atw - International Journal for Nuclear Power | 04.2022
Ever since its first issue in 1956, the atw – International Journal for Nuclear Power has been a publisher of specialist articles, background reports, interviews and news about developments and trends from all important sectors of nuclear energy, nuclear technology and the energy industry. Internationally current and competent, the professional journal atw is a valuable source of information. www.nucmag.com
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3Die Kernkraftwerke liefern, aber die
atw Vol. 67 (2022) | Ausgabe 4 ı Juli
Versorgungssicherheit taumelt
Liebe Leserinnen und Leser, in dieser Ausgabe finden Sie die detaillierten Betriebsergebnisse 2021 der deutschen Kernkraftwerke,
nach Stand der Dinge die vorletzten seit 1961. Es sind hervorragende Ergebnisse. Dazu beigetragen hat natürlich
auch, dass zwei der drei Anlagen, die Ende vergangenen Jahres abgeschaltet wurden, keine Revision mehr durchgeführt
haben. Aber die dadurch gegebene Zeitverfügbarkeit von 100 Prozent für das KBR Brokdorf und 99,9 Prozent für das
KRB C Gundremmingen sprechen ebenso für die eindrucksvolle technische und operative Exzellenz aller deutscher Anlagen
wie die insgesamt erzeugten 69,130 Terawattstunden Strom (brutto), also nicht weniger als durchschnittlich 11,5 Terawattstunden
pro Block. Die beiden Anlagen mit mehr als 12 TWh Bruttoerzeugung, KKI 2 Isar und Brokdorf, kamen auch
wieder in die internationalen Top Ten der Kernkraftwerksstromerzeugung auf den Plätzen drei und vier.
EDITORIAL
Für die Energieversorgungssicherheit Deutschlands
sind die Erzeugung und installierte Leistung der Kernkraftwerke
aus Sicht der Bundesregierung gleichwohl nicht relevant.
Dabei ist die Kernenergie allerdings nicht mehr allein:
Während die Kohlekraft dank des Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetzes
im Fall einer Versorgungskrise und beim
Abbau der Abhängigkeit von Importen russischer Energieträger
eine einstweilige Renaissance erfährt, wird eine
Neubewertung der Fracking-Technologie zur heimischen
Gasförderung ebenso abgelehnt wie ein Weiterbetrieb von
Kernkraftwerken. Gewiss, hier müsste eine neue Infrastruktur
errichtet und hochgefahren werden, die Einrichtungen
stehen nicht schon voll funktionstüchtig in der
Landschaft und zu erwartende Konflikte mit Anwohnern,
dem Naturschutz und der Landschaftspflege wären viel
größer. Aber das Potential ist beachtlich: bis zu 2,3 Billionen
Kubikmeter erschließbaren Erdgases ließen sich
fördern, genug um die russischen Importe rund 50 Jahre
lang zu ersetzen.
In der Wirklichkeit jedoch wird die Gasversorgung
Europas durch Russland in kleinen Schritten abgeschnürt.
Keine Lieferungen mehr an Polen, Bulgarien, Finnland,
Dänemark und die Niederlande, Entleerung der Jamal-
Pipeline nach Polen, Drosselung der Lieferung durch die
Sojus-Pipeline in der Ukraine und nun auch Drosselung der
Lieferung durch die Nord Stream 1 in zwei Schritten von
167 Millionen Kubikmeter pro Tag auf 100 Millionen, dann
auf 67 Millionen. Auch in der Slowakei, Tschechien, Österreich,
Frankreich und Italien kommt zwischenzeitlich
weniger Gas an. Bundeswirtschaftsministerium und
Bundesnetzagentur erinnern derweil an den berühmten
Frosch im Kochtopf, in dem die Wassertemperatur langsam
aber stetig erhöht wird: Jeder der nun fast schon täglich
vorgenommenen russischen Lieferkürzungen bei Erdgas
wird mit der Aussage entgegengetreten, dass die Versorgung
aktuell gesichert sei, bis sie dann irgendwann nicht
mehr sicher ist. In so einer Situation, in der „jede Kilowattstunde
zählt“ wie es der Bundeswirtschaftsminister
ausdrückte, bindet man sich eigentlich nicht mutwillig den
zusätzlichen Ersatz von mehr als 30 Milliarden Kilowattstunden
Stromerzeugung ans Bein, die bislang ohne
Importe fossiler Energieträger erzeugt werden konnten. Es
sein denn, man will es unbedingt und verordnet lieber dem
Bürger winterliches Frieren.
Zum Thema Import von Energieträgern sei noch gesagt,
dass die höchsten Uranpreise seit 2011 und die guten internationalen
Perspektiven für die Kernenergie nun dazu
führen, dass immer mehr stillgelegte Uranminen in Nordamerika,
Australien und Afrika reaktiviert werden. Das in
den vergangenen Wochen oft gehörte und falsche Argument,
man sei bei der Kernenergie von Russland noch
abhängiger als bei anderen Energieträgern, klingt dadurch
noch hohler als ohnehin schon angesichts eines russischen
Weltmarktanteils bei der Uranförderung zwischen weniger
als fünf und sieben Prozent in den vergangenen Jahren.
Eine kleine Schlussnotiz noch als Follow-up zur im Heft
abgedruckten KTG-Fachinfo Nummer 12: Das Bundesverfassungsgericht
hat die im April eingereichte Verfassungsbeschwerde
des pro-nuklearen Vereins Nuklearia gegen die
Beendigung der Kernkraftnutzung nicht zur Entscheidung
angenommen. Mindestens dem juristischen Laien erschien
die Beschwerde als ernsthaft vorgetragen und nachvollziehbar
begründet, keinesfalls wie die Empörungstat eines
Wutbürgers. Vielleicht war ihre Erfolgsaussicht nicht groß,
vielleicht aber hat sich das Gericht an die gängige Juristenweisheit
erinnert, dass man vor Gericht und auf hoher See
in Gottes Hand sei und wollte bei einem politisch heiklen
Thema nichts anbrennen lassen. Wir werden es nicht
erfahren, denn die Nicht-Annahme einer Klage muss nicht
begründet werden. Ob im Fall des Bundesverfassungsgerichts
eine solche Bauernschläue allerdings auf Dauer der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung zuträglich
wäre, sei dahingestellt.
Nicolas Wendler
– Chefredakteur –
Editorial
Die Kernkraftwerke liefern, aber die Versorgungssicherheit taumelt