CHEMIEREIZENDE WIRKUNGÄpfel – an sich für ihre gesundheitsfördernde Wirkung bekannt – führen beieinigen Menschen zu allergischen Symptomen. Warum das so ist, weiß derChemiker Martin Tollinger. Gemeinsam mit seiner Arbeitsgruppe gelang es ihmerstmals, die Struktur des Apfel-Allergens zu bestimmen.NICHT NUR GENUSS: Bei Apfelallergikern führt der Verzehr von Äpfeln zu Reiz-Symptomen.36zukunft forschung 01/17Fotos: A. Arnolds/pixelio.de (1), privat (1)
CHEMIEAn Apple a day keeps the doctoraway – Apfel-Allergiker könnendieses Sprichwort leider nichtbestätigen. Vor allem jene, die auf Birkenpollenallergisch reagieren, leidenoft unter Reiz-Symptomen nach demApfelverzehr. „Rund 20 Prozent allerMenschen in Mitteleuropa leiden an einerBirkenpollen-Allergie, 70 Prozent davonhaben auch eine Kreuzallergie auf Apfel“,erklärt Martin Tollinger, assoziierterProfessor am Institut für OrganischeChemie. Dieser Zusammenhang ist aufdie Ähnlichkeit der Struktur bestimmterProteine im Birkenpollen und im Apfelzurückzuführen. „Im Birkenpollen ist dasProtein Bet v 1 für die Allergieauslösungverantwortlich. Bei Allergikern führt derKontakt mit diesem Protein dazu, dassIgE-Antikörper produziert werden, diedie typischen Allergie-Symptome auslösen“,erläutert der Chemiker, der sichumfassend mit dem Allergen in Birkenpollenbeschäftigt hat. „Es wird davonausgegangen, dass die Erstsensibilisierungim Körper durch Bet v 1 erfolgt. Diedann gebildeten IgE-Antikörper bindenin der Folge allerdings an alle Proteine,die strukturell ähnlich sind. Man sprichthier von einer Kreuzallergie.“Ähnlichkeit bewiesenDie strukturelle Ähnlichkeit von Birkenpollen-und Apfel-Allergen konnte zwarbereits aufgrund der seit 1995 bekanntenDNA-Sequenz vom Apfel abgeleitet werden,belegt hat sie nun allerdings MartinTollinger, der erstmals die Struktur desApfelproteins Mal d 1 beschrieben hat.Da die bisherigen Versuche, das Proteinzu kristallisieren, gescheitert waren,untersuchte Martin Tollinger das Apfel-Allergen mithilfe der Kernspinresonanzspektroskopie(NMR- Spektroskopie).„Im Zuge unserer Untersuchungen warenwir mit dem selben Problem konfrontiert,das Kollegen bisher nicht ermöglichte,das Protein zu kristallisieren:Es ist sehr flexibel, was dazu führt, dasses schwer zu untersuchen ist“, beschreibtTollinger die anfänglichen Probleme. Dadas Protein für die NMR-Spektroskopieaber immer in Lösung untersucht werdenmuss, kam Tollingers Dissertantin LindaAhammer auf die Idee, dieser Lösung VitaminC – das das Protein auch im Apfelumgibt – zuzugeben. „Die Zugabe vonVitamin C führte dazu, dass das Proteinstarrer wurde, was uns sehr schöne Ergebnissein der NMR-Spektroskopie lieferte“,so Tollinger.Die so erstmals dargestellte Strukturdes Apfel-Allergens zeigte eine großeÄhnlichkeit zum BirkenpollenallergenBet v 1, was die kreuzallergischen Symptomeerklärt. Aus seiner Vorarbeit mitdem Birkenpollen-Allergen weiß MartinTollinger, dass es verschiedene Isoformendes Allergens Bet v1 gibt, die auch unterschiedlichim menschlichen Körper wirken.„Die unterschiedlichen Isoformendes Allergens werden unterteilt in Bet v1a, Bet v 1b, Bet v 1c und so weiter. ImmunologischeUntersuchungen habengezeigt, dass die allergieauslösende Wirkungder einzelnen Isoformen komplettunterschiedlich ist: Während Bet v 1abeispielsweise hyperallergen ist, also diestärkste Allergieauslösung verursacht,ist Bet v 1d hypoallergen und löst somitkeine allergischen Beschwerden aus,“erklärt der Chemiker, der auch davonausgeht, dass unterschiedliche Isoformendes Apfel-Allergens verschieden starkwirken. „Das würde erklären, warum esApfelsorten gibt, die von Allergikern besservertragen werden, als andere.“Flexible ProteineGrund für diese unterschiedliche Wirkungder Proteine ist wahrscheinlich ihreFlexibilität. „Um eine immunologischeErstreaktion im Körper auszulösen, mussdas Allergen in Peptide umgewandeltwerden. Unterschiedlich flexible Proteinewerden früher oder später in der Zelleabgebaut – der Zeitpunkt des Abbaus bestimmtalso die weitere immunologischeReaktion“, erklärt Tollinger. Neben demVerzehr einer Apfelsorte, die wenigerIsoformen des hyperallergenen Proteinsenthält, kann es für Apfel-Allergiker auchhilfreich sein, frisch gepflückte Äpfel zubevorzugen. „Mal d 1 ist ein Protein, dasals Stressantwort produziert wird. Dasgepflückt werden und die Lagerung bedeutetnatürlich großen Stress für denApfel“, verdeutlicht der Chemiker. Indieser Tatsache sieht Tollinger auch denGrund für die Zunahmen der Apfel-Allergien:„Die Züchtungen – die natürlichauf robuste Pflanzen, möglichst hoheErträge und lange Lagerfähigkeit abzielen– haben dazu geführt, dass die Apfelsorten,die den Markt dominieren, einehöheren Gehalt des Proteins haben, alsalte Sorten, die mittlerweile fast aus demHandel verschwunden sind.“Im Rahmen des Euregio-ProjektsAppleCare arbeitet Tollinger nun gemeinsammit dem VersuchszentrumLaimburg in Südtirol, dem KrankenhausBozen und der Medizinischen UniversitätInnsbruck unter anderem daran, jeneApfelsorten zu ermitteln, die sehr geringeMengen des Allergens enthaltenund somit auch Allergikern den unbedenklichenund eigentlich gesundheitsförderndenApfelverzehr ermöglichensollen.srFÜR SEINE ARBEIT verwendet Martin Tollinger die Methode der Kernspinresonanzspektroskopie(NMR-Spektroskopie). Das NMR-Spektrometer erzeugt extrem starke Magnetfelder,die ein- bis zweihunderttausendmal stärker sind als das Magnetfeld der Erde. Umdie Struktur eines Proteins darstellen zu können, geben die Wissenschaftler das Protein inForm von 0,5 Milliliter wässriger Lösung in das NMR-Spektrometer. Die Wechselwirkungenmit dem Magnetfeld führen dazu, dass für die einzelnen Atome im Protein unterschiedlicheSignale abgegeben werden und die Wissenschaftler so ein Frequenzspektrum fürdas Protein erhalten, mit dessen Hilfe sie den Aufbau und auch die Flexibilität des Proteinsgenau bestimmen können. Anfang 2017 konnte mithilfe der F&E-Infrastrukturförderungder Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) ein weiteres NMR-Hochleistungsgerätfür die Strukturanalyse von Biomolekülen und für die organische Strukturanalyseam Institut für Organische Chemie angeschafft werden, das auch die Arbeit von MartinTollinger in Zukunft bereichern wird.MARTIN TOLLINGER studierte Chemie an der UniversitätInnsbruck. Er promovierte 1999. Anschließend ging er als Erwin-Schrödinger-Stipendiat an die University of Toronto. 2004 kamer im Rahmen eines Erwin-Schrödinger-Rückkehr-Stipendiumsan die Universität Wien, wo er bis 2010 forschte und sich auchhabilitierte. Seit 2012 ist Martin Tollinger assoziierter Professor amInstitut für Organische Chemie der Universität Innsbruck.zukunft forschung 01/17 37