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Blogtexte2022_1-Halbjahr

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Es dürfte auch welche treffen, psychisch

krank zu werden, die sich sicher waren, das

Leben begriffen zu haben? Oder das Übel

kommt von hintenrum ins Haus. So kann es

mit dem eigenen Kind passieren, dass dieses

nicht drogensüchtig würde, wofür man als

Eltern bekanntlich wenig belangt wird,

sondern psychotisch. Und dann bist du dran,

als Papa oder Mama. Die Eltern mit einem

behinderten Kind werden bedauert. Hat man

aber eines, das im Kopf krank ist, schlägt der

Tratsch darüber, woran es liegt, voll auf die

Eltern durch.

# Nicht ohne Grund?

Normalerweise lernen junge Menschen,

sich zurechtzufinden. Mit Hilfe der Eltern,

begreifen Kinder Gefahren und angenehme

Momente einzuordnen. Die Straße ist

gefährlich, der Herd ist heiß, im Winter

muss man warme Sachen anziehen, das ist

unbequem. Ein kratzender Pullover, muss

das sein? Eis essen macht Spaß, schaukeln

im Garten ist toll. Fein ist es, zu kuscheln!

Das Kind schmiegt sich gern an die Brust.

Sie duftet nach Mama und ist so weich. Gut

möglich, dass es erbliche Störungen gibt

und manche Kinder nur bedingt aufnahmefähig

sind, aber die Mehrheit entwickelt sich

normal. Das Problem des Erwachsenen ist

weniger ein Mangel an Normalität, sondern

die Bandbreite möglichen Funktionierens in

einer Umgebung, der es genügt, wenn man

nicht stört. Erziehung ähnelt anfangs der

Dressur, wo Tiere in Abhängigkeit gehalten

werden, weil Kinder notwendigerweise Zeit

benötigen, bis sie allein klarkommen. Manche

halten sich einen Hund, aber ein Kind

entwickelt sich. Der Hund wird immer Haustier

bleiben, während wir unseren Sprössling

beim Erwachsenwerden begleiten und

selbst immer mehr zurücktreten.

Die Pubertät ist nicht einfach. Dabei spielt

das unbewusste Hinterfragen der eigenen

Perspektive eine nicht zu unterschätzende

Rolle. Die integrierten Erwachsenen leben

aktuell die Möglichkeiten vor und entwerfen

unser Bild, was kommen wird, fordern

den Nachwuchs. Jugendliche mit psychischen

Auffälligkeiten beobachtet man jetzt

häufiger. Man probiert, ihnen frühzeitig zu

helfen. Je schneller das gelingt, desto besser!

Sonderlinge werden auch ausgegrenzt.

Das bedeutet, wer psychisch krank ist, hat

es doppelt schwer. Hilfe bei normalen

Krankheiten ist selbstverständlich wie die

Anteilnahme. Das soziale Stigma trifft diejenigen,

die wir zwar bedauern, aber gleichwohl

nicht begreifen. Sie verstören uns, wir

fürchten selbst die Kontrolle zu verlieren,

im Umfeld von Menschen, die sich und ihr

Leben nicht im Griff haben. Wir erleben als

Gesellschaft psychische Erkrankungen in

allen Altersstufen.

Bitter erwischt werden Heranwachsende,

die zunächst gut vorankommen und erst

während einer Ausbildung oder kurz darauf

krank werden. Gute Schulnoten und soziale

Bindungen meinte man zu erkennen. Was

sollte schiefgehen? Die Familie, Lehrer in

der Schule und die Freunde haben nicht

damit gerechnet. Es ist gar nicht selten,

dass ein hoffnungsfroh gestartetes Leben

scheinbar überraschend und jäh aus der

Bahn gerät. Die Einweisung in eine Klinik

erfolgt zwingend. Die Ärzte versuchen sich

in Diagnosen, übernehmen die Kontrolle,

während die Eltern hilflos mit ansehen, dass

ihr Kind es allein nicht schafft. Gut möglich,

dass sie selbst es waren, die eine Scheinwelt

aufgebaut haben. Das ändert nicht, dass

solche Eltern nicht verstehen, sich zu ändern,

noch rückgängig machen könnten, wie es

war, als Kind mit ihnen aufzuwachsen. Das

System der Familie scheint insgesamt zu

scheitern. Ihr kranker, aus seiner Lebensbahn

entgleister Sohn oder die Tochter ist nicht

isoliert betroffen. Nachbarn bekommen was

mit. Die jungen Patienten begreifen kaum,

was nun alles geschieht. Da scheint es für

die Gestrauchelten schwierig, noch eine

normale Karriere im Beruf oder emotional

stärkende Partnerschaften hinzubekommen.

Das zu ermöglichen, ist eine Herausforderung

für Helfende. Nicht selten ist der aufgesuchte

Arzt mit dieser Aufgabe überfordert.

Nur die Symptome können gebessert

werden, und man hofft, die Sache wachse

sich noch zurecht mit dem Erwachsenwerden.

Die anderen warten aber nicht darauf,

bis Nachzügler integriert sind.

Die Menschen nehmen andere, wie sie jetzt

sind und nicht so, wie sie sein könnten,

wenn man ihnen eine Chance böte, Defizite

aufzuholen. Die Gesamtheit der anderen

stellt den Einzelnen vor ein Problem, solange

er darin einen Block oder die geschlossene

Mauer begreift. Das ist ein gegenseitiges

Problem. Wenn jemand um Einlass bittet,

wo die Türen bereits weit geöffnet stehen,

werden Fremde misstrauisch und schließen

die Pforte. Normale sind smart. Die Lebensgewandten

rennen weder gegen die Wand,

wenn anderswo das Tor zur Burg geöffnet

ist, die Zugbrücke Händlern, Reisenden den

Weg ebnet, sie gleiten mit hinein, noch

schlagen kluge Menschen unnötigerweise

den Wachmann tot, nur weil dieser grimmig

ausschaut. Ein in der Selbstwahrnehmung

gestörter Mensch ist nicht in der Lage,

andere als Individuen zu erkennen. Ein Wald

besteht aus Bäumen, eine Mauer aus lösbaren

Steinen, sie könnte alternativ umgangen,

überklettert werden. Da müsste eine Brücke

sein, die Gesellschaft hat eine Tür, andere

aufzunehmen? Dafür muss der Einzelne aber

etwas merken und bemerken können, und

Narren fühlen ja nicht.

# Alle, die scheinbar nicht wie die Mehrheit

sind, bekommen das zu spüren

Als die Leute mehrheitlich gegen Corona

geimpft waren, beispielsweise, kippte die

Stimmung im Land. Von diesem Zeitpunkt

an wurde gesellschaftlicher Druck auf

Ungeimpfte spürbar. Nicht erwünscht sind

Menschen, deren Verhalten unerwartet

Probleme macht. Die breite Masse hält sich

für gleich und verlangt, dass andere nicht

nur die Gesetze, sondern auch ungeschriebene

Regeln einhalten. Möglicherweise

Andersartige stempelt der Mainstream ab.

Die moderne Gesellschaft gibt sich gern

weltoffen. Aber unter dem Deckmantel

unseres stabilen Systems brodelt es. Wir

wissen, dass Ausländer unter Anfeindungen

zu leiden haben. Wir haben mitbekommen,

dass homophobe Reaktionen für einige

problematisch sind. Religionszugehörigkeit

ist ebenso ein Thema, das polarisiert. Wer

bereits eine Gefängnisstrafe im Lebenslauf

hat, wird manches schwierig finden, und die

Reintegration solcher Menschen bedeutet

auch für die Gesellschaft eine Aufgabe und

nicht zuletzt ein Problem. Kinder sollten

durch ihr Aufwachsen in Familie, Schule

und Ausbildung übergangslos integriert

sein. Nicht immer klappt es. Oft bleiben

Menschen hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Besondere Schwierigkeiten entstehen, wenn

psychisch Kranke integriert werden müssen.

Unsere Bemühungen in dieser Sache sind

daran ausgerichtet, wer betroffen, wie die

Diagnose und damit die Entwicklung einzuschätzen

ist. Dazu kommt die Eigeninitiative

von Erkrankten als ein schwer kalkulierbarer

Faktor, sowie die unterschiedliche Qualität

der Betreuer, sich um Auffällige zu kümmern.

Unser Netz sollte problematische Menschen

auffangen, tut es oft nicht, sondern fängt

diese nur ein, schafft weitere Probleme und

verewigt das Leid.

# Bloßes Abfischen der Störer …

… bedeutet noch nicht die Integration von

verstörten Menschen. Das wäre nötig, eine

kritische Masse von vornherein klein zu halten

und diese Menschen zu respektieren, als

welche, die von den Gesunden so nebenbei

verstört wurden. Es wäre die Pflicht der Starken,

andere nicht kaputtzumachen, sondern

im Boot mitzunehmen. Viele Gruppen bilden

einen kämpferischen Verband. Das irritiert

diejenigen, die das nicht können. Sie sind

Menschen, die nicht lernten, selbst zu denken.

Sie sind nicht schwul. Sie wollen kein

Recht auf Abtreibung. Es sind nicht rassistisch

angefeindete Ausländer, keine, die sich

leicht mal solidarisch aneinanderbinden. Da

ist keine Religion, der sie vernünftigerweise

anhängen, allenfalls einem Hassprediger

folgen diese Menschen. Der moderne

Staatsfeind ist kein Kommunist. Das ist kein

rechter Nazi, dazu ist der aktuelle Querulant

zu diffus verordnet. Dieser Typus ist gegen

alles, scheinbar faul und ziemlich orientierungslos.

Dieses sozialschwache Unkraut,

wie es dem Nützlichen erscheint, läuft heute

mit den einen, morgen mit anderen – und

ist genaugenommen psychisch krank. Die

diffuse Gruppe Auffälliger wie auch still

Leidender mit ihren verschiedenen Störungen

zusammengenommen, bedeuten einen

anwachsenden Block innerhalb der Gesamtheit

der Leistungsträger, die wir mitnehmen

müssen. Das sind Menschen, denen der

normale Lebensentwurf einerseits zu Recht

suspekt ist und dem sie auf der anderen

Seite neidvoll hinterherlaufen.

Menschen, die einen funktionalen Gegenentwurf

leben und deswegen den Mainstream

ablehnen, sind selten. Ich bin tatsächlich

einer von ihnen. Ich zähle mich zu denen,

die scheiterten und es schließlich noch

schafften, aus dem Schaden zu lernen, mit

vorhandenem Material ein neues Lebensgebäude

zu zimmern. Aber, ich muss mich nicht

neu erfinden. Sprüche sind etwas für Idioten,

die nur so tun als ob. Es bedeutet mir keinen

modischen Einfall, endlich zu Pinsel und

Farbe zu greifen, nachdem ich Verschiedenes

probierte. Ich bin kein Spätberufener.

Mein Lebenswerk kann sich sehen lassen,

ich jedenfalls bin stolz auf ein umfangreiches

Œuvre. Es entspricht keinesfalls der

typischen Sehgewohnheit und ist, was ich

so hinbekomme. Ich bilde mir wenig darauf

ein, einen Platz in der großen Kunst zu

verdienen, weiß jedoch genau, wie viel ich

mich selbst änderte, seitdem ich kreativ bin.

Mein Stolz begründet sich scheinbar, und

ich weiß nicht, ob das anerkannt wird, in

nicht zu bestreitender Individualität. So, wie

ich heute arbeite, konnte ich anfangs nicht

Mai 21, 2022 - Ich sehe Wald und keine Bäume 84 [Seite 83 bis 87 ]

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