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6 KULTUR JOKER Theater

Die Welt in einem stimmungsvollen Bilderreigen

Mit „Der Tod und das Mädchen“ feierten Graham Smith und seine „School of Life and Dance“ im voll besetzten

Großen Haus des Theater Freiburg Premiere

Fünfzig Tänzerinnen und

Tänzer zwischen acht und

achtzig Jahren, mitreißende

Choreografien und ein fantastisches

Bühnenbild – nach

Pandemie-bedingter Pause

feierten jetzt Graham Smith

und seine „School of Life and

Dance“ (SoLD) im voll besetzten

Großen Haus des Theater

Freiburg rauschende Premiere.

Der Tod trägt rot. Mit sanfter

Hand streicht er über Köpfe,

geschmeidig streift er durch

die Tanzenden. Dann fallen sie

wie gemähtes Korn. - Gestorben

wird viel und ständig auf

der Bühne, vor allem aber gelebt,

geliebt und gefeiert. Und

so ist die Inszenierumng des

partizipativen Großprojekts

„Der Tod und das Mädchen“

(Regie und Choreografie: Graham

Smith) ein prallbuntes

Fest der Endlichkeit im Schatten

von Corona und Ukraine-

Krieg.

Dabei beginnt es melancholisch:

Weißer Spot in samtenem

Dunkel, romantische

Klaviermusik, jäh bricht der

Spieler ab und knallt den Deckel

zu. Drumherum dreht sich

die Welt in einem stimmungsvollen

Bilderreigen: immer

neue Guckkasten-Schachteln

und Glasboxen mit und ohne

Stelzen ziehen zu Schuberts

gleichnamigem Streichquartett

Ein Tanz Macabre mit der School of Life and Dance Foto: Marc Doradzillo

vorbei – und damit das ganze

Leben: Ein Kinder-Geburtstag

mit Torte und rosa Luftballons

in einem Wohnzimmer mit der

Patina eines vergilbten Fotos,

ein intimer Pas de deux der

Hände eines jungen Paares,

eine Frau im goldenen Kleid

ganz allein, hoch oben in

einem gläsernen Kokon. Dazwischen

Brücken und eine

Freitreppe.

Das Bühnenbild von Viva

Schudt bietet dieser knapp

einstündigen Inszenierung

ganz großes Theater: Blitzschnelle

Auf- und Abgänge,

rasante Umbauten, vielschichtige

und detailfreudige Dreidimensionalität,

aus der sich

surreale Szenen schälen. Denn

zu gucken gibt es unendlich

viel nicht nur auf den Mini-

Bühnen: Es gibt Soli, Duos

und komplexe, energiegeladene

Gruppenchoreografien

in fantasievollen Kostümen

(Viva Schudt), dazu Gesang

und Theater. Großartig – und

kaum zu glauben, dass hier

alle Laien sind, unglaublich,

wie Smith und sein Team ihre

vier Gruppen aus der „School

of Live and Dance (SoLD) mit

wenig Präsenzproben zu solch

Höchstleistungen motivierten.

Eine Handlung gibt es in

diesem Totentanz nicht, geredet

wird kein Wort, ausdrucksstark

erzählen die Körper: Von

Partys und Einsamkeit, von

Krankheit und Begehren, von

Angst und Lebenslust. Das bewegt

sich nach dem poetischen

Schubert-Einstieg zur Musik

von Anna von Hauswolff, Yael

Cremonesi (live mit ihrem tollen

Song „Moonlight“), Tom

Waits und The Dead Brothers

zwischen dystopisch-bombastischer

Rockoper und Musical

im schaurig-schräg-schönen

Stil der Tiger Lillies: Ein skurriles

Zirkus-Spektakel mit viel

Theaternebel und mexikanischen

Totenkopf-Masken,

vor allem aber mit pulsierender

Dynamik: Immer schneller

dreht sich die Bühne, immer

ausgelassener feiern die Tanzenden.

Da wirbelt eine im Parkour

über einen kleinen Pick-up,

der plötzlich auf der Bühne

steht, wiegt sich eine Gruppe

in Cocktailkleidern wie

beim Nachmittagstee auf der

Titanic zu chilligem Salsa,

es gibt Stummfilm-Komik,

Skateboard- und Trampolin-

Einlagen, wilde Freude und

eine Botschaft: „Mach dir keine

Sorgen, es ist bald vorbei!“

ist auf der Laufschriftanzeige

über der Bühne zu lesen. Denn

gestorben wird sicher, aber

vorher wird gelebt! Tanzen

hilft… Standing Ovations.

Weitere Vorstellung: 3. Juli,

18 Uhr. Theater Freiburg. Ab

12 Jahren.

Marion Klötzer

Trubeliger Rollator- und

Rollstuhlverkehr vor dem Einlass

zum Veranstaltungsraum

des Wohnstifts in der Freiburger

Rabenkopfstraße, das

Publikumsinteresse ist groß.

Auf der Bühne sitzen schon

Auslagern

Aufbewahren

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blau = C:100 | M:20 | Y:0 | Y: 0 | K: 0

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Zugang

Oral History statt nackter Fakten

Theater- und filmpädagogisches Zeitzeugen-Projekt „Nemory“

sechs Jugendliche mit braven

Zöpfen, Blusen und Röcken

bereit. „Aufstehen! Setzten!

Aufstehen!“ brüllt einer im

braunen Hemd, die Gruppe reagiert

zackig und mit starrem

Blick. – So war das also mit

Drill und Gehorsam... – „Nemory“,

so der Titel des vom

Kulturamt geförderten theater-

und filmpädagogischen

Zeitzeugen-Projektes, dessen

Bühnenperformance jetzt einmal

im Wohnstift, einmal im

Haus der Jugend in der Uhlandstraße

Premiere feierte.

Seit November letzten Jahres

besuchten zehn Jugendliche

regelmäßig zwölf Menschen

zwischen 85 und 103 Jahren.

Zur Zeit des Nationalsozialismus‘

waren sie noch Kinder

oder Teenager. Ihre Erinnerungen

sollen nicht vergessen

werden: Oral History statt

nackter Fakten aus den Geschichtsbüchern,

Generationenaustausch

live – das wird es

nicht mehr lange geben. Petra

Gaus, Britta Büttner, Raimund

Schall und Joe Killi begleiteten

diese zunehmend vertrauten

Begegnungen mit ganz unterschiedlichen

künstlerischen

Schwerpunkten, jedes Interview

wurde mitgefilmt und damit

konserviert. Aus den mehr

als zwanzig Stunden Material

soll nun eine Dokumentation

entstehen, einzelne Themenkomplexe

können dann auch

im Unterricht eingesetzt werden.

– Und die Gruppe möchte

weiter interviewen, das Bedürfnis

nach Verstehen-wollen

ist groß: „Eine unsichtbare

Mauer scheint in den Gesprächen

gebrochen zu sein: es darf

gefragt werden, es darf erzählt

werden, um die Vergangenheit

besser verarbeiten zu können“,

so Petra Gaus.

In der einstündigen Bühnenperformance

erzählen die

Jugendlichen dann in kleinen

Szenen von ihren Erlebnissen:

Wie waren ihre Gespräche mit

den Zeitzeug*innen, was hat

sie besonders beeindruckt?

Warum wollen sie etwas über

die Zeit des Nationalsozialismus

erfahren? Das passende

Filmmaterial wird eingeblendet,

jetzt erzählen die Alten:

Von Flucht, Sirenen und

Bunkernächten, von Kriegs-

Kinder-Alltag zwischen Schule,

HJ und Einberufung. Mal

geht es um Geländespiele im

Sternwald als Pimpf im Deutschen

Jungvolk, mal um das

Reichssportfest oder die beste

Freundin, die mit ihrer Familie

in einem vollgestopften Zug

ins Nirgendwo muss. Wie war

es, sich als Halbjüdin ständig

unsichtbar zu machen? Tagebuch-Einträge

eines Kriegsbegeisterten

Jugendlichen

werden verlesen, genauso wie

stereotype Traueranzeigen.

Es sind ganz unterschiedliche

Schiksale, immer wieder sind

die Erinnerungen sehr lebendig:

So wie die Erzählung von

den beiden Jagdbomben „Max

und Moritz“, die jeden Morgen

den Schulweg bedrohten und

beim Rennen über den alten

Messplatz zu Akteuren eines

Räuber-und Gendarm-Spiels

wurden…Die theatralen Bühnenmomente

dazwischen bleiben

da etwas hölzern und allzu

pädagogisch, atmosphärisch

dicht dagegen die Live-Musik,

die eine Brücke zwischen dem

Heute und dem Damals spannt.

Marion Klötzer

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