Blogtexte2022_1-Halbjahr_korrigiert

06.07.2022 Aufrufe

halten, was flüchtig bleiben sollte. So künstlichist der Mensch. Man sagt etwas so dahin,will nur nett sein. Geschrieben bleibt es fürimmer: „Ich möchte, dass du weißt, dass ichfür dich da bin“, erweist sich als Floskel wie„einen schönen Tag wünsche ich dir“, wenngleicheine persönliche Mail tiefer geht undman es beim hingeworfenen Abschiedswortnicht wichtig nimmt. Wir können’s nichtallen recht machen! Einen Schluss zu finden,wird um so schwieriger, je weiter wir vonuns selbst entfernt sind. Jemanden dazuermuntern, über sich hinauszuwachsen, kannbedeuten, eine Person über die Umlaufbahnhinweg zu verlieren, von der ein Mensch dieheimatliche Erde noch erreichen kann.Mein Vater starb, nachdem meine Muttervom Krebs gefressen wurde, ich den Verstandverlor. Am letzten normalen Tag mit(der, dessen Name nicht genannt wird) liefenwir beide durch Blankenese zum Strand. Dawar nichts mehr normal zwischen uns. Diegegenseitig zur Schau gestellten Fassadenwaren durchsichtiger als je zuvor. Meinegefakte Freundin wollte nur noch weg, eshinter sich bringen. Bitter. Manches bleibthängen. Ich fragte: „Die Zahlen in deiner Adressesind das Geburtsjahr?“ Sie bestätigteund meinte, es müsse auch noch weg. Alleprivaten Hinweise müssten verschwinden.Dann weg, in das schottische Schattenreich,weiter und nie zurück: Die Ausbildung zum,ja ich frage mich: für was eigentlich?„Mein Vater hält ja auch nichts von derPolizei, wegen der Sowjetunion und derVerfolgung dort damals.“Ein gruseliger Tag, und der Anfang unendlicherAuseinandersetzungen mit densogenannten Erwachsenen aus Schenefeld.Das sind tumbe Helfer, mögliche Spuren zuverwischen, die dümmsten Trampel in einemanspruchsvollen Geschäft. Sie machen sichbis heute lächerlich. Diesen Weg gehe ichnicht mit, habe ich gedacht. Ich halte festdagegen mit all meiner Kreativität! Ich gehegenau in die andere Richtung. Ich schauedirekt in dein schönes Gesicht. In Russlandmuss man zu lügen nicht üben. Ich sehe aufdiesen Grund, und es ist der Blick in einenSpiegel: Du glaubst, du trennst dich, aber ichgehe nur den Weg weiter, den ich sowiesogehe. Das habe ich gedacht und kann esnicht vergessen.:)Mrz 12, 2022 - „Einige Ergebnisse wurden möglicherweise (...) entfernt“ 42 [Seite 40 bis 42 ]

„Bassi“ wäre neunzigheuteMrz 15, 2022Was macht krank,warum geht es mirheute gut? Ich kann das beantworten. Bessernoch, als dass ich gesund bin, ist dieses Wissen.Was kann ein Mensch tun, der ja nichtirgendwer ist; ich konnte mich optimieren,wie andere ihren Rennwagen oder das Bootfür eine Wettfahrt. Im Leben bestehen, aufder Bahn. Nicht aus den Schienen fliegen,wenn Fremde scheinbar die Macht über dasTempo haben. Es bedeutet, das Fahrzeugselbst zu lenken. Ich habe schon viele Regattengesegelt und einige gewonnen. Es hilft,darüber nachzudenken, wie es beim Segelnist, wenn Dinge nicht funktionieren undRatgeber versagen.Zu einer guten Regatta gehören die Regeln,wie diese zu segeln ist. Man vergleicht sichin einem abgesteckten Revier mit ganzbestimmten Booten. Da segeln nicht großeYachten gegen kleine Jollen, ohne dass einKenner wüsste, solche Vergleiche machenwenig Sinn. Gegen einen Großsegler wie die„Gorch Fock“ unter vollen Segeln, mit schönem,achterlichen Wind unterwegs, kann einkleines Segelboot nie gewinnen. Die Barkwird über den Atlantik segeln, wir fallen zurückund müssen bereits in der Elbmündungaufgeben, schaffen es nicht einmal heil überdie Nordsee auf den Atlantik raus. Dabei istalles unzureichend, um mithalten zu können.Wir haben nicht genügend Proviant, könnendem Seegang auf dem Meer nicht standhaltenund das Tempo, das unsere mickrigenkleinen Segel an Vortrieb erzeugen, reichtnicht. Wir können bei diesem Kräftemessennie gewinnen. Die Zeiten, als großeSegelschiffe unterwegs waren, kenne ichaus Beschreibungen meines Großvaters. Die„Pamir“ wäre ein 13-Knoten-Schiff gewesen,sagte er etwa, oder von der „Passat“ hättees geheißen, sie habe bei Flaute noch einFlappen ihrer Segel (in der Dünung) nutzenkönnen, wäre einem Konkurrenten davongesegelt. So im Leben: Der Mensch vergleichtsich mit anderen. Für manche stehtdie Anerkennung und nicht das verdienteGeld an erster Stelle. Wir möchten nicht vonElefanten bewundert werden, sondern einenPlatz in der menschlichen Gesellschaft erringen.Auch welche, die meinen, das sei garnicht so wichtig, ertappt man dabei, auf denApplaus zu schielen.Ich weiß noch, wie es Piet gelang, dauerhaftschneller zu werden. Anfangs waren meinMitsegler Henning und ich ihm überlegen,aber auf einer Jahresauftaktregatta schafftePeter nach etlichen Anläufen einen Durchbruchin Lee. Wir hatten vomStart weg auf ihn gesegelt,da wir nur mit zwei H-Jollenangetreten waren in einerWettfahrt, die eine bunteMischung verschiedenerBootstypen darstellte. Mitwelchen Großen wir zusammenstarteten, interessiertenicht. Wir beide mit unserenJollen umkreisten einanderschon vor dem Start wie dieGegner im America’s-Cup.Es ging elbab bis irgendwoPagen und dann zurück.Keine anspruchsvolle Sachein der Meisterschaft, einfachnettes Regattasegeln undganz früh in der neuen Saison.Wir lagen mit unseremBoot gleich vorn, hatten denStart am Yachthafen besserhinbekommen, aber Pietwar auf Rufweite bei uns. Wir kreuzten dichtzusammen Schlag um Schlag gegen leichtenwestlichen Wind an der Nord. Mit meinerneuen Clownfock liefen wir gut, Henningschotete, wenn der Wind nachließ aus derHand, und Peter griff zwar an, blieb aberohne wirkliche Chance. Weiter elbab kamenwir sogar deutlich weg von ihm und warenübermütig, guter Laune. Das Jahr schien gutanzufangen.Die letzte Saison war erfolgreich verlaufen.Wir erwarteten, daran anzuknüpfen. Pietist ein wenig jünger als ich, und zunächstkonnte ich ihn leicht schlagen mit meinerErfahrung aus dem Pirat. Wir haben beidedas Boot unserer Väter jeweils zum eigenenmachen können. Bassi, der am heutigen Tag,wo ich diese Zeilen tippe, neunzig gewordenwäre, hat sich seine Jolle 1955 bei Feltzbauen lassen und später verkauft, als meineSchwester geboren wurde. Ich holte unserBoot mit dem Kauf also wie zurück in dieFamilie, und Peter hat anfangs bei seinemVater mitgesegelt, sein Schiff daraus gemacht,als er alt genug gewesen ist und Adjegern kürzer getreten ist für seinen Sohn.Diese Auftakt-Regatta irgendwann, bedeutetefür Piet, mich von diesem Tag an immerwieder schlagen zu können. Er gewann dieseeine, kleine Wettfahrt schließlich. Danachkam er auch in der Meisterschaft nach ganzvorn. Mein Stern sank, im Alltag scheiterteich auch. Das Segeln verbindet Peter undmich wie damals. Ein gutes Beispiel, findeich, dass Siege zu erkämpfen oder ebennicht, im Sport anderes bedeuten als die Demütigung,sich selbst zu schaden (und nichtzu wissen wie) im Leben an sich. Wir fingengemeinsam in der Klasse an, und anfangswar ich besser gewesen. Diese eigentlichunbedeutende Regatta, von der ich schreibe,wurde ein Wendepunkt in mancherleiHinsicht. Es hat sich gezeigt, dass der Sportdas eine ist, das Leben anderes; und ichhabe einen Freund behalten, nachdem meinLeben insgesamt scheiterte. Regatten konnteich nicht mehr siegreich abschließen. Esgeriet zur gleichen Zeit alles daneben undzerstörte viele Träume.Nachdem wir irgendwas bei Pagensand(oder vor Bielenberg) gerundet hatten, liefenwir wohl mit einem nördlichen Wind elbauf.Doch ungefähr am Kleinen Kohn gelang esPeter, uns im geringen Abstand in Lee zuüberholen. Da war nichts mehr zu machen.Er ist einfach schneller gewesen. Es ginggeradeaus, und die Kunst für ihn hatte darinbestanden, den Anschluss nicht zu verlieren,nie aufzugeben. In einem Moment, woich mir die Frechheit auf ihn abzufallennicht erlauben durfte und vielleicht mürbegeworden bin, brach er einfach durch. Ichweiß noch, wie klar wurde, dass seine Fockfreien Wind vor unserem Bug bekam, erleicht hochziehen konnte und die sichereLeestellung, wie Curry es nennt, zu wirkenbegann. Er wurde nun deutlich schnellerund zog beharrlich weiter leicht, ja kaummerklich hoch. Die Jolle raste wie doofnach vorn! Ich erinnere seinen Ausruf indiesem Moment, ein triumphierendes: „Ja!“oder ähnlich – und das war’s nicht nur fürdiese Wettfahrt. Er schien nun mit jedemMeter schneller zu werden. Schon unter denHochspannungsmasten hatte die „Herz Jung“eine beträchtliche Entfernung rausgesegelt.Wir fielen immer mehr zurück. Das hattegar nichts mit irgendwelcher Taktik nochzu tun. Ich steuerte einfach schlecht – undhatte mich aufgegeben. Wir kamen eine guteMeile zurück liegend nach ihm an.Das war nicht nur das Segeln, auch der Beginndieser Jahre, in denen mein Leben insgesamtjeden Kurs verlor und ich von nun ankrank gewesen bin. Auf dem Wasser konnteich nur im Ausnahmefall noch gut Regattasegeln, jedenfalls blieben Henning und ichbeinahe immer hinter Peter zurück. UnsereFreundschaft hält bis heute, muss dazugesagt werden. Peter ist einer der Menschen,die sehr viel Geld verdienen. Er beantwortetübrigens jede E-Mail umgehend, meinFreund; das nur als Hinweis für welche, dieeingebildet sind. Davon gibt es ja einige.Viele denken, jemand habe ein schnellesBoot, wenn ein Sieger die Regatta gewonnenhat, aber ein Schiff zu trimmen, dass es läuft,ist das eine, schließlich entscheidet Taktiküber das Ergebnis im Ziel. Ich fragte Pietspäter einmal, warum das Boot, das unterAdje nie den Ruf hatte, ungewöhnlich zulaufen, nun so rast. Sein Vater hatte die Jollebesonders auf der Alster, durch legendäreMrz 15, 2022 - „Bassi“ wäre neunzig heute 43 [Seite 43 bis 44 ]

halten, was flüchtig bleiben sollte. So künstlich

ist der Mensch. Man sagt etwas so dahin,

will nur nett sein. Geschrieben bleibt es für

immer: „Ich möchte, dass du weißt, dass ich

für dich da bin“, erweist sich als Floskel wie

„einen schönen Tag wünsche ich dir“, wenngleich

eine persönliche Mail tiefer geht und

man es beim hingeworfenen Abschiedswort

nicht wichtig nimmt. Wir können’s nicht

allen recht machen! Einen Schluss zu finden,

wird um so schwieriger, je weiter wir von

uns selbst entfernt sind. Jemanden dazu

ermuntern, über sich hinauszuwachsen, kann

bedeuten, eine Person über die Umlaufbahn

hinweg zu verlieren, von der ein Mensch die

heimatliche Erde noch erreichen kann.

Mein Vater starb, nachdem meine Mutter

vom Krebs gefressen wurde, ich den Verstand

verlor. Am letzten normalen Tag mit

(der, dessen Name nicht genannt wird) liefen

wir beide durch Blankenese zum Strand. Da

war nichts mehr normal zwischen uns. Die

gegenseitig zur Schau gestellten Fassaden

waren durchsichtiger als je zuvor. Meine

gefakte Freundin wollte nur noch weg, es

hinter sich bringen. Bitter. Manches bleibt

hängen. Ich fragte: „Die Zahlen in deiner Adresse

sind das Geburtsjahr?“ Sie bestätigte

und meinte, es müsse auch noch weg. Alle

privaten Hinweise müssten verschwinden.

Dann weg, in das schottische Schattenreich,

weiter und nie zurück: Die Ausbildung zum,

ja ich frage mich: für was eigentlich?

„Mein Vater hält ja auch nichts von der

Polizei, wegen der Sowjetunion und der

Verfolgung dort damals.“

Ein gruseliger Tag, und der Anfang unendlicher

Auseinandersetzungen mit den

sogenannten Erwachsenen aus Schenefeld.

Das sind tumbe Helfer, mögliche Spuren zu

verwischen, die dümmsten Trampel in einem

anspruchsvollen Geschäft. Sie machen sich

bis heute lächerlich. Diesen Weg gehe ich

nicht mit, habe ich gedacht. Ich halte fest

dagegen mit all meiner Kreativität! Ich gehe

genau in die andere Richtung. Ich schaue

direkt in dein schönes Gesicht. In Russland

muss man zu lügen nicht üben. Ich sehe auf

diesen Grund, und es ist der Blick in einen

Spiegel: Du glaubst, du trennst dich, aber ich

gehe nur den Weg weiter, den ich sowieso

gehe. Das habe ich gedacht und kann es

nicht vergessen.

:)

Mrz 12, 2022 - „Einige Ergebnisse wurden möglicherweise (...) entfernt“ 42 [Seite 40 bis 42 ]

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