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Zukunft Forschung 01/2017

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

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CHEMIE

An Apple a day keeps the doctor

away – Apfel-Allergiker können

dieses Sprichwort leider nicht

bestätigen. Vor allem jene, die auf Birkenpollen

allergisch reagieren, leiden

oft unter Reiz-Symptomen nach dem

Apfelverzehr. „Rund 20 Prozent aller

Menschen in Mitteleuropa leiden an einer

Birkenpollen-Allergie, 70 Prozent davon

haben auch eine Kreuzallergie auf Apfel“,

erklärt Martin Tollinger, assoziierter

Professor am Institut für Organische

Chemie. Dieser Zusammenhang ist auf

die Ähnlichkeit der Struktur bestimmter

Proteine im Birkenpollen und im Apfel

zurückzuführen. „Im Birkenpollen ist das

Protein Bet v 1 für die Allergieauslösung

verantwortlich. Bei Allergikern führt der

Kontakt mit diesem Protein dazu, dass

IgE-Antikörper produziert werden, die

die typischen Allergie-Symptome auslösen“,

erläutert der Chemiker, der sich

umfassend mit dem Allergen in Birkenpollen

beschäftigt hat. „Es wird davon

ausgegangen, dass die Erstsensibilisierung

im Körper durch Bet v 1 erfolgt. Die

dann gebildeten IgE-Antikörper binden

in der Folge allerdings an alle Proteine,

die strukturell ähnlich sind. Man spricht

hier von einer Kreuzallergie.“

Ähnlichkeit bewiesen

Die strukturelle Ähnlichkeit von Birkenpollen-

und Apfel-Allergen konnte zwar

bereits aufgrund der seit 1995 bekannten

DNA-Sequenz vom Apfel abgeleitet werden,

belegt hat sie nun allerdings Martin

Tollinger, der erstmals die Struktur des

Apfelproteins Mal d 1 beschrieben hat.

Da die bisherigen Versuche, das Protein

zu kristallisieren, gescheitert waren,

untersuchte Martin Tollinger das Apfel-

Allergen mithilfe der Kernspinresonanzspektroskopie

(NMR- Spektroskopie).

„Im Zuge unserer Untersuchungen waren

wir mit dem selben Problem konfrontiert,

das Kollegen bisher nicht ermöglichte,

das Protein zu kristallisieren:

Es ist sehr flexibel, was dazu führt, dass

es schwer zu untersuchen ist“, beschreibt

Tollinger die anfänglichen Probleme. Da

das Protein für die NMR-Spektroskopie

aber immer in Lösung untersucht werden

muss, kam Tollingers Dissertantin Linda

Ahammer auf die Idee, dieser Lösung Vitamin

C – das das Protein auch im Apfel

umgibt – zuzugeben. „Die Zugabe von

Vitamin C führte dazu, dass das Protein

starrer wurde, was uns sehr schöne Ergebnisse

in der NMR-Spektroskopie lieferte“,

so Tollinger.

Die so erstmals dargestellte Struktur

des Apfel-Allergens zeigte eine große

Ähnlichkeit zum Birkenpollenallergen

Bet v 1, was die kreuzallergischen Symptome

erklärt. Aus seiner Vorarbeit mit

dem Birkenpollen-Allergen weiß Martin

Tollinger, dass es verschiedene Isoformen

des Allergens Bet v1 gibt, die auch unterschiedlich

im menschlichen Körper wirken.

„Die unterschiedlichen Isoformen

des Allergens werden unterteilt in Bet v

1a, Bet v 1b, Bet v 1c und so weiter. Immunologische

Untersuchungen haben

gezeigt, dass die allergieauslösende Wirkung

der einzelnen Isoformen komplett

unterschiedlich ist: Während Bet v 1a

beispielsweise hyperallergen ist, also die

stärkste Allergieauslösung verursacht,

ist Bet v 1d hypoallergen und löst somit

keine allergischen Beschwerden aus,“

erklärt der Chemiker, der auch davon

ausgeht, dass unterschiedliche Isoformen

des Apfel-Allergens verschieden stark

wirken. „Das würde erklären, warum es

Apfelsorten gibt, die von Allergikern besser

vertragen werden, als andere.“

Flexible Proteine

Grund für diese unterschiedliche Wirkung

der Proteine ist wahrscheinlich ihre

Flexibilität. „Um eine immunologische

Erstreaktion im Körper auszulösen, muss

das Allergen in Peptide umgewandelt

werden. Unterschiedlich flexible Proteine

werden früher oder später in der Zelle

abgebaut – der Zeitpunkt des Abbaus bestimmt

also die weitere immunologische

Reaktion“, erklärt Tollinger. Neben dem

Verzehr einer Apfelsorte, die weniger

Isoformen des hyperallergenen Proteins

enthält, kann es für Apfel-Allergiker auch

hilfreich sein, frisch gepflückte Äpfel zu

bevorzugen. „Mal d 1 ist ein Protein, das

als Stressantwort produziert wird. Das

gepflückt werden und die Lagerung bedeutet

natürlich großen Stress für den

Apfel“, verdeutlicht der Chemiker. In

dieser Tatsache sieht Tollinger auch den

Grund für die Zunahmen der Apfel-Allergien:

„Die Züchtungen – die natürlich

auf robuste Pflanzen, möglichst hohe

Erträge und lange Lagerfähigkeit abzielen

– haben dazu geführt, dass die Apfelsorten,

die den Markt dominieren, eine

höheren Gehalt des Proteins haben, als

alte Sorten, die mittlerweile fast aus dem

Handel verschwunden sind.“

Im Rahmen des Euregio-Projekts

AppleCare arbeitet Tollinger nun gemeinsam

mit dem Versuchszentrum

Laimburg in Südtirol, dem Krankenhaus

Bozen und der Medizinischen Universität

Innsbruck unter anderem daran, jene

Apfelsorten zu ermitteln, die sehr geringe

Mengen des Allergens enthalten

und somit auch Allergikern den unbedenklichen

und eigentlich gesundheitsfördernden

Apfelverzehr ermöglichen

sollen.sr

FÜR SEINE ARBEIT verwendet Martin Tollinger die Methode der Kernspinresonanzspektroskopie

(NMR-Spektroskopie). Das NMR-Spektrometer erzeugt extrem starke Magnetfelder,

die ein- bis zweihunderttausendmal stärker sind als das Magnetfeld der Erde. Um

die Struktur eines Proteins darstellen zu können, geben die Wissenschaftler das Protein in

Form von 0,5 Milliliter wässriger Lösung in das NMR-Spektrometer. Die Wechselwirkungen

mit dem Magnetfeld führen dazu, dass für die einzelnen Atome im Protein unterschiedliche

Signale abgegeben werden und die Wissenschaftler so ein Frequenzspektrum für

das Protein erhalten, mit dessen Hilfe sie den Aufbau und auch die Flexibilität des Proteins

genau bestimmen können. Anfang 2017 konnte mithilfe der F&E-Infrastrukturförderung

der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) ein weiteres NMR-Hochleistungsgerät

für die Strukturanalyse von Biomolekülen und für die organische Strukturanalyse

am Institut für Organische Chemie angeschafft werden, das auch die Arbeit von Martin

Tollinger in Zukunft bereichern wird.

MARTIN TOLLINGER studierte Chemie an der Universität

Innsbruck. Er promovierte 1999. Anschließend ging er als Erwin-

Schrödinger-Stipendiat an die University of Toronto. 2004 kam

er im Rahmen eines Erwin-Schrödinger-Rückkehr-Stipendiums

an die Universität Wien, wo er bis 2010 forschte und sich auch

habilitierte. Seit 2012 ist Martin Tollinger assoziierter Professor am

Institut für Organische Chemie der Universität Innsbruck.

zukunft forschung 01/17 37

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