Blogtexte2022_1-Halbjahr_korrigiert
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wohl überall Sinn. Diese Idee, ob jemand
krank wäre und deswegen eine Regel bricht,
ist modern. Da schwingt gleich das Problem
mit, warum überhaupt jemand Mist baut?
Die Antwort ist scheinbar einfach. Wir
fragen uns, ob eine Tat nützlich sein könnte,
wenn sie nicht aufgeklärt würde, der Täter
also zum eigenen Vorteil handelte? Die
Gesellschaft nimmt eine Krankheit an, wenn
das nicht der Fall ist, und so entstehen die
Grenzfälle, wo ein Gutachter die Entscheidung
erleichtert. Eine wirkliche Antwort
ist es nicht, egal wie das Urteil ausfällt. Bei
häufig vorbestraften Gelegenheitstätern
scheint es so, dass diese ihr Leben nicht im
Griff haben. Da darf man schon fragen, worin
denn der Vorteil besteht, wenn diese Menschen
so weitermachen und immer wieder
in kleineren Delikten schuldig gesprochen
werden, ob das nicht doch eine krankhafte
Störung ihres normalen Funktionierens in
einer gesunden Gesellschaft ist? Handelt es
sich um kapitale Räuber, die buchstäblich
auch bereit sind, über Leichen zu gehen, findet
man es leichter, von Schuld zu sprechen.
Ganz offensichtlich gibt es Kriminelle, die
ihr Leben bewusst auf diese Weise gestalten
können. Der Vorteil besteht für sie darin, die
Regeln zu brechen und die Tat geschickt zu
verbergen. Die Grenze zum erfolgreichen
Geschäftsmann verwischt schon. Damit wird
deutlich, wie schwierig ein Leben sein dürfte,
das vollkommen redlich ist. Ein Mensch, der
überhaupt keine Regel bricht und dennoch
eine individuelle Persönlichkeit ist, dürfte
recht selten sein.
Unser Augenmerk müsste also
darauf liegen, warum Menschen
bescheuert werden und gegen
sich selbst handeln. Da könnten
wir leicht bemerken, dass der
Rahmen unserer Regeln viele
fertig macht, die unreif sind.
Kindern gewähren wir das
Recht auf Unselbständigkeit.
Das Problem ist bei denen, die
quasi nicht erwachsen werden,
obschon man keine Krankheit
erkennt. Das sind viele. Einige
von diesen Menschen erkranken
später tatsächlich. Ihre unrealistische
Einschätzung vom Drumherum bringt sie
dazu, zu viel zu essen, zu viel zu leisten oder
auf eine verstörende Weise psychisch zu
kollabieren. Man muss nicht alles aufzählen.
Aus dieser Not, das moderne Problem in den
Griff zu bekommen, wurde die psychosomatische
Sparte der Medizin definiert. Würden
wir den Anteil der Attraktiven in der Pubertät
erhöhen, bräuchten wir weniger Medizin
und könnten unsere Gefängnisse kleiner
halten. Wir probieren weiter, höhere Leistung
und bessere Schulnoten bei mehr Kindern
zu erzielen. Das ist der falsche Weg, solange
dabei übersehen wird, wie viele Menschen
naturgemäß nicht mithalten können und
es immer Bessere geben wird. Attraktivität
zu erhöhen, bedeutet nicht, die Leistung zu
verbessern, sondern Menschen zu helfen,
sich selbst anzunehmen. Einige werden immer
höher springen, schneller laufen, besser
rechnen oder geistreicher denken.
Bei uns in Deutschland und anderen Zivilgesellschaften
voller Wohlstand, im Vergleich
zu den armen Ländern des Planeten, ist das
Problem nicht, allen Zugang zu angemessener
Ausbildung zu gewähren wie es immer
heißt, sondern Menschen heranzubilden, die
überhaupt lernen können. Eine emotional
gefestigte Basis ist die Voraussetzung einer
guten Entwicklung. Wir haben zu viele Erwachsene,
die glauben, dass alles, was ihnen
zur Verfügung steht, aufgrund ihrer persönlichen
Leistung in ihrem Einflussbereich
liegt. Viele leben in der irrigen Annahme, sie
hätten die Karriere selbst allein geschafft.
Das stimmt schon deswegen nicht, weil sie
zu einer bestimmten Zeit an einem individuellen
Ort zur Welt gekommen sind. Die
zahlenmäßig eher kleinere Gruppe von Menschen,
die erst nach einer Flucht aus dem
Heimatland sesshaft wurden, kann schon
eher für sich in Anspruch nehmen, Dinge für
sich getan zu haben als welche, die in einer
guten Umgebung gestartet sind.
Man muss es nicht detailreich beschreiben,
um diesem Gedanken eine Basis zu
verleihen, dass wir immer Abhängige sind
und bleiben werden. Wir können nur lernen,
die Beziehungen zu wechseln, zu anderen,
die besser zu uns passen. Wir tun nichts
allein, sondern stets aus dem Umfeld heraus,
in dem wir uns befinden und getragen von
unserer eigenen Geschichte, die uns dorthin
führte, wo wir heute agieren. Da verwundert
es, dass viele aus einer gerade mal stabilen
Höhe auf andere Menschen hinabsehen, sie
wären eben ganz allein schuld am eigenen
Problem und sich das auch noch zu Nutze
machen, diese zu gängeln. Niemand tut
sich einen Gefallen damit. Der Ärger kommt
dann, wenn sich die Dinge anders entwickeln
als gedacht und der vermeintliche
Idiot sich wandelt
wie das Chamäleon,
fälschlich
als farblos oder
feige übersehen,
schließlich doch
obenauf brilliert
oder geschickt
unsichtbar wird
in der Natur und
uns verarscht.
Genauso der
hässliche Frosch,
der als verzauberter
Königssohn
aus sich zu uns
herausspringt. Daran sollte man immer
denken, wenn es leicht scheint, eine lästige
Kröte zu beseitigen, einen unnötigen Krieg
zu beginnen. Chancen werden zerstört, von
denen alle profitieren könnten. Ich gebe
es zu, diese Kröte gewesen sein zu wollen
und sehe auf den Staat als eine böse Macht,
Mitglieder der Gesellschaft abzustempeln,
statt diesen zu einer guten Entwicklung zu
verhelfen.
Soziale Institutionen und Ordnungskräfte
nutzen die intellektuellen Schubladen, die
der Mensch sich als Struktur geschaffen
hat, ohne aus diesen Kisten eine Treppe
mit Geländer zu zimmern. So werden nicht
wenige zu Gefangenen. Das sind die Denkweisen
einer Gesellschaft insgesamt. Wer
sich diese zu eigen macht, muss erst lernen,
Mauern zu überwinden, die für andere mit
langen Beinen der Weg nach oben sind. Für
unsereinen bedeuten sie nicht abgesenkte
Kantsteine, die unseren Rollstuhl stoppen.
Die Beine wurden uns früh so nebenbei
abgeschlagen. Ohne Gehhilfe im Gehirn
kommt der Mensch, dem es schwer fällt, sich
im Wohlstand zurechtzufinden, nicht weit.
Das jemanden erklären wollen, scheint ein
Ding der Unmöglichkeit. „Was hast du denn?
Dir geht es doch gut“, wird unser Gegenüber
sagen. Menschen sind Blinde. Sie sehen
Beine voller Muskeln wie ihre eigenen,
wo tatsächlich nur eine Hose mit Fantasie
gefüllt wurde, damit zu gehen. Zeigen wir
anderen, dass es nur ein Trick ist, verstehen
welche, die einfach so herumspazieren, es
nie. Einem Marsmenschen zu erklären, wie
wir atmen und warum es nötig sei, dürfte
ähnlich sein.
Darum bleiben (wir) Künstler immer allein,
selbst in der Gesellschaft der anderen. Läuft
es nicht so gut mit dem Erklären unserer
Darstellungen, stoßen wir dermaßen an die
Grenzen der Masse, dass wir von ihnen eine
Zelle bekommen, deren Mauern unüberwindbar
sind. „Red Bull verleiht Flügel“, ruft
der Knacki im Film und startet in die Freiheit?
Nähme ich die Flügel der Morgenröte
und baute mir eine Wohnung am äußersten
Meer! Einsam ist der freie Mensch, weil die
anderen so borniert sind und sich den Käfig
suchen und verstärken, wenn sie bereits
darin sind, viele überreden mitzumachen
und alles mit Brettern vernageln. So kommt
es mir vor.
# Meine kleine Welt
Um im Bild zu bleiben: Für einen (erwachsenen)
Künstler ist es nötig, einen Käfig
dabeizuhaben, den die anderen nicht sehen
können. „Wenn die anderen zuschauen, kann
ich es nicht“, mag ein Kind sagen, das gerade
ein Kunststück erlernt. Auf die Einleitung
zum „West End Blues“ angesprochen, sagt
Trompeter Norbert: „Im Keller zuhause geht
es.“ Ich erinnere mich an frühere Zustände,
die leider bis heute Teil meiner Gegenwart
sind und mit dem Wort Störung nur unzureichend
beschrieben sind; es ist, wenn mich
Dinge ärgern. Gegenstände scheinen ein
Eigenleben zu entwickeln an manchen Tagen
oder stundenweise. „Das war nicht ich!“,
sage ich dann wie ein Kind, und manchmal
schreie ich das vor Wut. Die Kunst besteht
darin, diese Zeiten irriger Realitätsumkehr zu
akzeptieren, ihre Dauer aber zu beherrschen
und normales Verhalten darauf folgen zu
lassen und entspannt zu schaffen.
:)
Apr 16, 2022 - Was hast du schon davon? 65 [Seite 64 bis 65 ]