06.07.2022 Aufrufe

Ulrich H. J. Körtner: Theologische Exegese (Leseprobe)

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

82<br />

IV Vergebung!<br />

Schleiermacher versteht den Ausdruck Erlösung im Zusammenhang<br />

mit dem christlichen Glauben „nur bildlich“, bedeute er doch allgemein<br />

einen Übergang aus einem schlechten, als Gebundensein vorgestellten<br />

Zustand in einen besseren, wozu die Hilfe von einem anderen<br />

geleistet wird. Auf das Gebiet der Frömmigkeit bezogen, besteht der<br />

schlechte Zustand darin, „daß die Lebendigkeit des höheren Selbstbewußtseins<br />

gehemmt oder aufgehoben ist“ 2 . Schleiermacher gebraucht<br />

für diesen Zustand die Begriffe Gottlosigkeit oder, wie er lieber sagt,<br />

Gottvergessenheit, 3 welche freilich niemals als eine vollständige anzunehmen<br />

sei. Mit anderen Worten bedeutet Erlösung die Überwindung<br />

eines Zustandes, in welchem das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit<br />

gebunden bzw. gehemmt ist. 4<br />

Nun wird das fromme Selbstbewusstsein nach Schleiermacher<br />

durch den Gegensatz zwischen Sündenbewusstsein und Gnadenbewusstsein<br />

bestimmt. Letzteres schließt die Vergebung der Sünden,<br />

genauer gesagt das Bewusstsein der Sündenvergebung ein, wobei die<br />

Sündenvergebung freilich „an und für sich nur die Aufhebung einer<br />

negativen Größe ist und also keine Bezeichnung für die ganze Glückseligkeit<br />

sein kann“ 5 . Die Erlösung reicht demnach über die Vergebung<br />

bzw. das Bewusstsein der Sündenvergebung hinaus.<br />

Der Gedanke der Sündenvergebung ist für Schleiermacher in die<br />

Lehre von der Rechtfertigung des Sünders eingeschlossen, die auf Paulus<br />

zurückgeht. Genauer gesagt schließt die Rechtfertigung ein Doppeltes<br />

ein, und zwar zusammen mit der Sündenvergebung die Anerkennung<br />

des gerechtfertigten Sünders als Kind Gottes. 6 Paulus spricht dagegen<br />

auffälligerweise kaum von der Vergebung der Sünden. In der Bedeutung<br />

„vergeben“ verwendet Paulus das Verb ἀφίεμι interessanterweise nur in<br />

einem alttestamentlichen Zitat aus Ps 31,1 f. LXX (Röm 4,7). Auch sonst<br />

ist der Gedanke der Nichtanrechnung der Sünden traditionell. Paulus<br />

selbst geht aber theologisch weiter, wenn er die Sünde im Singular als<br />

der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, hg. v. Martin Redeker,<br />

Berlin 1960, 2 Bde., hier Bd. I, 74 (Leitsatz zu § 11).<br />

2 Schleiermacher, Der christliche Glaube (s. Anm. 1), Bd. I, 79.<br />

3 Vgl. ebd.<br />

4 Vgl. a. a. O., Bd. I, 80.<br />

5 A. a. O., Bd. II, 172.<br />

6 Vgl. a. a. O., Bd. II, 171 (Leitsatz zu § 109).

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!