atw - International Journal for Nuclear Power | 04.2022
Ever since its first issue in 1956, the atw – International Journal for Nuclear Power has been a publisher of specialist articles, background reports, interviews and news about developments and trends from all important sectors of nuclear energy, nuclear technology and the energy industry. Internationally current and competent, the professional journal atw is a valuable source of information. www.nucmag.com
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atw Vol. 67 (2022) | Ausgabe 4 ı Juli
Völkerrecht ein besonderes Schutzregime für
gefahrträchtige Einrichtungen bereithält und
gleichwohl unternommene Angriffe auf solche
Einrichtungen als Kriegsverbrechen einstuft
(siehe oben, I.). Darüber hinaus obliegt die
Landesverteidigung dem Staat: Er hat die
Verpflichtung, die für die Landes- und Bündnisverteidigung
erforderliche Befähigung und
Mittel sicher- und bereitzustellen (siehe oben,
II.). Dieser Aufgabe kann kein Betreiber – egal ob
bei einer konventionellen oder nuklearen Anlage
– ernsthaft gerecht werden.
Dementsprechend sind kriegerische Ereignisse –
anders als terroristische Sabotageakte – bei richtiger
Differenzierung kein Gegenstand atomrechtlicher
Schutzpflichten. Denn auch die beste
Anlagensicherung kann das Ereignis „Krieg“
nicht ausschließen oder die dagegen zu ergreifenden
Maßnahmen der Landesverteidigung
ersetzen. Die primäre Zivilschutz- und Verteidigungsaufgabe
des Staates liegt jedem anlagenspezifischen
Sicherungs- und Schutzkonzept
notwendig voraus.
IV. SEWD-Schutz als Basisschutz
Der Schutz gegen SEWD-Ereignisse, den kerntechnische
Einrichtungen aufweisen müssen,
gewährleistet gleichwohl einen Basisschutz in
Bezug auch auf vergleichbare kriegerische
Einwirkungen. Denn kerntechnische Anlagen
sind von vornherein besonders robust ausgelegt,
d.h. nicht nur gegen „Ereignisse von Außen“
(EVA), wie z. B. Erdbeben, Explosionsdruckwellen,
Flugzeugabsturz, etc., sondern eben auch
gegen gezielte Stör-Einwirkungen Dritter
(SEWD), die z. B. unter Verwendung unterschiedlichster,
für Terroristen möglicherweise
erreichbarer Tatmittel erfolgen könnten. Insoweit
wird der erforderliche Umfang der SEWD-
Anforderungen und Maßnahmen behördlicherseits
unter Berücksichtigung der anlagenspezifischen
Gegebenheiten bestimmt. Die dabei
konkret geltenden Maßgaben sind durch das
untergesetzliche Regelwerk, insbesondere durch
die sog. SEWD-Richtlinien, festgelegt. Welche
„Lastannahmen“ i. S. v. § 44 Abs. 1 AtG konkret
zu unterstellen sind, bestimmt die Behörde, der
insoweit ein gesetzlich eingeräumter Beurteilungsspielraum
(„Einschätzungsprärogative“)
zusteht (§ 44 Abs. 3 AtG). Für kerntechnische
Einrichtungen existiert ein zwischen Staat und
Betreiber eng abgestimmtes sog. integriertes
Sicherungs- und Schutzkonzept. Es sieht
anlagenspezifisch definierte betreiberseitige und
staatliche Maßnahmen vor, die ein effektives
Zusammenwirken von technischen, baulichen,
organisatorischen und personellen Anforderungen
und Schutzmechanismen sicherstellen.
Im Ergebnis ist dadurch der erforderliche Schutz
gegen Einwirkungen Dritter gewährleistet. Das
gilt dann gleichermaßen, wenn vergleichbare
Einwirkungen nicht als terroristische Akte,
sondern als Kriegshandlungen einzustufen sind,
weil sie im Rahmen bewaffneter Konflikte
zwischen Staaten erfolgen. Rein faktisch nicht
abgedeckt werden allerdings Angriffe unter
Einsatz schwerer (Kriegs-)Waffen, die letztlich
nur einer Armee zur Verfügung stehen.
V. Fazit
Kerntechnische Einrichtungen genießen besonderen
Schutz durch das Völkerrecht. Kriegerische
Angriffe auf solche Anlagen werden sogar als
Kriegsverbrechen geahndet. Die Aufgabe der
Landes- und Bündnisverteidigung obliegt allein
dem Staat, da nur er – und nicht der Betreiber
einer konventionellen oder nuklearen Anlage –
den Schutz der Zivilgesellschaft insgesamt
gewährleisten kann. Folgerichtig sind kerntechnische
Anlagen gegen konkrete Störmaßnahmen
Dritter, also z. B. terroristische Einwirkungen
geschützt, nicht aber können sie gegen kriegerische
Ereignisse ausgelegt sein, die dem Staat als
Ganzes gelten und Teil eines bewaffneten
Konflikts sind. Aufgrund des gegebenen SEWD-
Schutzes gehören kerntechnische Einrichtungen
gleichwohl zu den bestgeschützten Anlagen in
Deutschland; dieser Schutz wirkt auch gegen
Ereignisse kriegerischer Art, sofern sie in ihrem
Ausmaß mit Terroranschlägen vergleichbar sind.
Autor
Prof. Dr. Tobias Leidinger
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf
tobias.leidinger@luther-lawfirm.com
Prof. Dr. Tobias Leidinger, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht,
ist Partner bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft. Vor dem Hintergrund seiner
langjährigen Beratungstätigkeit in der Industrie und besonderen Projekt- und
Rechtsexpertise berät er private und öffentliche Unternehmen im Öffentlichen
Wirtschaftsrecht (einschl. Projektsteuerung), insbes. im Atom- und
Strahlenschutzrecht sowie im Anlagen-, Umwelt-, Bau- und Planungsrecht
(Rückbau von Nuklearanlagen, Errichtung und Genehmigung von nuklearen
Lagereinrichtungen, komplexe Infrastrukturvorhaben, etc.). Er ist zugleich
Direktor am Institut für Berg- und Energierecht der Ruhr-Universität Bochum und
als Fachbuchautor ausgewiesen.
SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW 39
Spotlight on Nuclear Law
Kriegerische Ereignisse und nukleare Anlagensicherung – Welche Maßgaben gelten? ı Prof. Dr. Tobias Leidinger