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Ulrich H. J. Körtner: Theologische Exegese (Leseprobe)

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

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VI „... und hätte die Liebe nicht ...“<br />

langen, sondern an die Liebe, die unter den Christen in der Gemeinde<br />

herrschen soll, die Liebe, welche im Leben und Sterben Jesu von Nazareth<br />

ihren Grund und ihr Vorbild hat und die gepaart ist mit Glaube<br />

und Hoffnung.<br />

Wie sich diese Liebe, die agape, zum Eros und zur Freundschaftsliebe,<br />

der philia, verhält und wie sich der Bogen vom Hohenlied im Alten<br />

Testament zum Hohenlied des Paulus schlagen lässt, ist in der Ge -<br />

schichte des Christentums bis heute Gegenstand intensiver Diskussionen.<br />

Dass das canticum canticorum, eine Sammlung weltlicher Liebesgedichte,<br />

überhaupt in den Kanon der Bibel gelangen konnte, war nur aufgrund<br />

einer typologischen Auslegung möglich, welche die erotischen<br />

Schilderungen der Liebe zwischen Mann und Frau als Sinnbild für die<br />

Liebe zwischen Gott und Mensch deutete. Neutestamentlich gesprochen:<br />

Der Eros erscheint als Typologie der Agape. Und so sehr die Agape<br />

nach offizieller kirchlicher Lesart von sexuellen Konnotationen freigehalten<br />

werden soll, gibt es doch in der Geschichte des Christentums<br />

genügend Beispiele aus der Mystik oder dem neuzeitlichen Pietismus<br />

dafür, wie die Gottsuche und Gottesbeziehung hocherotisch aufgeladen<br />

sein können.<br />

Dass das frühe Christentum für die Gottes- und Nächstenliebe<br />

jedoch gerade nicht den Begriff des Eros verwendete, der doch keineswegs<br />

auf Sexualität zu reduzieren ist, sondern in der Philosophie Platons<br />

und im Platonismus eine erkenntnistheoretische und metaphysische<br />

Bedeutung hat, ist religionsgeschichtlich und theologisch bedeutsam,<br />

auch für das Verhältnis zwischen christlicher Theologie und Philosophie.<br />

Mit dem Begriff der Agape verwenden die neutestamentlichen<br />

Schriften eine Vokabel, die in der antiken Profangräzität ein ganz blasses<br />

Wort war. 4 Profan bedeutet ἀγαπάω soviel wie: empfangen, begrüßen,<br />

bevorzugen, schätzen, jemanden mögen, etwas vor anderen hochhalten.<br />

Ὰγαπητός (Agápetos) heißt soviel wie: es ist mir recht, lieb oder willkommen.<br />

Bedeutung gewann das Wortfeld ἀγαπάω/ἀγάπη erst da -<br />

durch, dass mit ihm die Septuaginta das hebräische ahab übersetzte.<br />

Das frühe Christentum verwendete nun die Vokabel ἀγάπη, um die<br />

Liebe, welche das Wesen Gottes ausmacht, vom Eros zu unterscheiden.<br />

4 Zur Begriffsgeschichte siehe Gottfried Quell/Ethelbert Stauffer, Art.<br />

ἀγαπάω κτλ., ThWNT I, Stuttgart 1933, 20–55.

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