VNW-Magazin Ausgabe 3/2022
Das VNW-Magazin erscheint fünf Mal im Jahr. Neben Fachartikeln enthält es Berichte und Reportagen über die Mitgliedsunternehmen des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen - den Vermietern mit Werten.
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14 <strong>VNW</strong><br />
aufnahm, sondern sich auf die Mindestzahl von sieben Genossenschaftsmitgliedern<br />
beschränkte.<br />
Üblicherweise warben die neu gegründeten Genossenschaften<br />
zahlreiche Mitglieder an – zumeist wurden mindestens so<br />
viele Personen aufgenommen wie Wohnungen geplant waren –,<br />
denn die Anteile der Genossenschaftsmitglieder bildeten das dringend<br />
benötigte Eigenkapital.<br />
Geschäftsanteil kostete 50 Reichsmark<br />
Bei der von Adele Reiche und dem Buchrevisor Dr. Otto Hütteroth<br />
gegründeten Genossenschaft war jedes Mitglied verpflichtet,<br />
mindestens einen Geschäftsanteil über 50 Reichsmark zu zeichnen.<br />
Bis zu 100 Geschäftsanteile durften erworben werden.<br />
Neben Reiche und Hütteroth gehörten der Genossenschaft<br />
mit dem Schriftgießer Felix Bauer, dem Lagermeister Paul Siegert,<br />
dem Arbeiter Georg Krüger und dem Baurat Erwin Ockert sechs<br />
Personen an, die Gemeinnützige Baugenossenschaft der Schutzund<br />
Notgemeinschaft der kinderreichen Familien-Hamburg<br />
e.Gen.m.H. war das siebte Mitglied.<br />
Bis Ende 1931 zählte die Genossenschaft zehn Mitglieder. Erst<br />
kurz vor der Fusion ergab sich durch den Eintritt von Mitgliedern<br />
der übernehmenden Genossenschaft ein neuer Höchststand von<br />
elf Mitgliedern. 1929 wurde der Geschäftsanteil auf 1000 Reichsmark<br />
angehoben, wobei die Höchstzahl an Geschäftsanteilen erst<br />
später auf zehn abgesenkt wurde. Ende 1931 wurde mit 14 500<br />
Reichsmark die Höchstmarke der gezeichneten Genossenschaftsanteile<br />
erreicht.<br />
Grundstück für fast 650 000 Reichsmark<br />
Das Guthaben aus den Genossenschaftsanteilen belief sich Ende<br />
1928 auf 450 Reichsmark. Dennoch hatte die Baugenossenschaft<br />
ein Grundstück für fast 650000 Reichsmark erworben und ein<br />
Darlehen in Höhe von 1,01 Millionen Reichsmark sowie einen<br />
Zwischenkredit über 363000 Reichsmark von der Hamburgischen<br />
Beleihungskasse erhalten. Hypotheken waren im Wert des Grundstücks<br />
abgeschlossen worden.<br />
Unterstützung hatte sich der Vorstand um Reiche und<br />
Hütteroth für die Bauvorhaben am Horner Weg 95 -107 und am<br />
Horner Stieg 1-9 offensichtlich an verschiedenen Stellen geholt.<br />
Der Konsum-, Bau- und Sparverein „Produktion“ richtete im<br />
Horner Weg mit einer Verteilungsstelle, einer Bäckerei und einer<br />
Schlachterei gleich drei Läden für die Nahversorgung ein.<br />
Aus anderen Projekten ist bekannt, dass sich die Produktion<br />
im Gegenzug mit Darlehen an der Baufinanzierung beteiligte.<br />
Am Horner Stieg 1 nahm die Landeszentrale für Säuglings- und<br />
Kleinkinderschutz, Säuglingsfürsorge, ihren Sitz. Am Horner Weg<br />
wurde zudem ein Kindertagesheim eingerichtet, das von bis zu<br />
110 Kindern täglich genutzt wurde.<br />
Die Einrichtung erwies sich allerdings als Zuschussgeschäft,<br />
zeitweilig musste das Heim jährlich mit mehreren tausend Reichsmark<br />
unterstützt werden. Weitere Wohnungen wurden in der<br />
Snitgerreihe 32-52 und dem Snitgerstieg 1-9 errichtet. Bis 1932<br />
baute die Genossenschaft über 400 Wohnungen.<br />
Familie von Loki Schmidt<br />
wohnte in der Snitgerreihe 44<br />
Zu den glücklichen Beziehern einer Neubauwohnung gehörte<br />
1929 die Familie des Elektrikers Hermann Glaser, dessen Tochter<br />
Hannelore später unter dem Namen Loki Schmidt bekannt wurde.<br />
Nach ihrer Erinnerung wohnten die Eltern mit ihren drei Kindern<br />
zunächst bei den Großeltern, um dann in eine Wohnung mit<br />
28 qm zu ziehen, ohne Sonnenlicht und mit einer Toilette im Treppenhaus.<br />
Ein erneuter Wohnungswechsel erwies sich nur als vorübergehende<br />
Lösung, da die Wohnung nach der Geburt eines weiteren<br />
Kindes zu klein war. 1929 konnte die Familie eine Dreizimmerwohnung<br />
der Baugenossenschaft für kinderreiche Familien mit<br />
60 qm in der Snitgerreihe 44 beziehen.<br />
Überliefert ist eine Beschreibung der Mutter: „Da war eine<br />
Wohnküche mit Kochnische, Speisekammer, Müllschlucker und<br />
Loggia, ein großes und zwei kleine Zimmer und ein Badezimmer<br />
mit Gasboiler [und Badewanne], alles mit Zentralheizung. Vor der<br />
Tür auf der anderen Straßenseite waren ein Grasplatz und ein<br />
Knick, dahinter überall Schrebergärten. Die Snitgerreihe war eine<br />
Sackgasse und für die Kinder nun der ideale Spielplatz.“<br />
Die Wohnsituation hatte sich für die Familie deutlich verbessert<br />
und ein Leben in gesunden Verhältnissen war endlich möglich.<br />
Allerdings war die Miete drei Mal so hoch wie die der alten<br />
Wohnung, obwohl sie subventioniert wurde.<br />
Gestaffelte Mieten<br />
Die Baugenossenschaft hatte die Mieten gestaffelt, so zahlte<br />
1934 eine kinderreiche Familie – das waren Haushalte mit vier<br />
und mehr Kindern – eine Jahresmiete von 6,65 Reichsmark pro<br />
Quadratmeter zuzüglich Nebenleistungen, Heizung und Treppenreinigung.<br />
Dieser außerordentlich günstige Mietpreis war nur möglich,<br />
weil die Genossenschaft einen Teil der Wohnungen an nicht<br />
kinderreiche Familien zu einem Mietpreis von 9 Reichsmark pro<br />
Quadratmeter ohne Nebenleistungen vermietete. Diese Quersubventionierung<br />
funktionierte, solange der Wohnraum knapp war<br />
und besser situierte Familien bereit waren, einen höheren Preis<br />
zu zahlen.<br />
Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, stellte<br />
sich Adele Reiche den Gleichschaltungsmaßnahmen der neuen<br />
Machthaber kämpferisch entgegen. Das führte am 6. Mai 1933<br />
zu ihrer Inhaftierung, aus der sie zehn Tage später wieder entlassen<br />
wurde. Aufgrund der internen Querelen und ihrer Zugehörigkeit<br />
zur SPD wurde sie aus der Genossenschaft ausgeschlossen.<br />
In den Kriegswirren zog Adele Reiche nach Aumühle. Dort<br />
nahm sie nach 1945 ihre politische Arbeit wieder auf und gehörte<br />
dem Gemeinderat an. Vor Gericht erstritt sie die Aufhebung ihres<br />
Ausschlusses aus der Genossenschaft, Verantwortung übernahm<br />
sie aber nicht mehr in dem Unternehmen. Sie starb am 25. August<br />
1957.<br />
Die Genossenschaft wurde 1934 in Baugenossenschaft<br />
Hornerweg umbenannt. Fast 90 Prozent des Wohnungsbestands<br />
fielen den Bomben des Zweiten Weltkrieges zum Opfer. 1951<br />
wurde die Fusion mit der Baugenossenschaft freier Gewerkschafter<br />
beschlossen. h