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Urlaubsmagazin 2022

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50 KOLUMNE<br />

Kapitänin Kerstin Fiedler-Wilhelm hat ihre Familie auf dem Hausboot „Ronja“ sicher in den Anklamer Hafen gesteuert.<br />

©Frank Wilhelm<br />

„Links! Links! Otto!! Nicht<br />

so schnell!“ Die Stimme<br />

meiner Frau wird immer<br />

lauter. Sie steht auf dem<br />

Heck unseres Hausbootes<br />

„Ronja“, mit dem wir über<br />

die Peene schippern. Insgesamt<br />

ein sehr erholsamer<br />

Törn, wenn da nicht die Anund<br />

Ablegemanöver wären.<br />

Meine Frau legt eine Zehntelsekunde<br />

Pause ein.<br />

Dann legt sie wieder los:<br />

„Otto! Rechts, rechts, sonst<br />

stoßen wir an!“ Otto läuft<br />

puterrot an: „Was denn<br />

jetzt, Mutter!? Weißt Du<br />

denn noch, was Duwillst“,<br />

schreit er zurück. Jetzt donnert<br />

gerade wieder ein ICE<br />

durch die heiß gelaufenen<br />

Synapsen des Gehirns des<br />

16-Jährigen, so, wie bei vielen<br />

pubertierenden Mädchen<br />

und Jungs. Hat mir<br />

mal ein Psychologe erklärt.<br />

Jetzt hilft nur noch ruhig<br />

Blut.<br />

Wenige Minuten später tuckert<br />

das Hausboot wieder<br />

gemächlich über den Fluss.<br />

Ich als Brückenbauer –wie<br />

Otto mich einst in einem<br />

Gedichtlein bezeichnete<br />

– versuche, die Gemüter<br />

meiner beiden Hitzköpfe<br />

abzukühlen: „Ist doch alles<br />

gut gegangen. Jetzt ge-<br />

KOLUMNE<br />

von FrankWilhelm,<br />

Nordkurier-Reporter<br />

Lassen wir doch einfach mal<br />

die Jugend öfter ans Ruder<br />

nießt doch einfach die Natur!“<br />

Fischadler,Milane und<br />

Fluss-Seeschwalben haben<br />

wir gesehen. Nur die Biber<br />

haben sichnicht blicken lassen.<br />

Ruhe, herrliche Landschaft,<br />

super Hausboot –all<br />

dies Lob konnte man auch<br />

in „Ronjas“ Gästebuchnachlesen.<br />

Niemand hat über<br />

den Stress beim An- und Ablegen<br />

geschrieben, obwohl<br />

ichglaube,dass das Adrenalin<br />

während dieser Manöver<br />

bei allen Hobby-Matrosen<br />

ansteigt.<br />

Zum Beispiel im Hafen<br />

Loitz, wo Mutter und Vater<br />

das Kommando auf einem<br />

Hausboot mit drei halbwüchsigen<br />

Jungs übernommen<br />

hatten. Da flogen die<br />

Fetzen, als Kapitän Papa<br />

den Kai rammte. Nachdem<br />

ich selbst auch ein „gegnerisches“<br />

Hausboot leicht<br />

angebumst hatte, überließen<br />

wir lieber Otto das<br />

Ruder bei den sensiblen<br />

Manövern. Der Lulatsch<br />

wuchs noch mal zwei Zentimeter,<br />

verbunden mit dem<br />

einen oder anderen Macho-<br />

Spruch: „Papa, lass das mal<br />

den Papa machen!“<br />

Wir Eltern geben uns lieber<br />

der puren Erholung hin: Die<br />

Beine im Wasser baumeln<br />

lassen. Vögel und anderes<br />

Getier beobachten. Über andere<br />

Hobby-Matrosen lästern.<br />

Und einfach mal in die<br />

Peene springen, wenn kein<br />

anderes Schiff am Horizont<br />

zu sehen ist, gerne auch<br />

nackt.<br />

Unser junger Kapitän steht<br />

derweil stolz am Steuer.<br />

Selbstbewusstsein ist wirklich<br />

das Letzte, was unserem<br />

Sohn fehlt. Ist dochaber<br />

okay. Meinte übrigens auch<br />

ein Fahrensmann unseres<br />

Anklamer Hausboot-Vermieters.„Besser,einer<br />

übernimmt<br />

die Verantwortung,<br />

als wenn drei Angsthasen<br />

an Bord sind, von denen<br />

keiner ans Steuer will.“ Da<br />

hat er recht: Vielleicht sollten<br />

wir unseren Kindern<br />

beim Loslassen einfach öfter<br />

mal die Verantwortung<br />

überlassen.

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