06.07.2022 Aufrufe

Blogtexte2022_1-Halbjahr_korrigiert

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Klappe!

Feb 11, 2022

Aus der Zeit als mein Sohn noch kleiner war,

aber schon so groß, mit mir ein Steak unter

Männern zu essen, erinnere ich einen Abend

am Tresen in Othmarschen. Das Block House

ist am Bahnhof. Es war recht voll. Unser Besuch

dort ist lang vor dem nun alles bestimmenden

Virus gewesen. Wir bekamen einen

Platz ganz rechts am gebogenen Rand einer

Theke, wo man auf Barhockern nebeneinander

Platz nimmt. Links von mir, ich erinnere

es noch, waren ein oder zwei Plätze belegt,

rechts saß mein Großer, und dann blieb wohl

eines der extra höheren Stühlchen leer. Der

Fußboden ist stufig angehoben, je weiter

man in diese Ecke kommt. Das erweckt mit

kleinen Fenstern nach draußen

den Eindruck, im Séparée

zu dinieren – obschon

einige Gäste unterkommen.

Eine größere Kapitänskajüte,

der Bereich für Unangemeldete

oder Stammgäste, wo

immer mindestens ein Platz

frei ist. Die gute alte Zeit vor

der Pandemie: Es gab noch

keine Aerosole. Dicht an

dicht lebten wir Fleischfresser

früher. In der Ecke hatte

eine alte Dame scheinbar

ihren Stammplatz. Eingenistet,

aber nicht eingemottet:

Ein frisches Inventar, aufgetakelt wie ein

besonderes Gewächs, gab sie eine gealterte

Diva. Die lebhafte Seniorin unterhielt den

gesamten Bereich mit

fröhlicher Selbstdarstellung.

Rundherum war

alles dicht besetzt;

Tische gedrängt in

Nischen, und Menschen

drängten

sich in den Ecken

des gemütlichen

Restaurants.

Beschreibung: An

der Wand hängen

Jacken, Mäntel,

eine kleine Garderobe

steht auch

noch dazwischen.

Es ist Schmuddelwetter

draußen.

Kleine Lampen

verbreiten warmes Kneipenlicht, aber

gehoben ist das Ambiente; schön

dekoriert. Gäste gehen, andere kommen

und Biergläser glänzen, goldig

gefüllt. Werbung, Speisekarte, alles

folgt dem Konzept moderner Verkaufsstrategie.

An jedem Platz liegt

ein bunt bedruckter Papierbogen, auf

dem das Essen platziert wird. Die

Steaks haben grobkörnigen Pfeffer

drauf, der bekannte Salat; wer diese

Restaurants mag, kommt hier voll auf

seine Kosten. Dem Gast wird serviert,

was der typische Kunde denkt, genau

hier zu erleben. Maßgeschneiderte,

auf die Zielgruppe konzentrierte Abspeisung

– in flottem Tempo versteht

sich. In einem Block House habe ich

noch nie schlecht gegessen, wurde

immer und ausnahmslos freundlich

und humorvoll bedient. Das ist nicht

als verdeckte Werbung hingeschrieben.

Mir gefällt als Sohn eines Einzelhändlers

die gelungene Präsentation in

zahlreichen Dependancen. Das dürfte nicht

ganz einfach sein.

So war das, wie gesagt vor Corona, und ich

gehe schon lang nicht mehr ins Restaurant,

bin weder zwei, noch drei, sondern nur

„Gar-kein-G“. Noch hat mich das Virus nicht

erwischt. Oder doch? Dann war ich krank,

ja vielleicht bin ich es gerade und weiß es

nicht. Jeden Tag, wenn ich am Testzentrum

vorbeigehe, stehen Menschen an. Manchmal

ist die Schlange auf der Hühnerleiter vorm

Staddi so lang, dass Leute in Schulklassenstärke

draußen auf der Treppe auf den Test

warten. Sie wollen wissen, ob sie krank sind?

Das muss ja eine schlimme Seuche sein, die

uns von der Arbeit befreit, und dass noch auf

Anweisung von oben. Man merkt nix, aber

das Gerät

beweist,

wie nötig

alles ist,

was wir

tun.

Mein Spott

ist unsolidarisch,

natürlich.

Ich bin zudem

noch

penetrant,

rede, bis

andere

genug davon haben. Ich weiß das. Dazu

kommt, ich schneide einige Mitschenefelder

komplett, sage hier nun wieder gar nichts,

nicht einmal guten

Tag und wechsle

die Straßenseite,

um ihre blöden

Fressen nicht

anschauen zu

müssen. Hassbeziehung:

Ich ätze,

bin Spinner und

gehe einigen auf

die Nerven, verärgere

nicht wenige

– und rege wieder

andere an, sich

weidlich darüber

zu amüsieren, mich

verarschen zu können.

Das ist mein

Spiel. Das habe ich

mir ausgedacht.

Die alte Dame im Block House hat mitgeholfen,

diese Strukturen zu kreieren, in denen

ich mich heute auskenne. Der Mensch konstruiert

sich seine Umgebung, die zunächst

ein Chaos darstellt. Er suchte Höhlen, die

ihm Schutz gegen das Wetter geben konnten

und verfeinerte diese bis hin zum modernen

Restaurant mit Service. So ist es auch

mit unserer Erwartung von dem, was uns

draußen erwartet. Wir informieren uns über

die Wetterlage, und wir versuchen herauszubekommen,

was andere über uns denken.

Das hilft, sich zurecht zu finden. Letztlich

weiß keiner, warum unser Hiersein auf dem

blauen Planeten nötig ist oder doch?

Heute Morgen stand ein heller Lichtpunkt

über dem Dach im Südosten, als ich früh

zur Zeit bereits beginnender Dämmerung

ins Atelier kam. So hell habe ich die Venus

noch nie gesehen. Es war leicht zu googeln.

Tatsächlich, morgen, am zwölften Februar,

erreicht dieser Planet seine größte Helligkeit

in dieser aktuellen Phase. Ich hatte mich

nicht getäuscht, das ist die Venus, die ich

sah. Oder nicht? Ich verlasse mich auf die

Suchmaschine, die Webseite der Sternwarte

Bochum, die zufälligerweise oben in der Liste

der Ergebnisse informiert, was im Februar

am Himmel passiert. Es wird wohl stimmen.

Ich habe diesen schönen Morgenstern schon

oft beobachtet. Ich weiß ihn auch am Abend

zu erkennen. Mehr Licht geht nicht. Die

anderen können nicht mithalten, wenn die

Venus erstrahlt. Dabei ist dieser Planet nur

als Sichel unterwegs, weil der aufregende

Wandelstern innen zur Sonne seine Bahnen

nimmt. Hell wie ein Flieger im Landeanflug

auf Fuhlsbüttel, mehr sogar. Wenn man

nicht informiert ist, bleibt diese Angst, es

könnte auch etwas anderes sein, das droben

aufleuchtet, und vielleicht droht Gefahr?

Ein schnell näher kommender Meteor, der

in wenigen Stunden alles Leben auslöschen

könnte, das müsste ähnlich aussehen. Habe

ich gedacht, heute Morgen. Google beruhigt

irgendwie. Du stellst eine Frage und weißt

gleich mehr.

Manche sind so klug und halten immer die

Klappe. Sie machen alles mit sich selbst aus.

Andere schweigen dickfellig, lassen dich

hängen wie Kalle, wenn die größte Not zum

Fragen zwingt. Und ich schweige erst heute,

weil ich das scheinbar später gelernt habe

als andere, die Schotten dicht zu machen.

Mit Christiane rede ich kein Wort mehr, und

sie tut es mir gleich. Ihr letzter Versuch

(verzagt und probeweise) „… hallo John“

zu sagen – das liegt Jahre zurück. Ich bin

Feb 11, 2022 - Klappe! 15 [Seite 15 bis 16 ]

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!