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Ulrich H. J. Körtner: Theologische Exegese (Leseprobe)

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

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1 Sola scriptura – sola Tora? 137<br />

Neuen Testaments rezipiert und angeeignet wird. 9 Hans Hübner hat<br />

die Formel vom vetus testamentum in novo receptum geprägt, 10 wobei<br />

man einerseits die neutestamentlichen Schriften als christozentrische<br />

Kommentare zu den alttestamentlichen Schriften lesen kann, in denen<br />

andererseits die Wahrheit des christlichen Glaubens, d. h. des Glaubens<br />

an Jesus Christus als letztgültige Offenbarung des Gottes Israels anhand<br />

der heiligen Schriften Israels ausgewiesen werden soll. Im Licht des<br />

Christusgeschehens als letztgültigem Heilsereignis erscheinen die alttestamentlichen<br />

Schriften in einem neuen Licht und empfangen von<br />

ihm her einen neuen Sinn und Stellenwert.<br />

Je mehr freilich das Alte Testament im Gefolge der Aufklärung und<br />

Schleiermachers als Dokument einer vom Christentum unterschiedenen<br />

Religion betrachtet wird, desto größer ist auch auf ethischem<br />

Gebiet die Distanz zu ihm. Ernüchternd der Befund des Alttestamentlers<br />

Eckart Otto: Der „stiefmütterliche[n] Behandlung der Ethik in der<br />

alttestamentlichen Wissenschaft […] korrespondiert die geringe Bedeutung<br />

des Alten Testaments in christlicher Begründung gegenwärtiger<br />

Ethik“ 11 .<br />

Bei Frank Crüsemann kehrt sich das Begründungsverhältnis von<br />

Altem und Neuem Testament freilich gegenüber einer Position wie derjenigen<br />

Hübners völlig um. Für ihn gilt als ausgemacht, „daß unbeschadet<br />

des historischen Abstandes allein die Tora die Grundlage einer biblisch<br />

orientierten christlichen Ethik sein kann“ 12 . Ihm pflichtet Rainer<br />

Kessler energisch bei 13 und präzisiert: „Die Schrift, und zwar die ganze<br />

Schrift, muss die Norm auch unserer Ethik sein. Das im Protestantismus<br />

9 Das kann auch auf implizite Weise geschehen. Die Rezeption beschränkt sich nicht<br />

auf Stellen an denen alttestamentliche Texte ausdrücklich zitiert werden.<br />

10 Vgl. Hans Hübner, Eine moderne Variante der mittelalterlichen Lehre vom vierfachen<br />

Schriftsinn: Vetus Testamentum und Vetus Testamentum in Novo receptum,<br />

in: Paolo Chiarini/Hans Dieter Zimmermann (Hg.), Schrift Sinne. <strong>Exegese</strong>,<br />

Interpretation, Dekonstruktion (Schriftenreihe des Forum Guardini, Bd. 3), Berlin<br />

1994, 54–64. Siehe auch Ders., Biblische Theologie des Neuen Testaments, Bd. 3,<br />

Göttingen 1995.<br />

11 Eckart Otto, Forschungsgeschichte der Entwürfe einer Ethik im Alten Testament,<br />

VuF 36, 1991, 3–37, hier 10.<br />

12 Frank Crüsemann, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen<br />

Gesetzes, Gütersloh 3 2005, 424 f.<br />

13 Vgl. Rainer Kessler, Was ist und wozu brauchen wir eine Ethik des Alten Testaments?,<br />

EvTh 71, 2011, 100–114, hier 111 f.

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