Blogtexte2022_1-Halbjahr
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Wer ist Thomas
Losse-Müller?
Mai 12, 2022
Wer ist das, dieser Kandidat, der die Wahl
verloren hat? Die Zeit wäre knapp gewesen,
den Bewerber bekannt zu machen. So habe
er gegen den beliebtesten Ministerpräsidenten
Deutschlands keine Chance gehabt,
probiert sich die Partei an einer Erklärung.
Ja, Daniel Günther haben die Wähler in
Schleswig-Holstein drauf. Wir wissen, wie
der aussieht, kennen den Klang seiner
Stimme. Unverwechselbar, dieses Rauschen,
wenn irgendwo im Satz ein Wort mit „sch“
vorkommt. „Die Men-sch-en im Land wünsch-en
sich …“, und dazu, wie zum Trichter
vorgeschoben, der Mund des Ministerpräsidenten,
das wirkt wie ein integriertes Megaphon.
Ein kleines Sprachrohr hat der Mann
unter seiner
Nase. Da
spülen die
Worte heraus.
Zwei Schneidezähne
stehen
oben deutlich
sichtbar. Er
kommuniziert
be-sch-wörend
und doch
selbstverständlich,
unaufdringlich.
Eine individuelle Artikulation
und norddeutsch. Das ist Daniel Günther. Er
hat einen schmalen Kopf, eine jungenhafte
Frisur und doch recht eng stehende Augen.
Wir konnten uns ein Bild machen, wie der
Mann wirkt. Der Ministerpräsident hat einen
klaren Stil entwickelt, scheint besonders
teamfähig und eindeutig führend zu sein in
der Regierung.
Monika Heinold kennen die Schleswig-
Holsteiner nicht weniger, man muss sich
nicht sonderlich für Politik interessieren.
Es scheint undenkbar, mit dieser Frau
eine Vertuschungsaffäre zu erleben, eine
ermogelte Doktorarbeit oder Korruption sind
unwahrscheinlich. Die grüne Frontfrau ist
fleißig und anständig, so kommt mir das vor.
Einzig, wenn sie von modern und grün redet,
fragt man sich, ob es nicht ein wenig drollig
klingt, bei einer schon nicht mehr ganz jungen
Buchhalterin, die das spontane Lachen
nicht allzeit bereit im Gesicht trägt, ohne
einen leichten Krampf der Mundwinkel. Soll
ich … oder lieber doch nicht so lachen? Es
gibt bessere Plakate.
# Wahlkampf war gestern
Auf dem Schenefelder Wochenmarkt, nicht
lange vor der Wahl, haben die Grünen einen
Stand: Offensiv schaut
mich dieses Pippi-Langstrumpf-Mädel
an, aber
blond ist sie. Ann-Kathrin
Tranziska möchte mir
einen Flyer in die Hand
drücken, unverkennbar.
Das ist die Grüne wie
fotografiert. „Sie sehen aus
wie auf dem Plakat“, sage
ich und winke ab. Ich alter
Lustmolch lasse mich nicht
einfangen von diesem
lustigen Teenie – so kommt
sie daher – obschon sie nur
zehn Jahre jünger ist. Ich
nehme keine Wahlwerbung
und möchte nur Mathias Schmitz „Guten
Morgen!“ sagen und dann dahinten noch
Käse kaufen. Das mache ich deutlich.
Unnötig sie anzublaffen, dass ich nicht mehr
wählen gehe, wegen der da oben über uns
im Turmzimmer. Ich verkneife es mir.
Die SPD besonders, die wähle ich schon
gar nicht. „Nie wieder!“, denke ich, wenn ich
eine Sendung sehe, Artikel lese oder ein
Wahlplakat wirbt. Nie wieder Politik. Meine
Erfahrungen verbieten jede Unterstützung.
Macht ja nix? Das fällt kaum ins Gewicht.
Unmöglich, die Blöden abzustrafen: Politikern,
die ich kannte, ist es egal, wer ich bin,
was ich möchte oder wichtig nehme. Ich sei
selbst schuld, dumm zu sein, ist ihre Auffassung.
Mir bleibt
gar nichts übrig, es
einzusehen.
Ich kann mich nicht
für meine Fehler entschuldigen,
müsste
mich demütig zeigen,
wo es unmöglich
ist, Reue zuzugeben.
Wir reden nicht,
niemand mit mir,
und ich selbst halte
verbissen die Klappe,
außer dem Spott
hier. Das geht noch.
Bis ich begreife,
mein Œuvre in die
Tonne zu treten, zu
krepieren, den Laden zu verlassen. Wenn ich
endlich tot bin, ist es besser. Dieses festgefahrene
Schachmatt geht auf das Konto
der besten Darsteller in einem absurden
Theater: Politik ist Lüge. Das lernte ich und
verstehe, dass der Wähler sich ausschließlich
selbst schadet durch das Nichtwählen.
Ich bin nicht blöd: Ich bin frustriert.
Ich weiß nicht, was die SPD falsch gemacht
hat mit Losse-Müller. Ich durfte einmal
mit Ralf Stegner und Kai Vogel eine kleine
Kaffeerunde erleben. Der erweiterte Wintergarten
einer Seniorenresidenz im Dorf, Frank
Grünberg erzählte Döntjes, bis der im Stau
steckende
Stegner
kam. Vogel
und Stegner
erwiesen
sich aus der
Nähe als
humorvoll
und kämpferisch
für
ihre Partei.
Sie konnten
gut zuhören und fachkundig antworten. Gerd
Manthei, unser Schenefelder Urgestein der
roten Partei, hatte mich eingeladen: „Willst
du mal Stegner kennenlernen?“
Das war vor der letzten Landtagswahl, die
Albig schließlich komplett versemmelt hat.
Tatsächlich habe auch ich Günther gewählt.
Damals ging ich noch hin zur Wahl. Ich hatte
den wie es hieß beliebten Torsten Albig in
mehreren Fernsehauftritten zum Wahlkampf
gesehen. Ich fand den Mann einfach nur
arrogant. Für mich spielten fachliche Themenschwerpunkte
gar keine Rolle mehr.
Vom noch unbekannten Daniel Günther kam
einiges im Fernsehen. In einer Dokumentation
wurde der von seiner Partei aufzubauende
Kandidat über den Alltag bei der
Arbeit begleitet. Die Kamera fokussierte ihn
im Dienstwagen sitzend, wo der Politiker
probierte, auf der Rückbank zu arbeiten und
dazu den Kopf auf Dokumente senken musste
oder den aufgeklappten Laptop im Schoß
nutzte. Dabei kann einem schlecht werden,
wenn man ungeübt ist, während der Fahrt
konzentriert in den Monitor zu blicken oder
juristische Feinheiten zu begreifen, derweil
der Chauffeur durch nordische Dörfer saust.
Solche Sachen kamen zur Sprache, ganz
gewöhnliche Dinge,
die jeder versteht.
Jetzt bin ich, bereits
vom Zorn geprägt,
wie auch bei der
Bundestagswahl,
keinesfalls meine
Stimme noch abzugeben,
durch Schenefeld
spaziert und habe
aktuelle Wahlplakate
registriert. Für einige
Spottbildchen auf
der Webseite sollten
sie wohl nützen?
Ich hatte wirklich
ein Problem damit,
den Kandidaten der
SPD zu skizzieren. Der kam mir vor wie ein
Marktleiter von Edeka. Hellblaues Oberhemd,
das freundliche Lächeln eines Käsehändlers
im Gesicht, kaum rote soziale Farbe
im Hintergrund auf dem einzigen Foto,
das mehrere Plakate im Dorf zeigten. Eine
schlappe, blassblaue Anmutung mit einem
Sonnyboy am Strand, dabei recht bieder.
Der Kaufmann einer Milchtheke, wo es
immer ein wenig käsig riecht.
Mai 12, 2022 - Wer ist Thomas Losse-Müller? 80 [Seite 80 bis 81 ]