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atw - International Journal for Nuclear Power | 04.2022

Ever since its first issue in 1956, the atw – International Journal for Nuclear Power has been a publisher of specialist articles, background reports, interviews and news about developments and trends from all important sectors of nuclear energy, nuclear technology and the energy industry. Internationally current and competent, the professional journal atw is a valuable source of information. www.nucmag.com

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atw Vol. 67 (2022) | Ausgabe 4 ı Juli

SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW 38

Kriegerische Ereignisse und nukleare Anlagensicherung –

Welche Maßgaben gelten?

Prof. Dr. Tobias Leidinger

Der am 24. Februar 2022 vom Putin-Regime entfesselte Angriffskrieg auf die Ukraine lenkt den Blick auf Fragen der

Anlagensicherung: Welchen Schutz genießen kerntechnische Einrichtungen nach dem Völkerrecht und welche Maßgaben

gelten in Bezug auf kriegerische Ereignisse nach dem Atomgesetz?

I. Schutz kerntechnischer

Einrichtungen durch das Völkerrecht:

Angriff = Kriegsverbrechen

Krieg ist ein Zivilisationsbruch. Der Angriff von

kerntechnischen Einrichtungen stellt ein Kriegsverbrechen

dar: Denn nach Art. 56 des Zusatzprotokolls

I zu den Genfer Abkommen vom 12.

August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler

bewaffneter Konflikte (BGBl. 1990 II

1550), dürfen „Anlagen oder Einrichtungen, die

gefährliche Kräfte enthalten, nämlich Staudämme,

Deiche und Kernkraftwerke, … nicht angegriffen

werden …, sofern ein solcher Angriff gefährliche

Kräfte freisetzen und dadurch schwere Verluste

unter der Zivilbevölkerung verursachen kann.“

Demnach könnte der Beschuss beim ukrainischen

Kernkraftwerk Saporischschja am 3. März

2022 durch das russische Militär nach Art. 85

Abs. 3 lit. c, Abs. 5 des Zusatzprotokolls als

Kriegsverbrechen einzustufen und zu ahnden

sein.

Darüber hinaus stellt sich die Frage nach dem

Schutz kerntechnischer Anlagen nach dem Atomgesetz

im Zusammenhang mit kriegerischen

Ereignissen: Sind solche Ereignisse überhaupt

erfasst und welcher Schutz ist gewährleistet?

II. Primäre Schutzpflicht des Staates

Es ist Aufgabe der Landesverteidigung den

Schutz der Zivilgesellschaft sicherzustellen.

Zentrale Norm ist dabei Art. 87a GG: „Der Bund

stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“. Primäre

Verpflichtung des Staates ist es, den erforderlichen

Schutz gegen kriegerische Ereignisse zu

gewährleisten, auch soweit es um den Schutz

(kern-)technischer Einrichtungen geht. Die

Hauptaufgabe „Verteidigung“ umfasst dabei

sowohl die Verteidigung Deutschlands (Landesverteidigung)

als auch die Bündnisverteidigung

auf der Grundlage des NATO-Vertrages. Dementsprechend

sind die sicherheitspolitischen Ziele

und Mittel in Deutschland verbindlich definiert

und ausgerichtet (vgl. Rahmenrichtlinien für die

Gesamtverteidigung, GMBl S. 107 vom 16. März

1989): Primär gilt es „einen Krieg zu verhüten und

den Frieden in Freiheit zu bewahren, … und die

Zivilbevölkerung und das Territorium im Falle

eines bewaffneten Angriffs zu schützen und den

Konflikt möglichst rasch zu beenden. … Notfalls ist

das Bundes- und Bündnisgebiet mit Waffengewalt

zu verteidigen.“

III. Anlagensicherung: Schutz gegen

Einwirkungen Dritter

Über die Rechtsfrage, ob kriegerische oder terroristische

Ereignisse überhaupt zu den „Störmaßnahmen

und sonstigen Einwirkungen Dritter“

(SEWD) im Rechtssinne gehören, gegen die kerntechnische

Einrichtungen nach Maßgabe des

Atomgesetzes geschützt sein müssen, lässt sich

durchaus streiten.

Bei zutreffender Betrachtung handelt es sich um

zwei unterschiedliche Sachverhalte:

Die Einbeziehung großmaßstäblicher terroristischer

Akte (vom Typ der Anschläge vom 11.

September 2001) in den Schutzbereich des

Atomrechts lässt sich mit der Begründung

ablehnen, dass solche Ereignisse nach ihrer Art

und Schwere Kriegshandlungen gleich kämen

und deshalb ebenso wie diese vom Anwendungsbereich

des Atomrechts nicht erfasst seien (vgl.

OVG Lüneburg, DVBl. 2006, 1044). Dieser

Rechtsauffassung hat sich das BVerwG (BVerwGE

131, 129, 135, Rz. 17) nicht angeschlossen.

Gezielte terroristische Einwirkungen gehören

nach seiner Auffassung zu den Szenarien, die im

Rahmen der Anlagensicherung zu bewerten sind:

Denn nach Wortlaut und Schutzzweck des Atomgesetzes

bestehe kein Anhaltspunkt, solche

Maßnahmen aus dem Regelungsbereich des

Gesetzes auszunehmen.

Bei kriegerischen Ereignissen liegt der Sachverhalt

indes anders: Kriegshandlungen richten sich

nicht gegen die jeweilige Einrichtung als solche,

sondern gelten dem Staat und seiner Bevölkerung

insgesamt. Der Staat soll als Ganzes

getroffen werden. Das ist der Grund, warum das

Spotlight on Nuclear Law

Kriegerische Ereignisse und nukleare Anlagensicherung – Welche Maßgaben gelten? ı Prof. Dr. Tobias Leidinger

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