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Blogtexte2022_1-Halbjahr

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die Brutalität von vermummten Polizisten,

die mit Schlagstöcken oder motorisiert mit

panzerähnlichen Fahrzeugen unterwegs

sind und brutalen Wasserwerfern, die gegen

Demonstranten vorgehen. Die Staatsschützer

und Polizisten zeigen mahnend mit dem

Finger auf Extreme, die längst nicht mehr

ein schmaler Rand sind und rechts oder

links außen der Mitte Ärger machen. Sie

fordern die Ausweitung ihrer Befugnisse, die

der anderen Seite bereits viel zu umfangreich

sind. Wir begreifen, das moderne

Bild vom Chaos bedeutet scheinbar die

Zersetzung von innen heraus. Das Zentrum

ist ein löchriger Käse. Das vertraute Bild

vom Hufeisen mit den extremen, gegensätzlichen

Spitzen täuscht darüber hinweg,

dass der scheinbar starke Bogen unseres

Magneten befallen ist und dort, statt auf die

Pole beschränkt, seine Metastasen züchtet.

Der aktuelle Querkopf hält sich nicht an das

klassische Verständnis Antifa gegen rechts.

Aggressive gibt es überall, auch bei der

Polizei. Im reichen Deutschland zeigt eine

trotzige Masse mit dem Stinkefinger auf die

selbstgewählte Politik als einen dummen

Haufen. Schuldzuweisungen prägen das Bild

einer Gesellschaft, der es im weltweiten Vergleich

einfach nur zu gut geht. Wer Schuld

ist, verliert an Bedeutung, wenn das Land im

Ganzen aus der Kontrolle gerät. Mitlaufen

zur Mehrheit bekommt den Charakter einer

Meute von Passagieren, die wechselseitig

geschlossen von Backbord nach Steuerbord

stürmt, bis der Kahn kentert.

# Neue Ängste rühren auf

Alles könnte teurer werden, das Klima wird

kollabieren, Chaostage dürften die Regel

sein, wenn der Staat nicht gegensteuert

usw. – das droht der Wohlstandsgesellschaft.

Ehrlicherweise könnten wir bemerken, dass

wir, als die Reichen, bereits seit Jahren auf

ärmeren Ländern herumtreten und es auch

innerhalb Deutschlands nicht vermeiden,

Schwache fertigzumachen. Zu Recht weist

der russische Präsident und sein Außenminister

auf die Verlogenheit des Westens hin.

Natürlich wird in der Ukraine ein Stellvertreterkrieg

geführt. Und ja, unser Altkanzler

Schröder tut gut daran, seine Position

erstmal zu rechtfertigen. Weiche Eier sind

bereits genügend vorhanden. Der Altkanzler

ist bereit, Nachteile in Kauf zu nehmen, geht

eben später vom sinkenden Schiff – oder

gar nicht.

Gutmenschen, die alles besser wissen, sind

mir suspekt. Wir geben uns sozial, sind es oft

nicht. Die Leistung und die gewohnte Perfektion

geben einen hohen Standard vor, den

Einzelne erreichen möchten, wenn sie ihn

noch nicht ihr Eigen nennen, weil sie jung

sind oder der Level gehalten werden muss,

wenn eine bestehende Verbindung Probleme

bekommt. Jede Gesellschaft übt durch den

Konsens mehrheitlicher Werte Druck auf

ihre Mitglieder aus. Wenn wir als Europäer

beispielsweise in China leben möchten,

werden wir manches anders finden, das dort

aber als richtig gilt. Eine steinzeitliche Sippe

müsste ihre Form in bestimmten Gebräuchen

gehabt haben, auch wenn wir darüber

kaum informiert sind. Das Mittelalter kannte

seinen Kodex, wie es richtig gehöre zu sein,

und wir im Westen interpretieren Identität

und freiheitliche Werte auf andere Weise als

die Russen. Jede Familie bildet bereits eine

Gruppe mit ihren typischen Regeln.

Zu lehren wäre, Schwäche zuzugeben. Das

stünde auch Wladimir Putin gut zu Gesicht.

Er könnte sagen: „Ich habe einen Fehler

gemacht. Wir sind zu weit gegangen. Dieser

Krieg ist falsch, dumm, und nun beenden

wir das Ganze – ohne irgendeinen Erfolg.“

Selenskyj könnte gleichwohl kapitulieren

und ebenso Leid beenden. Wir machen es

uns leicht, gerade stark zu empfinden als

Weltpolizist. Wer in der Ukraine lebt und

nicht politisch empfindet, dürfte vollkommene

Machtlosigkeit erleben. Wenn alles

kaputt ist, werden wir eine wahrhaftigere

Welt aufbauen als die jetzige.

# Das einzig Richtige ist vollkommener

Blödsinn?

Niemand glaubt ernsthaft, dass Putin sein

Ziel, in der Ukraine zu siegen aufgibt. Der

russische Präsident definiert das gewünschte

Ergebnis um, falls dieser Sieg zu schmal

wirken sollte. Die prorussischen Gebiete im

Osten zu bekommen, gilt westlichen Beobachtern

als Minimalziel, andernfalls erlebte

Wladimir Putin den politischen Tod. So bewertet

es aktuell ein Nachrichtensender. Das

Interessante daran ist wohl die ambivalente

Stabilität seiner Führungsposition. Während

wir dem demokratisch gewählten Kanzler

Olaf Scholz Führungsschwäche vorwerfen,

stellen wir Russland gern als unmündig in

der Hand seines Präsidenten dar, der allein

schuld ist. Nicht nur der Druck aus dem

Westen, auch Bestrebungen in Russland

selbst, dagegenzuhalten, werden den Angriff

provoziert haben und Putin ist mitnichten

der einzelne Mensch als isolierter Kriegstreiber,

dem es mal so gefällt zu ballern.

Das kann so nicht stimmen, denn erhebliche

wirtschaftliche und menschliche Schicksale

werden berührt, wenn dieses Russland in

seinen Krieg zieht.

Wir können laienhaft kaum beurteilen, wem

letztlich am Wichtigsten ist, hier Krieg zu

führen und worin eigentlich begründet seine

Ziele liegen. (Das sind die Ansichten eines

Künstlers, der bevorzugt Nackte malt). Ich

denke, man darf vorsichtig sein und offizielle

Verlautbarungen aller Positionen kritisch betrachten.

Die Macht des Präsidenten ist sehr

wohl mit dem Erfolg der militärischen Spezialoperation

untrennbar verbunden. Damit

kann man schlussfolgern, dass die Russen

nicht einfach schlecht informiert mitlaufen,

wie das möglicherweise im breiten Volk tatsächlich

geschieht, sondern ein handlungsfähiger

Apparat mit Galionsfigur Putin die

Ukraine attackiert. Nicht nur ein Führungszirkel

wie es gern heißt, sondern umfangreiche

Strukturen dürften ihre Interessen

gelten machen. Der russische Präsident kann

wohl keine Marionette sein und ist doch direkt

an seinen nötigen Erfolg gebunden wie

jeder andere Staatenlenker oder Manager,

der Boss im Clan oder Syndikat. Wir sollten

vorsichtig sein, was die alleinige Verantwortlichkeit

Putins betrifft und dem System

zutrauen, dass auch eine Autokratie nicht

als One-Man-Show daherkommt. Deswegen

und gerade, weil es absolut undenkbar

erscheint, dass die beiden Präsidenten Putin

und Selenskyj morgen oder so im Alleingang

verkündeten, spontan jegliche kriegerische

Handlung zu stoppen, weil nur so ein furchtbar

unnötiges Blutvergießen beendet würde,

darf man sicher sein, als kompletter Narr

dazustehen, verlangte man es (oder glaubte

wirklich dran, es geschähe nächste Woche).

Das tut schon weh, finde ich.

# Die Menschen behaupten nur, gut zu sein

Wir sind gegen Ausgrenzung, lehren, keine

Vorurteile zu hegen. Trotzdem schaffen wir

ein Schubladensystem. Eine Kommode mit

festen Unterteilungen. Und dann wollen

wir doch wieder alles durchmischen und

infizieren das Ganze mit Holzwurm. Die

Ordentlichkeit, mal gepflegt eine Lade rauszuziehen

und hineinzuschauen, lässt sich

niemand gefallen, der unfreiwillig hineingesperrt

wurde. Der verdeckte Informant hat

Hochkonjunktur. Die offene Polizei erlebt

verbreitet nie gekannte, verbale Angriffe,

allein deswegen, weil die Beamten durch

ihre Uniform und Ausstattung kenntlich sind,

scheinbar eine Projektionsfläche darstellen.

Alle, die davon mitbekommen, wenn jemand

austickt, werden den Querulanten, wenn es

etwa ein Nachbar ist, der pöbelt, weiter ausgrenzen.

Es scheint vergnüglich, unnötigerweise

Druck auszuüben und den Anteil der

polizeibekannten Spinner auf diese Weise zu

erhöhen. Hier arbeiten welche (die sich für

klug halten) mit, andere dumm zu machen,

ja böse, die bislang noch als verwirrt gelten

könnten. Eine neue Qualität von Staatsfeinden

ist der Querdenker-Szene erwachsen,

sagen die, die es zu regulieren haben, den

Kopf hinhalten müssen, wenn es zur Eskalation

kommt. Die Polizei beginnt in Teilen, die

Nerven zu verlieren. Einige Beamte schlagen

zu. Manche heimliche Chatgruppe wird

aufgedeckt. Das sind Polizisten, die radikal

denken, für den Erhalt der Ordnung auch

mal den eigenen Rahmen übertreten. Man

beschwichtigt, es mit Einzelfällen zu tun zu

haben.

# Der Narr spricht’s aus, die anderen halten

den Mund

In einer unübersichtlichen Fake-Welt behalten

diejenigen den Durchblick, die von den

Auskennern des Systems belächelt werden.

Kreative dürfen den Ameisenhaufen von

außen darstellen. Die Arbeiter:innen laufen

nur ihre bekannten Straßen rauf und runter.

Ich würde sagen, ein gefährlicher Prozess

innerer Zersetzung nimmt Fahrt auf. Unser

Wohlstand ist in Gefahr, ist der eigentliche

Grund. Unsere Werte können nicht gehalten

werden, wenn welche hinter die Fassade

schauen und die sauberen Westen der Gutmenschen

Dreck verbergen. Der Staat nennt

es Transparenz, sensible Daten habe man im

Blick, ermittelt verdeckt das Böse. Der große

Lauschangriff als Rohrkrepierer, nackte

Kanone. Man kommt nicht offen: „Ich bin

der Kommissar und hätt’ da mal ’ne Frage …“,

lügt uns die Hucke voll. Blindgänger säumen

das Terrain. Das Dorf lauscht mit, will heute

Mäuschen sein – der Kanonenschuss lässt

einen Spatz auffliegen.

Diese Beobachtungen (ich kenne mich

aus) lassen nur den Schluss zu, dass die

Gesellschaft insgesamt ein Problem hat.

Das können auch nur alle gemeinsam lösen.

Nicht wenige organisieren sich, die Vielfalt

macht es möglich, dass jedermanns Freiheit

neue Aggression schafft. Da verlieren welche,

die allein nicht klarkommen und sich in

keine Gruppe integrieren. Das ist die nicht

unerhebliche Masse der Sozialschwachen.

Sie laufen hier mit und da, erbringen sich

selbst kaum Gewinn für einen Lebenserfolg,

was immer das heißt, nutzen nur welchen,

die sie manipulieren können oder Ärzten, bei

denen sie regelmäßig landen. Manche füllen

Mai 21, 2022 - Ich sehe Wald und keine Bäume 86 [Seite 83 bis 87 ]

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