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Hornblower

27 Feb, 2022

Wieder kommt mir Hornblower in den Sinn.

Schon einmal habe ich diesen Bezug zur

Gegenwart gesehen, und zwar als Donald

Trump zum Präsidenten der Vereinigten

Staaten von Amerika gewählt wurde. Schnell

kam die Frage auf, was mit dem los sei? So

etwas „hatten wir noch nicht“ und „der Mann

spinnt“, waren bekanntlich die ersten Reaktionen.

Bald kamen Psychiater zusammen, den

Amerikaner – ohne ihn zu treffen versteht

sich – allein aus der Beobachtung der Medien,

analytisch zu bewerten. Verschiedene

Geisteskrankheiten und Verhaltensauffälligkeiten

attestierte man dem Populisten.

Exponiert ist Trump allemal, und auffallen

muss man als Präsident. Andernfalls wird

man keiner.

So absurd sich dieser Mann an der Spitze

der USA auch gegeben hat, klar ist, dass diese

extrovertierte Persönlichkeit genügend

Verstand besitzt, weiter mitzumischen, auch

wenn er die Wiederwahl vermasselte, was

drüben selten ist. Eine der faszinierendsten

Regeln der amerikanischen Demokratie

lautet, dass man nur zwei Mal Präsident sein

darf. So etwas wie den langjährigen Kanzler

Helmut Kohl bei uns oder das ihm nachfolgende,

von den Deutschen so geliebte

„Mädchen Angela“ mit ihren überlangen

Kanzlerschaften, kann es in den Vereinigten

Staaten nicht geben, weil nach zwei gewonnenen

und durchregierten Perioden ein

anderer aufgestellt werden muss. Wladimir

Putin könnte sich dort nicht wie ein Zar

einnisten und bleiben. Dass es in Russland

möglich geworden ist, besorgt manche nicht

erst seit der Eskalation in der Ukraine. Wir

haben uns gern täuschen lassen, wenn wir

den starken Politiker in den Medien gesehen

haben. Immerhin sei der frühere Bundeskanzler

Gerhard Schröder mit ihm befreundet,

heißt es.

Wladimir Putin äußerte sich angeblich

über Trump, der sei „in echt“ ganz anders

als im Fernsehen. Zwei, die sich mögen?

Der französische Obelix ist ja auch so einer,

der gern den Russen besucht hat, und mit

Schröder finden wir noch einen extrovertierten

Freund im Bund. Passt doch, mögen

einige gedacht haben. Ich jedenfalls gehöre

zu denen, die Gefallen dran finden, wenn

laute, kraftvolle

und authentische

Menschen

sich gegenseitig

Respekt erweisen.

Das schien mir hier

der Fall zu sein. Ich

blieb gern blind auf

einem Auge, wenn

die Demokratie in

Russland missachtet

wurde, sogar die

Annexion der Krim

hat mich kalt gelassen.

Das „war immer

unser“, meinte eine

liebe Bekannte zu

mir. Natascha ist

aus der Gegend

von Omsk oder

so (kaltes Sibirien

jedenfalls), und sie ist wirklich klug. Eine

starke Frau. Viele Russen vertrauen ihrem

Präsidenten mit dieser ihnen eigenen Blindheit,

über manches hinwegzusehen, das bei

uns undenkbar funktionierte. Jetzt hat sich

daran etwas geändert. Während ich nach

wie vor an den Verstand von Donald Trump

glaube, der ganz offensichtlich den menschenverachtenden

Sturm auf das Kapitol

anschob, teile ich die Befürchtungen einiger,

die bemerkt haben wollen, dass mit Putin

etwas nicht stimme.

# Das macht Angst

Ich denke an Adolf Hitler, seinen sogenannten

Nero-Befehl, verbrannte Erde

zurückzulassen. Das beschreibt diesen Wahn,

wenn der erhoffte und anvisierte Endsieg

nicht hinzubekommen sei, hinterlasse man

dem Feind nur Schutt und Asche. War der

deutsche Diktator, schlimmer als Napoleon

oder Mussolini, krankhaft bösartig? Das

deuten Fachleute an. Neulich kam etwas im

Fernsehen. Eine Doku ging der Überlegung

nach, inwieweit Hitler eine vorbelastete Persönlichkeit

gewesen ist. Man führte Inzucht

in der Familie an, und es ließen sich Belege

dafür finden. Der Vater war jähzornig und

trank, so dass man annehmen könne, Sohn

Adolf hätte eine traumatische Vorgeschichte

gehabt, hieß es. Dann gab es als ein weiteres

Detail, was sich gut in eine verstörende

Biografie einreihen ließ, die wenigen Belege

dafür, dass der junge Hitler sexuell gedemütigt

worden wäre. Und zwar von seinen

Kameraden zur Zeit des Ersten Weltkrieges,

den der spätere Führer als einfacher Soldat

erlebte. Die Doku probierte aufzuzeigen, der

Führer habe ein operativ nicht verschließbares

Leck „untenrum“ gehabt, sei inkontinent

gewesen. Das, und die frustrierende Zurückweisung

an einer Kunstschule, auf die der

junge Mann gern gegangen wäre, zusammen

mit der Familiengeschichte, mochte dem

Historiker eine These geben, Hitler hätte

gute Gründe gehabt, die Welt als nicht

normal anzusehen und berechtigten Hass

pflegen können. Die Unabänderlichkeit der

erfahrenen Kränkungen nagten am Führer

und nährten narzisstische Ideen.

Mir hat das gefallen zu hören: Zeigt es doch,

dass Wahnsinn nicht von ungefähr kommt.

Ich empfinde meine Mitmenschen nur zu oft

als verletzend. Als noch schlimmer nehme

ich wahr, dass nicht wenige sich selbstgerecht,

geradezu unbeeindruckt stumpf und

unbewusst ihrer Gemeinheiten breit machen.

Das stützt meine Ansicht, die Umgebung

kränkt nicht wenige,

begünstigt traumatische

Lebensläufe.

Andere mögen

ähnlich empfinden.

Das lässt als Schluss

nur zu, dass wir alle

nicht selten fies und

herzlos über unsere

Nächsten hinweggehen.

Mit dem

Unterschied, dass

manche sich selbst

weniger verletzen

lassen und andere

extrem vulnerabel

reagieren. Der Ansatz

zu helfen muss also

sein, Menschen davon

abzubringen, dem

Rat zur Nächstenliebe

auf eine Weise zu folgen, die sie krank

macht. Andernfalls wird der Wunsch, sich

schließlich einmal zur Wehr zu setzen, auf

zerstörende Weise frei. Gedemütigte müssten

lernen, ihre Kräfte in motivische Bahnen

zu lenken, die ihrem Umfeld nützen wie

ihnen selbst.

Man muss kein Facharzt sein, um diese

furchtbare Zeit des Zweiten Weltkrieges und

das Gebaren des Führers als bösartig und

krank zu bewerten. Vor Ort und damals war

die Masse jedoch kollektiv davon überzeugt.

Viele geschichtliche Dokumente und Filmmaterial

zeigen, dass der deutsche Führer

die Menschen begeistert hat. Selbst welche,

die Hitler als Person infrage stellten, waren

überzeugt, dass Deutschland nach dem verlorenen

ersten Krieg mit einem zweiten zu

verdienter Größe zurückfinden müsse. Auch

nachdem dieser zweite Krieg verloren war,

blieben nicht wenige dem bösen Denken

treu. Sie sahen ihre Zeit keinesfalls aus der

Perspektive, die wir gewohnt sind. Heute erstaunt

die Einschätzung nicht weniger, die in

ihrer zertrümmerten Heimat Berlin von den

Amerikanern und Briten gefragt wurden, wie

das mit Hitler gewesen wäre? Als es wieder

aufwärts ging und der Schuttberg kleiner

wurde, es guten Kaffee gab, amerikanische

Feb 27, 2022 - Hornblower 27 [Seite 27 bis 29 ]

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