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Zukunft Forschung 01/2017

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

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PSYCHOLOGIE

BEGLEITUNG

DURCH DIE KRISE

Barbara Juen, Professorin für Klinische Psychologie und Fachliche Leiterin

der Psychosozialen Dienste des Österreichischen Roten Kreuzes, über die

Entwicklung der Kriseninterventions-Teams in Österreich und die Vorteile

ihrer Doppelfunktion als Forscherin und Praktikerin.

BARBARA JUEN studierte

Psychologie an der Universität

Innsbruck, wo sie 1989 promovierte.

Seit 1992 ist Juen

am Institut für Psychologie tätig,

seit 2003 als außerordentliche

Universitätsprofessorin.

Dort leitet sie die Arbeitsgruppe

Psychotraumatologie und

Notfallpsychologie. Barbara

Juen ist Mitbegründerin des

ersten Kriseninterventions-

Teams des Österreichischen

Roten Kreuzes und entwickelte

das entsprechende Curriculum.

Seit 2004 ist sie Fachliche

Leiterin der Psychosozialen

Dienste des Österreichischen

Roten Kreuzes.

ZUKUNFT: Sie sind Mitbegründerin des ersten

Kriseninterventions-Teams beim Roten Kreuz

vor rund 19 Jahren. Wie ist diese Initiative entstanden?

BARBARA JUEN: Begonnen hat es damit, dass

eine Fluglinie an uns Wissenschaftler mit der

Bitte herangetreten ist, ein Care-Team aufzubauen,

das bei etwaigen Unglücksfällen zur

Verfügung steht. Gemeinsam mit einer Kollegin

von der Universität Innsbruck und zwei

Kollegen von außerhalb habe ich dann begonnen,

die bestehende Literatur zu diesem Thema

zu sichten und Interventionsmöglichkeiten

festzulegen. In der Folge trat auch das Rote

Kreuz mit der Bitte um Unterstützung an uns

heran. Und dann passierte die Lawinenkatastrophe

in Galtür 1999, wo wir die Betroffenen

und Angehörigen der Opfer über circa zehn

Tage vor Ort betreut haben.

ZUKUNFT: War diese Katastrophe in Galtür Ihr

erster Einsatz für das Rote Kreuz?

JUEN: Galtür war nicht unser erster Einsatz,

es war allerdings der erste, der uns gezeigt

hat, dass wir die Infrastruktur einer Einsatzorganisation

benötigen. Wir hatten in diesem

Einsatz beispielsweise keine Uniform, mussten

ständig erklären, wer wir sind, hatten keinen

Kontakt zum Einsatzleiter und waren nicht

in den Informationsprozess eingebunden –

alles Dinge, die unsere Arbeit unheimlich

erschwerten. Die Konsequenz dieses Großeinsatzes

war dann der professionelle Aufbau

der Kriseninterventionsteams: Wir haben auf

Basis des aktuellen Forschungshintergrundes

Trainingsprogramme entwickelt und eine

entsprechende Qualitätssicherung etabliert.

Mittlerweile besteht der Psychosoziale Dienst

beim Roten Kreuz aus den drei Bereichen

Kriseninterventions-Teams, der aus 1400 freiwilligen

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

besteht, der Einsatzkräfte-Nachsorge – etwa

500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und

der Ö3-Kummernummer – etwa 140 freiwillige

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese

drei Bereiche sind immer in jeweils zwei Ebenen

geteilt – die aktiven Einsatzkräfte und der

psychologische Hintergrunddienst. Mittlerweile

kommen Kriseninterventions-Teams nicht

nur bei Großschadensereignissen zum Einsatz,

sondern auch bei ungewöhnlichen Todesfällen,

also Unfällen, Suiziden oder Kindernotfällen.

ZUKUNFT: Wie funktioniert Krisenintervention?

JUEN: Inzwischen gibt es ganz klare Kriterien,

wie Interventionen dieser Art gestaltet

werden müssen, um den Menschen zu helfen,

sich gut zu erholen. In erster Linie geht

es darum, die Menschen zu begleiten und

nicht zu bevormunden. Im Rahmen unserer

Forschungsarbeit wurden fünf Kriterien definiert,

nach denen Kriseninterventions-Teams

arbeiten: Der erste Wirkfaktor ist Sicherheit

– darunter verstehen wir, dass wir einen sicheren

Ort für die Menschen erzeugen und

gesicherte Informationen schnell weitergeben.

Der zweite Wirkfaktor ist Verbundenheit

– wir schaffen beispielsweise so schnell wie

möglich Familienzusammenführungen und

sorgen für soziale Unterstützung. Wirkfaktor

drei ist Ruhe – wir geben den Betroffenen die

Möglichkeit, ihren Emotionen, wie immer

diese aussehen, Ausdruck zu verleihen und

ermöglichen ihnen auch Pausen und schaffen

Stressreduktion, wie zum Beispiel Spielmöglichkeiten

für Kinder. Der vierte Wirkfaktor

ist Selbstwirksamkeit und kollektive Wirksamkeit

– hier geht es vornehmlich darum,

die Menschen handlungsfähig zu lassen. Wir

geben den Betroffenen einen Rahmen vor, in

dem sie handlungsfähig bleiben können, wir

„coachen“ sie durch die Situation hindurch.

Der letzte Wirkfaktor ist Hoffnung, damit ist

eine positive Zukunftsorientierung gemeint,

also die nächsten anstehenden Schritte zu

besprechen. Die Wirksamkeit dieser fünf

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zukunft forschung 01/17

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