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Blogtexte2022_1-Halbjahr_korrigiert

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Klinik oder Knast. Zahlreiche Menschen

fallen der Gesellschaft zur Last. Es werden

mehr? Dann machen wir als Gesamtheit

etwas falsch. Es nützt wenig, Spinner zu

beschuldigen und nicht wahrhaben wollen,

diese selbst wie Unkraut zu ziehen, wo wir

Nutzkräuter möchten. Unsere Bewertung

überfordert nicht wenige. Wir schmeißen sie

nur scheinbar aus dem Garten. Sie wuchern

nicht draußen oder landen im Müll. Es gibt

keinen alternativen Planet für sie.

Ich bin vom Fach. Der Künstler ist ein

Polizist ohne Staatsanwalt, Gericht oder Gefängnis,

wir decken auf und machen unsere

Wahrheit sichtbar. Wir lügen das Blaue nicht

vom Himmel. Wir verwenden Farbe, und

dann sieht man Wetter. Wo andere bislang

nur weiße Leinwand im Laden kauften,

nutzen wir diese. Wenn die Masse streamen

muss, singen wir noch selbst, schreiben uns

frei. Unser Theater ist besser. Wir schauen

hin und machen was daraus. Ich bin nicht

verrückt, stehe aber anders zum Ganzen.

Kunst kann nicht nach dem Motto verschoben

werden: „Ist das Kunst oder kann’s weg?“

Nur Dumme erkennen keine Unterschiede.

Oder eben die Narren, die bekanntlich nichts

fühlen oder merken. Was, wenn es mehr

davon gibt in unserer Gesellschaft, als gemeinhin

bekannt? Das wäre problematisch

für uns. Alle verrückt, wäre ziemlich scheiße.

Wie in Schilda etwa, würde Deutschland sich

selbst als Gemeinschaft verspielen, Geld

verlieren und noch den kollektiven Verstand.

Als Normalerkrankter mit Hexenschuss,

Schnupfen oder internistisch definierten

Problemen, nur als ein Beispiel, fällt das

Stigma, welches psychisch Gestörten anhaftet,

weg. Wir haben uns darauf verständigt,

psychische Krankheiten diagnostisch zu

benennen und verschiedene Einrichtungen

konzipiert, die als Anlaufstelle oder Ort der

Betreuung gesellschaftliche Notwendigkeit

geworden sind, wie viele andere Strukturen

unserer modernen Zivilisation. Die Welt

gestalten alle mit. Wir werden hineingeboren

und müssen die Umgebung zunächst

akzeptieren.

# Der eigene Platz zu leben, wie sieht er

aus?

Der gewöhnliche Mensch nutzt den Arzt,

geht selbst hin, kann im Krankenhaus

behandelt werden. Der psychisch Kranke

wird versorgt, aber nicht immer haben diese

Menschen noch die Fähigkeit, selbst zu

kontrollieren, wie das läuft. Dann greifen

die bekannten Strukturen. Mehr noch als

andere, erfährt der psychisch Kranke, welcher

aufgrund seiner Unfähigkeit, für sich

allein zu sorgen, zum abhängigen geworden,

unselbstständig ist, die Bindung an die

helfende Struktur. Das bedeutet für uns

alle, ein gesellschaftlich nicht ausreichend

begriffenes Problem geschaffen zu haben.

Wir können psychisch Kranke nicht gesund

machen, wenn wir diese führen, begleiten

und medikamentös einstellen, sondern

ihre verstörende Aktivität nur kanalisieren.

Wie aus einem natürlichen Flusslauf eine

künstliche Wasserstraße, formen wir aus den

Abnormen eher ein Material. Es bringt dem

Ganzen noch geringen Nutzen, beschäftigt

Menschen auf Arbeitsplätzen in der Medizin,

dem Gefängnis und anderen Sozialeinrichtungen.

Unsere Förderung erwirkt kaum die

Selbstbestimmung und natürliche Entwicklung

gesunden Lebens. Wir lassen die

auffällig gewordenen Menschen nicht mehr

los. Sie sind als Narren gescheitert, weil

sie nicht zu fühlen lernten, und wir lehren

sie nicht, es nachzuholen. Im Gegenteil, die

Pharmazie ermöglicht den Spezialisten, aus

einer an sich hilfreichen Medizin, die lebenslange

Bindung zu machen, die mancher Arzt

zu schätzen weiß, dem ein Patient anvertraut

wurde oder sich selbst offenbarte,

allein nicht klarzukommen.

Ist so einer zudem noch polizeibekannt, ist

es vorbei mit der respektierten Beziehung

zum Freund und Helfer. Der einfache Geist

der Ordnungshüter versagt in der Grauzone

von Krankheit und Straftat. Der Polizist ist

nicht mehr dein Freund in so einem Fall.

Der Arzt ist gleichwohl nicht der Kumpel,

dem wir uns anvertrauen. Der Arzt steht

zwischen der Gesellschaft und dem Kranken,

ein Freund steht an deiner Seite, das macht

den Unterschied. Es klafft eine Lücke zwischen

der Unmöglichkeit von Familie und

Freunden, Kranken zu helfen, die überfordert

sind, ihre Mitmenschen mitzunehmen und

dem Netz der Profis, welches die Sonderlinge

abfischt und im eigenen Bassin hält. Ein

Helfer ist nicht selten bindend im Anspruch,

die Hilfe auf genau seine Art aufzuzwingen.

Hilfe zur Selbsthilfe kann für den Narren als

solchen nur bedeuten, das Fühlen endlich zu

lernen (wie der erwachsene Analphabet gut

dran tut, sich nicht durchzumogeln, sondern

Lesen und Schreiben zu lernen).

# Narren werden ausgenutzt

Solange der Verrückte nicht gewalttätig ist,

macht er Spaß als unterhaltender Clown,

nicht wissend, einer zu sein. Das ist unsere

Gesellschaft, menschenverachtend. Darum

gibt es Suizide, darum gibt es Amok. Jeder

piesackt die anderen ein wenig, einige trifft

es mehr. Wir sind nicht gut, besser etwa als

im Mittelalter, wo noch Hexen verbrannt

wurden. Der Einzelne wird böse handeln,

wenn sich die Möglichkeit bietet, scheinbar

zu gewinnen. Zu lehren, dass materialistisches

Vorankommen nicht selten eine

existenzielle Seifenblase bedeutet, die

unerwünscht zerplatzt, könnten wir besser

machen. Wir sind nur so gut, wie wir durch

den Rahmen sein können, den das System

bildet. Einbildung macht dumm. Einige

kommen weit damit, besetzen gute Plätze.

Sie nutzen Stärke, ohne anzuerkennen, dass

nur die Umstände günstig waren. Emotional

könnte das Leben reichhaltiger sein, wenn

Menschen ihre Macht weniger missbrauchen

würden, sogar für diese selbst. Geteilte Kraft

dürfte nicht wenige voran bringen, die eifersüchtig

darauf hinwirken, stark zu scheinen.

Die Chance für den Einzelnen besteht darin,

die geistige Gesundheit als ein Geschenk

zu begreifen, weniger als eine Leistung. Das

ist sie nur für diejenigen, die diese bewusst

erbracht haben.

:)

Mai 21, 2022 - Ich sehe Wald und keine Bäume 87 [Seite 83 bis 87 ]

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