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THEATER KULTUR JOKER 3

Im Chor der Identitäten

Jessica Glause inszeniert am Theater Freiburg Mithu M. Sanyals Roman „Identitti“ als Entwicklungsstück

Charlotte Will,

Laura Palacios,

Karin Yoko Jochum,

Alina Sokhna M’Baye

Foto: Amelie Amei Kahn-Ackermann

Der weibliche Orgasmus

ist nicht eben das, auf das die

deutsche Hochkultur bislang

zusteuerte. Mithu M. Sanyal

jedoch ist nicht nur Autorin

des Bestsellers „Identitti“, sondern

auch des viel beachteten

Sachbuchs „Vulva. Das unsichtbare

Geschlecht“. Und so

findet im Eingangskapitel „Me

and the Devil“ von Sanyals

Debütroman und im Kleinen

Haus ein Ejakulationswettbewerb

statt zwischen Nivedita,

auch Identitti genannt, und der

Göttin Kali. Sie ist der besagte

Teufel, nimmt sich, was sie

will und hängt es sich an den

Gürtel. Denn dort baumeln die

Köpfe ihrer männlichen Feinde.

In Freiburg sind es gleich vier

Frauen, die sich gemeinsam mit

Kali zum Höhepunkt bringen.

Regisseurin Jessica Glause

hat die Figur der vom Missy-

Magazin geadelten Bloggerin

und Postkolonialismus-Studentin

Nivedita, Tochter indischpolnischer

Eltern, auf vier

Schauspielerinnen chorisch

aufgeteilt. Karin Yoko Jochum,

Alina Sokhna M’Baye, Laura

Angelina Palacios und Charlotte

Will übernehmen zudem die

Rollen von Cousine Priti, der

beiden Freundinnen Lotte und

Oluchi und des Raji. Die männlichen

Figuren sind drastisch

gekürzt oder wie Niveditas Exfreund

gleich ganz gestrichen.

Mai Gogishvili (Kostümbild)

hat sie nicht nur mit viel Glitter

und Glimmer, kurzen Plisseeröcken

oder Hosen und dicken

Sneakern ausgestattet, sondern

sie auch mit dunklen Perücken

versehen, die ein wahres

Flechtwerk sind. Der herzförmige

Turmbau ist wie für Göttinnen

oder afroamerikanische

Popdiven geschaffen. Kali (Janna

Horstmann), die ein bisschen

an HR Gigers Alien erinnert,

nur in Reptilienblaugrün und

mit blau geschminktem Gesicht

und roter Zunge, plagen

derartige Identitätskrisen oder

Debatten über Race und Weiße

Privilegien nicht. Sie ist sozusagen

eine Rampensau von

Göttin.

„Identitti“ ist auch ein Campusroman,

der die Verunsicherungen

dieses Lebensabschnittes

einschließt. Bei Nivedita

werden sie durch die erfahrenen

Diskriminierungen verstärkt.

Die sozialen Medien vervielfachen

alles. Glause lässt all die

Hashdags und Kommentare

nicht einblenden, sondern unter

Anführungszeichen sprechen.

Niveditas Professorin an der

Düsseldorfer Universität Saraswati

(Anja Schweitzer) nimmt

sich, was sie glaubt, es stände

ihr zu. So tauscht sie ihre prototypische

deutsche Herkunft

gegen eine indische ein, macht

in Postcolonial Studies Karriere

und schart PoC-Jüngerinnen

um sich. Doch schnell ist klar,

alles ist eine ziemlich dreiste

Lüge.

Dass es hier Figuren gibt, die

sich Dinge nehmen, hat Mithu

M. Sanyal eine Fangemeinde

beschert, die in der Literaturszene

eher ungewöhnlich ist.

Den Theatern blieb dies nicht

verborgen. Glauses Inszenierung

(Text: Jessica Glause und

Anna Gojer) ist bereits die dritte

Adaption, für die erste schrieb

Sanyal selbst die Bühnenfassung.

Um wieviel komplexer,

großzügiger und auch witziger

der Roman ist als eine Lesart,

die lediglich feministisch und

woke ist, konnte das Freiburger

Publikum bei Sanyals Lesung

im Literaturhaus Freiburg im

vergangenen Herbst erleben.

Die 1971 geborene Düsseldorfer

Autorin und Wissenschaftlerin

weiß, was sie macht.

Die Freiburger Inszenierung

befreit sich von allem universitären

Düsseldorfer Lokalkolorit.

In der Mitte steht ein Podest

mit einem Ornament, das sich

auf der Bühne fortsetzt. Beleuchtet

wird es von zwei Reihen

Neonröhren, die im Oval

angeordnet sind. Kali räkelt

sich auf dem Podest und spreizt

ihre Glieder, dass es eine Lust

ist. Saraswati hingegen ist mehr

oberste Priesterin ihrer eigenen

Sache. Im Haar trägt sie einen

Strahlenkranz wie die Freiheitsstatue.

„Saraswati ist Pop“ heißt

es einmal vom Nivedita-Chor.

Das stimmt hier nicht ganz, die

Figur bleibt blass, so dass ein

Ungleichgewicht zwischen Nividita,

ihren Freundinnen und

der verehrten Professorin entsteht,

die hier nur wenig Charisma

entwickelt. Pop ist hingegen

„Identitti“ selbst. Es wird

viel gesungen, manches klingt

nach Musical (Musik: Clara

Pazzini). Darin mag sich auch

spiegeln, wie sich Theater relevante

Stoffe als Frischzellenkur

aneignen. Die Freiburger

Inszenierung konzentriert sich

auf das Politische, so dass aus

ihr eine Entwicklungsgeschichte

wird. Sozusagen von der von

Missy gefeierten Bloggerin zur

taz-Kommentatorin. Das lässt

sich sehen, bleibt aber hinter

dem Roman zurück.

Weitere Vorstellungen: 8.

Juli, Kleines Haus, Theater

Freiburg, wird wiederaufgenommen.

Annette Hoffmann

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