Festivalkatalog der Ruhrtriennale 2022
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mand mehr in einer Zweigeschlechterlogik einzuordnen<br />
ist, son<strong>der</strong>n einfach eine <strong>der</strong> vielen verfügbaren<br />
Möglichkeiten wählt. Und es ist absolut angemessen,<br />
dir dein eigenes Label zu schaffen. Diese Erfahrungen<br />
könnten subjektiver nicht sein.<br />
Repräsentationssysteme in ihrem Zerfall zu beobachten,<br />
kann sehr befriedigend sein, denn es handelt sich<br />
in einem größeren Sinne um Wachstumsschmerzen<br />
gesellschaftlicher Dissonanzen. Viele Individuen werden<br />
sich gerade <strong>der</strong> Tatsache bewusst, dass sie mehr<br />
sein können, als das System erlaubt; dass unser Bewusstsein<br />
uns Entwicklungen ermöglicht, die weit über<br />
das hinausgehen, in welche Rolle wir hineingeboren<br />
wurden. Der Akt <strong>der</strong> Selbstzerstörung ist unerbittlich<br />
verknüpft mit <strong>der</strong> Vorstellung, etwas Neues zu werden.<br />
Es handelt sich um eine sehr universelle Metapher, die<br />
Idee, dass Menschen in einem kontinuierlichen Prozess<br />
aktiv daran wirken, ihr altes Selbst zu zerstören, um<br />
neue Verknüpfungen und Möglichkeiten zu schaffen.<br />
DICH SELBST ZU<br />
PERFORMEN, IST<br />
EINFACHER, ALS DU<br />
SELBST ZU SEIN<br />
Persönlich glaube ich, dass kein Mensch Hormone<br />
braucht, um trans zu sein. Aber es ist extrem interessant,<br />
als transmaskuline Person Testosteron zu nehmen,<br />
weil wir es mit einer an<strong>der</strong>en Erfahrung vergleichen<br />
können. In meiner Utopie wäre es sehr erhellend<br />
und würde viel Gutes hervorbringen, wenn alle Menschen<br />
mal das in ihrem Körper weniger vorherrschende<br />
Hormon ausprobieren würden.<br />
SA: So persönlich, intim und uninszeniert Seek Bromance<br />
auf den ersten Blick erscheint, natürlich handelt es sich<br />
um ein gemachtes Produkt, das von einem Künstler geschaffen<br />
wurde. Es gibt also auch einen brutalen, wohlkalkulierten,<br />
inszenierten und öffentlichen Aspekt, <strong>der</strong> von<br />
<strong>der</strong> dritten Protagonistin vertreten ist: <strong>der</strong> Kamera. Ist das<br />
eine dystopische Ebene? Die Verschränkung von Privatheit<br />
und Öffentlichkeit o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Instagram-Einfluss auf unsere<br />
Erfahrung von Intimität?<br />
SE: Dich selbst zu performen, ist einfacher, als du<br />
selbst zu sein. Und während diese Unterscheidung ein<br />
schmaler Grat ist, insbeson<strong>der</strong>e in unserer Zeit, so besteht<br />
sie doch weiterhin. Die Kamera ermöglicht uns,<br />
weniger zu sein als die Summe unserer Teile. Wir können<br />
einen Winkel fokussieren, Überflüssiges herausschneiden,<br />
einen Moment erschaffen, <strong>der</strong> vom Ganzen<br />
getrennt und nicht davon verdorben ist. Seek Bromance<br />
ist ein perfektes Beispiel dafür. Trotz Frustrationen<br />
und Streit bot jede Szene, die wir produzierten, ein<br />
neues Moment, um etwas in unserer Beziehung besser<br />
hinzubekommen. Wie ich zuvor erwähnte, denke<br />
ich, dass ein enormer Teil unseres Selbstbildes durch<br />
die Spiegelungen entsteht, die wir in an<strong>der</strong>en sehen –<br />
und die Kamera stellt die hypothetischen an<strong>der</strong>en dar.<br />
Es klingt manipulativ, aber wir befinden uns ständig in<br />
Bearbeitung, in einer Art permanentem Filmschnitt. Es<br />
gibt den »Activist-Schnitt«, den »Sexy-Schnitt«, den<br />
»Ich-bin-glücklich-Schnitt«. Und während wir das mit<br />
an<strong>der</strong>en automatisch machen (indem wir sie spiegeln),<br />
ist es schwieriger, sich selbst zu editieren.<br />
Cade und ich haben uns schon vorher viel gefilmt und<br />
in einem gewissen Maß leben wir das Leben, als sei es<br />
ein Film. Ich neige dazu, uns als unsere eigene Fallstudie<br />
zu betrachten. Ein bisschen wie ein Gemälde, das<br />
sich selbst kommentiert.<br />
Hinsichtlich <strong>der</strong> Zeit, die wir zusammen verbracht<br />
haben, denke ich bis heute, dass wir beide nicht mit<br />
Gewissheit sagen können, wie viel von unserer Begegnung<br />
echt und wie viel davon performt war. Ich glaube,<br />
wir zweifelten permanent aneinan<strong>der</strong>, mäßigten unsere<br />
Gefühle und Erwartungen, während wir zugleich<br />
den Einsatz erhöhten, um »ja« und »mehr davon« zu<br />
<strong>der</strong> improvisatorischen Qualität eines jeden Moments<br />
sagen zu können. Manchmal fühlte es sich so an, als<br />
seien wir Charaktere aus unterschiedlichen Filmen.<br />
Und beide versuchten, die an<strong>der</strong>e Figur in den eigenen<br />
Bildrahmen zu holen.<br />
SA: Virus und Ansteckung sind ebenfalls Themen in Seek<br />
Bromance. Nicht nur, weil du die letzten beiden Menschen<br />
in einer zur Wüste gewordenen, postapokalyptischen Welt<br />
eingefangen hast. Auch in <strong>der</strong> Beziehung zwischen Cade<br />
und dir scheint es eine Art infektiöses Liebesvirus zu geben<br />
o<strong>der</strong> einen ansteckenden Willen, zum Objekt <strong>der</strong> Begierde<br />
zu werden. Cade sagt an einer Stelle: »Die meisten<br />
Menschen wollen ficken, was sie begehren; ich will zu<br />
dem werden, was ich begehre.« Wie stark ist diese Form<br />
<strong>der</strong> Anverwandlung in Seek Bromance?<br />
SE: Das ist schwer zu sagen. Ich weiß, dass es Dinge<br />
gab, die wir wi<strong>der</strong>willig voneinan<strong>der</strong> übernahmen, und<br />
an<strong>der</strong>e Dinge, nach denen wir strebten, die wir aber<br />
nicht hinbekamen. Doch am Ende gab es, glaube ich,<br />
mehr Dinge, an denen wir abprallten, als solche, durch<br />
die wir uns verbinden konnten.<br />
Obwohl wir uns drei Monate so nah waren, beinahe<br />
24/7, konnten wir erst durch die Trennung ein wirkliches<br />
Verständnis füreinan<strong>der</strong> entwickeln. Nachdem<br />
ich zurückkam, musste ich mir erst wie<strong>der</strong> darüber klar<br />
werden, wer ich in Abwesenheit von Cade eigentlich<br />
bin. Es gab kein Zurück zu meinem Selbst vor Covid.<br />
Aber es ist hart, in <strong>der</strong> Isolation einer elend einsamen<br />
Quarantäne herauszufinden, wer du bist.<br />
Es geht in dem Werk viel um Isolation und Einsamkeit<br />
und den Verlust von Community. Doch es gibt viele<br />
Versionen von mir und Cade. Es gibt ein Gefühl, dass<br />
wir dem Ende <strong>der</strong> Welt nah waren. Als ob wir die letzten<br />
beiden Menschen auf einem Planeten gewesen wären,<br />
auf dem alles ausgelöscht wurde und die Bevölkerung<br />
aufgrund irgendeiner Seuche ausgestorben ist.<br />
Das hatte zur Folge, dass wir nicht von <strong>der</strong> Welt angesteckt<br />
werden konnten, son<strong>der</strong>n nur voneinan<strong>der</strong>. Die<br />
Wüste ist tatsächlich eine <strong>der</strong> Hauptfiguren in dieser<br />
Arbeit. Ein Freund, <strong>der</strong> den Schnittprozess mitbekam,<br />
erkannte in <strong>der</strong> Wüste beinahe eine Transallegorie: die<br />
Wüste als Ausgangspunkt <strong>der</strong> Vorstellungskraft.<br />
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