TITELTHEMA14 zukunft forschung 02/16Fotos: Andreas Friedle
TITELTHEMAWECHSELWIRKUNGDer Quantenphysikerin Francesca Ferlaino gelang 2012 die Erzeugung desersten Bose-Einstein-Kondensats aus Erbium. Seither lässt sie dieses Metallder seltenen Erden und sein magnetischer Charakter nicht mehr los.Es war eine Mail, die Francesa Ferlainoim Jahr 2006 nach Innsbruck brachte.„Damals wollten wir in Florenz ausultrakalten Atomen Moleküle machen, hattenaber noch keine Erfahrung damit“, erinnertsie sich. In Innsbruck hatte die Arbeitsgruppevon Rudolf Grimm drei Jahre zuvorfür weltweites Aufsehen gesorgt, war demExperimentalphysiker doch – zeitgleich miteiner Forschergruppe in Boulder – die ersteErzeugung eines Bose-Einstein-Kondensatsaus Molekülen gelungen. Ferlaino mailte alsoan Grimm, um in Tirol, so die gebürtigeItalienerin, zwei, drei Monate lang neue Einblickein die Quantenwelt zu bekommen.Grimm sagte zu, Ferlaino kam nach Österreich.Zehn Jahre ist das nun her, den erstenzwei, drei Monaten folgten nochmals drei,dann ein Lise-Meitner-Stipendium. Besondersgefallen habe ihr in Inns bruck die Möglichkeit,eigene Ideen zu entwickeln und sichmit exzellenten Forschern anderer Gruppenauszutauschen. Grimm etwa ermunterte sie,sich Erbium, ein Metall der seltenen Erden,genauer anzuschauen. „Es war high risk, aberwir haben uns gesagt: Probieren wir es.“ Ferlainokonnte – dank eines START-Preises bzw.eines ERC Starting Grants – probieren, 2012gelang ihr der Erbium-Durchbruch. Mit Hilfevon elektromagnetischen Feldern und Lasernwurden rund 70.000 Erbium-Atome in einerVakuumkammer eingefangen. Bei Temperaturenknapp über dem absoluten Nullpunktverwandelte sich diese Atom-Wolke in einmagnetisches Bose-Einstein-Kondensat, dieTeilchen verloren dabei ihre individuellen Eigenschaftenund schwangen alle im gleichenTakt.Faszination Erbium„Erbium ist hochinteressant, man weiß abernoch sehr wenig darüber“, sagt Ferlaino, „esist ein sehr schweres Atom mit vielen Elektronen.“Zudem besitzt es einen stark magnetischenCharakter, was sich auf die Wechselwirkungder Atome auswirkt: Die Atomebeeinflussen sich auch – im Vergleich etwa zuCäsium – auf größere Entfernungen. Erbiumhat die Quantenforscherin seither nicht mehrlosgelassen. 2014 etwa erbrachte sie mit ihrerinternational besetzten Arbeitsgruppe denersten experimentellen Nachweis für chaotischesVerhalten von Erbium-Teilchen inQuantengasen. Im Frühjahr 2016 konnte sie– in Kooperation mit dem Theoretiker PeterZoller – erstmals in einem optischen Gitterdie magnetische Wechselwirkung zwischenweit auseinanderliegenden, ultrakalten Teilchenmessen. Die Innsbrucker Forscher griffendabei wieder auf ein im Labor erzeugtesBose-Einstein-Kondensat aus Erbium-Atomenzurück und luden es in ein dreidimensionalesGitter aus Laserstrahlen, das wie ein künstlicherKristall aus Licht funktioniert. In diesemsimulierten Festkörperkristall ordnen sich dieTeilchen wie in einem Eierkarton an. In demExperiment lagen die Teilchen etwa das Siebenfacheder Ausdehnung ihrer Wellenfunktionvoneinander entfernt. Ferlaino: „DieseArbeit ist ein weiterer Schritt für ein besseresVerständnis der Materie, denn die Verhältnissesind hier wesentlich komplizierter als in bisheruntersuchten ultrakalten Quantengasen.“In ihrem Labor am Institut für Quantenoptikund Quanteninformation der österreichischenAkademie der Wissenschaften wirdgerade ihr neues Experiment aufgebaut,selbstverständlich spielt Erbium eine wichtigeRolle. „Wir wollen zwei ultrakalte selteneAtome mischen, nämlich Erbium und Dysprosium“,berichtet Ferlaino. Mit dieser erstenultrakalten Mischung will sie noch tiefer indie Welt der magnetischen Wechselwirkungeneintauchen: „Will man Quanteninformationbetreiben, geht es auch um das Koppeln vonQubits – und da spielt die Wechselwirkungeine entscheidende Rolle.“ Näher ansehenwill sie sich in diesem Zusammenhang eineIdee von Peter Zoller zu sogenannten Rydberg-Atomen,deren äußerstes, sehr weit vomZentrum entferntes Elektron sich in einemaußergewöhnlich hohen Anregungszustandbefindet – und die untereinander in sehrstarker Wechselwirkung stehen. ahFRANCESCA FERLAINO (geboren1977) kam nach ihremStudium in Neapel, Triest undFlorenz im Jahr 2006 nachInnsbruck, wo sie seit 2014 alsProfessorin an der UniversitätInnsbruck sowie als wissenschaftlicheDirektorin amInstitut für Quantenoptik undQuanteninformation (IQOQI)tätig ist. Die Trägerin hoherAuszeichnungen und Ehrungen(START-Preis, ERC StartingGrant, Ignaz L. Lieben-Preis etc.) sorgte mit Arbeitenauf dem Gebiet ultrakalterQuantengase international fürAufmerksamkeit. 2013 wurdeihr eine Alexander-von-Humboldt-Professurzuerkannt, diesie zugunsten ihrer Tätigkeitin Innsbruck aber ablehnte.Anfang 2016 erhielt sie zudemeinen ERC Consolidator Grant,der mit bis zu zwei MillionenEuro für fünf Jahre dotiert ist.zukunft forschung 02/16 15