Ausgabe 203
Magazin mit Berichten von der Politik bis zur Kultur: ab 2022 vier Mal jährlich mit bis zu 170 Seiten Österreich.
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ÖSTERREICH JOURNAL NR. <strong>203</strong> / 04. 07. 2022<br />
Kultur<br />
165<br />
arabischen Herrschaft. Die Korrespondenz<br />
bezeugt einerseits, daß vorerst die byzantinischen<br />
Verwaltungsstrukturen bestehen blieben,<br />
andererseits ist die Unsicherheit der<br />
griechisch-sprachigen Amtsträger bezüglich<br />
der Vorgangsweisen der arabischen Militärs<br />
spürbar. In diesem Brief teilt der Distriktvorsteher<br />
Athanasios seinem Untergebenen Se -<br />
nuthios mit, daß auf Anordnung eines Emirs<br />
die Kopfsteuer eingeführt wurde. Diese neue<br />
Steuer, die alle Männer über 14 Jahren belastete,<br />
läßt den Distriktvorsteher befürchten,<br />
daß die Steuerzahler aus Angst vor der neuen<br />
Steuerlast ihren Wohnsitz aufgeben. Athanasios<br />
bittet daraufhin Senuthios, den Dorfvorstehern<br />
Befehle zu erteilen, die Grenzen und<br />
die Häfen seines Distrikts zu kontrollieren,<br />
damit niemand der neuen Steuer entkommen<br />
kann. Die Kontrollmaßnahmen betreffen aus -<br />
drücklich nicht nur die einfache, ländliche<br />
Bevölkerung, sondern auch die Kauf- und<br />
Geschäftsleute der Hauptstadt des Distrikts,<br />
Hermupolis.<br />
Freilassungsbefehl für einen Winzer<br />
Griechisch – Hermopolites,<br />
ca. 643/644 n. Chr., Papyrus<br />
Auch dieses Schriftstück gehört dem<br />
Dos sier des Senuthios an. Die Araber benötigten<br />
regelmäßig Arbeitskräfte für verschiedene<br />
Bauarbeiten, in den ersten Jahren nach<br />
der Eroberung insbesondere für den Bau der<br />
neuen ägyptischen Hauptstadt al-Fusṭāṭ (Alt-<br />
Kairo). Diejenigen, die konnten, versuchten,<br />
diesen Zwangsarbeitsleistungen zu entkommen,<br />
indem sie auf die Intervention einflußreicher<br />
Personen innerhalb oder außerhalb<br />
der Verwaltung zurückgriffen. Im vorliegenden<br />
Fall muß ein Rechtsanwalt namens Kolluthos<br />
bei der Zentralverwaltung des Hermopolites<br />
für die Freilassung eines bei ihm be -<br />
schäftigten Winzers eingeschritten sein. Das<br />
hier vorgestellte Dokument ist eine Anordnung,<br />
in der Taurinos, ein hochrangiger Amts -<br />
träger des Distriktvorsteher-Büros in Hermupolis,<br />
den Senuthios beauftragt, die Freilassung<br />
des Winzers zu veranlassen.<br />
Liste von Baumaterialien für die neue,<br />
arabische Hauptstadt Ägyptens / Griechisch –<br />
Hermopolites, ca. 643/644 n. Chr., Papyrus<br />
Der Ort, an dem das heutige Kairo steht,<br />
war schon immer ein Knotenpunkt von grosser<br />
strategischer Bedeutung: Hier teilt sich<br />
der Nil in mehrere Arme und das Niltal weitet<br />
sich zum ägyptischen Delta. Von hier aus<br />
begann ein schiffbarer Kanal zum Roten<br />
Meer. Zur Zeit der arabischen Eroberung<br />
Ägyptens befand sich hier die wichtige Fe -<br />
stungsstadt Babylon, die nicht nur von einer<br />
starken Militärgarnison, sondern auch von<br />
koptischer und jüdischer Bevölkerung be -<br />
wohnt wurde. In Babylon stießen die Araber<br />
mehr als anderswo auf erheblichen Widerstand,<br />
der sie zwang, nördlich der Festung<br />
ein großes Militärlager zu errichten und die<br />
Stadt lange zu belagern. Nach der Übergabe<br />
der Stadt und dem Abschluß der Eroberung<br />
des Landes im Jahre 642 n. Chr. wurde dieses<br />
Militärlager in eine echte Stadt umgewandelt:<br />
die neue Hauptstadt Ägyptens na -<br />
mens al-Fusṭāṭ. Erst später, im 10. Jahrhundert,<br />
wurde nördlich von al-Fusṭāṭ, das durch<br />
einen Brand zerstört worden war, die heutige<br />
Hauptstadt Kairo gegründet. Unter den Pa -<br />
pyri des Senuthios-Archivs ist dieser der<br />
umfangreichste: eine lange Liste von Baustoffen<br />
– Ziegel, Kalk und Pferdemist – die<br />
systematisch von den Dörfern und Weilern<br />
des Hermopolites geliefert wurden. In der<br />
letzten Kolumne des Papyrus gibt ein Brief<br />
des Distriktvorstehers Athanasios Anweisung<br />
zum Verladen der erforderlichen Materialien<br />
auf Nil-Schiffe. Die überaus großen Mengen<br />
an Baumaterial lassen erkennen: Diese Ma -<br />
terialien wurden für die Errichtung von al-<br />
Fusṭāṭ benötigt, dem einzigen Bauvorhaben<br />
dieser Größe in den Jahren unmittelbar nach<br />
der Machtübernahme durch die Araber.<br />
Zweisprachiges Protokoll eines<br />
Kalifen / Griechisch und Arabisch,<br />
705–709 n. Chr., Papyrus<br />
Die arabische Verwaltung übernahm einige<br />
byzantinische Gepflogenheiten: so zum<br />
Beispiel jene, am Beginn einer Papyrusrolle<br />
ein Vorsatzblatt mit dem amtlichen Produktionsvermerk<br />
(„Protokoll“) anzufügen. In<br />
diesem Fall kam nun zur Nennung des Herrschers<br />
oder Statthalters die Anrufung Gottes<br />
(basmala) und Koranverse hinzu.<br />
Als 695 n. Chr. Arabisch die offizielle<br />
Sprache wurde, gestaltete man die Protokolle<br />
zweisprachig – wie jenes in der Ausstellung<br />
zu sehende Exponat.<br />
© Österreichische Nationalbibliothek<br />
Der Rechtsanwalt Kolluthos ist für die Freilassung eines bei ihm beschäftigten Winzers<br />
eingeschritten<br />
Kunstvolles Empfehlungsschreiben /<br />
Arabisch, 8. Nov. 709 n. Chr., Papyrus<br />
In diesem eindrucksvollen Beispiel eines<br />
nahezu unversehrt erhaltenen Schriftstücks<br />
geht es um ein amtliches Empfehlungsschreiben,<br />
das mit kunstvoller Schrift von<br />
einem speziellen Schreiber der Staatskanzlei,<br />
der sogar namentlich genannt wird –<br />
Wazi‘ – erstellt wurde. Der arabische Statthalter<br />
Qurra ibn Šarīk (709–714 n. Chr.)<br />
ersucht den Vorsteher eines mittelägyptischen<br />
Distrikts, daß dem christlichen Steuereinnehmer<br />
Constans die Arbeit mit den Behörden<br />
vor Ort erleichtert werden möge. Durch<br />
die hohe Qualität des verwendeten Papyrus<br />
sowie seine großzügige, auf optische Wirkung<br />
bedachte Gestaltung signalisierte der<br />
Brief alleine durch seine äußere Form, daß<br />
ein wichtiges Dokument aus der Kanzlei des<br />
Statthalters vorliegt.<br />
n<br />
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