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38 KULTUR JOKER Interview

und damit ist er für uns die Nummer

eins. Wir respektieren ihn

alle. Er ist in einem gewissen

Alter und hat eine gewisse Erfahrung.

Bob ist ein Maestro hinsichtlich

vieler Fähigkeiten, die

von einem Produzenten verlangt

werden, technisch, musikalisch

und sozial. Er ist nicht aufdringlich

und kommt immer erst dann

dazu, wenn wir die Songs so

gut wie geschrieben haben und

bereits an den Arrangements arbeiten.

Da es bei Deep Purple

keinen Boss gibt, verbringen wir

viel Zeit mit den Arrangements:

Lasst uns hier einen Abschnitt

ausprobieren, eine Tonart wechseln

oder in den Halbtakt gehen.

Da wir niemanden in der Band

verärgern wollen, probieren wir

immer alles aus.

Kultur Joker: Mit welchem Effekt?

Gillan: Bei den ersten drei Alben,

die wir mit Bob gemacht haben,

hat er uns wahrscheinlich drei

Monate im Studio oder in der

Schreibwerkstatt erspart. In dieser

Hinsicht ist er also sehr wertvoll.

Außerdem hat er einen großartigen

Sinn für Humor. Er sagt,

was er denkt, und das respektiere

ich. Roger begann in den Sechzigern

mit dem Songschreiben

und inspirierte mich. Wir haben

tagelang geschrieben. Unser Lied

„Apanesa“ zum Beispiel hatte 17

lange und langweilige Strophen.

Es war eine Schufterei. Ich sagte

zu Roger: „Ich dachte, es gefällt

dir“, und er meinte: „Und ich

dachte dasselbe von dir!“ Also

haben wir beschlossen, dass das

Ganze Unsinn ist und wir diese

Idee nicht weiterverfolgen

sollten. Und heute haben wir Bob,

der für uns sehr wertvoll geworden

ist.

Kultur Joker: Haben Sie das Album

augenzwinkernd „Turning

To Crime“ (kriminell werden)

genannt, weil das Covern lange

Zeit von der „Rockpolizei“ und

den Puristen als uncool angesehen

wurde?

Gillan: Ich würde nicht sagen,

dass das Covern früher als uncool

galt. Eine Sache, die wir in den ersten

Tagen gelernt haben, ist, Moden

um jeden Preis zu vermeiden.

Bloß keinem Trend folgen! Wenn

du heute hip bist, bist du morgen

out. Bleib also dir selbst treu und

tue, was sich natürlich anfühlt.

Du wirst dabei nicht immer mit

dem Massengeschmack übereinstimmen,

aber du musst tiefer in

deine musikalischen Werte und

Freundschaften eindringen.

Glover: Was in den 1970ern uncool

war, waren Live-Alben. Sie

galten als ein Billig-Ding, das

man machte, wenn man nichts anderes

zu bieten hatte. Wir hatten

damals eigentlich besseres zu tun

als ein Live-Album wie „Made In

Japan“ zu machen. Wir wurden ja

genug gebootlegt. Aber wir haben

unsere Meinung geändert und mit

„Made In Japan“ ein cooles Live-

Album produziert. Aber wir suchen

nie bewusst nach dem, was

cool ist.

Kultur Joker: Sie haben jetzt

auch Creams Klassiker „White

Room“ aufgenommen. Hat diese

legendäre Band Sie dazu gebracht,

später selber härtere

Rockmusik zu spielen?

Glover: In den frühen Sechzigern

gab es die Beatles und die Rolling

Stones. Als dann Cream und

Hendrix kamen, wurde die Musik

etwas lauter, schwerer und wilder.

Ein natürlicher Prozess, von dem

Led Zeppelin, Black Sabbath und

Deep Purple ein Teil waren und

keine Modeerscheinung. Wenn

man einmal lauter geworden ist,

ist es sehr schwierig, wieder leiser

zu werden. Das Equipment

wurde größer, lauter und aufregender.

Ich erinnere mich an das

Gefühl, als wir „Deep Purple in

Rock“ aufnahmen. Die Musiker

missbrauchten ihre Instrumente

und wollten mehr aus ihnen herausholen,

als für sie vorgesehen

war. Auch die Studios wurden

missbraucht, indem wir den Pegel

in den roten Bereich trieben. Das

war nicht gerade höflich.

Kultur Joker: Unter welchen Bedingungen

haben Sie in den frühen

Sechzigerjahren gearbeitet?

Gillan: Du sollst keine eigenen

Songs schreiben, du sollst nur

die B-Seiten machen – diese Art

von Einschränkungen gab es für

Bands in den frühen Sechzigern.

Die Kinks, die Beatles und die

Small Faces haben sie schließlich

durchbrochen. All diese kleinen

Dinge wurden nach und nach abgetragen

wie die Berliner Mauer,

bis wir irgendwann künstlerische

Freiheit hatten. Auch die Plattenfirmen

und das Musikbusiness

wurden missbraucht und die

Verlage ignoriert. Es war wie ein

Vulkan, der jahrelang brodelte.

Ein Song musste auf einmal 20

Minuten und 20 Sekunden lang

sein und so und so klingen. Damals

übernahmen die Künstler

die Leitung. Das Pendel schwingt

immer hin und her und ist jetzt

wieder da, wo alles begann.

Kultur Joker: Wie sah Ihr erster

Plattenvertrag aus?

Gillan: Bei unserem ersten Plattenvertrag

mit Pye International

hatten wir sechs Leute in der

Band und unseren Manager zur

Unterstützung. Die Tantiemen

betrugen 0,75 Prozent der Nettoeinnahmen,

was bedeutet, dass

wir so gut wie kein Geld verdienten.

Der Vertrag war nur eine

Geste. Aber dann änderte sich die

Situation, und die Autoren in den

Gruppen wurden anerkannt, und

die cleveren Manager begannen,

sich zu engagieren. Diese Entwicklung

wurde nicht künstlich

von den Produzenten, dem Label,

den Studios oder den Radiostationen

ausgelöst, sondern von

der kreativen Quelle innerhalb

der Bands. Nach und nach verbesserten

sich die Verträge, die

Radiosender spielten eine andere

Art von Musik und die Kreativen

erhielten mehr Geld. Ein Schneeball

kam ins Rollen und veränderte

das Business für ein paar

Jahrzehnte.

Kultur Joker: Welche Rolle spielten

die Medien bei dieser Entwicklung?

Gillan: Die Piratensender begannen,

Musik zu spielen, die die

BBC und Radio Luxemburg nie

anfassen würden. Wir hörten sie

nachts heimlich unterm Kissen.

Das Radio wurde sehr wichtig

für diesen neuen Sound. Plötzlich

hatten Bands wie wir eine

internationale Verbindung und

unsere Musik wurde in Japan und

Amerika gespielt. Unsere Musik

war während der Sowjetunion

verboten.

Kultur Joker: Wurden Deep Purple

in der Sowjetunion trotzdem

gehört?

Gillan: Sie hatten dort einen Musikclub.

Wollte man eine Deep

Purple-Platte hören, musste man

sie erst aus einem abgesperrten

Schrank herausholen, um sie dann

in der Klasse in Anwesenheit des

Lehrers abzuspielen. Die Schüler

durften die Musik analysieren

und sich Notizen machen, aber

es war ihnen verboten, sie zu genießen.

Ich habe persönlich zwei

Menschen in Ostdeutschland kennengelernt,

die zwei Jahre lang im

Gefängnis saßen, weil sie damals

eine Deep Purple-Platte besaßen.

Das war die Revolution, die im

Untergrund stattgefunden hat,

und wir waren ein Teil von ihr.

Das ging so lange, bis die Rockmusik

keinen Stachel mehr hatte

und an ihre Stelle etwas Neues

trat.

Glover: Die Fünfziger waren

schwarz-weiß und die Sechziger

wurden zu Technicolor.

Kultur Joker: Die Sixties waren

das Jahrzehnt von Bob Dylan.

Wie fühlt es sich an, sein „Watching

The River Flow“ zu singen?

Glover: Ich bin ein großer Fan

von ihm. Das Album „The Freewheelin’

Bob Dylan” hörte ich

das erste Mal mit 18. Es hat mein

Leben verändert. Die Sechziger

waren eine Erschütterung. Dylan

war nicht auf der Suche nach

Ruhm und Erfolg. Er schrieb einfach,

worauf er Lust hatte, großartiges

Zeug. Ich glaube nicht, dass

er wirklich darauf vorbereitet

war, so behandelt zu werden, wie

er es dann wurde. Als er schließlich

anfing, elektrische Gitarre zu

spielen, fanden viele, man sollte

ihm das verbieten.

Kultur Joker: Kulturkritiker behaupten,

dass seit den Achtzigern

in der Pop- und Rockmusik nichts

Neues mehr entstehe. Wie sehen

Sie das?

Gillan: Musiker denken eigentlich

nicht so. Man hat seine Einflüsse

und findet dann nach vielen

Jahren des Übens und der Zusammenarbeit

mit anderen seine

eigene Stimme. Ich betrachte das

nicht auf diese Weise.

Glover: Nichts ist original, alles

kommt von etwas anderem. Was

auch immer man sich ausdenkt,

irgendjemand hat es schon einmal

gemacht. Ich würde nicht sagen,

dass die Entwicklung der Popmusik

in den Achtzigerjahren aufgehört

hat, das ist lächerlich und

macht überhaupt keinen Sinn. Sie

ist immer noch im Gange.

Kultur Joker: Vielen Dank für

das Gespräch!

Am 24. Juli ist Deep Purple

auf dem STIMMEN-Festival in

Lörrach zu sehen.

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