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Ulrich H. J. Körtner: Theologische Exegese (Leseprobe)

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

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VII Die Liebe ist erfinderisch<br />

so hoch gehaltene Schriftprinzip gilt nicht nur für die Dogmatik, es gilt<br />

auch für die Ethik.“ 14 Während also bei Crüsemann das sola Tora an die<br />

Stelle des reformatorischen sola scriptura tritt, votiert Kessler für ein<br />

tota scriptura, das im Sinne Crüsemann von der alttestamentlichen Tora<br />

her zu verstehen ist. Tota scriptura meint demnach tota Tora, wobei die<br />

Aufgabe der Disziplin einer alttestamentlichen Ethik nach Kessler in<br />

deren Darstellung als „historische Ethik“ 15 besteht.<br />

Die historische Rekonstruktion soll freilich der „Selbstverständigung<br />

innerhalb der Kirche“ dienen, die wiederum am gesellschaftlichen<br />

Diskurs der Gegenwart teilnimmt. Erst dadurch, dass neben die Aufgabe<br />

der historischen Rekonstruktion als Zweites die „hermeneutische[]<br />

Bemühung um die aktuelle Aneignung der historischen Theologie und<br />

Ethik“ 16 tritt, der im gesellschaftlichen Diskurs auch noch „eine apologetische<br />

Aufgabe“ 17 zufällt, wird die Ethik des Alten Testaments nach<br />

Kesslers Auffassung zur theologischen Ethik.<br />

In welchem Verhältnis stehen nun aber Schrift und Tora bei Crüsemann<br />

und Kessler zueinander? Das hebräische tora bedeutet Lehre,<br />

Unterweisung. 18 Solche findet sich zwar in den heiligen Schriften<br />

Israels, sie geht darin aber nicht auf. Auch wenn das Deuteronomium<br />

das Wort als Synonym „für den einen, umfassenden und schriftlich vorliegenden<br />

Willen Gottes“ 19 verwendet und Tora im Judentum zur Be -<br />

zeichnung des Pentateuch geworden ist, kennt doch das Judentum<br />

neben der schriftlichen Überlieferung auch die mündliche Tora vom<br />

Sinai. Die Bücher des Tanach, welche den Willen Gottes schriftlich be -<br />

zeugen und überliefern, sind doch nicht einfach mit Gottes Wort und<br />

Willen gleichzusetzen. Zwischen dem Wort und Willen Gottes und seinem<br />

diesen authentisch bezeugenden Medium gilt es zu unterscheiden,<br />

ohne dass das Medienproblem des Monotheismus in Judentum, Christentum<br />

und auch Islam an dieser Stelle weiter verfolgt werden soll. 20<br />

14 Kessler, Was ist (s. Anm. 13), 112.<br />

15 Rainer Kessler, Der Weg zum Leben. Ethik des Alten Testaments, Gütersloh<br />

2017, 29.<br />

16 A. a. O., 28.<br />

17 A. a. O., 33 f.<br />

18 Die Wortbedeutung „Gesetz“ muss aber doch wohl nicht völlig ausgeklammert<br />

werden.<br />

19 Crüsemann, Tora (s. Anm. 12), 8.<br />

20 Vgl. dazu <strong>Ulrich</strong> H. J. <strong>Körtner</strong>, Hermeneutische Theologie. Zugänge zur

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