Richtlinien gehalten hätte, wenn<br />
die Kommunikation zwischen Hebammen,<br />
Krankenschwestern und Ärzten<br />
funktioniert hätte, wenn nicht eine<br />
Blutprobe verloren gegangen und deren<br />
Ergebnis wenigstens in die Krankenakte<br />
eingetragen worden wäre. All<br />
diese Informationen hätten eine völlig<br />
legale Abtreibung zur Rettung des Lebens<br />
der Mutter zur Folge gehabt. So<br />
aber starb Savita.<br />
Phil Prendergast, Europaabgeordnete<br />
der Labour Party in Irland und<br />
ehemalige Hebamme, führt aus: »Die<br />
Berichterstattung kann manchmal sehr<br />
emotional sein und sich auf Aspekte des<br />
Falls fokussieren, die relevant sind – oder<br />
auch nicht. Als Hebamme fand ich das<br />
besonders schwierig, weil im Europaparlament<br />
ein Brief eines Abgeordneten<br />
kursierte, in dem es hieß, dass hier<br />
in Irland eine Frau gestorben ist, weil<br />
wir dieses strenge Abtreibungsgesetz<br />
haben. Das stimmte aber gar nicht.«<br />
Harry Browne, Lehrender an der DIT-<br />
Medienschule, kommt zu folgendem<br />
Urteil: »Viele Menschen haben dann<br />
geglaubt, dass in Irland Abtreibungen<br />
nicht mal dann erlaubt sind, wenn das<br />
Leben der Mutter in Gefahr ist. Das<br />
Kennt sich aus: Die Hebamme und irische EU-Abgeordnete Phil Prendergast<br />
ist natürlich nicht der Fall. (…) Savita<br />
hat keine Abtreibung bekommen, weil<br />
die Ärzte nicht festgestellt haben, dass<br />
ihr Leben in Gefahr ist. Dieses ziemlich<br />
einfache Missverständnis hat dazu<br />
geführt, dass es einige Verdrehungen<br />
von Tatsachen gab.« Das interessierte<br />
die Medien damals nicht.<br />
Die Folgen bringt Browne folgendermaßen<br />
auf den Punkt: »Die Diskussion,<br />
die nach Savitas Tod losging,<br />
hat zu einer Debatte geführt, die nicht<br />
viel mit ihrem Tod zu tun hatte. Und<br />
die Gesetzgebung, die wir jetzt in Bezug<br />
auf Abtreibungen in Irland haben,<br />
hat sehr, sehr wenig mit dem Fall Savitas<br />
16 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
AUSLAND<br />
zu tun, der sie aber herbeigeführt hat.«<br />
Ihr Tod wurde durch eine sich anschließende<br />
Medienkampagne missbraucht,<br />
der Irland eines der liberalsten Abtreibungsgesetze<br />
Europas zu verdanken hat.<br />
Im November letzten Jahres hat sich<br />
nun diese Geschichte in Polen wiederholt<br />
– bis hin zu entsprechenden Vorkommnissen<br />
im Europäischen Parlament.<br />
Im September 2021 wurde eine<br />
30-jährige Frau in das Kreiskrankenhauses<br />
Pszczyna eingeliefert. Sie<br />
war in der 22. Schwangerschaftswoche<br />
und verlor Fruchtwasser. Die Ärzte<br />
stellten angeborene Fehlbildungen<br />
des Fötus fest und nahmen – ähnlich<br />
wie in Savitas Fall – eine »abwartende<br />
Haltung« ein. Marcin Leśniewski,<br />
Direktor des Kreiskrankenhauses Pszczyna,<br />
erklärte, dass zu diesem Zeitpunkt<br />
auch noch keine Entzündungsmarker<br />
festgestellt worden waren. Die<br />
junge Frau starb innerhalb eines Tages,<br />
vermutlich an einem septischen<br />
Schock. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt<br />
bereits tot. Die Ärzte hätten handeln<br />
und eine Abtreibung einleiten können,<br />
um auf diese Weise das Leben der<br />
Mutter zu retten, so Jerzy Kwaśniewski,<br />
Vorsitzender von Ordo Iuris. Dies sei<br />
durch das polnische Gesetz nicht verboten.<br />
Der Fall wurde gerade wegen der diagnostizierten<br />
Missbildungen des ungeborenen<br />
Kindes für die Medien interessant.<br />
Denn das polnische Verfassungsgericht<br />
hatte zur Empörung der internationalen<br />
Abtreibungslobby im Oktober<br />
2020 eugenische Abtreibungen für<br />
verfassungswidrig erklärt. Nun also war<br />
eine Frau gestorben, deren Kind ohne<br />
dieses Urteil möglicherweise aufgrund<br />
seiner Missbildungen bereits früher hätte<br />
abgetrieben werden können. Ob dies<br />
für die junge Frau infrage gekommen<br />
wäre, hat die berichtenden Medien zu<br />
keinem Zeitpunkt interessiert. Tatsache<br />
ist: Die bestehenden gesetzlichen Regelungen<br />
im Bereich des Lebensschutzes<br />
sind für den Tod der jungen Frau nicht<br />
verantwortlich. Sie sind vielmehr so gestaltet,<br />
dass die behandelnden Ärzte das<br />
Leben der Mutter retten können, auch<br />
wenn dafür das Leben des ungeborenen<br />
Kindes geopfert werden muss. Manchmal,<br />
wenn auch äußerst selten, kommt es<br />
trotz medizinischen Fortschritts zu Situationen,<br />
in denen es ungeachtet aller<br />
HTTPS://ORDOIURIS.PL<br />
Bemühungen der Ärzte nicht möglich<br />
ist, beide Patienten zu retten.<br />
Weder in Savitas Fall noch in dem<br />
der jungen Polin trifft dies jedoch zu:<br />
Bei Savita stand eine Fehlgeburt unmittelbar<br />
bevor, das Leben des Kindes war<br />
nicht zu retten; das Kind der Polin war<br />
Jerzy Kwaśniewski von der polnischen Denkfabrik »Ordo Iuris«<br />
bereits tot, als die Mutter an der Sepsis<br />
schwer erkrankte. Darauf hatte auch<br />
die Familie der Verstorbenen hingewiesen<br />
und betont, dass die rechtliche Situation<br />
in Polen mit dem Tod der jungen<br />
Frau nichts zu tun hat. Zahlreiche<br />
polnische Ärzte und Juristen haben dies<br />
bestätigt – was das Europäische Parlament<br />
aber nicht daran gehindert hat,<br />
am 11. November eine Entschließung<br />
anzunehmen, die seine Zuständigkeiten<br />
überschreitet und falsche Behauptungen<br />
über die Situation in Polen aufstellt, unter<br />
anderem die Behauptung, das Leben<br />
von abtreibungswilligen Frauen sei in<br />
Polen gefährdet, weswegen Polen Abtreibungen<br />
legalisieren und als »Menschenrecht«<br />
anerkennen müsse.<br />
Die EU-Abgeordneten nahmen diese<br />
Resolution mit einer Mehrheit von<br />
373 Ja-Stimmen bei 125 Nein-Stimmen<br />
(und 55 Enthaltungen) an. Gleichzeitig<br />
wurde der alternative Beschlussentwurf<br />
abgelehnt. In dem hatte es geheißen,<br />
dass Abtreibung kein Menschenrecht<br />
ist und es auch nie war, dass die<br />
Gesundheitspolitik in die ausschließliche<br />
Zuständigkeit der Mitgliedstaaten<br />
fällt und sich die Notwendigkeit zum<br />
Schutz des Lebens zwingend aus dem<br />
Völkerrecht ergibt. Die Abgeordneten<br />
nahmen auch eine Änderung der Entschließung<br />
an, die einen Zusammenhang<br />
herstellt zwischen dem Urteil des<br />
Verfassungsgerichts, das die Durchführung<br />
einer eugenischen Abtreibung verbietet,<br />
und dem Tod der 30-jährigen<br />
Mutter und ihres ungeborenen Kindes<br />
aus Pszczyna.<br />
Sowohl in Polen als auch in Irland<br />
wurde eine medizinische Tragödie instrumentalisiert,<br />
um das Ziel einer möglichst<br />
liberalen Regelung vorgeburtlicher<br />
Kindstötungen zu erreichen. Sowohl<br />
in Polen als auch in Irland spielten<br />
Europaabgeordnete dabei eine unrühmliche<br />
Rolle, indem sie falsche Informationen<br />
im Parlament verbreiteten. In<br />
Irland hat die auf diesem Fall aufbauende<br />
gezielte Desinformationskampagne<br />
dazu geführt, dass die Gesetze geändert<br />
und der Schutz des Lebens erheblich<br />
eingeschränkt wurden. Seit der<br />
Legalisierung der Abtreibungen hat<br />
sich ihre Zahl verdoppelt: Reisten früher<br />
rund 3.500 Frauen für eine Abtreibung<br />
nach England, so lassen Irinnen<br />
nun über 7.000-mal jährlich abtreiben,<br />
meist in Irland selbst.<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
17
18 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
19
AUSLAND POLITIK<br />
§ 219a:<br />
Nur der Anfang?<br />
Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Streichung des Werbeverbots für<br />
Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch (§ 219a StGB) ist außer bei Lebensrechtlern<br />
auch in Teilen von Politik und Kirche auf Kritik gestoßen<br />
Von Stefan Rehder<br />
MARTIN KRAFT, WIKIMEDIA COMMONS, CC BY-SA 4.0<br />
Günther Krings, CDU<br />
Frauen, die ungewollt schwanger<br />
geworden sind, ist mit einer<br />
Streichung des § 219a Strafgesetzbuch<br />
nicht geholfen«, erklärte der<br />
rechtspolitische Sprecher der CDU/<br />
CSU-Bundestagsfraktion Günther<br />
Krings (CDU). Vielmehr werde die<br />
»grundrechtliche Verpflichtung des<br />
Staates, auch das ungeborene menschliche<br />
Leben zu schützen«, missachtet.<br />
»Menschenwürde kommt auch schon<br />
dem ungeborenen Menschen zu.«<br />
Nach dem geltenden Schutzkonzept<br />
entscheide »richtigerweise letztlich<br />
die werdende Mutter über Fortsetzung<br />
oder Abbruch der Schwangerschaft«,<br />
so Krings weiter. Schutz erfahre<br />
das ungeborene Kind daher nur<br />
durch die Vorgaben zum Beratungsverfahren.<br />
»Diese Vorgaben darf der<br />
Staat nicht schleifen.« Nach Ansicht<br />
Krings sei bei einer Streichung des<br />
§ 219a aus dem Strafgesetzbuch »mit<br />
offener Werbung für Schwangerschaftsabbrüche<br />
zu rechnen«.<br />
Auch die bayerische Staatsministerin<br />
für Familie, Arbeit und Soziales,<br />
Ulrike Scharf (CSU), sprach sich gegen<br />
eine Streichung des § 219a StGB<br />
aus. »Das Selbstbestimmungsrecht<br />
von Frauen wird dadurch definitiv<br />
nicht verbessert«, erklärte Scharf. In<br />
den staatlich anerkannten, hochqualifizierten<br />
Beratungsstellen erhielten<br />
schwangere Frauen im persönlichen<br />
Gespräch alle erforderlichen Informationen<br />
und Hilfestellungen. Ausführliche<br />
Informationen von Ärztinnen<br />
und Ärzten, die den Abbruch vornähmen<br />
und daher als gesetzliche Beraterinnen<br />
und Berater ausgeschlossen<br />
seien, seien nicht notwendig. Auch<br />
wenn eine Aufhebung des § 219a derzeit<br />
nichts an der Rechtslage für die<br />
Beratungsregelung ändere, habe sie<br />
doch die Sorge, dass dies als Nächstes<br />
durch den Bund in Frage gestellt<br />
werde, so Scharf weiter.<br />
Die Vorsitzende der Frauenunion,<br />
Annette Widmann-Mauz (CDU),<br />
erklärte: »§ 219a StGB ist Teil eines<br />
Schutzkonzeptes, zu dem das Bundesverfassungsgericht<br />
den Gesetzgeber in<br />
§ 218 StGB verpflichtet hat und mit<br />
dem eine jahrzehntelange Diskussion<br />
befriedet wurde.« Die Bundesregierung<br />
rolle die schwierige Debatte<br />
HTTPS://WWW.FACEBOOK.COM/ULRIKE.SCHARF.ERDING/<br />
Ulrike Scharf, CSU<br />
nun neu auf. »Eine Kommission soll<br />
Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch<br />
außerhalb des Strafgesetzbuches<br />
prüfen. Die Aufhebung des<br />
Werbeverbots soll also nur der erste<br />
Schritt sein. Ein riskanter Weg, der<br />
droht, den Schutz des Lebens des Ungeborenen<br />
immer mehr aus dem Blick<br />
zu verlieren.«<br />
Kritik kam auch von den katholischen<br />
Bischöfen. »Sofern Reformbedarf<br />
besteht, halten wir eine Überarbeitung<br />
des § 219a StGB weiterhin für<br />
den besseren Weg als die Streichung<br />
aus dem Strafgesetzbuch«, erklärte der<br />
Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz<br />
(DBK), Bischof Georg Bätzing,<br />
zum Abschluss der Frühjahrs-<br />
20 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
POLITIK<br />
vollversammlung des deutschen Episkopats<br />
in Vierzehnheiligen.<br />
Um der Gefahr zu begegnen, dass<br />
nach Aufhebung des § 219a StGB unsachliche<br />
oder anpreisende Werbung<br />
für Schwangerschaftsabbrüche betrieben<br />
wird, sieht der Gesetzesentwurf<br />
der Bundesregierung eine Änderung<br />
des Heilmittelwerbegesetzes (HWG)<br />
vor. Da § 1 Absatz 1 Nummer 2 HWG<br />
nur Werbung für andere Mittel, Verfahren,<br />
Behandlungen und Gegenstände<br />
erfasst, soweit sich die Werbeaussage<br />
auf die Erkennung, Beseitigung<br />
oder Linderung von Krankheiten,<br />
Leiden, Körperschäden oder krankhaften<br />
Beschwerden bezieht, soll der<br />
Anwendungsbereich des HWG nun<br />
auch auf Schwangerschaftsabbrüche<br />
ohne Krankheitsbezug erweitert werden.<br />
Wie die Bundesregierung in ihrem<br />
Entwurf ausführt, führe »die Aufnahme<br />
der Werbung für medizinisch<br />
nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche<br />
in den Anwendungsbereich des<br />
HWG« dazu, »dass die Vorgaben des<br />
HWG für die Werbung für alle Arten<br />
von Schwangerschaftsabbrüchen<br />
Anwendung« fänden und »sowohl für<br />
Ärztinnen und Ärzte als auch für Dritte«<br />
gelten, »die für die Durchführung<br />
von Schwangerschaftsabbrüchen werben«.<br />
Verstöße seien bußgeldbewehrt.<br />
Dadurch »werde der Schutzpflicht des<br />
Gesetzgebers für das ungeborene Leben<br />
Rechnung getragen«.<br />
»Mit großer<br />
Skepsis und Sorge«<br />
»Ob dieser nun vorgeschlagene Weg<br />
geeignet ist, werden wir genauer prüfen«,<br />
kündigte Bätzing an. Die Bischöfe<br />
hätten jedoch »weiterhin die Sorge,<br />
dass das Schutzniveau zulasten des<br />
grundgesetzlich gebotenen Lebensschutzes<br />
zu sehr abgesenkt wird«.<br />
Schwangere Frauen in Konfliktsituationen<br />
seien auf seriöse, verlässliche<br />
und neutrale Informationen angewiesen.<br />
Auch dürften Abtreibungen<br />
nicht als alltäglicher, »der Normalität<br />
entsprechender Vorgang« erscheinen.<br />
»Der nun vorgelegte Gesetzesentwurf<br />
muss sich auch daran messen<br />
lassen«, so Bätzing weiter. Nach Ansicht<br />
des DBK-Vorsitzenden könne<br />
der Schutz des ungeborenen Lebens<br />
SANDRO HALANK, WIKIMEDIA COMMONS, CC BY-SA 4.0<br />
nur »mit der Mutter und keinesfalls<br />
gegen sie« erreicht werden. Daher käme<br />
»der unabhängigen psychosozialen<br />
Beratung und dem persönlichen Beratungsgespräch«<br />
eine »zentrale Bedeutung«<br />
zu. In der Diskussion käme<br />
dies oft zu kurz. »Es ist daher wichtig,<br />
die Beratungs- und Hilfsangebote<br />
für Frauen in einer Konfliktsituation<br />
zu stärken, um ihre Nöte und Bedarfe<br />
wahrzunehmen und ihnen auch<br />
Perspektiven für ein Leben mit dem<br />
Kind aufzuzeigen.«<br />
Annette Widman-Mauz, CDU<br />
Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende<br />
der Katholischen Frauengemeinschaft<br />
Deutschlands (kfd), Mechthild<br />
Heil. Wenn Bundesrat und Bundestag<br />
dem Gesetzesentwurf von Bundesjustizminister<br />
Marco Buschmann<br />
zur Abschaffung des Werbeverbots<br />
für Abtreibungen endgültig mehrheitlich<br />
zustimmen, sei dies ein erster<br />
Schritt zur Aufhebung eines gesellschaftlichen<br />
Konsenses. »Dieser<br />
hat bisher den bestmöglichen Schutz<br />
des ungeborenen Lebens bieten können«,<br />
so Heil. Auch bisher erhielten<br />
Frauen über die verpflichtende Beratung<br />
die notwendigen Informationen<br />
zu Personen und Institutionen, die<br />
Schwangerschaftsabbrüche vornähmen.<br />
Befürworter der Abschaffung des<br />
§ 219a StGB nähmen »eine mögliche<br />
Spaltung unserer Gesellschaft in Fragen<br />
des Schwangerschaftsabbruchs in<br />
Kauf. Schwangeren Frauen, die eine<br />
so folgenschwere Entscheidung treffen<br />
müssen, ist mit diesem politischen<br />
BISTUM LIMBURG<br />
Schritt nicht geholfen«, so die kfd-<br />
Vorsitzende.<br />
Mit »großer Skepsis und Sorge«<br />
blickt auch das Kolpingwerk Deutschland<br />
auf die von der Bundesregierung<br />
geplante Streichung des Werbeverbots<br />
für Abtreibungen. Nach Ansicht des<br />
Bischof Georg Bätzing<br />
Bundesvorstandes verschiebe dessen<br />
Abschaffung »die Prioritäten zu Ungunsten<br />
des ungeborenen Lebens und<br />
damit zu Lasten des Lebensschutzes«.<br />
Mit Blick auf die verfassungsrechtlichen<br />
Grundlagen müssten die Fragen<br />
einer flächendeckend sichergestellten<br />
kompetenten Beratung sowie einer<br />
den Bedürfnissen der Betroffenen<br />
entsprechenden Versorgungslage ins<br />
Zentrum rücken. Die Regierung sei<br />
in der Pflicht, die Beratungsangebote<br />
dauerhaft rechtlich abzusichern und<br />
für die Beratungsstellen beste Rahmenbedingungen<br />
zu schaffen. »Zielsetzung<br />
muss sein, die Beratungsstellen<br />
als den genuinen Ort kompetenter<br />
Informationen für schwangere Frauen<br />
in Konfliktsituationen zu erhalten<br />
und auszuweiten sowie professionelle<br />
medizinische Beratung deutlich<br />
von Werbung abzugrenzen«, heißt<br />
es in einer Erklärung des Bundesvorstands.<br />
Der besondere grundgesetzliche<br />
Schutz vom Anfang bis zum Ende<br />
des Lebens sei »eine Frage der Menschenwürde,<br />
die auch jedem ungeborenen<br />
Leben zusteht«. Abtreibungen<br />
dürften daher »nicht als normale medizinische<br />
Dienst- und Regelleistung<br />
betrachtet werden«.<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
21
AUSLAND POLITIK<br />
PARILOV/STOCK.ADOBE.COM<br />
Simsalabim<br />
Die Ampel-Regierung hat sich die Agenda der Abtreibungslobby auf ihre Fahnen geschrieben. Dagegen<br />
lässt sich angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag zunächst wenig ausrichten.<br />
Das gilt auch für den Versuch von Bundesjustizminister Marco Buschmann, eine analoge<br />
Straftat in digitales Recht zu verwandeln. Allerdings könnte die Union eine Normenkontrollklage erwägen<br />
und das Bundesverfassungsgericht mit der geplanten Aufhebung des § 219a StGB befassen.<br />
Von Stefan Rehder<br />
Es ist immer wieder erstaunlich,<br />
für wie dumm Politiker mitunter<br />
die Bürgerinnen und Bürger<br />
halten. Oder auch mit welcher Chuzpe<br />
sie selbst das Unbestreitbare leugnen.<br />
Doch nirgendwo wird dies gegenwärtig<br />
so augenfällig wie in der Debatte über<br />
die Streichung des § 219a aus dem Strafgesetzbuch.<br />
Bis vor Kurzem etwa hätte<br />
niemand zu bestreiten gewagt, dass die<br />
von dem Berliner Drucker Ernst Litfaß<br />
1854 erfundene runde Litfaßsäule<br />
keine Plattform für »Informationen«,<br />
sondern eine für »Werbung« sei. Litfaß<br />
selbst nannte die runden Werbeinseln<br />
übriges noch »Annoncier-Säulen«.<br />
Heute werden auf ihnen überwiegend<br />
Konzerte oder Kabarett-Programme<br />
plakatiert.<br />
Machte man sich den Informationsbegriff<br />
der Befürworter der Streichung<br />
des Werbeverbots für Abtreibungen zu<br />
eigen, dann dürften Stadtverwaltungen<br />
solche Litfaßsäulen nicht länger dem Bereich<br />
der »Außenwerbung« zurechnen.<br />
Tatsächlich werden auf ihnen Veranstaltungen<br />
lediglich »angezeigt« und keinesfalls<br />
explizit oder gar aggressiv »beworben«.<br />
In aller Regel erfahren Passanten<br />
hier bloß, wann wer wo auftritt. Selbst<br />
der Preis für die Karte wird nicht kommuniziert.<br />
Dennoch werden die Plakatflächen<br />
an Werbetreibende vermietet,<br />
22 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
POLTIK<br />
FDP.DE<br />
können Künstler und Konzertagenturen<br />
ihre diesbezüglichen Kosten als »Werbungskosten«<br />
geltend machen und von<br />
der Steuer absetzen. Der Grund: Mit<br />
der Information ist zugleich ein Angebot<br />
verbunden. Eine Offerte, die zwar<br />
unausgesprochen bleibt, aber dennoch<br />
eindeutig und unmissverständlich ist<br />
und lautet: Kommt und seht!<br />
Vergleichbares gilt auch für Handwerker,<br />
Reinigungsfirmen, Immobilienmakler,<br />
Anwaltskanzleien, Notariate<br />
etc., die in den Gelben Seiten annoncieren.<br />
Auch sie geben dort zumeist<br />
nur zur Kenntnis, dass sie existieren<br />
und wo und wie sie zu erreichen sind.<br />
Dennoch werden derartige Informationen<br />
als »Werbung« betrachtet. Folglich<br />
können auch hier die Werbetreibenden<br />
die Kosten ihrer »Anzeigen«<br />
als Werbungskosten verbuchen und<br />
von der Steuer absetzen.<br />
Nur für Ärzte, die vorgeburtliche<br />
Kindstötungen durchführen, soll all das<br />
auf einmal anders sein. Ärzte, die auf ihren<br />
Praxiswebseiten, digitalen Litfaßsäulen<br />
also, annoncieren, dass sie auch<br />
Abtreibungen durchführen, »werben«<br />
angeblich nicht, sie »informieren« ausschließlich.<br />
So sieht es die Abtreibungslobby,<br />
natürlich ohne deswegen auf die<br />
geldwerten Vorteile zu verzichten.<br />
In einem funktionierenden Gemeinwesen<br />
wäre das kein Problem. Zumindest<br />
kein unlösbares. Denn in ihm würden<br />
Ärzte, die sich auf diesen unhaltbaren<br />
Standpunkt stellten, einfach eines<br />
Besseren belehrt. Vorzugsweise durch<br />
die zuständigen Landesärztekammern,<br />
notfalls aber durch aufmerksame Bürger,<br />
die die Staatsanwaltschaft einschalten.<br />
Diese würden die Ärzte auf ihr Fehlverhalten<br />
hinweisen und erst wenn sie<br />
sich weigerten, sich rechtskonform zu<br />
verhalten, Anklage erheben. In der Folge<br />
würden Richter sich mit der geltenden<br />
Rechtslage befassen und die Angeklagten<br />
entweder verurteilen oder freisprechen.<br />
Und genauso wurde es in den<br />
vergangenen Jahren auch gehandhabt.<br />
Weil die Landesärztekammern untätig<br />
blieben, haben Bürger Anzeige erstattet,<br />
haben Staatsanwälte notorische<br />
Rechtsverweigerer wie die von der Abtreibungslobby<br />
und in Teilen der Medien<br />
hemmungslos gefeierte Gießener<br />
Abtreibungsärztin Kristina Hänel oder<br />
ihre Berliner Kollegin Bettina Gaber angeklagt,<br />
haben Gerichte sie in sämtlichen<br />
Instanzen, wenn auch eher milde,<br />
abgeurteilt, woraufhin diese von ihrem,<br />
in einem Rechtsstaat verbürgten Recht<br />
Gebrauch gemacht und Beschwerde<br />
beim Bundesverfassungsgericht eingereicht<br />
haben. So weit, so korrekt.<br />
Nun aber hat Bundesjustizminister<br />
Marco Buschmann angekündigt,<br />
der § 219a werde aus dem Strafgesetzbuch<br />
gestrichen. Mitte Januar kündigte<br />
der FDP-Politiker auf einer Pressekonferenz<br />
an, das Werbeverbot für<br />
Marco Buschmann, FDP<br />
Abtreibungen werde fallen, um einen<br />
»unhaltbaren Rechtszustand zu beenden«.<br />
»Denn«, so Buschmann weiter,<br />
»nach jetziger Rechtlage ist es so, dass<br />
Ärztinnen und Ärzte, die sachlich über<br />
ihre Arbeit informieren, über Methoden<br />
beispielsweise informieren, wie sie<br />
Schwangerschaftsabbrüche durchführen,<br />
mit strafrechtlichen Ermittlungen<br />
und Verurteilungen rechnen müssen«.<br />
Man hört und staunt.<br />
Und dies vor allem aus zwei Gründen.<br />
Zunächst, weil gerade die beiden,<br />
von allen Instanzen verurteilten Ärztinnen<br />
eben gar nicht sachlich über »ihre<br />
Arbeit« informierten. Wer das anders<br />
sieht, müsste etwa behaupten wollen,<br />
dass eine vorgeburtliche Kindstötung<br />
auch mit der Entfernung von »Schwangerschaftsgewebe«<br />
(Kristina Hänel) zutreffend<br />
beschrieben werden kann. Und<br />
wer meint, der Satz »auch ein medikamentöser,<br />
narkosefreier Schwangerschaftsabbruch<br />
in geschützter Atmosphäre<br />
gehört zu unseren Leistungen«<br />
DPA<br />
(Bettina Gaber) sei keine Werbung, der<br />
müsste sich auch auf den Standpunkt<br />
stellen, ein Immobilienbesitzer, der eine<br />
Mietwohnung mit Merkmalen wie<br />
»kautionsfrei« und »in ruhiger Wohnlage«<br />
anpriese, informiere lediglich. Auch<br />
ist die Abtreibungspille gar kein Medikament,<br />
sondern ein tödlich wirkendes<br />
Soll aufgehoben werden: § 219a<br />
chemisches Präparat. Wäre es anders,<br />
wäre Schwangerschaft eine Krankheit<br />
und das ungeborene Kind ein Erreger,<br />
der bekämpft werden darf.<br />
Sodann ist es Ärztinnen und Ärzten<br />
überhaupt nicht verboten, über die Methoden<br />
zu informieren, mit denen sie<br />
Abtreibungen durchführen. Nur ist der<br />
vom Gesetzgeber dafür vorgesehene<br />
Ort eben bislang das Arzt-Patienten-<br />
Gespräch und nicht etwa eine digitale<br />
Litfaßsäule gewesen. Der Grund:<br />
Der Gesetzgeber wollte nicht, dass eine<br />
vorgeburtliche Kindstötung wie eine<br />
x-beliebige medizinische Leistung dargestellt<br />
wird. Das sehen die Ampelkoalitionäre,<br />
wie ein Blick in den Koalitionsvertrag<br />
zeigt (siehe Kasten S. 23),<br />
inzwischen anders. Die Bagatellisierung<br />
und Umetikettierung vorgeburtlicher<br />
Kindstötungen als Teil der »Gesundheitsversorgung«<br />
von Frauen entstammt<br />
den Denkfabriken der Abtreibungslobby.<br />
Sie zur Regierungspolitik<br />
zu erheben, lässt tief blicken.<br />
Nur ist damit das Ende der Fahnenstange<br />
des Staunens noch keineswegs<br />
erreicht. Gefragt von einer Journalistin,<br />
was er zum Vorwurf der Union sage,<br />
mit seinem Gesetzesvorhaben werde<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
23
POLITIK<br />
»ein mühsam gefundener gesellschaftlicher<br />
Kompromiss aufgebrochen, indem<br />
ein Element entfernt würde«, antwortete<br />
der Bundesjustizminister: »Ich<br />
glaube, wir müssen das Recht der Gegenwart<br />
anpassen und dieser Kompromiss<br />
wurde in einer Zeit gefunden, als es<br />
noch kein Internet gab. Wo Ärzte eben<br />
nicht im Internet darstellen konnten,<br />
welche Eingriffe sie vornehmen, welche<br />
Techniken sie dazu anwenden und<br />
was aus medizinischer Sicht dafür und<br />
dagegen spricht. Und deswegen glaube<br />
ich, müssen wir das Recht dieser Gegenwart<br />
anpassen.«<br />
Was soll das heißen? Dass die Offerte<br />
eines Arztes in den Gelben Seiten,<br />
er führe Abtreibungen durch, ehedem<br />
zu Recht strafbar war? Dass aber<br />
dieselbe Offerte, wenn sie stattdessen<br />
auf eine im Internet auffindbare Praxishomepage<br />
verlegt wird, – Simsalabim<br />
– juristisch unanfechtbar und legal<br />
wird? Anders gefragt: Kann aus einer<br />
analogen Straftat, wenn sie im Internet<br />
begangen wird, digitales Recht<br />
werden? Und wenn ja, wie macht das<br />
Internet das? Besitzt es die Fähigkeit<br />
zur Transsubstantiation? Kann es Unrecht<br />
in Recht wie Wasser in Wein oder<br />
Wein in Blut verwandeln?<br />
Oder haben die gern als »selbsternannt«<br />
gelabelten Lebensrechtler nicht<br />
vielmehr Recht, wenn sie meinen, Buschmann<br />
streue den Bürgerinnen und Bürgern<br />
»Sand in die Augen«, wenn er behauptet,<br />
die Aufhebung des Werbeverbots<br />
für Abtreibungen ändere nichts<br />
an dem »Schutzkonzept« für das Leben<br />
ungeborener Kinder, zu welchem<br />
die Verfassung den Staat überdies verpflichtet?<br />
Treffen sie nicht den Nagel<br />
auf den Kopf, wenn sie beispielsweise<br />
in Gestalt der Bundesvorsitzenden der<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.,<br />
Cornelia Kaminski, behaupten: »Es ist<br />
praktisch niemand zu vermitteln, dass<br />
etwas, das beworben werden wird und<br />
für das geworben werden darf, eine<br />
rechtswidrige und prinzipiell strafbare<br />
Handlung darstellt«? Oder wenn sie zu<br />
Protokoll geben: »Die Bewerbung einer<br />
rechtswidrigen und prinzipiell strafbaren<br />
Handlung auf den Internetseiten<br />
von Arztpraxen, Kliniken und Einrichtungen<br />
lässt vorgeburtliche Kindstötungen<br />
wie jede andere medizinische Leistung<br />
oder Heilbehandlung erscheinen<br />
und versieht sie mit dem Anschein der<br />
Legitimität«?<br />
Wie dem auch sei, die Behauptung<br />
des Bundesjustizministers, »das Recht«<br />
müsse »der Gegenwart« angepasst werden,<br />
wirft weitere Fragen auf. Müssten,<br />
so ließen sich beispielsweise fragen,<br />
dann nicht auch Mord und Totschlag<br />
aus dem Strafgesetzbuch gestrichen<br />
werden? Oder wenigstens Betrug<br />
und Diebstahl? Anders gefragt: Müsste<br />
nicht gleich das ganze Strafgesetzbuch<br />
eingestampft werden? Im Grunde gibt<br />
es dieses doch nur, weil zumindest zwischen<br />
seinen Autoren und Kommentatoren<br />
Konsens darüber besteht, dass es<br />
Info<br />
Reproduktive Selbstbestimmung<br />
sich in Wirklichkeit genau andersherum<br />
verhält. Dass nämlich nicht das Recht<br />
der Gegenwart angepasst werden muss,<br />
sondern die Gegenwart dem Recht.<br />
Was ist Recht, wenn nicht in Paragrafen<br />
gegossene Ethik? Was, wenn nicht<br />
das Minimum, jener unverzichtbare Bestandteil<br />
an Moral, auf den jede Bürgerin<br />
und jeder Bürger zwecks eines gedeihlichen<br />
Zusammenlebens verpflichtet<br />
werden kann? Fragen über Fragen,<br />
die offenbar bei Bundesjustizminister<br />
Marco Buschmann nicht in den allerbesten<br />
Händen zu sein scheinen. Die<br />
Union sollte eine Normenkontrollklage<br />
erwägen.<br />
Auszug aus dem Koalitionsvertrag »Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für<br />
Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit« zwischen der Sozialdemokratischen<br />
Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90/Die Grünen und den Freien Demokraten<br />
(FDP), S. 115 f.<br />
»Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Wir stellen Versorgungssicherheit<br />
her. Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung<br />
sein. Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen<br />
gehört zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung. Sogenannten Gehsteigbelästigungen<br />
von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern setzen wir<br />
wirksame gesetzliche Maßnahmen entgegen. Wir stellen die flächendeckende<br />
Versorgung mit Beratungseinrichtungen sicher. Schwangerschaftskonfliktberatung<br />
wird auch künftig online möglich sein. Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche<br />
Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne<br />
eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Daher streichen wir § 219a StGB.<br />
Wir wollen Krankenkassen ermöglichen, Verhütungsmittel als Satzungsleistung<br />
zu erstatten. Bei Geringverdienenden werden die Kosten übernommen. Wir wollen<br />
die Forschungsförderung für Verhütungsmittel für alle Geschlechter anheben.<br />
Wir wollen ungewollt Kinderlose besser unterstützen. Künstliche Befruchtung<br />
wird diskriminierungsfrei auch bei heterologer Insemination, unabhängig von<br />
medizinischer Indikation, Familienstand und sexueller Identität förderfähig<br />
sein. Die Beschränkungen für Alter und Behandlungszyklen werden wir überprüfen.<br />
Der Bund übernimmt 25 Prozent der Kosten unabhängig von einer Landesbeteiligung.<br />
Sodann planen wir, zu einer vollständigen Übernahme der Kosten<br />
zurückzukehren. Die Kosten der Präimplantationsdiagnostik werden übernommen.<br />
Wir stellen klar, dass Embryonenspenden im Vorkernstadium legal sind,<br />
und lassen den ›elektiven Single Embryo Transfer‹ zu.<br />
Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin<br />
ein, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch<br />
außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende<br />
und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird.«<br />
24 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
POLITIK<br />
<strong>ALfA</strong>-PODCAST<br />
»LIFETALKS«<br />
Menschenrechte sind die Grundlage unseres friedlichen und freiheitlichen Zusammenlebens. Das<br />
erste Menschenrecht ist das Recht auf Leben. Darum, und um viele weitere Fragen, die den Lebensschutz<br />
betreffen, geht es in dem wöchentlich erscheinenden Podcast „Lifetalks“ der Aktion Lebensrecht<br />
für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V. Meist spricht hier die Bundesvorsitzende der <strong>ALfA</strong>, Cornelia Kaminski, mit<br />
Experten aus dem In- und Ausland über ein aktuelles Lebensrechtsthema. Interessierte können<br />
»Lifetalks« kostenlos abonnieren oder über Anchor, Spotify, Google Podcasts sowie über die <strong>ALfA</strong>-<br />
Homepage unter www.alfa-ev.de abrufen.<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e. V.<br />
Kitzenmarkt 20–22 | 86150 Augsburg<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
www.alfa-ev.de<br />
25
MEDIZIN<br />
ONDROOO/STOCK.ADOBE.COM<br />
Mut gehört<br />
immer zum Leben<br />
Der Kampf um das Überleben von extrem frühgeborenen Kindern bedarf<br />
zunächst einer Entscheidung für das Leben<br />
Von Vera Novelli<br />
Als Freya-Rose im Juli 2021 geboren<br />
wurde, wog sie nur 730<br />
Gramm. Babys mit diesem Geburtsgewicht<br />
haben eine Überlebenschance<br />
von rund 30 Prozent. Freya-Rose<br />
kam 15 Wochen zu früh auf die Welt.<br />
Wenn nicht ein Wunder geschehen würde,<br />
würde das winzige Baby sterben. Kinder,<br />
die vor der 28. Woche geboren werden,<br />
haben außerdem ein höheres Risiko,<br />
gesundheitliche Komplikationen zu<br />
erleiden, und benötigen während ihres<br />
Wachstums zusätzliche Pflege durch medizinisches<br />
Personal. Doch Freya-Rose<br />
hat es nicht nur geschafft, sondern durfte<br />
das Krankenhaus verlassen und ihr erstes<br />
Weihnachten zuhause in Greenock,<br />
Schottland, verbringen.<br />
Ihre Mutter Kimberley (25) erzählt:<br />
»Ich ging zu einem Ultraschall, um eine<br />
Zyste entfernen zu lassen, und entdeckte,<br />
dass da ein Baby drin war – vier<br />
Wochen nach Beginn der Schwangerschaft.<br />
Wir waren überglücklich über<br />
diese Nachricht!« Die frischgebackenen<br />
Eltern Kimberley und James glaubten<br />
zunächst nicht, dass Kimberley schwanger<br />
werden könnte, da sie an einem polyzystischen<br />
Ovarialsyndrom leidet.<br />
Das Blatt wendete sich, als Kimberley<br />
unerwartet zu bluten begann. Sie wurde<br />
ins Krankenhaus gebracht, wo die Wehen<br />
zwei Stunden lang anhielten und<br />
das winzige Mädchen zur Welt kam.<br />
Was folgte, war eine Reihe von Diagnosen<br />
für Freya-Rose und, wie Kimberley<br />
es nannte, »vier Monate im Krankenhaus<br />
und eine Menge Rückschläge«. Die<br />
frischgebackene Mutter und ihr Lebensgefährte<br />
James Gallacher (26) besuchten<br />
ihre Tochter im Princess Royal Maternity<br />
Hospital in Glasgow. Kimberley<br />
sagte, als sie Freya nach Hause brachte:<br />
»Sie ist wie ein neugeborenes Baby. Es<br />
war das schönste Weihnachtsgeschenk,<br />
als sie nach Hause kam.« Und obwohl<br />
Freya-Rose ein chronisches Lungenleiden<br />
hat, das ständig überwacht werden<br />
muss, konnte sie Weihnachten mit ihren<br />
Eltern zuhause verbringen und wog dabei<br />
gesunde 2.722 Gramm. James sprach<br />
über seine Dankbarkeit gegenüber den<br />
Ärzten: »Sie haben das Leben unseres<br />
Kindes gerettet.«<br />
26 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
MEDIZIN<br />
Frühchen haben einen schlechten<br />
Start. Aber man muss sie auch wollen.<br />
Eltern und Ärzte müssen den Willen<br />
und die Kraft zum Kampf für das Leben<br />
des winzigen Menschenkindes aufbringen.<br />
»Für die Therapie von extrem<br />
Frühgeborenen gibt es nur wenige Studien,<br />
die uns den Weg weisen würden,<br />
was richtig ist und was falsch. Oft stehen<br />
wir vor der Wahl, etwas zu versuchen<br />
oder nichts zu tun, was den wahrscheinlichen<br />
Tod bedeuten würde«, erklärt<br />
der Chefarzt der Kinderklinik Fulda,<br />
Professor Dr. Reinald Repp. »Man<br />
kann keine eindeutigen Grenzen ziehen,<br />
man darf die Entscheidung über<br />
Leben und Tod eines Frühgeborenen<br />
nicht nur an der Schwangerschaftswoche<br />
festmachen. In den Niederlanden<br />
oder der Schweiz werden sogar Frühgeborene<br />
in der 25. Schwangerschaftswoche<br />
oft nicht am Leben gehalten, dabei<br />
könnte mehr als jedes zweite dieser<br />
Kinder ohne Behinderung groß werden.<br />
Eine wichtige Rolle spielt zum Beispiel,<br />
ob eine Infektion vorliegt oder nicht.«<br />
2010 ermöglichte das Klinikum Fulda<br />
dem Frühchen Frieda, das nach 21 Wochen<br />
und fünf Tagen Schwangerschaft<br />
zur Welt gekommen war, das Überleben.<br />
Am 7. November 2010 kam eine<br />
33-Jährige mit Zwillingen, Schwangerschaft<br />
seit 21 Wochen und fünf Tagen,<br />
mit frühzeitigen Wehen in die Fuldaer<br />
Klinik. Die Eltern wollten Maximaltherapie!<br />
Tatsächlich schaffte es der kleine<br />
Kilian nicht, Frieda, seine Schwester,<br />
aber überlebte. Kilian kam sieben<br />
Stunden früher als Frieda zur Welt, und<br />
in der 22. Schwangerschaftswoche zählt<br />
jede zusätzliche Stunde im Mutterleib,<br />
so Repp. Frieda war damals gemeinsam<br />
mit einem Kind aus Kanada das jüngste<br />
Frühchen der Welt.<br />
Am 22. April 2019 konnte auch Melina,<br />
die nach nur 21 Wochen und vier<br />
Tagen Schwangerschaft das Licht der<br />
Welt erblickt hatte, aus dem Klinikum<br />
Fulda entlassen werden. Am Morgen<br />
des 5. März 2019 war Melina gemeinsam<br />
mit ihrem Zwillingsbruder bei einer<br />
ungeplanten Hausgeburt zur Welt<br />
gekommen – damals wog das kleine<br />
Mädchen nicht einmal 500 Gramm.<br />
Der Zwillingsbruder verstarb nur wenige<br />
Stunden nach dem Eintreffen im<br />
Klinikum, Melina kämpfte weiter. Kritisch<br />
für das Überleben sei laut Repp vor<br />
PETERBAKO/STOCK.ADOBE.COM<br />
allem die Unreife lebenswichtiger Organe<br />
aufgrund des extrem frühen Geburtstermins.<br />
»Die kleine Melina wurde mit einer<br />
Hochfrequenzoszillation beatmet.<br />
Das ist, wie wenn der Hund hechelt«,<br />
so Repp. Melinas Kreislauf stabilisierte<br />
sich, ebenso wie die Atmung. Hirnblutungen<br />
blieben aus. Frühchen, die<br />
vor der 24. Schwangerschaftswoche zur<br />
Welt kommen, müssen nach den deutschen<br />
Leitlinien nicht lebenserhaltend<br />
behandelt werden. In Melinas Fall entschieden<br />
sich die Ärzte für das Leben –<br />
mit Erfolg. 13 Monate nach ihrer Geburt<br />
konnte Melina schließlich nach<br />
Hause entlassen werden.<br />
Für die Prognose ist auch mitentscheidend,<br />
wo die extrem früh Geborenen<br />
zur Welt kommen: »Wir gehören<br />
seit vielen Jahren zu den Zentren<br />
mit den höchsten Überlebensraten und<br />
wenigsten Komplikationen – dabei sind<br />
Fälle wie Frieda gar nicht erfasst, nur<br />
Frühgeborene ab der abgeschlossenen<br />
24. Woche fließen in die Statistik ein«,<br />
erklärt Repp. »Das Perinatalzentrum<br />
Level 1 am Klinikum Fulda mit Repp<br />
als Chefarzt der Neonatologie (Versorgung<br />
der Frühgeborenen) zählt nach den<br />
Daten des IQTIG (Institut für Qualität<br />
und Transparenz im Gesundheitswesen)<br />
schon über viele Jahre hinweg zu<br />
den besten Perinatalzentren Deutschlands«,<br />
erläutert Priv.-Doz. Dr. Thomas<br />
Menzel, Vorstandssprecher des Klinikums<br />
Fulda. Menzel weiter: »Bei der<br />
Überlebensrate ohne schwerwiegende<br />
Komplikationen belegt das Perinatalzentrum<br />
des Klinikums Fulda aktuell<br />
Platz 1 von den 211 Zentren dieser<br />
Art in Deutschland und bei der Überlebensrate<br />
(mit und ohne Komplikationen)<br />
Platz 2.«<br />
Er wog nur 420 Gramm und passte<br />
in zwei Handflächen, als er auf die<br />
Welt kam: Curtis aus den USA ist nun<br />
offiziell das jüngste bekannte Frühchen<br />
der Welt, das überlebt hat. Damit steht<br />
Curtis jetzt im Guinnessbuch der Rekorde.<br />
Er kam am 5. Juli 2020 in einer<br />
Notoperation zur Welt – mit nur 21<br />
Über die Therapie von extrem Frühgeborenen gibt es nur wenige Studien<br />
Wochen, 132 Tage zu früh. Das kleine<br />
Kind hatte laut dem Ärzteteam der University<br />
of Alabama in Birmingham weniger<br />
als ein Prozent Überlebenschance.<br />
Seine Zwillingsschwester verstarb<br />
nur einen Tag nach der Geburt. Curtis<br />
konnte 275 Tage nach seiner Geburt<br />
das Krankenhaus verlassen.<br />
Es ist sicher realistisch zu sehen, dass<br />
extrem frühgeborene Kinder häufig mit<br />
Einschränkungen leben müssen. Curtis<br />
musste atmen »lernen«, Melina ebenso.<br />
Auch Frieda hat kleine motorische Einschränkungen.<br />
Aber der Kampf für das<br />
Leben lohnt sich. »Aufgrund der Behandlungserfolge<br />
der letzten zehn Jahre<br />
konnten wir mit Zuversicht in unserem<br />
außerordentlich engagierten Team alle<br />
lebenserhaltenden Maßnahmen durchführen«,<br />
zeigt sich Repp dankbar. »Wir<br />
versuchen die medizinischen Möglichkeiten<br />
mit dem Mut, sich zum Leben<br />
zu bekennen, zu verbinden.« Und Mut<br />
gehört immer zum Leben.<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
27
MEDIZIN<br />
FOTOSABINE/STOCK.ADOBE.COM<br />
Ein Herz<br />
aus Schwein<br />
Blut geleckt: Nach der geglückten Transplantation eines Schweineherzens wollen Ärzte das Konzept<br />
der Xenotransplantation trotz des Todes des Patienten nach rund zwei Monaten weiter verfolgen<br />
Von Stefan Rehder<br />
Der US-Amerikaner David Bennett,<br />
dem Ärzte des Medical<br />
Center der University of Maryland<br />
(UMMC) Anfang Januar <strong>2022</strong><br />
im Rahmen einer weltweit aufsehenerregenden,<br />
achtstündigen Operation<br />
das Herz eines genetisch modifizierten<br />
Schweins transplantiert hatten, ist tot.<br />
Das teilte das UMMC in einer Mitteilung<br />
der Klinik, einen Tag nach seinem<br />
Tod, am 9. März mit. Zu der genauen<br />
Todesursache machte die Klinik bislang<br />
keine Angaben. Wie es in der Mitteilung<br />
weiter hieß, habe sich der Zustand<br />
des 57-Jährigen schon einige Tage zuvor<br />
verschlechtert, nachdem er davor<br />
lange Zeit stabil gewesen sei.<br />
Laut dem UMMC litt der 57-Jährige<br />
an einer Herzinsuffizienz im Endstadium.<br />
Aufgrund seines Gesundheitszustandes<br />
sei er für eine Transplantation<br />
mit einem menschlichen Spenderherz<br />
nicht in Frage gekommen. Der Patient<br />
habe deshalb vor der Wahl gestanden,<br />
entweder zu sterben oder diese Operation<br />
durchführen zu lassen. Die US-amerikanische<br />
Aufsichtsbehörde, die Food<br />
and Drug Administration (FDA), hatte<br />
der Klinik für den Eingriff, der trotz des<br />
Todes des Patienten bereits als »Meilenstein«<br />
in der Geschichte der Transplantationsmedizin<br />
gilt, eine Notfallgenehmigung<br />
erteilt. Solche Genehmigungen<br />
sind nicht unüblich. Sie werden häufig<br />
dann erteilt, wenn Patienten lebensbedrohlich<br />
erkrankt sind und die Gabe eines<br />
experimentelles Medizinproduktes<br />
die einzige verbleibende Chance für ihr<br />
Überleben darstellt.<br />
Wie das UMMC nach der Operation<br />
mitteilte, sei der Patient zuvor umfassend<br />
über sämtliche Risiken des ex-<br />
28 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
MEDIZIN<br />
perimentellen Eingriffs aufgeklärt worden.<br />
Sechs Wochen zuvor sei er mit lebensbedrohlichen<br />
Herzrhythmusstörungen<br />
ins Krankenhaus eingeliefert und<br />
an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen<br />
worden. Nach der erfolgreichen<br />
Transplantation wurde der Patient<br />
auf Anzeichen für eine Organabstoßung<br />
überwacht. Die ersten 48 Stunden, die<br />
normalerweise als besonders kritisch<br />
gelten, seien ohne Zwischenfälle verlaufen.<br />
Auch die Möglichkeit des Auftretens<br />
von Infektionen, darunter<br />
solche, die von übertragbaren<br />
Schweineviren ausgelöst<br />
werden können, würden<br />
fortlaufend kontrolliert.<br />
Nach Informationen der<br />
»New York Times« stammte<br />
das transplantierte Herz<br />
von einem genetisch veränderten<br />
Schwein, das von der<br />
Firma »Revivicor«, einem<br />
Unternehmen für regenerative<br />
Medizin mit Firmensitz<br />
in Blacksburg im US-<br />
Bundesstaat Virginia, bereitgestellt<br />
wurde. Gegenüber<br />
normalen Schweinen habe<br />
das Spenderschwein zehn<br />
genetische Veränderungen<br />
besessen. Vier davon beträfen<br />
die Deaktivierung von<br />
Genen, unter anderem von<br />
solchen, die normalerweise<br />
zur Abstoßung des Organs<br />
führten. Die sechs anderen<br />
genetischen Veränderungen<br />
beträfen menschliche Gene, die in das<br />
Schweinegenom eingefügt worden seien.<br />
Mit ihnen werde das Ziel verfolgt,<br />
die Organe der Tiere für das menschliche<br />
Immunsystem »verträglicher«<br />
zu machen.<br />
Während Herzklappen von Schweinen<br />
bereits routinemäßig Menschen<br />
transplantiert werden und einige Diabetes-Patienten<br />
auch schon Schweine-Bauspeicheldrüsenzellen<br />
transplantiert<br />
bekommen hatten, war ein Experiment<br />
wie dieses noch nie zuvor durchgeführt<br />
wurden. Allerdings hatte das<br />
Ärzte-Team um den Direktor des Herztransplantationsprogramms<br />
des UM-<br />
MC, Bartley Griffith, den Eingriff zuvor<br />
trainiert und dabei Schweinherzen<br />
in mehreren Tierversuchen Pavianen<br />
erfolgreich transplantiert.<br />
Die Idee, Menschen Tierherzen zu<br />
transplantieren, ist nicht neu. 1984 hatten<br />
Ärzte in Kalifornien einem neugeborenen<br />
Mädchen, das an einer schweren<br />
Fehlbildung der linken Herzkammer<br />
litt, das Herz eines Pavians transplantiert.<br />
Anfangs sah auch hier alles<br />
nach einem Erfolg aus. Doch nach 20<br />
Tagen begann der Organismus der kleinen<br />
Fae Stephanie, das walnussgroße<br />
Herz abzustoßen. Das Mädchen starb<br />
nach drei Wochen.<br />
Gilt als neuer »Meilenstein« in der Transplantationsmedizin<br />
Dass nun auch David Bennett tot ist,<br />
wird Transplantationschirurgen nicht<br />
davon abhalten, weitere Operationen<br />
mit genetisch veränderten Schweineherzen<br />
durchzuführen. »Wir haben<br />
unbezahlbare Einblicke bekommen und<br />
gelernt, dass ein genetisch verändertes<br />
Schweineherz im menschlichen Körper<br />
gut funktionieren kann, wenn das<br />
Immunsystem angemessen unterdrückt<br />
wird. Wir bleiben optimistisch und planen,<br />
unsere Arbeit mit weiteren klinischen<br />
Versuchen fortzusetzen«, zitiert<br />
das UMMC Muhammad Mohiuddin,<br />
den wissenschaftlichen Leiter der Klinik.<br />
Andere werden versuchen, es dem<br />
UMMC gleichzutun. Man kann das<br />
verstehen. Allein in den USA warten<br />
jährlich rund 110.000 Patienten auf ein<br />
Spenderorgan. Rund 25 Prozent von ihnen<br />
versterben, ohne ein solches erhalten<br />
zu haben.<br />
In Deutschland sprach der Leiter der<br />
Sektion Xenotransplantation der Technischen<br />
Universität München, Konrad<br />
Fischer, von einem »großartigen<br />
Erfolg«: Grundsätzlich böte die Xenotransplantation<br />
»wesentliche Vorteile<br />
gegenüber der Mensch-zu-Mensch-<br />
Transplantation«. So könnten die Tiere<br />
»gezielt genetisch verändert werden,<br />
um Abstoßungsreaktionen zu verhindern«,<br />
erklärte Fischer gegenüber<br />
dem Science Media<br />
Center. »Auch können<br />
immunsuppressiv wirkende<br />
Substanzen direkt durch das<br />
Transplantat erzeugt werden.<br />
Die Haltung der Schweine<br />
kann unter standardisierten<br />
Bedingungen erfolgen, unter<br />
Ausschluss humanpathogener<br />
Viren und Bakterien. Somit<br />
kann auf lange Sicht für jeden<br />
Patienten das passende<br />
Spenderorgan zur Verfügung<br />
gestellt werden. Der aktuelle<br />
Forschungsschwerpunkt besteht<br />
vor allem darin, verzögerte<br />
Abstoßungsreaktionen,<br />
die nach einigen Wochen bis<br />
Monaten auftreten, zu verhindern<br />
und ein mehrjähriges<br />
Überleben der Patienten<br />
sicherzustellen«, so Fischer<br />
weiter.<br />
Skeptischer zeigte sich dagegen<br />
Uta Dahmen, Leiterin<br />
des Bereichs »Experimentelle Transplantationschirurgie«<br />
an der Universität<br />
Jena: »Es bleibt aktuell das Problem<br />
des erheblichen, auch finanziellen<br />
Aufwands, der von der Allgemeinheit<br />
für den einzelnen Patienten getragen<br />
werden muss. Bei begrenzten finanziellen<br />
Ressourcen verlagert sich das Problem<br />
von der alleinigen Verfügbarkeit eines<br />
Organs zumindest temporär auf die<br />
Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen.<br />
Bei steigender Nutzung dieser Quelle<br />
ist allerdings zu erwarten, dass auch der<br />
Aufwand für die Herstellung der Organe<br />
abnimmt und damit die Verfügbarkeit<br />
steigt.« Nach diesem »proof of<br />
principle« müssten nun »komplexe und<br />
sehr kostenträchtige klinische Studien<br />
durchgeführt werden, um den Nutzen<br />
dieses Verfahrens zu zeigen«.<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
29
BÜCHERFORUM<br />
Der Tod ist mir nicht unvertraut<br />
Über das Sterben kann man<br />
lang und breit schreiben.<br />
Rund ein halbes Dutzend Titel<br />
zeugen Jahr für Jahr davon. Aber<br />
kann man über das Sterben auch ausführlich<br />
sprechen? Noch dazu Kapitel<br />
für Kapitel, ein ganzes Buch lang? Persönlich<br />
und dennoch gewinnbringend<br />
für andere? Man kann.<br />
Richtiger wäre wohl, es so zu formulieren:<br />
Die Richterin Elke Büdenbender,<br />
vielen besser bekannt als Ehefrau von<br />
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier,<br />
und Eckhard Nagel, Transplantationschirurg<br />
und geschäftsführender<br />
Direktor des Instituts für Medizinmanagement<br />
und Gesundheitswissenschaften<br />
an der Universität Bayreuth,<br />
können es. Und noch richtiger wäre<br />
womöglich: Büdenbender und Nagel<br />
können es in eben genau jener Konstellation.<br />
Denn beide kennen sich seit<br />
über 30 Jahren. Ihre Familien sind seit<br />
Langem befreundet. Und sie haben jeweils<br />
– sehr persönliche – Erfahrungen<br />
mit dem Sterben gemacht, über die sie<br />
miteinander vertrauensvoll sprechen.<br />
Gespräche, die sie sodann in Form<br />
eben jenes Buches in den ungeschützten<br />
Raum der Öffentlichkeit entlassen.<br />
Was dieses Buch so besonders<br />
macht, ist, dass man an keiner Stelle<br />
das Gefühl bekommt, hier spräche<br />
jemand für die Galerie. Der »Trick«,<br />
wenn es überhaupt einer ist, besteht<br />
darin, dass das, worüber vielen Menschen<br />
nachzudenken und erst recht zu<br />
sprechen schwerfällt, hier zwei Vertraute<br />
einander anvertrauen. Der Leser<br />
wird also gewissermaßen erst über<br />
»die Bande« erreicht. Das ermöglicht<br />
einerseits ein hohes Maß an Authentizität<br />
und sorgt andererseits für ausreichend<br />
Distanz. Bei einem Thema, mit<br />
dem sich viele schwertun, eine Kombination,<br />
die Zugang und Beschäftigung<br />
zweifellos vielen erleichtern dürfte.<br />
Ob es – wie gleich zu Beginn – um das<br />
Sterben von Eltern und Kindern geht,<br />
um die »Ars moriendi«, die Kunst des<br />
Sterbens, die heute kaum noch jemand<br />
beherrscht, um Sterberituale oder um<br />
Suizidhilfe, bei der die Diskutanten<br />
völlig entgegengesetzte Positionen vertreten,<br />
oder um Fragen wie die, ob der<br />
Mensch eine Seele hat und es ein Leben<br />
nach dem Tod gibt, stets befindet sich<br />
der Leser in der komfortablen Position<br />
des Zaungastes, der nicht direkt angesprochen<br />
wird und Stellung beziehen<br />
muss, sondern sich, sofern und soweit<br />
er will, zu alledem selbst befragen kann.<br />
Ziel des Buches sei es, so der Klappentext,<br />
Perspektiven auf die eigene<br />
Endlichkeit, auf das Leben im Angesicht<br />
des Todes zu eröffnen und das<br />
gesellschaftliche Gespräch über dieses<br />
essenzielle Thema voranzubringen.<br />
Ein Ziel, das Büdenbender und Nagel<br />
mit diesem Buch zweifellos erreichen<br />
werden. Wer die Auseinandersetzung<br />
mit dem Thema, das aus dem öffentlichen<br />
Leben weitgehend verdrängt<br />
wurde, für sich selbst weiter vertiefen<br />
will, der findet am Ende ganze vier Seiten<br />
mit Literaturempfehlungen. Auch<br />
das ist, wie das Buch selbst, sicher eine<br />
gute Idee.<br />
Stefan Rehder<br />
Elke Büdenbender / Eckhard Nagel: Der<br />
Tod ist mir nicht unvertraut. Ein Gespräch<br />
über das Leben und das Sterben.<br />
Ullstein Verlag, Berlin <strong>2022</strong>. Gebunden.<br />
224 Seiten. 24,00 EUR.<br />
Lebensschutz für den Embryo in vitro<br />
Die Entwicklungen im Bereich der Human- und Fortpflanzungsmedizin<br />
haben überkommene Vorstellungen<br />
bezüglich des Entstehens menschlichen Lebens,<br />
der Schwangerschaft und Mutterschaft radikal verändert<br />
und erregen zunehmend Aufmerksamkeit. Aufgrund<br />
der Entwicklungen neuer Methoden in der Reproduktionsmedizin<br />
und der durch sie ermöglichten<br />
wachsenden Zugriffsmöglichkeiten ist nach Ansicht der<br />
Autorin die Beantwortung der Frage, ab wann der Embryo<br />
in vitro rechtlichen Schutz genießt, noch dringlicher<br />
geworden. Ihre Untersuchung kommt zu dem Ergebnis,<br />
dass es notwendig sei, ein umfassendes und präzises<br />
Fortpflanzungsmedizingesetz zu normieren, da das<br />
Embryonenschutzgesetz (ESchG) viele Lücken und Unklarheiten<br />
aufweise und durch neue medizinische Fortschritte<br />
an einigen Stellen überholt worden sei. san<br />
Melike S‚entürk Tur: Lebensschutz für den Embryo in<br />
vitro. Schriften zum Strafrecht. Bd. 374. Verlag Duncker<br />
& Humblot, Berlin 2021. 251 Seiten. 79,90 EUR.<br />
30 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
BÜCHERFORUM<br />
Anthropologie und Ethik der Biomedizin<br />
Wie kann es sein, dass in nahezu<br />
allen bioethischen<br />
Debatten nicht nur über<br />
Wege zur Erreichung von Zielen gestritten<br />
wird, sondern auch über diese<br />
selbst völlige Uneinigkeit herrscht?<br />
Auch dort, wo empirische Befunde<br />
wechselseitig anerkannt werden? Wer<br />
solchen Fragen nachgeht, gelangt mit<br />
erstaunlicher Regelmäßigkeit zu der<br />
Einsicht, dass es die differierenden<br />
Menschenbilder sind, die – obgleich sie<br />
oft unausgesprochen bleiben – für unterschiedliche<br />
Positionen und mitunter<br />
unüberbrückbare Gegensätze verantwortlich<br />
zeichnen. Das kann auch gar<br />
nicht anders sein. Denn wer etwa Menschen<br />
als ein zufälliges Produkt der<br />
Evolution betrachtet, muss bei der Frage,<br />
wie dieses mit sich und anderen verfahren<br />
darf, notwendigerweise zu ganz<br />
anderen Ergebnissen gelangen als der,<br />
der den Menschen als sich selbst aufgegebene<br />
Aufgabe oder – mehr noch – als<br />
eine von einem Schöpfergott gewollte<br />
Person begreift.<br />
Die beiden Herausgeber des vorliegenden<br />
Sammelbandes, die Professoren<br />
Christoph Böhr und Markus Rothhaar,<br />
sind deshalb überzeugt: »Bioethik<br />
kann nur zu tragfähigen Antworten<br />
gelangen, wenn sie die Frage nach dem<br />
Menschen nicht ausklammert, sondern<br />
im Gegenteil diese Frage an den<br />
Beginn aller nachfolgenden Auseinandersetzungen<br />
rückt.« Es gelte daher,<br />
die Voraussetzungen, die Aussagen<br />
und Forderungen zugrunde lägen, »explizit«<br />
zu machen. Dies leistet der im<br />
vergangenen Jahr erschienene Band auf<br />
vorbildliche Weise. Dabei gehen die in<br />
ihm versammelten Aufsätze auf eine<br />
wissenschaftliche Fachtagung zurück,<br />
die die beiden Herausgeber an der Philosophisch-Theologischen<br />
Hochschule<br />
Benedikt XVI. in Heiligenkreuz bei<br />
Wien veranstaltet haben.<br />
Gegliedert ist das lesenswerte Werk in<br />
fünf Teile: Der erste behandelt »Grundlagen«,<br />
ein zweiter »Leitfragen« und ein<br />
dritter »Streitfragen«, bevor der vierte<br />
einen »Sichtwechsel« wagt und ein fünfter<br />
schließlich »Bedingungen, Möglichkeiten,<br />
Ziele und Grenzen« der »Selbstbestimmung«<br />
in den Blick nimmt. Die<br />
Autoren sind allesamt ausgewiesene<br />
Experten. Unter ihnen finden sich Philosophen<br />
wie Walter Schweidler (»Den<br />
Mensch denken – Person und Ethik«),<br />
Günther Pöltner (»Medizinethik und<br />
ihre ontologisch-anthropologischen<br />
Voraussetzungen«) und Thomas Sören<br />
Hoffmann (»Autonomie leben: Über die<br />
Grenzen menschlicher Selbstbestimmung«),<br />
Medizinethiker wie Giovanni<br />
Maio (»Grundelemente einer Ethik der<br />
Sorge«), Axel W. Bauer (»Selbsttötung,<br />
Sterbehilfe, Tötung auf Verlangen: der<br />
›gute Tod‹ am Lebensende?«) und Susanne<br />
Kummer (»Ethik in der Reproduktionsmedizin«),<br />
aber auch Theologen<br />
wie Edmund Waldstein und Marian<br />
C. Gruber, der Arzt Christoph von Ritter<br />
und der Jurist Thomas Windhöfel. Und<br />
auch damit ist das Ende der versammelten<br />
Expertise noch keineswegs erreicht.<br />
Wenn es etwas gibt, das schmerzt, dann<br />
ist es der Preis des Bandes.<br />
Stefan Rehder<br />
Christoph Böhr / Markus Rothhaar<br />
(Hrsg.): Anthropologie und Ethik der<br />
Biomedizin. Grundlagen und Leitfragen.<br />
Verlag Springer VS, Wiesbaden<br />
2021. Gebunden. 446 Seiten. 89,99<br />
EUR. E-Book 69,99 EUR.<br />
Was es bedeutet, eine Mutter zu werden<br />
Jeder weiß heute, wie Kinder entstehen. In diesem<br />
Buch fragt die US-amerikanische Journalistin Abigail<br />
Tucker jedoch danach, wie Mütter entstehen. Wer<br />
über den lockeren, mitunter flapsigen Stil und unsinnige<br />
Vergleiche aus dem Tierreich hinwegsieht, wird<br />
in dem Buch mit einigen interessanten wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen konfrontiert. Etwa mit der Tatsache,<br />
dass fetale Stammzellen während der Schwangerschaft<br />
in den mütterlichen Blutkreislauf gelangen<br />
und dort helfen, Krankheiten zu heilen. Oder dass das<br />
Gehirn von Schwangeren und Müttern in einem Ausmaß<br />
umgebaut wird, wie dies sonst nur während der<br />
Pubertät der Fall ist. Ob das für eine Kaufentscheidung<br />
ausreicht, mag jeder selbst entscheiden. san<br />
Abigail Tucker: Was es bedeutet, eine Mutter zu<br />
werden. Die Superkräfte von Müttern und was die<br />
Wissenschaft heute darüber weiß. Aus dem amerikanischen<br />
Englisch von Susanne Reinker. Ullstein<br />
Verlag, Berlin 2021. 416 Seiten. 17,99 EUR.<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
31
KURZ VOR SCHLUSS<br />
Expressis<br />
verbis<br />
Wir haben als Gesellschaft versagt,<br />
wenn die Reaktion auf eine Schwangerschaft<br />
nicht Freude, sondern<br />
Angst ist.«<br />
Die sieben katholischen Bischöfe des US-<br />
Bundesstaates New Jersey, der ein Gesetz<br />
verabschiedete, das vorgeburtliche<br />
Kindstötungen bis zur Geburt ermöglicht,<br />
in einer gemeinsamen Erklärung<br />
Im Jahr <strong>2022</strong> braucht niemand mehr<br />
diesen Paragrafen.«<br />
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel<br />
(Bündnis 90/Die Grünen) in der<br />
ZDF-Talkshow »Markus Lanz« über den<br />
§ 219a StGB<br />
Tops & Flops<br />
Cornelia Kaminski<br />
Die Stiftung für Ökologie und Demokratie,<br />
die sich zum Ziel gesetzt<br />
hat, die soziale Marktwirtschaft zu<br />
einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft<br />
fortzuentwickeln, hat<br />
die Bundesvorsitzende der Aktion<br />
Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.,<br />
STAGIAIREMGIMO, WIKIMEDIA COMMONS, CC BY-SA 4.0<br />
Klaus Reinhardt<br />
Für mich beginnt das Wunder menschlichen<br />
Lebens mit der Verschmelzung von<br />
Ei und Samenzelle, die den Beginn des<br />
Wachstums eines Embryos markiert.«<br />
Der bayerische Landesbischof Heinrich<br />
Bedford-Strohm in einer Pressemitteilung<br />
zur geplanten Abschaffung des<br />
§ 219a StGB<br />
Die Ampel-Regierung will den § 219a<br />
jetzt abschaffen. Justizminister Buschmann<br />
hat in dieser Woche einen Vorschlag<br />
für die Streichung des Paragrafen<br />
vorgelegt. Gut so!«<br />
Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende<br />
Margot Käßmann in einer Kolumne für<br />
die »Bild am Sonntag«<br />
Heute schreiben wir Geschichte.«<br />
Israels Gesundheitsminister Nitzan Horowitz<br />
bei der Vorstellung eines Gesetzes,<br />
das allen Bürgern des Landes erlaubt,<br />
Leihmütter zur Erfüllung von<br />
Kinderwünschen zu engagieren<br />
Cornelia Kaminski<br />
Cornelia Kaminski, in ihr Kuratorium<br />
berufen. Der Stiftungspräsident<br />
Hans-Joachim Ritter, selbst langjähriges<br />
<strong>ALfA</strong>-Mitglied und stellvertretender<br />
Vorsitzender der <strong>ALfA</strong>-Kreisgruppe<br />
Karlsruhe, freut sich über<br />
Kaminskis Zusage, denn sowohl die<br />
Stiftung als auch der gleichnamige<br />
Verein definierten den Ökologie-<br />
Begriff umfassend. Danach gehöre<br />
der Schutz des menschlichen Lebens<br />
von Anfang bis zu seinem Ende genauso<br />
dazu wie der Tier-, Naturund<br />
Klimaschutz. »Gerade jetzt, wo<br />
die neue Bundesregierung die Abtreibung<br />
salonfähig machen möchte<br />
und es ähnliche Bestrebungen auf<br />
Ebene der Europäischen Union gibt,<br />
ist es ein Gebot der Stunde, dagegen<br />
Flagge zu zeigen«, erklärte Ritter.<br />
reh<br />
Klaus Reinhardt<br />
Was hat dieser Mann genommen?<br />
Gegenüber dem »Redaktionsnetzwerk<br />
Deutschland« behauptet der<br />
Präsident der Bundesärztekammer<br />
(BÄK), Klaus Reinhardt, Gewalt und<br />
Drohungen gegen Mediziner, die<br />
vorgeburtliche Kindstötungen vornähmen,<br />
hätten zugenommen. Das<br />
Spektrum reiche von anonymen Beschimpfungen<br />
und Hass-Postings in<br />
den sozialen Netzwerken bis hin zu<br />
selbst ernannten Lebensschützern,<br />
die persönlich vor den Praxen auftauchten,<br />
so Reinhardt. Zahlen, wie<br />
häufig das passiere, gebe es nicht.<br />
Nun, wie kann der BÄK-Chef dann<br />
eine Zunahme behaupten? Ist das die<br />
berühmte Bauchevidenz? Fest steht,<br />
bislang gibt es keine Bilder von »selbst<br />
ernannten Lebensschützern«, die in<br />
Handschellen aus Arztpraxen geführt<br />
würden. Was es gibt, sind massenweise<br />
Bilder und Videos von friedlich demonstrierenden<br />
Lebensrechtlern, die<br />
von Polizisten in schwerer Schutzausrüstung<br />
gegen gewalttätige Abtreibungsbefürworter<br />
geschützt werden.<br />
reh<br />
32 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
KURZ VOR SCHLUSS<br />
Aus dem Netz<br />
»Wird alles gut? – Für einen Fortschritt nach menschlichem Maß«<br />
»(…) Eugenik, Euthanasie und Selektion:<br />
Das sind Begriffe, die in Deutschland<br />
mit schlimmen Erinnerungen<br />
verbunden sind. Sie rufen deshalb – zu<br />
Recht – emotionale Abwehr hervor.<br />
Trotzdem halte ich das Argument für<br />
Johannes Rau (1931–2006)<br />
ganz falsch und irreführend, wir Deutsche<br />
dürften bestimmte Dinge wegen<br />
unserer Geschichte nicht tun. Wenn<br />
wir etwas für unethisch und unmoralisch<br />
halten, dann deshalb, weil es<br />
immer und überall unethisch und unmoralisch<br />
ist. In fundamentalen ethischen<br />
Fragen gibt es keine Geografie<br />
des Erlaubten oder des Unerlaubten.<br />
Richtig ist: Die Erfahrung, die wir mit<br />
dem Nationalsozialismus gemacht haben,<br />
speziell mit Forschung und Wissenschaft<br />
im Dritten Reich, muss für<br />
die ethische Urteilsfindung – nicht nur<br />
bei uns – eine ganz wichtige Rolle spielen.<br />
Wir erinnern daran nicht, weil wir<br />
moralischer sein wollen als alle anderen.<br />
Nein, es geht nicht um deutsche<br />
Sondermoral. Niemand darf vergessen,<br />
was damals auch in Wissenschaft und<br />
Forschung geschehen ist. Entwicklungen,<br />
die schon vor 1933 und auch in<br />
anderen Ländern begonnen hatten,<br />
konnten dann ohne jede Grenze weiter<br />
gehen. Eine entfesselte Wissenschaft<br />
forschte – um ihrer wissenschaftlichen<br />
Ziele willen – ohne moralische Skrupel.<br />
Ich erinnere immer wieder daran,<br />
dass die Geschichte uns hilft – nicht<br />
nur uns Deutschen – zu begreifen, was<br />
geschieht, wenn Maßstäbe verrückt<br />
werden, wenn Menschen vom Subjekt<br />
zum Objekt gemacht werden. Wer einmal<br />
anfängt, menschliches Leben zu<br />
instrumentalisieren, wer anfängt, zwischen<br />
lebenswert und lebensunwert zu<br />
unterscheiden, der ist in Wirklichkeit<br />
auf einer Bahn ohne Halt. (…)«<br />
Auszug aus der »Berliner Rede« von<br />
Bundespräsident Johannes Rau (2001)<br />
»Die Welt. Die von morgen« (53)<br />
JOHANNES LIEBMANN<br />
GORODENKOFF/STOCK.ADEOBE.COM<br />
Kurz & bündig<br />
Studie: Einfluss<br />
des Partners bei<br />
Abtreibung hoch<br />
Nashville (<strong>ALfA</strong>). Die Pro-Life-Stiftung<br />
»Lifeway Research« mit Sitz in<br />
Nashville, im US-Bundesstaat Tennessee,<br />
hat eine Umfrage in Auftrag<br />
gegeben, um den Einfluss des<br />
Mannes bei der Entscheidung für<br />
eine Abtreibung herauszufinden.<br />
Befragt wurden 1.000 Männer aus<br />
den USA, deren Partnerinnen ein<br />
ungeborenes Kind abgetrieben haben<br />
und die davon Kenntnis hatten.<br />
Das Ergebnis: Männer spielen<br />
bei der Entscheidung für eine vorgeburtliche<br />
Kindstötung eine wichtige<br />
Rolle, sind sich dessen aber<br />
offenbar nur unzureichend bewusst.<br />
»Viele Abtreibungen finden<br />
statt, weil Männer ihre Partnerin<br />
dazu drängen«, erklärt Scott Mc-<br />
Connell, Geschäftsführer von Lifeway<br />
Research, aber nur knapp 40<br />
Prozent gäben zu, »dass sie den<br />
größten Einfluss auf die Entscheidung<br />
zur Abtreibung hatten«. reh<br />
GLOSSE<br />
In der Welt von morgen darf für Abtreibungen<br />
geworben werden. Und natürlich<br />
wird davon Gebrauch gemacht.<br />
Nicht im Stile von Rabattaktionen wie<br />
»Heute: zwei zum Preis von einer«<br />
oder: »30 Prozent auf alles – außer<br />
Tiernahrung«. Aber eben doch. Wegen<br />
des Satzes »Auch ein medikamentöser,<br />
narkosefreier Schwangerschaftsabbruch<br />
in geschützter Atmosphäre<br />
gehört zu unseren Leistungen« muss<br />
längst niemand mehr fürchten, belangt<br />
zu werden. In der Folge haben<br />
sich auch andere anpreisende Offerten<br />
durchgesetzt: So etwa »Ungewollt<br />
schwanger? Das muss nicht<br />
sein! Unsere erfahrenen Ärzte helfen<br />
Ihnen schnell und diskret bei der Lösung<br />
Ihres Problems.« Oder auch:<br />
»Hat die Verhütung mal versagt – Hilfe<br />
ist schon da! Kostenlose Hotline:<br />
0800/123 45 67 – einfach anrufen<br />
und Termin vereinbaren.« Bedauerlicherweise<br />
fehlt es an Wissenschaftlern,<br />
die deren gesellschaftliche Auswirkungen<br />
erforschen. Das kann man<br />
verstehen. Denn während sich die<br />
Erde erwärmt, lässt sich mit Modellierungen<br />
der Eiszeit der Herzen kein<br />
Blumentopf gewinnen. Stefan Rehder<br />
LEBENSFORUM <strong>141</strong><br />
33
LESERFORUM<br />
Das Heft war SPITZE!<br />
Die Artikel sind gut<br />
recherchiert und sachlich<br />
(…), ohne zu polemisieren.<br />
Ich finde<br />
alle Hefte gut, aber<br />
dieses hat mich echt<br />
überwältigt.<br />
Elisabeth Saal, per E-Mail<br />
herausragenden Wissenschaftlern wie<br />
Prof. Cullen, Prof. Stöhr oder Prof. Ioannidis<br />
teilt, und es sagt mehr über die<br />
fragwürdige Gesinnung ihrer Kritiker<br />
aus als über sie selbst. Nicht zuletzt sei<br />
daran erinnert, dass die AfD zurzeit die<br />
einzige Partei im Deutschen Bundestag<br />
und in den Länderparlamenten ist,<br />
die sowohl programmatisch als auch<br />
in ihrer praktischen Politik einen konsequenten<br />
Lebensschutz vertritt. Dass<br />
ausgerechnet sie im »LebensForum«<br />
ausgegrenzt wird, während Linke und<br />
Grüne einen Platz finden, obwohl sie<br />
die Tötung Ungeborener vollständig<br />
legalisieren wollen, ist nicht nur ungerecht,<br />
sondern schadet auch unserer<br />
gemeinsamen Sache sehr.<br />
Tiefe Dankbarkeit<br />
Sie können sich nicht vorstellen, welche<br />
tiefe Dankbarkeit meine Kinder,<br />
meinen Mann und mich erfüllte, als<br />
wir kürzlich die Sonderausgabe Ihres<br />
»LebensForums« zum Thema<br />
COVID-19-Impfung in den Händen<br />
hielten. Wir sind Ihnen so dankbar,<br />
dass Sie dieses Thema ohne die übliche<br />
Medienpropaganda behandelt haben,<br />
dass ich Ihnen dieses unbedingt mitteilen<br />
muss.<br />
Andrea Baxpöhler-Bertram, Ennigerloh<br />
Nicht akzeptabel<br />
Zum Beitrag »Zank und Trotz« in »LebensForum<br />
Spezial <strong>2022</strong>«, S. 14–17<br />
»LebensForum Spezial <strong>2022</strong>« berichtet<br />
unter der Überschrift »Zank und<br />
Trotz« über die Orientierungsdebatte<br />
des Bundestages zur allgemeinen<br />
Impfpflicht gegen COVID-19. Dabei<br />
kommen alle dort vertretenen Fraktionen<br />
zu Wort – nur nicht die AfD.<br />
Was auch immer den Autor bewogen<br />
haben mag, diese wichtige Stimme in<br />
der Impfdebatte auszuschließen, es ist<br />
nicht akzeptabel. Denn keine andere<br />
Partei hat in den vergangenen Monaten<br />
so klar und eindeutig gegen die<br />
Impfpflicht Stellung bezogen wie die<br />
Alternative für Deutschland. Dabei<br />
hat sie all jene kritischen Argumente<br />
ins Feld geführt, die auch von der Lebensrechtsbewegung<br />
mit Recht vorgetragen<br />
werden: angefangen von der<br />
Verwendung embryonaler Zellen bei<br />
der Herstellung von Impfstoffen über<br />
deren weitgehende Unwirksamkeit<br />
und die sich häufenden Nebenwirkungen<br />
bis hin zu verfassungsrechtlichen<br />
Bedenken und der Sorge um eine Spaltung<br />
unserer Gesellschaft.<br />
Mit dieser Haltung spricht die<br />
AfD das aus, was viele Menschen bewegt.<br />
Dass sie dafür in die Ecke von<br />
Verschwörungstheoretikern und<br />
Schwurblern gestellt wird, ist kein Makel,<br />
sondern ein Schicksal, das sie mit<br />
Michael Frisch MdL, Vorsitzender der<br />
AfD-Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz<br />
Mit viel Begeisterung<br />
Zu den Beiträgen »Feind des Guten«<br />
und »Nihil nocere« in »LebensForum<br />
Spezial <strong>2022</strong>«, S. 24–27 und S. 4–7<br />
Selten habe ich ein »LebensForum«<br />
mit so viel Spannung und Begeisterung<br />
gelesen. Ein Artikel wie der andere:<br />
informativ und zum Nachdenken<br />
anregend. Besonders im Aufsatz von<br />
Cornelia Kaminski »Feind des Guten«<br />
mit dem Ausflug zu Bonhoeffer fand<br />
ich mich mit meinen Erfahrungen und<br />
Überlegungen wieder.<br />
»Gegen die Dummheit sind wir<br />
wehrlos«, und ja: zu »versuchen, den<br />
Dummen durch Gründe zu überzeugen<br />
(...), ist sinnlos und gefährlich«<br />
(Dietrich Bonhoeffer). Das habe ich in<br />
meinen nun bald zwei Jahre dauernden<br />
Versuchen, zu informieren und<br />
aufzuklären, immer wieder erleben<br />
müssen. Es bleibt zurück der Respekt<br />
vor jedem eigenen Lebensweg, auch<br />
wenn der dem Einzelnen wie dem<br />
Ganzen möglicherweise vermeidbare<br />
Herausforderungen beschert.<br />
Der Artikel von Prof. Dr. med. Paul<br />
Cullen hat einen hervorragenden<br />
Überblick über die gängigen Impfstoffe<br />
und deren Wirkungen und Unterschiede<br />
gegeben. Danke auch dafür!<br />
Ursula Kropp, per E-Mail<br />
34 LEBENSFORUM <strong>141</strong>
IMPRESSUM<br />
IMPRESSUM<br />
LEBENSFORUM<br />
Ausgabe Nr. <strong>141</strong>, 1. Quartal <strong>2022</strong><br />
ISSN 0945-4586<br />
Verlag<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />
Kitzenmarkt 20–22, 86150 Augsburg<br />
Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />
www.alfa-ev.de, E-Mail: info@alfa-ev.de<br />
Herausgeber<br />
Aktion Lebensrecht für Alle e.V.<br />
Bundesvorsitzende Cornelia Kaminski (V. i. S. d. P.)<br />
Kooperation<br />
Ärzte für das Leben e.V. – Geschäftsstelle<br />
z.H. Dr. med. Karl Renner<br />
Sudetenstraße 15, 87616 Marktoberdorf<br />
Tel.: 0 83 42 / 74 22, E-Mail: k.renner@aerzte-fuer-das-leben.de<br />
www.aerzte-fuer-das-leben.de<br />
Redaktionsleitung<br />
Stefan Rehder M. A.<br />
Redaktion<br />
Alexandra Maria Linder M. A., Stefan Matthaei,<br />
Prof. Dr. med. Paul Cullen (Ärzte für das Leben e.V.)<br />
E-Mail: lebensforum@alfa-ev.de<br />
Anzeigenverwaltung<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />
Kitzenmarkt 20–22, 86150 Augsburg<br />
Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />
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Satz / Layout<br />
Rehder Medienagentur, Würzburg<br />
www.rehder-agentur.de<br />
Auflage<br />
9.500 Exemplare<br />
Anzeigen<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 8 vom 1. Februar 2017.<br />
Erscheinungsweise<br />
»LebensForum« 142 erscheint am 25. Juni <strong>2022</strong>.<br />
Redaktionsschluss ist der 6. Mai <strong>2022</strong>.<br />
Jahresbezugspreis<br />
20,– EUR (für ordentliche Mitglieder der <strong>ALfA</strong> und der<br />
Ärzte für das Leben im Beitrag enthalten)<br />
Bankverbindung<br />
VR-Bank Augsburg-Ostallgäu<br />
IBAN: DE85 7209 0000 0005 0409 90<br />
BIC: GENODEF1AUB<br />
Spenden erwünscht<br />
Druck<br />
Reiner Winters GmbH<br />
Wiesenstraße 11, 57537 Wissen<br />
www.rewi.de<br />
Titelbild<br />
Dipl.-Des. (FH) Daniel Rennen/Rehder Medienagentur<br />
www.rehder-agentur.de<br />
Das »LebensForum« ist auf umweltfreundlichem chlorfrei<br />
gebleichtem Papier gedruckt.<br />
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die Meinung der Redaktion oder der <strong>ALfA</strong> wieder<br />
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Für unverlangt eingesandte Beiträge können wir keine<br />
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werden nicht zurückgesandt. Die Redaktion behält<br />
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Helfen Sie Leben retten!<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />
Kitzenmarkt 20–22, 86150 Augsburg<br />
Telefon (08 21) 51 20 31,Fax (08 21) 156407, http://www.alfa-ev.de<br />
Spendenkonto: VR-Bank Augsburg-Ostallgäu, IBAN: DE85 7209 0000 0005 0409 90, BIC: GENODEF1AUB<br />
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Ein »LebensForum«-Abonnement ist in der Mitgliedschaft enthalten.<br />
c 12,– E jährlich für Schüler, Studenten und Arbeitslose<br />
c 24,– E jährlich Mindestbeitrag<br />
c 35,– E jährlich Familienbeitrag<br />
c _________ E jährlich freiwilliger Beitrag.<br />
c 20,– E jährlich LebensForum-Abo ohne Mitgliedschaft<br />
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Telefon<br />
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Beruf<br />
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werden.<br />
c Um Verwaltungskosten zu sparen und weil es für mich bequemer ist, bitte ich Sie, meine Beiträge jährlich von meinem Konto<br />
einzuziehen:<br />
Institut<br />
IBAN<br />
BIC/SWIFT<br />
Datum, Unterschrift<br />
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Ottmarsgäßchen 8, 86152 Ausgburg<br />
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