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Ulrich H. J. Körtner: Theologische Exegese (Leseprobe)

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

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98<br />

V Rechtfertigung und Ethik bei Paulus<br />

nicht beziehungslos nebeneinander stehen. Bei genauerer Betrachtung<br />

kristallisieren sich im wesentlichen vier größere Begründungszusammenhänge<br />

heraus, 2 die sich ihrerseits allerdings nicht auf einen einzigen<br />

als den gesuchten Ansatz paulinischer Ethik reduzieren lassen. 3<br />

Neben einer sakramentalen Begründung der Paränese durch Hinweis<br />

auf die Taufe in 1Kor 6,11; 12,13; Gal 3,26 und vor allem Röm 6 finden sich<br />

eine christologische Begründung (z. B. Phil 1,27–2,18, aber auch 1Kor 11,1<br />

oder 2Kor 4,10), eine pneumatologische Begründung (vgl. Gal 5,25 oder<br />

das περιπατεῖν κατὰ πνεῦμα Röm 8,4), sowie eine eschatologische Be -<br />

gründung der Ethik (1Thess 5,1–10; Gal 6,3–5.7 ff.; 1Kor 6,1 ff.; 7,29–31;<br />

Röm 2,14 ff.; 13,11–14) 4 .<br />

In seinen paränetischen Ausführungen ist Paulus freilich weder<br />

inhaltlich hinsichtlich des Materials, noch hinsichtlich der Formen<br />

durchweg originell. In Röm 12 stoßen wir beispielsweise auf Spruchethik<br />

nach jüdischem Vorbild, während die Tugend- und Lasterkataloge<br />

etwa in Gal 5,16 ff.; 1Kor 5,10 f.; 6,9 f. – vermittelt durch das hellenistische<br />

Judentum – auf griechische Ursprünge, möglicherweise die Stoa zurückgehen.<br />

Neben Sätzen jüdischer Spruchweisheit und solchen aus der<br />

kynisch-stoischen Popularphilosophie (Phil 4,8) bietet Paulus außerdem<br />

(MThSt5). Marburg 1968. Die Untersuchung von Lorenz Nieder, Die Motive<br />

der religiös-sittlichen Paränese in den Paulinischen Gemeindebriefen (MThS.H 12),<br />

München 1956 leidet darunter, dass sie nicht Text für Text die paulinischen Motivationen<br />

nachzeichnet, sondern verschiedene paulinische Begründungen der<br />

Ethik teils nach formalen, teils nach thematischen Kriterien zusammenfasst (ebd.,<br />

VIII), was dem Charakter der paulinischen Briefe als Gelegenheitsschreiben widerspricht.<br />

2 Hierbei folge ich Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des NT. Eine Einführung<br />

(NTD ErgBd. 4), Göttingen 9 1978, 51–55. Etwas anders stellt Günther<br />

Bornkamm, Paulus, Stuttgart 2 1970, 211 sechs Leitgedanken heraus.<br />

3 Vgl. Merk, Handeln (s. Anm. 1), 232. Anders Nieder, Motive (s. Anm. 1), 145: „Das<br />

Hauptmotiv ist die durch Christus empfangene Liebe Gottes.“ Zur neueren Diskussionslage<br />

siehe auch Christof Landmesser, Begründungsstrukturen paulinischer<br />

Ethik, in: Friedrich Wilhelm Horn/Ruben Zimmermann (Hg.), Jenseits<br />

von Indikativ und Imperativ (WUNT 238), Tübingen 2009, 177–196; Hermut<br />

Löhr, zur Eigenart paulinischer Ethik, in: Friedrich Wilhelm Horn (Hg.), Paulus<br />

Handbuch, Tübingen 2012, 440–444.<br />

4 Während Paulus an den genannten Stellen mit Aspekten futurischer Eschatologie<br />

argumentiert, sind die ersten drei Begründungszusammenhänge insofern ebenfalls<br />

eschatologisch, als sie im gegenwärtigen Handeln Gottes verankert sind. Siehe<br />

dazu Anton Grabner-Haider, Paraklese und Eschatologie bei Paulus. Mensch<br />

und Welt im Anspruch der Zukunft Gottes (NTA NF 4), Münster 1968, 94 ff.

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