VNW-Magazin Ausgabe 3/2022

Das VNW-Magazin erscheint fünf Mal im Jahr. Neben Fachartikeln enthält es Berichte und Reportagen über die Mitgliedsunternehmen des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen - den Vermietern mit Werten. Das VNW-Magazin erscheint fünf Mal im Jahr. Neben Fachartikeln enthält es Berichte und Reportagen über die Mitgliedsunternehmen des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen - den Vermietern mit Werten.

11.07.2022 Aufrufe

6 VNW Das Versprechen einer solidarischen Gesellschaft Seit mehr als 120 Jahren gibt es in Norddeutschland Wohnungsbaugenossenschaften. Am 2. Juli, dem Tag der Genossenschaften, warben diese für die Idee der Selbstbestimmung und Selbsthilfe. Das VNW-Magazin sprach mit Alexandra Chrobok, Vorstand des Eisenbahnbauvereins Harburg (EBV) und Vorsitzende des Vereins Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften. VON OLIVER SCHIRG

7 magazin: Was macht ein genossenschaftliches Wohnungsunternehmen aus? Alexandra Chrobok: Das besondere Verhältnis zu seinen Mitgliedern. Formal sind die Menschen, die in unseren Wohnungen leben, Mieterin oder Mieter. Zugleich gehören ihnen die Wohnungen und sie sind in letzter Instanz diejenigen, die bestimmen können. Auch wenn viele das so nicht sehen. magazin: Warum nicht? Ist die genossenschaftliche Idee aus der Zeit gefallen? Chrobok: Das glaube ich nicht. Umfragen belegen, dass Menschen die Gemeinschaft der Vereinzelung vorziehen und dass Gemeinsinn hoch im Kurs steht. Wenn es konkret wird, sind es jedoch eher wenige, die sich aktiv einbringen. magazin: Woran liegt das? Chrobok: Letztlich ist eine Genossenschaft das Spiegelbild unserer Gesellschaft. magazin: In der jeder nur an sich denkt? Chrobok: So weit würde ich nicht gehen. Ich erlebe schon, dass sich Menschen in unseren Wohnanlagen umeinander kümmern und füreinander da sind. Aber es gibt eben auch Mitglieder, die sich lediglich als Mieterin oder Mieter verstehen. Geht etwas kaputt, gibt es Ärger mit den Nachbarn oder funktioniert etwas nicht, rufen sie in der Geschäftsstelle oder beim Hausmeister an. Sie fragen (sich) nicht, ob sie das Problem möglicherweise selbst lösen könnten. magazin: Woran liegt das? Chrobok: Üblicherweise suchen die Menschen ihresgleichen und verbringen Zeit mit ihnen: vom Alter her, im Freundeskreis, beim Sport, bei der Arbeit. Sie entscheiden selbst, zu welcher Gruppe in der Gesellschaft sie gehören wollen – und zu welcher nicht. Beim Wohnen kommen diese unterschiedlichen Gruppen wie im Brennspiegel zusammen. magazin: … und leben aneinander vorbei? Chrobok: Das nicht, aber sie müssen die Art ihres Zusammenlebens „aushandeln“. Ein Kinderspielplatz im Hof wird von einer Familie mit Kindern anders bewertet als von einem Rentnerehepaar. Junge Menschen wiederum haben einen anderen Lebensrhythmus als berufstätige Eltern. „Die Tür hinter sich zuschließen“ bedeutet für einen alleinlebenden älteren Mann etwas anderes als für die Geschäftsführerin, die den ganzen Tag auf Achse ist. Ich glaube, Genossenschaften sind ein Anker, der die Fliehkräfte unserer modernen Gesellschaft im Zaume hält. magazin: Ohne die würde unsere Gesellschaft auseinanderfliegen? Chrobok: Ich will die genossenschaftliche Idee nicht überfrachten. Aber sie erinnert uns daran, dass wir Menschen soziale Wesen sind und bei allem Streben nach Selbstverwirklichung nur in der Gemeinschaft (über-)leben können. Wir brauchen einander, auch wenn wir uns dessen manchmal nicht bewusst sind. Zudem ist eine Genossenschaft eine zutiefst demokratische Einrichtung. Jedes Mitglied hat eine Stimme: egal ob reich oder arm, jung oder alt, Frau oder Mann. magazin: Also das, wofür viele Menschen auf der Welt kämpfen. Chrobok: Genossenschaften sind das Versprechen einer solidarischen Gesellschaft. Niemand muss bei uns Angst vor einer Kündigung wegen Eigenbedarf oder vor einer massiven Mietsteigerung haben. Ja, auch wir müssen am Ende eines Wirtschaftsjahres eine schwarze Null schreiben. Aber im Mittelpunkt unserer Arbeit steht eben nicht die Erwirtschaftung einer Maximalrendite für Einzelne. Das, was am Ende übrigbleibt, kommt allen zugute. magazin: Die genossenschaftliche Idee lebt davon, dass die Mitglieder sich einbringen. Was bedeutet das für Sie als Chefin? Chrobok: Die Mieterinnen und Mieter können mitbestimmen. Das führt manchmal zu einem längeren Ringen um die beste Lösung. Als Vorstand schlagen zwei Seelen in meiner Brust: einerseits will ich einen Kompromiss, der möglichst viele Menschen zufriedenstellt. Andererseits muss ich Entscheidungen treffen, die dem einen oder anderen nicht gefallen. magazin: Reden die Mitglieder aus Ihrer Sicht ausreichend mit? Chrobok: Es sind oftmals ältere Menschen, die sich aktiv einbringen. Das mag an der Sozialisation der 1960er und 1970er Jahre, aber auch an der jeweiligen Lebenssituation liegen. Jüngere Menschen, die Familie und Arbeit unter einen Hut bringen müssen, sind da möglicherweise etwas passiver. Ich verstehe das, finde es dennoch bedauerlich. Als Mitbesitzer trägt man Mitverantwortung. Das sollte auch unseren jüngeren Mitgliedern bewusst sein. magazin: In den Satzungen von Genossenschaften ist der Bau bezahlbarer Wohnungen verankert. Können Sie heute in einer Stadt wie Hamburg diesem Satzungsauftrag noch gerecht werden? Chrobok: Wenn ich jetzt neu bauen wollte und kein eigenes Grundstück habe, müsste ich am Ende eine Neubauwohnung für eine monatliche Netto-Kaltmiete von mindestens 18 bis 19 Euro pro Quadratmeter vermieten. Das würde ich nicht als bezahlbar bezeichnen. Nein: Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Der Eisenbahnbauverein Harburg (EBV) besitzt rund 3200 Wohnungen und zählt rund 5000 Mitglieder. h

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magazin: Was macht ein genossenschaftliches Wohnungsunternehmen<br />

aus?<br />

Alexandra Chrobok: Das besondere Verhältnis zu seinen<br />

Mitgliedern. Formal sind die Menschen, die in unseren<br />

Wohnungen leben, Mieterin oder Mieter. Zugleich gehören<br />

ihnen die Wohnungen und sie sind in letzter Instanz<br />

diejenigen, die bestimmen können. Auch wenn viele das<br />

so nicht sehen.<br />

magazin: Warum nicht? Ist die genossenschaftliche Idee aus der<br />

Zeit gefallen?<br />

Chrobok: Das glaube ich nicht. Umfragen belegen, dass<br />

Menschen die Gemeinschaft der Vereinzelung vorziehen<br />

und dass Gemeinsinn hoch im Kurs steht. Wenn es konkret<br />

wird, sind es jedoch eher wenige, die sich aktiv einbringen.<br />

magazin: Woran liegt das?<br />

Chrobok: Letztlich ist eine Genossenschaft das Spiegelbild<br />

unserer Gesellschaft.<br />

magazin: In der jeder nur an sich denkt?<br />

Chrobok: So weit würde ich nicht gehen. Ich erlebe<br />

schon, dass sich Menschen in unseren Wohnanlagen umeinander<br />

kümmern und füreinander da sind. Aber es gibt<br />

eben auch Mitglieder, die sich lediglich als Mieterin oder<br />

Mieter verstehen. Geht etwas kaputt, gibt es Ärger mit<br />

den Nachbarn oder funktioniert etwas nicht, rufen sie in<br />

der Geschäftsstelle oder beim Hausmeister an. Sie fragen<br />

(sich) nicht, ob sie das Problem möglicherweise selbst lösen<br />

könnten.<br />

magazin: Woran liegt das?<br />

Chrobok: Üblicherweise suchen die Menschen ihresgleichen<br />

und verbringen Zeit mit ihnen: vom Alter her, im<br />

Freundeskreis, beim Sport, bei der Arbeit. Sie entscheiden<br />

selbst, zu welcher Gruppe in der Gesellschaft sie gehören<br />

wollen – und zu welcher nicht. Beim Wohnen kommen<br />

diese unterschiedlichen Gruppen wie im Brennspiegel zusammen.<br />

magazin: … und leben aneinander vorbei?<br />

Chrobok: Das nicht, aber sie müssen die Art ihres Zusammenlebens<br />

„aushandeln“. Ein Kinderspielplatz im<br />

Hof wird von einer Familie mit Kindern anders bewertet<br />

als von einem Rentnerehepaar. Junge Menschen wiederum<br />

haben einen anderen Lebensrhythmus als berufstätige<br />

Eltern. „Die Tür hinter sich zuschließen“ bedeutet für einen<br />

alleinlebenden älteren Mann etwas anderes als für die<br />

Geschäftsführerin, die den ganzen Tag auf Achse ist. Ich<br />

glaube, Genossenschaften sind ein Anker, der die Fliehkräfte<br />

unserer modernen Gesellschaft im Zaume hält.<br />

magazin: Ohne die würde unsere Gesellschaft auseinanderfliegen?<br />

Chrobok: Ich will die genossenschaftliche Idee nicht überfrachten.<br />

Aber sie erinnert uns daran, dass wir Menschen<br />

soziale Wesen sind und bei allem Streben nach Selbstverwirklichung<br />

nur in der Gemeinschaft (über-)leben können.<br />

Wir brauchen einander, auch wenn wir uns dessen<br />

manchmal nicht bewusst sind. Zudem ist eine Genossenschaft<br />

eine zutiefst demokratische Einrichtung. Jedes Mitglied<br />

hat eine Stimme: egal ob reich oder arm, jung oder<br />

alt, Frau oder Mann.<br />

magazin: Also das, wofür viele Menschen auf der Welt kämpfen.<br />

Chrobok: Genossenschaften sind das Versprechen einer<br />

solidarischen Gesellschaft. Niemand muss bei uns Angst<br />

vor einer Kündigung wegen Eigenbedarf oder vor einer<br />

massiven Mietsteigerung haben. Ja, auch wir müssen am<br />

Ende eines Wirtschaftsjahres eine schwarze Null schreiben.<br />

Aber im Mittelpunkt unserer Arbeit steht eben nicht<br />

die Erwirtschaftung einer Maximalrendite für Einzelne.<br />

Das, was am Ende übrigbleibt, kommt allen zugute.<br />

magazin: Die genossenschaftliche Idee lebt davon, dass die Mitglieder<br />

sich einbringen. Was bedeutet das für Sie als Chefin?<br />

Chrobok: Die Mieterinnen und Mieter können mitbestimmen.<br />

Das führt manchmal zu einem längeren Ringen um<br />

die beste Lösung. Als Vorstand schlagen zwei Seelen in<br />

meiner Brust: einerseits will ich einen Kompromiss, der<br />

möglichst viele Menschen zufriedenstellt. Andererseits<br />

muss ich Entscheidungen treffen, die dem einen oder anderen<br />

nicht gefallen.<br />

magazin: Reden die Mitglieder aus Ihrer Sicht ausreichend mit?<br />

Chrobok: Es sind oftmals ältere Menschen, die sich aktiv<br />

einbringen. Das mag an der Sozialisation der 1960er und<br />

1970er Jahre, aber auch an der jeweiligen Lebenssituation<br />

liegen. Jüngere Menschen, die Familie und Arbeit unter<br />

einen Hut bringen müssen, sind da möglicherweise etwas<br />

passiver. Ich verstehe das, finde es dennoch bedauerlich.<br />

Als Mitbesitzer trägt man Mitverantwortung. Das sollte<br />

auch unseren jüngeren Mitgliedern bewusst sein.<br />

magazin: In den Satzungen von Genossenschaften ist der Bau bezahlbarer<br />

Wohnungen verankert. Können Sie heute in einer Stadt<br />

wie Hamburg diesem Satzungsauftrag noch gerecht werden?<br />

Chrobok: Wenn ich jetzt neu bauen wollte und kein eigenes<br />

Grundstück habe, müsste ich am Ende eine Neubauwohnung<br />

für eine monatliche Netto-Kaltmiete von mindestens<br />

18 bis 19 Euro pro Quadratmeter vermieten. Das<br />

würde ich nicht als bezahlbar bezeichnen. Nein: Das Ende<br />

der Fahnenstange ist erreicht.<br />

Der Eisenbahnbauverein Harburg (EBV) besitzt rund 3200<br />

Wohnungen und zählt rund 5000 Mitglieder. h

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