Blogtexte2022_1-Halbjahr_korrigiert

06.07.2022 Aufrufe

# Dieser Text?Namen wie verpixelte Gesichter in denNachrichten: Die Wahrheit ist tatsächlichdahinter. Es wurden keine Schauspieler engagiert.Nicht wenige Menschen, die es wirklichgibt, sind oder werden psychisch krank.Das sollte nicht verdrängt werden. Wir wollenes nicht, das geschieht, ist menschlich.Manche tun bloß so erwachsen. In Schenefeldgibt es ja junge Leute wie früher inWedel oder Osdorf, wo meine Freunde Piet,Niels, Tascha und Kocki aufgewachsen sind.„Was ist denn aus den ,Tollen‘ geworden?“fragte Piet mal und zählte auf, wer in derSchule gut und beliebtgewesen war. Absturzunerwartet? Einigesändert sich, wenn dieSchule aus ist, und dassei jungen Menschenangeraten, aufmerksamzu bemerken.Ich glaube nicht, dasspsychisch Kranke zwingendin die Obdachlosigkeitrutschen. Es istaber bekannt, dass manchelatent psychotischoder manisch werden, und diese haben esschwer. Selbst der Psychiater äußerte sichabfällig über meinen Freund (den anderen)mir gegenüber. Im Nachhinein fies, findeich. „Bei Ihnen ist es nicht so, Herr Bassiner“,meinte der Arzt. Der unterhielt sich ebengern über Kunst. Der Psychiater malte auchein wenig und spielte im Orchester dieGeige hobbymäßig. Während der Therapie,die ein lockeres Plaudern bedeutete, riefenimmer wieder Patienten in der Praxis an,und man stellte die Gespräche durch. „GehenSie mal um den Block, Frau Soundso“, meintemein Doktor, „das beruhigt“ und probierte,diese Patienten aus unserer Sitzung herauszuhalten.Das heißt Therapie? Es hat michnicht gesund gemacht, und vielleicht binich noch immer krank? Weiß ich ja nicht. Ichgehe nie zum Arzt, vertraue auch anderenSpezialisten nicht, nachdem mir einer unterdem Vorwand „Darmkrebs“ einige Zentimeterrausschneiden wollte. Das ist nur ein Geschäft– und mit denen, die irgendwann malin der Klappse waren, könne man’s machen,denken nicht wenige?# Mir geht’s gut, und Björn ist totDas waren einige wenige Jahre, ich bin nochStudent gewesen, die ich diesen Freundhatte. Ich fing im Sommer 1985 an derArmgartstraße an, schloss ’91 mit Diplomab. Björn segelte mit uns, mit seinem Bootund auch als Vorschoter bei mir, wir machtenviel zusammen. Einmal war reichlich Wind,als wir beide vor Brokdorf beschlossen, dasswir den Spinnaker wohl tragen könnten.Wir donnerten damit die ganze Elbe raufbis zum Yachthafen in Wedel. „Jonni, derSchwerwettersegler“, anerkannte Piet das.Mich bestärkte Björn darin, es zu können.Ich sah auf den Mast, und der bog sich nachvorn in jeder Bö. Die Jolle begann ständig zurutschen. Wir kamen aus dem Gleiten kaumeinmal raus. Fontänen standen seitlich, undich hatte noch nicht gelernt, etwas mehrSchwert zu geben. Das Boot geriet dauerndins Geigen. Mich überzeugte der ruhigeBjörn. Wir glichen also entspannt aus undsausten wie eine Rakete heimwärts. MeinMitsegler schien an diesem Tag keinerleiAngst zu kennen. Er sagte auf der ganzenHeimreise vielleicht zwei, drei Sätze. Diedrückten nur aus, wie selbstbewusst und gelassener wäre. Ich habe das geglaubt. Björnwird es an diesem Tag genauso empfundenhaben, wie er sich gab. Er war ja ein wenigälter, ein Mann eben – und ich nur Student.Einmal rundeten wir an einem schönen TagHanskalb. Diesmal ist es ganz flau gewesen.Als wir vor Blankenese um den Sand abbogen,knatterte ein großer Militärhubschrauberüber uns südöstlich durch. Das sei seinVater, der „überwache uns und wäre beimBND“, meinte Björn so überzeugend, dass ichmir nicht viel dabeigedacht habe.Dieser Vater war ineinigen Vereinen,glaube ich, auchbeim DSV mischte ergewichtig mit. Manmuss ihn sich alsRespekt heischenddenken, jedenfallsein dünner Hänflingund Malschüler aneiner Kunstschulewie ich empfanddas so. Die Mutter erinnere ich lieb, und beiMorten ist diese Konstellation genauso, dasnur nebenbei.Eltern spielen eine Rolle, wenn die Kinderseltsam werden. Heino, der Sänger, hatteeine Tochter, die sich umbrachte, heißt es.Bei dem Fußballreporter Waldemar Hartmannwäre ein Sohn krank, las ich einmal,und das hat mir immer geholfen: Ich möchtenicht das Kind von einem dieser Prominentensein, das spürte ich. Sie erinnern michzu sehr an die Väter von Morten oder Björn.Natürlich gibt sich der bekannte Schlagersängeranders als der prominente Sportreporter.Worin habe ich die Gemeinsamkeitvon vier Männern gesehen, die ich mehroder weniger beobachten konnte und dieKinder dazu?Schwer zusagen, jedermache sichselbst einBild von „starken“Väternmit psychischkrankenKindern. MeinErich ist ganzanders zuerinnern, aber meine Mutter manipulierte.Vielleicht lebe ich deswegen noch? Gretaglaubte, Björn habe einen „Bornavirus“ gehabt,das käme von Pferden und mich damitangesteckt. Da ist sie die Einzige gewesen,die das meinte. Sie las ein Buch und sagte,es wäre von einem, der hieße Gottesmann,ein Fachmann für psychische Krankheiten.Das war der Beitrag meiner Mutter, und siekümmerte sich, wenn es mir schlecht ging.Mein Vater hat sich nicht ein einziges Malüberwinden können, meine Probleme, diescheinbar mein gesamtes Leben und jeglicheZukunftsplanung zerschossen hatten,ernsthaft zu besprechen. Ich habe die Altengepflegt, ihr Sterben begleitet, ja buchstäblichorganisiert. Ich lernte, unser Geld zuverwalten, Miete nach Köln zu verfüttern,Verträge auf den Weg bringen. Der Blödebin ich gewesen, gutgläubig eben. MeineSchwester meint, ich hätte meine Elterngehasst. Das sagte sie mal. Tatsächlichverachte ich sie und unsere, mir verbliebeneFamilie in der Idemöllerstraße, Blankenese,Oberursel und Köln, aber meine Eltern? Manhat ja nur diese und sucht sich’s nicht aus.Ich rede kein Wort mit ihnen, denen es nurums Geld und perverse Eitelkeiten ging.Ihre Leben dürften gesünder verlaufen inmindestens einer Armeslänge Abstand vonmir. Es gibt keinen Kontakt, und das bleibtso; unbelehrbar stolz bin ich auf alles, wasich gelernt habe wegzuhauen aus meinemLeben.# Sweet Charity Hope Valentine„Daddy started out in San Francisco, tootin’on his trumpet loud and mean“, aber es istdas Rauchen gemeint: Einmal waren Imkeund ich mit Björn zum Jazz. Das war zu derZeit, wo „Musical-Projekt“ an Fahrt gewann.Wir suchten eine Band. Die Merrytale spieltearrangiert nach Noten mit zwei Trompeten.Nicht das gewöhnliche Getute der Amateure.Vielleicht ließen sich hier Musiker für„Sweet Charity“ finden, das wir bereits imAmerika-Haus mit Coach Eric Emmanueleprobten? Wir sind in der „Fabrik“ und mancherLocation unterwegs gewesen. TrompeterJochen war scharf auf meine Freundin?„Kommt doch mal in den Cotton Club“,schlug er vor. So bekamen wir mit, wie derrenovierte Keller fertig wurde, der Containerauf dem Großneumarkt ausgedient hatte.Was macht die Amerikanerin?“, fragte erspäter regelmäßig, wenn ich allein kam. Erhat sie auch bei Eric im Shop besucht, aberes wurde nichts draus, glaube ich. Jochen istälter gewesen, deutlich, und Imke ging mitRick nach Kalifornien, heiratete aber Ingo,ließ sich scheiden von ihm und ist wirklichAmerikanerin heute.Mit Jochen, Björn und Imke erinnere ich,wie wir im Cotton-Club sind. In den Pausenund auch noch zum Schluss weit nachMitternacht. Wir saßen am Ende der langenHolztheke, die den Gangan der Wand gegen denunteren Bereich mit den Tischenbegrenzt, dem Platzfür die Band. Jochen standdie Stufe tief, und die Eckebesetzten wir drei mit ganzunterschiedlichen Ambitionen,glaube ich. Björn wargar nicht ernst zu nehmen.Der fingerte wie ein Kindan Jochens Trompete rum,ein Spielzeug? Der Musikerließ ihn gewähren und hatte nur Augen fürImke. Ich dachte, wir hätten hier das Ziel,eine Kapelle für die Aufführung zu finden?Als Björn probierte, in das Instrument zublasen, nahm der Trompeter unspektakulär,ohne ihn ernst zu nehmen, das Mundstückab und steckte es in die Tasche. Zum Schlusswaren alle Absichten klar: Jochen kam beiImke nicht voran, wir fanden in den altenMännern kein Orchester für unser Projekt,und Björn würde nicht was tuten dürfen, nie.Wir fuhren gemeinsam zu dritt mit meinemroten Passat nach Hause. Björn redetedie ganze Zeit dummes Zeug. Imke und erkannten sich gar nicht. Das war gekommen,wie sich Menschen eben aus verschiedenenBekanntschaften für nur einen Abend verabreden.Nächtliche Heimreise über die Elbchaussee,oben am Fluss entlang. Unterwegs inMrz 6, 2022 - Schöne Zeit! 36 [Seite 34 bis 37 ]

meinem ersten Auto. Wir sausten mit Blickauf das von den Scheinwerfern der Industrieam Hafen glänzende Wasser, schließlichdurch Blankenese und weiter nachWesten bis Wedel. Ich fuhr undwar deswegen nüchtern geblieben,hatte in der gesamten Zeit allenfallsein einziges Bier getrunken.Wir sollten ihn in der Altstadt absetzen.Ich glaube heute, der Vaterfinanzierte die kleine Wohnung.Wir parkten am Roland, etwa vordem Hotel von Imkes Opa. (Fraukemöge mir diese Details verzeihen).Das ist so lang her. Nachdem esschon zu fortgeschrittener Zeitgewesen war, so drei Uhr morgens,probierten meine (beste) Freundinund ich, den Verwirrten (endlich)zum Aussteigen zu bewegen. Dieszog sich wohl beinahe eine Stundehin. Der brabbelte die ganzeZeit, und heute würde ich sagen,vollpsychotisches Gerede ohneSinn. Das kannten wir noch nicht.Liebevoll wie hartnäckig versuchten wir, seineLaunen, neue Themen anzuschneiden, dienoch gesagt werden müssten, dahingehendzu beeinflussen, endlich aus dem Auto zuklettern. Wir schafften das dann. Wir sahenihm nach, als er ins Dunkle verschwand,womöglich in seine Bude schlafen ging. Daswar uns nun sehr egal. Vollkommen irritiertund müde sind wir anschließend in dieBahnhofstraße gefahren. Wir wohnten beiunseren Eltern in unmittelbarer Nachbarschaft.Eine schöne Zeit!:)Mrz 6, 2022 - Schöne Zeit! 37 [Seite 34 bis 37 ]

meinem ersten Auto. Wir sausten mit Blick

auf das von den Scheinwerfern der Industrie

am Hafen glänzende Wasser, schließlich

durch Blankenese und weiter nach

Westen bis Wedel. Ich fuhr und

war deswegen nüchtern geblieben,

hatte in der gesamten Zeit allenfalls

ein einziges Bier getrunken.

Wir sollten ihn in der Altstadt absetzen.

Ich glaube heute, der Vater

finanzierte die kleine Wohnung.

Wir parkten am Roland, etwa vor

dem Hotel von Imkes Opa. (Frauke

möge mir diese Details verzeihen).

Das ist so lang her. Nachdem es

schon zu fortgeschrittener Zeit

gewesen war, so drei Uhr morgens,

probierten meine (beste) Freundin

und ich, den Verwirrten (endlich)

zum Aussteigen zu bewegen. Dies

zog sich wohl beinahe eine Stunde

hin. Der brabbelte die ganze

Zeit, und heute würde ich sagen,

vollpsychotisches Gerede ohne

Sinn. Das kannten wir noch nicht.

Liebevoll wie hartnäckig versuchten wir, seine

Launen, neue Themen anzuschneiden, die

noch gesagt werden müssten, dahingehend

zu beeinflussen, endlich aus dem Auto zu

klettern. Wir schafften das dann. Wir sahen

ihm nach, als er ins Dunkle verschwand,

womöglich in seine Bude schlafen ging. Das

war uns nun sehr egal. Vollkommen irritiert

und müde sind wir anschließend in die

Bahnhofstraße gefahren. Wir wohnten bei

unseren Eltern in unmittelbarer Nachbarschaft.

Eine schöne Zeit!

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Mrz 6, 2022 - Schöne Zeit! 37 [Seite 34 bis 37 ]

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