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Hundert Prozent Wunschdenken, sechzehn
real
Mai 10, 2022
Wieder hatte die SPD einen Kandidaten
aufgestellt, der seine Wahl nicht gewinnen
konnte. Das ist mein Eindruck der Landtagswahl.
Hundert Prozent! Martin Schulz
lässt grüßen. Wer in das verdutzte Gesicht
von Thomas-Losse – boshaft: dem „Loser“
– Müller schaute, erlebte am Abend der
Wahlschlappe ein Déjà-vu.
Natürlich, auch die CDU hat Wahlen verloren:
Um den Bundestag, das große Ding
verkackt. Der trockene Olaf ist so nebenbei
durchmarschiert. Ich habe ihn nicht gewählt.
Man muss zugeben, dass es nicht anders
kommen konnte und wer überrascht war, wie
ich zum Beispiel, einfach nicht genau hingeschaut
hat – vorher, sollte es einsehen. Mein
Fehler. Unvergessen (ist noch) der glücklose
Armin Laschet, der dem zukünftigen Wähler
aber schon bald so unbekannt sein wird,
wie der damalige Kanzleranwärter Schulz
es inzwischen geworden ist. Die Versenkung
hat sich geöffnet!
Für mich liegt der Fokus auf dem kleineren
Schleswig-Holstein, mein Zuhause, und den
Fehlschlägen bei den Sozialdemokraten der
näheren Vergangenheit, weil diese noch so
präsent ist und mich persönlich berührt.
Verschluckt vom Schicksal wurden Heide
Simonis, später Torsten Albig. „Der Eindruck
war ein anderer“, sagte der fassungslose
Albig immer wieder, noch berauscht vom
warmen Regen inmitten der Genossen auf
den Wahlveranstaltungen, die doch in die
kalte Dusche seiner krachenden Niederlage
führten. Der Ablöser Daniel Günther war erst
kurz vor der Wahl einer breiteren Öffentlichkeit
bekannt geworden. Das entspricht in
etwa dem, was die Sozialdemokraten jetzt
bejammern, man habe nicht genügend Zeit
gehabt, den Kandidaten Losse-Müller vorzustellen.
Insofern ist es keine gute Erklärung
der Wahlniederlage.
Das Abtreten von Albig, verstockt in meiner
Erinnerung, wie das verbissene Festhaltenwollen
an der Macht von „Pattex-Heide“.
Auch der Kandidat Ralf Stegner, der es nie
ins Amt schaffte, hat dieses Auftreten vom
unsouveränen Wadenbeißer. Heide Simonis
fiel einer anonymen Enthaltung in einer
Kampfabstimmung zum Opfer. Manche
werden sich erinnern. Albig gelang die Wiederwahl
nicht. Einzig Ralf Stegner kämpft
verbissen um seine Karriere. Er tauchte am
Wahlabend auch vor den Kameras auf, spendete
dem geschockten Losse-Müller und
seinen Mannen Trost in Kiel. Das habe ich im
Fernsehen verfolgt.
# Ich interessiere mich für Politik
Es liegt mir fern, eine qualifizierte Bewertung
zu versuchen, woran der Kandidat
scheiterte. Ich begeistere mich für die
Realität als eine harte Wahrheit und auf der
anderen Seite unser Wunschdenken in mancher
Lage, das ja nicht nur ein politisches
Trauma werden kann, sondern Menschen allgemein
betrifft, die auf einen Gewinn hoffen,
ein Ziel ansteuern und welches zwingend
zur Enttäuschung führen muss. Der gescheiterte
Kandidat wird es bald schwer haben
in seiner Partei. Was doch wundert, ist seine
so offensichtliche Überraschung, eine totale
Niederlage eingefahren zu haben, nachdem
die Prognosen recht deutlich genau
dies voraussagten. Die Enttäuschung war
schmerzlich mitanzusehen. Losse-Müller ist
dem Augenschein nach ein sympathischer
Kandidat. Da fühlt man mit, wenn etwas
nicht gelingt.
Ich schaute kurz in einen Ausschnitt des
Wahlkampfes: Nebeneinander haben links
Daniel Günther, der amtierende Ministerpräsident,
in der Mitte der Herausforderer
Thomas Losse-Müller und ganz rechts die
Kandidatin der Grünen, Monika Heinold,
die in diesem Moment selbst dafür wirbt,
Regierungschefin werden zu wollen, ein Pult
bekommen, sich zu präsentieren. Das TV-
Triell. Losse-Müller beschreibt seine Vision
kostenfreier Kitas für alle.
In diesem Moment zappe ich in die Sendung.
Köstlich trocken und kameradschaftlich ist
diese Reaktion der beiden anderen. Heinold
hakt gleich ein, als der Sozialdemokrat die
Wundertüte ausschüttet, das Füllhorn seiner
zukünftigen Regierung würde endlich die
gebührenfreie Betreuung unserer Lütten
möglich machen. Sie merkt an, dafür wären
keine Mittel vorhanden.
Monika Heinold von den Grünen ist schon
unter der Regierung Albig Finanzministerin
gewesen, das ist bekannt.
Drollig demzufolge und besonders unaufgeregt,
denn eigentlich sollten hier drei
Anwärter um die Spitze kämpfen, springt
Günther der Grünen bei. Die beiden teilen
sich ein Büro? Das sind jedenfalls Partner
einer gut funktionierenden Jamaika-
Koalition und arbeiten nahezu reibungslos
Hand in Hand. Das merkt man als Wähler
schon. Norddeutsch unspektakulär sagt der
Ministerpräsident in etwa zu Losse-Müller,
sie nehmen den Armen so nebenbei in die
Zange: „Kita gebührenfrei? Das geht nicht.
Monika Heinold und ich kennen den Haushalt.
Anschließend der Corona-Hilfen und
den daraus resultierenden neuen Schulden,
sowie der ungewissen, wirtschaftlichen Situation
durch Krieg und Flüchtlinge, ist das
nicht drin.“ Er tritt (locker) nach:
„Dieses Geld ist schlicht nicht da.“
„Dann machen wir es eben nicht …“,
… scheint der Herausforderer zu sagen; rein
von der Körpersprache, knickt der Arme
buchstäblich ein.
Dabei ist es sein zentrales Thema. Er
probiert den einen oder anderen schlappen
Satz. So hat das ausgesehen, richtig zugehört
habe ich nicht mehr …
Der optische Eindruck war vernichtend.
Etwa so: Drei Kumpels einer Firma stehen
zusammen. Der neue Mitarbeiter stellt seine
Idee vor, die langjährige Angestellte und der
freundliche Chef reflektieren. „Lassen Sie’s
mal gut sein, Müller“, nette Idee. So kam mir
das vor, und dann habe ich den Sender in
diesem Moment wieder gewechselt.
:)
Mai 10, 2022 - Hundert Prozent Wunschdenken, sechzehn real 78 [Seite 78 bis 79 ]