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Zukunft Forschung 02/2017

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

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Ausgabe 2/2017, 9. Jg.

zukunft forschung 02|17

zukunft

forschung

OFFENES WISSEN

thema: offener austausch | klima: buchhalter des eises | pharma: phytovalley tirol

labor: bohrkernanalysen | soziologie: pflege in der zukunft | recht: demokratie und

effizienz | mathematik: wörterbuch aus daten | physik: nanomagnete in der schwebe

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2 zukunft forschung 02/17

Foto: Andreas Friedle


EDITORIAL

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

Es gibt keine österreichische, englische oder israelische

Wissenschaft“, sagte der Chemie-Nobelpreisträger Dan

Shechtman, als er im Oktober an der Universität Innsbruck

über seine Forschungen zu Quasikristallen erzählte. Wissenschaft

war immer schon grenzüberschreitend; sie lebt von

der Offenheit und dem freien Austausch von Wissen. An der

Universität Inns bruck wird diese Offenheit sehr intensiv gelebt,

entstehen doch beinahe drei Viertel der Forschungsarbeiten in

Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern

im Ausland.

Dieser globale Austausch erfordert aber auch einen freien

Zugang zu den Forschungsergebnissen, zu den Daten aus Experimenten

und zur entsprechenden Software. Aktuell gibt es

in der Wissenschaftsgemeinde eine breite Initiative zur Stärkung

der freien Veröffentlichung von Forschungsergebnissen.

Auch die Universität Inns bruck hat in diesem Jahr eine Open-

Access-Policy in Kraft gesetzt. Mit der Einrichtung einer Koordinationsstelle

Open Access an der Universitäts- und Landesbibliothek

bietet die Universität den Forschenden überdies eine

Anlaufstelle für alle Fragen rund um dieses Thema. Auch der

Universitätsverlag innsbruck university press unterstützt bereits

seit Langem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei

der Realisierung von Open-Access-Publikationen und gibt mehrere

frei zugängliche Zeitschriften heraus. Wir stellen Ihnen im

Schwerpunkt dieser Ausgabe einige ausgewählte Projekte vor,

die auf dem offenen Austausch von Wissen beruhen oder die

Offenheit in der Forschung direkt thematisieren.

Diese Ausgabe gibt Ihnen darüber hinaus wieder einen breiten

Überblick über aktuelle Forschungsvorhaben und Ergebnisse

aus der Grundlagenforschung und angewandten Forschung

an der Universität Inns bruck. Der Transfer zwischen

Grundlagen und Anwendung wird auch ein zentraler Aspekt

des neuen Michael-Popp-Forschungsinstituts für die Entwicklung

von pflanzlichen Wirkstoffen sein. Gestiftet wird das Institut

vom Vorstandsvorsitzenden von Bionorica SE, Michael

A. Popp, und dem Land Tirol. Damit entsteht ein weiterer

wichtiger Baustein für ein „Phytovalley Tirol“, das Tirol zum

Zentrum der Entwicklung von hochwirksamen und nebenwirkungsarmen

Wirkstoffen aus Pflanzen machen soll.

Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre und freuen

uns über Ihre Fragen und Anregungen!

TILMANN MÄRK, REKTOR

ULRIKE TANZER, VIZEREKTORIN FÜR FORSCHUNG

IMPRESSUM

Herausgeber & Medieninhaber: Leopold-Franzens-Universität Inns bruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Inns bruck, www.uibk.ac.at

Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Dr. Christian Flatz (cf); public-relations@uibk.ac.at

Verleger: KULTIG Corporate Publishing – Koch & Partner KG, Maria-Theresien-Straße 21, 6020 Inns bruck, www.kultig.at

Redaktion: Mag. Melanie Bartos (mb), Mag. Eva Fessler (ef), Mag. Andreas Hauser (ah), Mag. Stefan Hohenwarter (sh),

Daniela Pümpel, MA (dp), Mag. Susanne Röck (sr)

Layout & Bildbearbeitung: Florian Koch, Lara Hochreiter Fotos: Andreas Friedle, Universität Inns bruck

Druck: Gutenberg, 4021 Linz – Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern und kontrollierten Quellen.

Foto: Uni Inns bruck

zukunft forschung 02/17 3


BILD DER

WISSENSCHAFT


INHALT

TITELTHEMA

8

ASTRONOMIE. In der Weltraumforschung haben der offene

Zugang zu Daten und weltweite Kooperationen Tradition, um

gemeinsam Blicke in ferne Galaxien zu werfen. 8

INTERVIEW. Eva Ramminger und Justus Piater über den freien

Zugang zu Wissen und die Macht der Wissenschaftsverlage. 12

ROMANISTIK. Das Archiv für Textmusik in der Romania setzt auf

ATeM, eine kulturwissenschaftliche Open-Access-Fachzeitschrift.14

STATISTIK. Quelloffene Software spielt in der Statistik eine

bedeutende Rolle – die Programmiersprache R ganz besonders. 16

DIGITALISIERUNG. Leonhard Dobusch, Experte für digitale Rechtsfragen,

sagt: „Auch digitale Offenheit braucht Organisation.“ 18

FORSCHUNG

TITELTHEMA. Wissenschaft ist grenzüberschreitend

und lebt von der Offenheit sowie dem freien Austausch

von Wissen. ZUKUNFT FORSCHUNG geht

der Frage nach, wie diese Offenheit an der Universität

Inns bruck gelebt wird.

22

GEOLOGIE. Ein neues Labor an der Uni Inns bruck ermöglicht

Michael Strasser eine präzise Analyse von Bohrkernen, die Hinweise

auf künftige Klimabedingungen und Extremereignisse liefern. 26

RECHTSWISSENSCHAFT. Wie Effizienz als verfassungsrechtlicher

Begriff und Demokratie zusammengehen, erforscht Maria Bertel. 30

MATHEMATIK. Jeder von uns erzeugt Unmengen an Daten. Karin

Schnass arbeitet daran, diese Daten auch optimal auszuwerten. 32

QUANTENPHYSIK. Quantenphysiker um Oriol Romero-Isart

lassen Nanomagnete über einem Magnetfeld schweben. 37

STANDORT. Bruno Buchberger konzipierte Ende der

1990er-Jahre in Innsbruck das neue Informatik institut

und -studium. Immer im Fokus hatte er dabei drei

Achsen: Logik, Mathematik und Anwendung.

32

SOZIOLOGIE. Abhängigkeit im Alter muss gesellschaftsfähig

werden, damit das Pflegesystem neu aufgesetzt werden kann. 38

PHYSIK. Ein Forscherteam präsentiert eine Gesamtschau der organischen

Kohlenstoffe in der Atmosphäre über einem Waldgebiet. 39

PHYTOWISSENSCHAFT. Michael A. Popp und Günther Bonn über

das neue Forschungsinstitut für die Entwicklung pflanzlicher Wirkstoffe

und die Stärkung des „Phytovalley Tirol“. 39

KLIMA. Am Langenferner bestimmt Stephan Galos

jährlich die Massenbilanz, für den Meteorologen ein

wichtiger Link zwischen atmosphärischen Verhältnissen

und der Entwicklung der Gletscher.

RUBRIKEN

EDITORIAL/IMPRESSUM 3 | BILD DER WISSENSCHAFT: KUNST & BAKTERIEN 4 | NEUBERUFUNG: MARTINA KRAML 6 | FUNDGRUBE VERGANGEN HEIT: HUGO RAHNER 7 | BILDGLOSSAR:

CITIZEN SCIENCE PROJEKTE 20 | MELDUNGEN 24 + 40 | WISSENSTRANSFER: PROTOTYPEN: SCHAUMBETON, SPIEGELLAMELLE, OBERFLÄCHENBESCHICHTUNG 34 | KARRIEREGIPFEL 42 |

PREISE & AUSZEICHNUNGEN 45 | ZWISCHENSTOPP: JAMES FERREIRA 48 | SPRUNGBRETT INNS BRUCK: SIMON BRANDL 49 | ESSAY: HEIMLICHE WISSENSCHAFT? von Timo Heimerdinger 50

Wissenschaft ist Kunst und Kunst ist Wissenschaft. Für seine neue

Ausstellung hat sich der Tiroler Künstler Thomas Feuerstein mit steinfressenden

Bakterien beschäftigt und wurde in der Vorbereitung und

Umsetzung von Thomas Pümpel und seinem Team vom Institut für

Mikrobiologie unterstützt. Kultiviert in einem Bioreaktor produzieren

die vom Eisenerz Pyrit und von Kohlendioxid lebenden Bakterien

Schwefelsäure, die durch Schläuche in die Replik einer klassischen

Marmor skulptur eingeleitet wird und langsam beginnt, die Oberfläche

zu zersetzen. Die Verbindung von Wissen, Erfahrung und Kunst macht

diese Kooperation zu etwas Besonderem.

Fotos: Andreas Friedle (1), Stephan Galos (1), Aleksandra Pawloff (1) COVERFOTO: AdobeStock/Mopic (1), NASA/JPL-Caltech/2MASS (1); BILD DER WISSENSCHAFT: Thomas

Feuerstein

zukunft forschung 02/17 5


NEUBERUFUNG

GRENZGÄNGERIN

Martina Kraml, seit März 2017 Professorin für Katechetik,

Religionspädagogik und Religionsdidaktik beziehungsweise Fachdidaktik,

bewegt sich sowohl an fachlichen als auch an religiösen Grenzen.

MARTINA KRAML, gebürtige

Vorarlbergerin, war erst als

Volksschullehrerin tätig, bevor

sie ihr Studium der Selbstständigen

Religionspädagogik

und Christlichen Philosophie

in Inns bruck begann. Nach

einigen Jahren der Unterrichtstätigkeit

an verschiedenen

Schultypen begann sie 1998

ihr Doktoratsstudium im Fachbereich

Katechetik/Religionspädagogik

und Religionsdidaktik

an der Uni Inns bruck, das sie

2001 abschloss. Nach einer

Zeit als Universitätsassistentin

und später als assoziierte Professorin

am Institut für Praktische

Theologie folgte 2013

die Habilitation. Am 1. März

2017 wurde Kraml als Universitätsprofessorin

berufen.

In ihrer Funktion als Professorin für Religionspädagogik

und Religionsdidaktik

ist Martina Kraml zu jeweils 50 Prozent

an der Katholisch-Theologischen Fakultät

und der School of Education tätig. „Die Arbeit

an zwei Fakultäten ist eine besondere

Herausforderung, befruchtet sich aber gegenseitig

sehr“, erklärt Martina Kraml. „Ein

weiterer Bereich, in dem ich mich gerne über

Grenzen hinweg bewege, ist die interreligiöse

Zusammenarbeit.“ So ist die Theologin

sowohl Studienbeauftragte für Katholische

als auch für Islamische Religionspädagogik.

Als praktische Theologin beschäftigte sich

Kraml schon früh mit dem Thema Interreligiösität,

betont aber, dass es dabei um einen

Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern anderer

Religionen geht und nicht um ein Gespräch

über sie. „2008 war es uns im Rahmen

des Kongresses ‚Kommunikative Theologie‘

in Telfs ein Anliegen, das Zusammenleben

von Christen, Muslimen und säkularisierten

Menschen zu erforschen. Schon damals haben

wir gemerkt, wie wichtig es ist, dass die

Perspektiven gleichgewichtig vertreten sind.“

Seitdem engagiert sich Kraml in zahlreichen

Projekten der interreligiösen Zusammenarbeit

für diese Art des Miteinanders. Den eigenen

Glauben sieht sie dabei als Vorteil: „Eine Verständigung

der Religionen funktioniert meiner

Ansicht nach nicht von einem neutralen

Standpunkt aus, da hier die Sensibilität für

den Glauben an sich verloren geht. Der involvierte

Standpunkt – die Innensicht – ist unverzichtbar,

wenn es um Dialog geht. Wenn es

kompliziert wird – und das ist dieser Dialog

auf jeden Fall –, tendiert man oft dazu, etwas

ganz zu vermeiden. Ein Standpunkt, der

Religion immer weniger öffentlichen Raum

zugesteht, ist meiner Meinung nach aber der

falsche Zugang.“ Ängste vor einer Vermischung

der Religionen sollten laut Kraml bearbeitet

werden. „In ‚dritten Räumen‘, in dem

man manche festgefahrene Positionen aufgeben

kann, wäre ein guter Dialog möglich“, so

die Theologin: „Die Universität kann hier eine

wichtige Rolle spielen.“

Kompetenz für Vielfalt

Einen Weg des Miteinanders der Religionen

will Martina Kraml auch ihren Studierenden

mit auf den Weg geben. Gemeinsame mit dem

Institut für Islamische Religionspädagogik

organisierte religionsübergreifende Lehrveranstaltungen,

in denen Vertreterinnen und

Vertreter beider Religionen zu Wort kommen,

sollen die künftigen Religionspädagoginnen

und Religionspädagogen für ein selbstverständliches

Miteinander sensibilisieren „Eines

meiner wesentlichen Ziele in der Lehre ist es,

meinen Studierenden die Kompetenz mitzugeben,

mit Vielfalt umgehen zu können. Denn

als Lehrerinnen und Lehrer sind sie auch Multiplikatorinnen

und Multiplikatoren, die weit

in die Gesellschaft wirken können.“ sr

6 zukunft forschung 02/17

Foto: Andreas Friedle


FUNDGRUBE VERGANGENHEIT

EUROPÄISCHER THEOLOGE

Hugo Rahner erforschte die Kirchenväter, sah das Christentum als gemeinsame Vergangenheit Europas

und lebte eine Theologie der Verkündigung – im Dezember 2018 jährt sich sein Todestag zum 50. Mal.

HUGO RAHNER SJ

(1900-1968) trat 1919

in den Jesuitenorden

ein. Von 1926 bis 1931

studierte er in Innsbruck

Philosophie und

Katholische Theologie,

1929 wurde er zum Priester geweiht.

Nach der Promotion (1931) folgte ein Studium

der Geschichte in Bonn (Promotion

1934), die Habilitation (1935) und die Professur

für Kirchen- und Dogmengeschichte

und Patrologie (1937) in Inns bruck. Nach

der Aufhebung der Fakultät durch die

Nationalsozialisten dozierte er bis 1945

an der Päpstlichen Theologischen Fakultät

in Sion. Zurück in Inns bruck wurde er

zweimal Dekan der Theologischen Fakultät,

einmal Rektor der Universität. Eine

schwere Krankheit erzwang 1963 seine

vorzeitige Pensionierung.

Sind Sie der Bruder des berühmten

Rahner?“, soll Hugo Rahner oft gefragte

worden sein, ähnlich oft soll

er ironisch geantwortet haben: „Nein, das

ist mein Bruder.“ Hugo war der ältere der

zwei Rahner-Brüder, die sich beide dem

Studium der Theologie (Promotion und

Habilitation an der Universität Innsbruck)

verschrieben hatten, die beide

dem Jesuitenorden beigetreten waren

und die beide Professoren an der Theologischen

Fakultät der Uni Inns bruck

wurden. In allem war Hugo etwas früher

dran als der um vier Jahre jüngere Karl,

bis in die 1960er-Jahre hinein war er auch

der bekanntere Theologe.

„Die Bedeutung von Hugo Rahner liegt

einerseits in seiner Rolle als Patristiker, als

einer, der sich mit der Zeit der Kirchenväter,

mit der Bildtheologie der frühen

katholischen Kirche und mit dem Weiterleben

der antiken in der christlichen

Welt wissenschaftlich auseinandersetzte“,

sagt Thomas Karmann vom Institut für

Bibelwissenschaften und Historische

Theologie. Im späten 19. und frühen 20.

Jahrhundert herrschte in der katholischen

Kirche eine starke Zurückhaltung gegenüber

biblisch-historischer Forschung, sie

sei gefährlich und würde den Glauben

in Frage stellen. „Ein Ausweg für Kirchenhistoriker

war, sich mit theologisch

problemlosen Themen zu beschäftigen“,

weiß Karmann. Das tat auch Hugo Rahner,

„doch er erzeugte mit ihnen eine

große theologische Relevanz.“

Als Kirchenhistoriker und Jesuit befasste

sich Rahner mit dem Ordensgründer

Ignatius von Loyola (1491 – 1556),

seine Forschungen über dessen Spiritualität

und Rolle als Mann der frühen Neuzeit

sind für Karmann „bahnbrechend“, Rahner

als „europäisch Denkender“ auch heute

relevant. Eine Relevanz, die ein von

Karmann organisiertes Symposium zu

dessen 50. Todestag (17.–18. Jänner 2019)

beleuchten soll. Zur Sprache wird dabei

auch ein weiterer Aspekt in Rahners Wirken

kommen, das ihn weit über Inns bruck

hinaus bekannt machte. „Untypisch für

Patristiker verknüpfte er seine Forschungen

mit der theologischen Praxis, nutzte

seine Funktion als Seelsorger sowie Reden

an der Universität oder auf Tagungen, um

kirchenhistorische Erkenntnisse der Öffentlichkeit

mitzuteilen“, berichtet Karmann.

Diese Theologie der Verkündigung

war ein Markenzeichen Inns brucks zwischen

den 1930er- und 1950er Jahren, getragen

von Theologen wie Andreas Jungmann,

Karl Rahner – und seinem berühmten

Bruder Hugo.

ah

Fotos: Universitätsarchiv Inns bruck

zukunft forschung 02/17 7


8 zukunft forschung 02/17

Foto: Andreas Friedle


OFFENE

UNENDLICHE

WEITEN

Die Messung von Gravitationswellen und Lichtsignalen nach der Kollision zweier

Neutronensterne in einer fernen Galaxie bedeutete im Sommer 2017 eine wissenschaftliche

Sensation. An der Entdeckung waren weltweit mehr als 70 Observatorien beteiligt, über 3900

Forscherinnen und Forscher publizierten die Ergebnisse. Nicht der einzige offene Zugang zu

Wissen in der Welt der Astrophysik.

zukunft forschung 02/17 9


TITELTHEMA

BILD SEITE 8/9: Das Universum

sehen und zugleich auch

zu hören gelang Astronominnen

und Astronomen im Sommer

2017, gemessen wurden

die Gravitationswellen und das

Aufleuchten eines Zusammenstoßes

zweier Neutronensterne.

Die Beobachtung

gelang am 17. August mithilfe

der Gravitationswellen-Observatorien

LIGO in den USA und

VIRGO in Italien sowie von

rund 70 Observatorien. An der

Daten-Auswertung war auch

das Team von Olaf Reimer

beteiligt.

Die Illustration der Neutronensternenkollision

stammt

von Aurore Simonnet von der

Sonoma State University.

Seit Juni 2008 umkreist das Fermi Gamma-ray

Space Telescope unsere Erde

und soll in den unendlichen Weiten

des Weltalls Quellen hochenergetischer

Gammastrahlen finden und ihre Eigenschaften

untersuchen. Olaf Reimer, Professor für

Astro- und Teilchenphysik an der Universität

Inns bruck, ist seit mehr als 15 Jahren Teil des

Fermi-Teams. Auch wenn am Team rund 100

Forscherinnen und Forscher aus zwölf Ländern

beteiligt sind, sei man, so Reimer, in der

Auswertung der Daten, die über das NASA-

Weltraumteleskop generiert werden, limitiert.

Daher ist es Usus und von Seiten der NASA

Bedingung, diese Daten derart aufzubereiten,

dass sie auch für externe Forscher zugänglich

und verwertbar sind. Was man mit diesen

Daten machen kann, zeigte 2010 ein Team

rund um den Harvard-Astronomen Doug

Finkbeiner. Es kitzelte aus den Daten eine unbekannte

gigantische Struktur innerhalb der

Milchstraße heraus, die von ihnen entdeckten

Fermi-Bubbles schafften es als wissenschaftliche

Sensation ins NASA News Release und

auf das Cover von Scientific American.

„Als Mitglied des Fermi-Teams war ich

natürlich beschämt, dass wir das nicht selbst

entdeckt haben, als Forscher bin ich aber erfreut,

dass unsere Daten von anderen für diese

fundamentale Entdeckung genutzt werden

OLAF REIMER (Jahrgang 1965) studierte an

der Universität Leipzig Physik. Danach war er

wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität

Siegen, wo er 1995 promovierte. Es

folgten Forschungsaufenthalte am Max-Planck-

Institut für extraterrestrische Physik, am NASA

Goddard Space Flight Center sowie am Institut

für Theoretische Weltraum- und Astrophysik

der Uni Bochum. 2005 wechselte Reimer an

die Stanford University (Hansen Experimental

Physics Laboratory und Kavli Institute for

Astroparticle Physics and Cosmology). 2009

übernahm er an der Universität Inns bruck die

Professur für Astro- und Teilchenphysik.

konnten“, sagt Reimer. Dieser offene Zugang

zu Daten ist für den Weltraumforscher (fast)

selbstverständlich, er hat in seiner Disziplin

Tradition – so einigte man sich etwa schon zu

Beginn der 1980er-Jahre auf die Datenformate

für den öffentlichen Gebrauch.

„Ein Grund für den offenen Umgang mit

Daten liegt darin, dass in den USA Funding

Agencies wie z. B. die NASA das öffentliche

Zur-Verfügung-Stellen fordern, da mit Steuermitteln,

und zwar mit beträchtlichen, geforscht

wird“, berichtet der Astrophysiker.

Schon in Projektanträgen müssen Anteile am

Gesamtbudget für Public Outreach reserviert

werden, will man Projektdaten exklusiv pu-

10

zukunft forschung 02/17

Fotos: NSF/LIGO/Sonoma State University/A. Simonnet (Seite 8/9), G. Pérez/IAC/SMM (1), Andreas Friedle (1)


TITELTHEMA

blizieren, ist das von Seiten der NASA ein

Ausschließungsgrund. Ähnliches plant die

EU, eine Entwicklung, die Reimer begrüßt.

„Wenn uns schon so viel Geld zur Verfügung

gestellt wird, um unsere Experimente durchzuführen,

haben wir die moralische Verpflichtung,

unseren Kollegen Ergebnisse und Daten,

der Öffentlichkeit auch Bilder und Himmelskarten

zur Verfügung zu stellen.“

Wobei, das mit den Daten sei so eine Sache,

räumt Olaf Reimer ein: „Im Fermi-Team hat

uns die Diskussion, welche Art von Daten wir

veröffentlichen, viel Zeit gekostet.“ Die Rohdaten

kann fast niemand verwerten, daher

bringt das Instrumenten-Team „nach bestem

Wissen und Gewissen“ diese in eine Form, mit

der externe Forscher etwas anfangen können.

„Der Prozess, aus gemessenen Rohdaten Informationen

zu erhalten, ist aber kein objektiver“,

gibt der Inns brucker Forscher zu. Um

die notwendige Transparenz zu gewährleisten,

wird das Prozedere regelmäßig überdacht und

gegebenenfalls verbessert. Ein anderes Modell

ist die Arbeit mit Externen. „Bei komplizierten

Experimenten laden wir Wissenschaftler zur

Zusammenarbeit ein. Solche Kooperationen

eröffnen die Chance, in Bereiche vorzudringen,

für welche die Expertise unseres Teams

nicht ausgereicht hätte“, sagt Reimer.

Weltweites Beobachternetz

Eingeladen zur Kooperation wurden im heurigen

Sommer auch die Betreiberteams von

rund 70 Weltraumteleskopen. Im August fingen

die Detektoren VIRGO (Italien) und LIGO

(USA) Signale von Gravitationswellen ein, die

durch den Zusammenstoß zweier Neutronensterne

verursacht wurden. Den Experten gelang

es auch, grob den Ursprungsort zu lokalisieren

– in einer Galaxie, die 130 Millionen

Lichtjahre entfernt ist. Die Information ging

innerhalb kürzester Zeit an die 70 Observatorien

weiter, die daraufhin den Weltraum

beobachteten – und quasi das „Nachglühen“

der Kollision einfangen konnten. „Die Daten,

die von VIRGO und LIGO gemessen wurden,

sind nicht öffentlich“, schränkt Reimer den

Open Access ein, „offen war aber die Information,

wo etwas stattgefunden hat.“ Ein

extremer Zeitdruck habe danach geherrscht,

das Ereignis schnellstmöglich zu veröffentlichen,

ein Termin wurde für Oktober festgesetzt,

wissenschaftliche Publikationen zum

Thema mussten zeitgerecht fertig sein. „Bei

über 70 beteilig ten Kollaborationen mit ihren

vielen Mitgliedern braucht es normalerweise

Monate, wenn nicht Jahre, bis eine Publikation

fertig ist“, weiß Reimer. Doch es klappte,

rund 3900 Forscherinnen und Forscher waren

schlussendlich an den Veröffentlichungen beteiligt,

selbst Nature passte wegen der Pressekonferenz

zur Astro-Sensation den Erscheinungstermin

der Publikationen an.

Natürlich, sagt Reimer, sei es auch von Vorteil,

„dass meine Disziplin Grundlagenforschung

am Rande der Verwertung ist“. Bis

Entwicklungen aus der Weltraumforschung

wie z. B. GPS oder Teflon reif für einen breiten

Markt waren, vergehen Jahre bis Jahrzehnte,

der Konflikt zwischen Verwertung und Öffentlichkeit

sowie Reproduzierbarkeit sei daher

nicht so groß wie in anderen Wissenschaftsdisziplinen.

Doch es geht auch um ein gemeinsames

Ziel der Community: „Am Ende wollen

wir alle das Gleiche, nämlich das verstehen,

was wir im Moment nicht verstehen.“ ah

CHERENKOV TELESCOPE

ARRAY: Moderne Cherenkov-

Teleskop-Experimente wie

H.E.S.S., MAGIC oder VERITAS

bestehen aus bis zu fünf

Teleskopen, teilweise sogar

verschiedener Teleskoptypen.

Diese Experimente haben in

den letzten Jahren gezeigt,

dass unser Himmel von einer

Vielzahl von Gammaquellen

bevölkert ist und haben damit

Gammaastronomie als innovativen

und spannenden Zweig

der Astronomie etabliert. Um

diese Gammaquellen im Detail

zu studieren (hochaufgelöst

und über einen breiten Energiebereich)

und neue, weniger

helle Quellen und Quelltypen

zu detektieren, stoßen diese

Experimente jedoch bereits an

die Grenzen ihrer Möglichkeiten.

Das Projekt „Cherenkov

Telescope Array – CTA“ ist nun

eine Initiative zum Bau des

nächsten bodengebundenen

Instruments zur Beobachtung

von sehr hochenergetischer

Gammastrahlung. „Wir sehen

uns nicht mehr als H.E.S.S.,

MAGIC oder VERITAS und

somit als Konkurrenz, sondern

bauen CTA gemeinsam“, sagt

H.E.S.S.-Mitglied Olaf Reimer.

Die Standorte von CTA werden

auf La Palma/Kanaren und in

der chilenischen Atacamawüste

sein. Als ein offenes

Observatorium wird es einer

breiten Astrophysik-Community

zur Verfügung stehen und

wird tiefe Einsichten in das

nichtthermische hochenergetische

Universum bieten.

Österreich ist mit dem Institut

für Astro- und Teilchenphysik

der Universität Inns bruck an

CTA beteiligt.

zukunft forschung 02/17 11


TITELTHEMA

FRAGE DER TRADITION

Eva Ramminger, Leiterin der Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, und Informatiker Justus

Piater über den freien Zugang zu Wissen, die Macht der Wissenschaftsverlage, Probleme rund um das

Copyright von Daten und die Unterstützung der Open-Access-Bewegung.

ZUKUNFT: Herr Piater, Sie treten bei Publikationen

für eine Open-Access-Kultur

ein. Wird die Forschercommunity von

Wissenschaftsverlagen ausgebeutet?

JUSTUS PIATER: Die Antwort hängt, glaube

ich, etwas von der Domäne ab. Fakt ist,

dass der größte Teil der Arbeit von Wissenschaftlern

unentgeltlich gemacht wird:

Der Peer Review und in den mathematiklastigen

Wissenschaften das Typesetting

und die elektronische Verteilung. In der

Informatik und Physik sowie in technischen

Wissenschaften bleibt nicht mehr

viel übrig, was Verlage zu tun hätten.

ZUKUNFT: Auch keine zu zahlende Arbeit…

PIATER: Richtig. Es kann sogar kontraproduktiv

sein, bei vielen Artikeln wird

das Typesetting nochmals durchgeführt,

das Ergebnis ist oft schlechter als jenes,

das man hingeschickt hat. Um es auf den

Punkt zu bringen: Verlage verdienen

damit, dass sie der Welt Informationen

vorenthalten. Wissenschaft wird öffentlich

finanziert. Um sie zu veröffentlichen,

ist man auf Verlage angewiesen, die damit

Geld verdienen, dass man sich bei

ihnen das öffentlich finanzierte Wissen

wieder mit Geld holen muss, ohne dass

ein wahrnehmbarer Mehrwert entsteht.

In meinem Fachgebiet brauchen wir Verlage

überhaupt nicht mehr, wir brauchen

Sponsoren, welche die Kosten von Online-Fachjournalen

z. B. für die Online-

Infrastruktur finanzieren.

ZUKUNFT: Frau Ramminger, wie sehen Sie

diese Thematik?

EVA RAMMINGER: In den Wissenschaftsdisziplinen

schreitet die Entwicklung

sehr unterschiedlich voran. In den Fächern

Informatik, Astronomie, Physik

ist Open Access schon seit Langem ein

Thema. Es gibt aber auch Fachbereiche,

vor allem die Geistes- und Sozialwissenschaften,

in denen dieser Wandel anders

erfolgt, in denen die Fachcommunity

mit Literatur anders umgeht. Bei einigen

Wissenschaften ist die Halbwertszeit

von Information viel kürzer, in den Geisteswissenschaften

wird auch Literatur

verwendet, die 100 Jahre alt ist. Für uns

als Bibliothek ist es nun die Herausforderung

sowohl neue Publikationstraditionen

als auch noch sehr printbetonte

mit einem umfassenden Angebot zu versorgen.

Das ist die Bandbreite, in der wir

uns bewegen.

ZUKUNFT: Geht es nicht auch um Tradition?

Das gesamte Interview finden Sie auf der

Homepage der Uni Inns bruck unter:

www.uibk.ac.at/forschung/magazin/19/

12 zukunft forschung 02/17

Fotos: Andreas Friedle


TITELTHEMA

RAMMINGER: Ja. In manchen Fachbereichen

war das Publizieren bereits früh

international ausgerichtet, während andere

einen regionalen Wirkungsraum

bevorzugen, was auch mit der Thematik

zusammenhängt. Es gibt Traditionen,

die brauchen unbedingt ein Peer Review,

andere sagen, für uns ist das nicht mehr

wichtig, wir wollen unsere Forschungsergebnisse

möglichst schnell und breit

kommunizieren.

PIATER: Ich muss an dieser Stelle auch

klarstellen, dass das Publikationsmedium

von der Publikationsqualität vollkommen

unabhängig ist. Was die Qualität

in unserem Umfeld sichert, ist der Peer

Review, wobei diskutiert wird, ob sich

das überlebt hat. Bis heute jedenfalls ist

es der goldene Standard, der die Qualität

sicherstellt – und dann kann es entweder

elektronisch oder in Papierform, Open

Access oder nicht publiziert werden.

ZUKUNFT: Qualität wird durch die Publikationsarbeit,

wie man sie z. B. in der

Belletristik von Verlagen gewohnt ist,

und nicht durch die Publikationsform

bestimmt…

PIATER: Genau. Wenn ich mit einer neuen

Zeitschrift konfrontiert werde und einschätzen

will, wie gut die Artikel wahrscheinlich

sind, schaue ich als erstes auf

die Editoren.

RAMMINGER: Es gibt unterschiedliche

Verhaltensweisen im Belletristik- und

Wissenschaftsmarkt. Qualität heißt bei

Zweiterem, wie gut und anerkannt die

Editoren sind, wie hoch die Impact Factors

sind. Und je mehr diese Bewertungskriterien

eine Rolle spielen, desto mehr

lassen sich die Verlage das bezahlen. Die

Top-Zeitschriften Nature und Cell gehören

beispielsweise in diese Liga.

ZUKUNFT: Stoßen die Kosten in Dimensionen

vor, die das Budget einer Bibliothek

sprengen können?

RAMMINGER: Ja.

ZUKUNFT: Sind die Kosten in den letzten

Jahren gestiegen?

RAMMINGER: Die Lizensierung von Zeitschriften

war schon immer ein großer

Budgetposten. Die Tatsache, dass qualitativ

hochwertige wissenschaftliche

Forschung und der Zugang zu ihr für

Universitäten überlebenswichtig sind,

macht es zu einem Wirtschaftsfaktor.

Nachdem Unis die Hauptabnehmer von

wissenschaftlicher Literatur sind, sind

wir in einem Kreislauf, der stark über

EVA RAMMINGER begann ihre berufliche

Tätigkeit 1985 an der Universität

Inns bruck, wo sie 1988 ihre Bibliotheksausbildung

und 1993 ein Studium

der Kunstgeschichte abschloss. 2003

wechselte sie an die Bibliothek der ETH

Zürich, 2010 übernahm sie die Leitung

der Universitätsbibliothek der TU Wien.

Seit Februar 2016 leitet sie die Universitäts-

und Landesbibliothek Tirol.

Geld reguliert wird. Wir steuern inzwischen

stark dagegen, in dem wir unter

anderem die Open-Access-Bewegung

aktiv unterstützen, uns koordinieren und

Einkaufskonsortien gründen.

ZUKUNFT: Besteht die Gefahr, dass durch

eine Trennung von Printprodukten Wissen

nicht mehr auffindbar wird?

PIATER: Da sehe ich keine Gefahr. Auch

bei Papiermaterial muss man sich Gedanken

machen, wie man es organisiert.

In elektronischer Form hat man aber die

Möglichkeit, den Datenbestand gleichzeitig

mehrfach zu organisieren. Die

Herausforderung ist, das Material mit

JUSTUS PIATER studierte in Braunschweig

sowie Magdeburg und schloss

1994 mit dem Diplom ab. An der University

of Massachusetts machte er einen

MSc und einen PhD in Computer Science,

danach war er beim Forschungsinstitut

INRIA Rhône-Alpes. 2002 wurde er Professor

für Informatik an der Université de

Liège in Belgien. Seit 2010 ist er Professor

am Institut für Informatik, Schwerpunkt

Intelligente Systeme.

aktueller Software verfügbar zu halten.

Es wird kein Weg daran vorbeiführen,

elektronische Archive immer wieder auf

aktuelle Technologien zu konvertieren.

ZUKUNFT: Womit wir wieder ein neues

Betätigungsfeld für Bibliotheken hätten.

RAMMINGER: Ja, es gibt bezüglich Langzeitarchivierung

große internationale Bemühungen

– mit allen damit verbundenen

Schwierigkeiten. Es geht auch um die Eigentümerschaft

dieser Daten – was gerade

für die Wettbewerbsfähigkeit von Universitäten

elementar sein kann. Das Problem

der Urheberschaft ist ein riesiges, wobei es

auch ein Bestreben von Verlagen gibt, auf

diese Daten Zugriff zu erhalten.

ZUKUNFT: Wo liegt das Copyright wissenschaftlicher

Forschungsleistungen und

Publikationen?

PIATER: Wir werden mehr oder weniger

gezwungen, unser Copyright auf die Verlage

zu überschreiben. In meinen Augen

ist das skandalös, wir haben die Arbeit,

sie haben das Verwertungsrecht. In der

Praxis habe ich dieses Problem aber nie

als so wichtig angesehen, da ich noch

keinen Fall gesehen habe, in dem so ein

Copyright eingeklagt wurde.

RAMMINGER: An der Universität wurde

ein Open-Access-Netzwerk gebildet, wo

unter anderem Autoren in Vertragsverhandlungen

mit den Verlagen beraten

werden. So ist es nicht zwingend notwendig,

dass sie sämtliche Rechte am Text abgeben,

dass z. B. das Archivieren auf einer

Forschungsplattform möglich ist.

PIATER: Das ist in meinem Bereich schon

der Fall, praktisch sämtlich topklassige

Konferenzen mit Proceedings oder

Journals erlauben das. Auch die EU hat

erkannt, dass es da ein Problem gibt,

und setzt durch, dass z. B. bei Horizon-

2020-Projekten öffentlich finanzierte Forschung

auch öffentlich zugänglich sein

muss.

ZUKUNFT: Wo wird die Reise hinführen?

PIATER: Aus meiner Sicht hoffe ich, dass in

zehn Jahren Verlage – zumindest in

meinem breiten Umfeld – bei der Verbreitung

wissenschaftlicher Literatur keinerlei

Rolle mehr spielen, dass alle Zeitschriften

Open Access sind und von Freiwilligen –

so wie schon jetzt, aber ohne Verlagshoheit

– gemanagt werden. Ich hoffe, dass

diese Zeitschriften gesponsert werden wie

z. B. durch die Uni Inns bruck, die für

Open-Access-Gründungen die Infrastruktur

zur Verfügung stellt. ah

zukunft forschung 02/17 13


TITELTHEMA

KLANG DER WORTE

„La vie en rose“ und „Aux Champs-Élysées“ sind nur zwei der bekanntesten französischen Chansons,

dem Herzstück des Archivs für Textmusik in der Romania an der Uni Inns bruck. Die vielfältigen

Verbindungen von Text und Musik werden unter anderem auch in ATeM, einer kulturwissenschaftlichen

Open-Access-Fachzeitschrift, beleuchtet.

GERHILD FUCHS: „Wem ist schon bewusst, dass aus dem Ohrwurm ‚O sole mio’ später ‚It’s now or never’ von Elvis Presley wurde?“

14

zukunft forschung 02/17

Foto: Andreas Friedle


TITELTHEMA

Über 6.000 Tonträger, mit mehr als

60.000 Einzeltiteln von über 1.000

Interpretinnen und Interpreten,

umfasst die Allgemeine Sammlung des

Textmusikarchivs, ergänzt durch eine

umfassende Fachbibliothek. Dazu kommen

noch zahlreiche Werke von speziellen

Sammlungen wie etwa jene von

Pierre Seguy zum französischen Chanson

oder Albert Gier zur Librettoforschung.

Jaques Brel, Georges Brassens oder Edith

Piaf sind nur einige der bekannten Vertreterinnen

und Vertreter des Chansons,

das die größte Sammlung im Textmusikarchiv

an der Uni Inns bruck ausmacht.

„In den Pariser Vierteln Saint-Germain-des-Prés

bzw. an der Rive Gauche

hatten die Chansonniers und Chansonnières

ihre Lokale, in denen sie aufgetreten

sind. Das Chanson ist im 20. Jahrhundert

in Frankreich die wichtigste

Form der Populärmusik“, erklärt Gerhild

Fuchs, Professorin am Institut für

Romanistik und Leiterin des 1985 von

Ursula Mathis-Moser gegründeten und

kontinuierlich ausgebauten Archivs. Die

Wissenschaftlerin betont zudem, dass

diese Künstlerinnen und Künstler stark

von literarischen und philosophischen

Strömungen der Zeit, wie etwa dem

Existentialismus, beeinflusst wurden.

Text und Musik verschmelzen im Chanson

wie in allen Formen der Textmusik

in ganz besonderer Art und Weise,

vor allem dann, wenn die betreffenden

Künstlerinnen und Künstler ihre Texte

selbst schreiben, die Musik komponieren

und ihr Werk selbst auf der Bühne

interpretieren.

„Das sogenannte Autorenlied ist zu

einer Kunstform geworden, die nicht die

Würden der ernsten, klassischen Musik

hat, aber im Bereich der Populärmusik

etwas Elitäres darstellt“, verdeutlicht

Fuchs. Das französische Chanson beeinflusste

und beflügelte auch die Entwicklung

des Autorenliedes beispielsweise in

Italien, Spanien oder Portugal.

Gesungene Lyrik

Wie der Fado in Portugal ist in Italien

etwa das Neapolitanische Lied weit

über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

„Wem ist schon bewusst, dass

aus dem Ohrwurm ‚O sole mio’ später

‚It’s now or never’ von Elvis Presley

wurde?“, weist die Romanistin auf einen

prägnanten kulturellen Transfer

in diesem Bereich hin. Doch weder die

Musik noch der Text sollen in den Forschungen

im Archiv im Vordergrund

stehen. „Es ist die Kombination aus

beidem, denn Text und Musik bedingen

sich gegenseitig, dazu kommt noch die

Kunst der Interpretation – wir interessieren

uns für dieses komplexe Zusammenspiel“,

so Fuchs.

Neben dem Autorenlied beschäftigen

sich die Wissenschaftlerin und ihr Team

auch mit traditionellen Mischformen

von Text und Musik wie Oper, Operette

oder Musical, im Mittelpunkt stehen

aber vor allem Liedformen der Populärkultur,

auch in der Gestalt von Schlager,

Pop, Rock oder Rap. „Auch als Literaturwissenschaftler

haben wir die Musik immer

im Ohr, auch wenn wir diese nicht

musikwissenschaftlich untersuchen können.

Auffallend ist für uns, dass die Texte

der französischen Chansons und der

italienischen Canzone hohe literarische

Qualitäten haben, da die Textbasis immer

Lyrik ist“, betont die Wissenschaftlerin,

die verdeutlicht, dass Lyrik bis über

die Renaissance hinaus immer im Zusammenspiel

mit Musik gedacht wurde.

„Die Scuola Siciliana war im frühen 13.

Jahrhundert die erste große italienische

Lyrikschule, die stark von den Troubadours

beeinflusst wurde. Lyrik und Musik

waren in diesen frühen Dichtungen

untrennbar miteinander verbunden“,

erläutert die Romanistin.

Offen für alle

Das Archiv für Textmusikforschung

stellt sich den Herausforderungen der

digitalen Zukunft und ist offen für

Neues. Offen ist auch die seit Dezember

2016 bestehende Open-Access-Fachzeitschrift

ATeM, das Publikationsorgan des

Archivs für Textmusikforschung, verlegt

von innsbruck university press. „Aus einer

interdisziplinären Perspektive wollen

wir uns den vielfältigen Verbindungen

von Text und Musik widmen. Unser

Anliegen ist es, ein zeitgemäßes Format

zu bieten, das den in der Wissenschaft

etwas randständigen Bereich der Textmusikforschung

in ein modernes Licht

rückt“, so Fuchs, die als Herausgeberin

der Online-Zeitschrift gemeinsam mit

Ursula Mathis-Moser und Birgit Mertz-

Baumgartner darauf Wert legt, dass der

Zugang zum untersuchten Medium auf

wissenschaftlichen Theorien basiert.

„Alle eingereichten Artikel werden an

zwei externe internationale Wissenschaftlerinnen

oder Wissenschaftler zur

Begutachtung geschickt. Das Peer-Review-Verfahren

liegt uns besonders am

Herzen, um die Qualität der Beiträge

und der Zeitschrift noch einmal zu erhöhen“,

betont Gerhild Fuchs.

Offen müssen die Wissenschaftlerin

und ihr Team auch im Hinblick auf die

laufende Anschaffung von Tonträgern

„Mit der Open-Access-Fachzeitschrift ATeM wollen wir uns aus

einer interdisziplinären Perspektive den vielfältigen Verbindungen

von Text und Musik widmen.“

Gerhild Fuchs, Archiv für Textmusikforschung

sein. Wurden bisher hauptsächlich CDs

oder LPs angeschafft, muss mit den digitalen

Medien auch ein neuer Zugang zur

Archivierung von Musik ausgearbeitet

werden. „Ein Teil der zeitgenössischen

Populärmusik ist mittlerweile hauptsächlich

elektronisch verfügbar. Dieser

Herausforderung müssen wir auch als

Archiv begegnen und die Chancen der

neuen Verfügbarkeiten ergreifen“, so

Fuchs. Das größte Problem bei der Anschaffung

neuer Tonträger ist jedoch, wie

sie betont, die Begrenztheit der zur Verfügung

stehenden Mittel. „Eine derart

große Sammlung wirklich aktuell zu halten,

ist nur schwer möglich, wir sind daher

ständig auf der Suche nach Sponsoren.“

So sollen neben dem Schwerpunkt

im französischen und frankokanadischen

Chanson sowie dem relativ gut

ausgebauten Bereich der italienischen

Canzone zukünftig auch Lücken im Spanischen

und Portugiesischen geschlossen

werden. „Ein Anlass zu großer Freude ist

für die Betreiber und die Nutzer des

Archivs auf jeden Fall die Tatsache, dass

die Archiv räume im letzten Jahr umund

ausgebaut werden konnten und

nunmehr in neuem Glanz erstrahlen“, so

Fuchs. Ein Besuch des neuen Archivs ist

für alle interessierten Personen möglich

und der Leiterin sowie ihrem Team äußerst

willkommen.

dp

zukunft forschung 02/17 15


TITELTHEMA

OFFENE STATISTIK

Quelloffene Software spielt in der Statistik eine

bedeutende Rolle – die Programmiersprache R ganz besonders.

Sie wird auch in Innsbruck weiterentwickelt.

R-CODE für Modellierung

zensierter Daten und darauf

basierende Niederschlagsprognose

für Nordtirol.

Die Ausbreitung und Gefährdung des

tropischen Regenwalds, die Gewinnwahrscheinlichkeit

von Nationalteams

bei Fußball-Großereignissen oder die Wahrscheinlichkeit

von Nebel auf Flughäfen: Nur

drei Beispiele von Fragestellungen, an denen

der Statistiker Achim Zeileis arbeitet. So unterschiedlich

die einzelnen Anwendungsgebiete

anmuten, gemeinsam ist ihnen, dass sie

statistische Methoden erfordern und nur mit

entsprechender Software umgesetzt werden

können – und dass dabei die Open-Source-

Programmiersprache R eine bedeutende

Rolle spielt, wie Achim Zeileis erklärt: „R ist

eine Programmiersprache, die von Anfang an

entworfen wurde, um mit Daten und Statistik

zu arbeiten. R ist erweiterbar und quelloffen,

jeder und jede kann daran mitarbeiten und

selbst Erweiterungspakete für konkrete Anwendungen

schreiben.“ Österreichische Forscherinnen

und Forscher sind ganz zentral an

der Weiterentwicklung von R beteiligt (siehe

Kasten), darunter auch Achim Zeileis selbst.

Aus seiner wissenschaftlichen Arbeit ist R

für den Statistiker nicht mehr wegzudenken:

„Wenn ich statistische Methoden entwickle,

möchte ich auch praktisch sehen, ob die funktionieren

– ich schreibe also ein R-Paket dafür,

um das empirisch zu überprüfen. Das kommt

auch vor, wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen

aus anderen Disziplinen an deren Fragestellungen

arbeite. Und daneben gibt es

Fälle, wo ich ohne ganz konkrete Anwendung

Software als Forschungsoutput habe, wo es

nur darum geht, eine Methode umzusetzen,

die es vielleicht in anderen Software-Umgebungen

schon gibt, aber für R noch nicht oder

nicht in der gewünschten Qualität.“

Open Source

Um R hat sich seit Entwicklung der Sprache

in den 1990ern eine weltweite Community

entwickelt, die Pakete für unterschiedliche

Anwendungsfälle schreibt und die Sprache

16 zukunft forschung 02/17

Fotos: Achim Zeileis (1), Uni Innsbruck/Eva Fessler (1)


TITELTHEMA

„Wenn ich statistische Methoden entwickle, möchte ich auch

praktisch sehen, ob die funktionieren – ich schreibe also ein

R-Paket dafür, um das empirisch zu überprüfen.“ Achim Zeileis, Institut für Statistik

weiterentwickelt. Die gemeinsame Arbeit

erleichtert auch den Austausch: „Das Tolle

an Open-Source-Software mit einer Community

ist, dass Zusammenarbeit leichter entsteht

und auch für junge Wissenschaftler die

Überwindung nicht so groß ist, Leute einfach

anzuschreiben und die eigene Mitarbeit anzubieten.

Es kommt natürlich auch vor, dass

das jemand ablehnt, aber sehr häufig funktioniert

das.“ So werden Pakete dann auch auf

ganz unerwarteten Gebieten zum großen Erfolg:

„Ein Bereich, der vor Jahren in R noch

nicht gut umgesetzt war, ist die Analyse von

Zähldaten. Die modellierte Variable ist dabei

Ergebnis eines Zählprozesses. Ein klassisches

wirtschaftswissenschaftliches Beispiel wäre,

wie häufig ein Patent in einem bestimmten

Zeitraum zitiert wird, was als Maß für den

Innovationsgehalt eines Patents verwendet

wird – das sind meistens niedrige Werte, oft

auch Null. In der Literatur gab es dafür viele

Modelle, aber nur ein Teil war damals in R

umgesetzt. Deshalb habe ich den Autor eines

dieser R-Pakete kontaktiert und das mit ihm

erweitert. Der Kollege ist Politikwissenschaftler,

wir haben dann auch gemeinsam ein Paper

dazu publiziert, das sehr regelmäßig und

recht häufig zitiert wird. Die Zitationen kommen

aber in einem nur sehr geringen Ausmaß

aus den Wirtschaftswissenschaften oder der

Politikwissenschaft, sondern viel mehr aus

den Umweltwissenschaften. Dort setzen Forscherinnen

und Forscher unsere Software ein,

um zu modellieren, von welchen Umweltfaktoren

die Anzahl der Sichtungen bestimmter

Tiere abhängt. Das ist eines der Pakete, zu

dem ich sehr viele Anfragen bekomme und

das recht erfolgreich ist, wenn auch auf einem

ursprünglich nicht erwarteten Fachgebiet.“

Motivation

R ist heute in der Statistik-Community die am

weitesten verbreitete Software – und durch

die Quelloffenheit und die große Zahl an

Menschen, die an und mit R arbeiten, entstehen

auch Möglichkeiten für Zusammenarbeit

über Disziplingrenzen hinweg. „Eine Motivation

für mich ist, dass ich Leute beeinflussen

kann in der Art, wie sie ihre Daten analysieren,

und ich ihnen Werkzeuge zur Verfügung

stellen kann, die ihnen dabei helfen. Manchmal

klappt das nicht und niemand verwendet

das Paket – und manchmal trifft man genau

die Bedürfnisse der Anwender. Die Zitationen

und direktes Feedback sind dann eine starke

Motivation, die Software weiterzuentwickeln

und zu verbessern“, sagt Achim Zeileis.

Offenes Journal

Eng mit offener Statistik-Software und deren

Verbreitung verknüpft ist das Open-Access-

Journal of Statistical Software (JSS), dessen Co-

Editor in Chief Achim Zeileis ist. „Das JSS

wurde 1996 an der University of California,

Los Angeles von Jan de Leeuw gegründet.

Damals waren Software-Autoren in der akademischen

Gemeinschaft nur wenig sichtbar,

es gab keine wissenschaftlichen Publikationsplattformen

dafür. Vor diesem Problem standen

wir auch Anfang der 2000er-Jahre, als ich

selbst meine ersten Papers geschrieben habe.

Mein erstes Paper mit Peer-Review war eins

im JSS und unsere damalige Arbeitsgruppe an

der WU Wien hat sich in der Folge stark im

JSS eingebracht. Das Journal ist seither enorm

gewachsen, der Impact Factor ist gestiegen,

ebenso die Zahl der Einreichungen.“

Um im JSS veröffentlicht zu werden, muss

ein wissenschaftlicher Beitrag und die dazugehörige

Software eingereicht werden, beides

unter offenen Lizenzen – das Paper unter einer

Creative-Commons-Lizenz, die Software

unter einer GPL-kompatiblen Lizenz. „Der

Peer-Review-Prozess ist relativ aufwendig,

weil beide Teile, Software und Paper, begutachtet

werden. Auch Revisionen dauern länger

als bei anderen Journalen, weil der Review

auch darin bestehen kann, dass große

Teile der Software neu geschrieben werden

müssen“, erklärt Achim Zeileis. Etwa 80 Prozent

aller Einreichungen im JSS sind R-Pakete,

wobei das Journal nicht auf R beschränkt ist

– auch quelloffene Pakete für andere Statistik-

Umgebungen sind möglich.sh

PROGRAMMIERSPRACHE R:

R ist eine freie Programmiersprache

und ein interaktives

System für statistische Berechnungen,

das genau wie das

freie Betriebssystem Linux unter

der GNU General Public Licence

(GPL) veröffentlicht wird. R ist

in den 1990er-Jahren aus der in

den 1970ern an den Bell-Labs

entwickelten Programmiersprache

S hervorgegangen. Der

Name der Sprache geht zurück

auf den Anfangsbuchstaben

der Vornamen der beiden

ursprünglichen Designer: Ross

Ihaka und Robert Gentleman.

Über ein Paketsystem kann

jede und jeder R-Entwicklerin

oder -Entwickler werden und

eigene Erweiterungspakete

schreiben. R wird heute von

einer weltweiten Community

weiterentwickelt, wobei Österreich

hier eine bedeutende Rolle

spielt – so befindet sich das

zentrale Archiv für R-Pakete wie

auch der Sitz der R Foundation

an der Wirtschaftsuniversität

Wien. Teams an mehreren

österreichischen Universitäten

(wie um Achim Zeileis an der

Universität Innsbruck) tragen

wesentlich zur Weiterentwicklung

bei. Die seit 2004

jährliche größte Konferenz für

R-Nutzerinnen und -Nutzer,

„useR!“, wurde ebenfalls in

Österreich ins Leben gerufen.

zukunft forschung 02/17 17


TITELTHEMA

OFFENHEIT

ORGANISIEREN

Jederzeit und überall: Die Digitalisierung hat den Zugang zu Wissen revolutioniert.

Was technisch längst möglich ist, stellt die Gesellschaft aber immer wieder vor

neue Herausforderungen. Denn: Auch digitale Offenheit braucht Organisation, sagt der

Organisationsforscher und Experte für digitale Rechtsfragen Leonhard Dobusch.

ZUKUNFT: Das Thema Digitalisierung

spielt in vielen Bereichen Ihrer Arbeit

eine große Rolle. Welche Bedeutung hat

das „Netz“ Ihrer Meinung nach für die

Wissenschaft?

LEONHARD DOBUSCH: Um die Bedeutung

deutlich zu machen, lohnt sich ein kurzer

Blick in die Geschichte. Die Erfindung

des Buchdrucks mit beweglichen Lettern

hat geradezu zu einer Wissensexplosion

geführt. Wissen konnte dadurch Einzug

in die Gesellschaft halten und hat zum

Beispiel die Schulpflicht ermöglicht. Die

Bedeutung des Internets sehe ich ähnlich

groß: Die prinzipiell sofortige, globale

Verfügbarkeit von Wissen hat die „Explosion“

nochmals multipliziert. Diese

Entwicklung ist absolut wünschenswert,

denn Wissenschaft ist ihrem Wesen nach

dadurch gekennzeichnet, dass sie offenen

Zugang zu Wissen voraussetzt. Erkenntnisfortschritt

kann nur über Auseinandersetzung

mit Bestehendem erfolgen.

Offenheit ist aber immer auch mit Herausforderungen

verknüpft.

ZUKUNFT: Wo liegen die großen Herausforderungen?

DOBUSCH: Sowohl im Wissenschaftsbereich

als auch in vielen anderen Bereichen,

mit denen wir uns in der Organisationsforschung

auseinandersetzen, sind zwei

Aspekte zu berücksichtigen: Einerseits

ermöglicht die Digitalisierung mehr Offenheit

– im Guten wie im Schlechten. Es

gibt mehr Vielfalt an Wissensquellen und

Meinungen, auf der anderen Seite verbreiten

sich auch Falschmeldungen und

Hassbotschaften einfacher und schneller.

Digitalisierung bedeutet auch Kontrollverlust,

mit dem umgegangen werden muss,

um zweifellos vorhandene Potenziale

auch ausnutzen zu können. Daher ist der

„Die Erfindung des Buchdrucks

hat geradezu zu einer

Wissensexplosion geführt.

Wissen konnte dadurch Einzug

in die Gesellschaft halten.

Die Bedeutung des Internets

sehe ich ähnlich groß: Die

prinzipiell sofortige, globale

Verfügbarkeit von Wissen

hat die ‚Explosion‘ nochmals

multipliziert. Diese Entwicklung

ist absolut wünschenswert, denn

Wissenschaft ist ihrem Wesen

nach dadurch gekennzeichnet,

dass sie offenen Zugang zu

Wissen voraussetzt.“

zweite Aspekt ganz wesentlich: Offenheit

will organisiert werden. Die Potenziale

größerer Offenheit stellen sich durch Digitalisierung

nicht von selbst ein.

ZUKUNFT: Hält man sich die Entwicklungen

rund um Open Access in der Wissenschaft

vor Augen, verläuft die Organisation

dieser Offenheit zumindest nicht

ganz reibungslos.

DOBUSCH: Richtig. Seit mehr als zehn

Jahren ist es aus technischer Sicht völlig

problemlos möglich, wissenschaftliche

Publikationen sofort und weltweit zur

Verfügung zu stellen. Das heißt aber natürlich

noch lange nicht, dass das auch so

geschieht: Eine technisch mögliche Offenheit

ist noch lange keine intellektuelle

oder kreative Offenheit. Wir haben es mit

etablierten gesellschaftlichen Strukturen

zu tun, die sich auch im wissenschaftlichen

Publizieren in traditionellen Abläufen

zeigen. Es bestehen sogenannte

Pfadabhängigkeiten, die viele Akteure

in diesem Prozess im Moment noch zu

Profiteuren machen. Profit bedeutet das

Handeln mit wissenschaftlichen Publikationen

vor allem für große Verlagshäuser,

die trotz sinkender Produktionskosten

durch die Digitalisierung sehr hohe Subskriptionsgebühren

einheben. Dagegen

regt sich aber immer mehr Widerstand

– zu Recht. Öffentlich finanzierte Forschung

sollte öffentlich zugänglich sein.

Und für Lehr- und Lernunterlagen gilt

eigentlich dasselbe. Aber während wir

bei wissenschaftlichen Publikationen mit

dem Konzept von Open Access auf einem

guten Weg sind, gibt es beim freien Zugang

zu Lehr- und Lernmaterialien noch

sehr viel Aufholbedarf.

ZUKUNFT: Wie könnte eine gelungene Organisation

von Offenheit aussehen?

18 zukunft forschung 02/17

Fotos: Andreas Friedle


TITELTHEMA

DOBUSCH: Meiner Ansicht nach gibt es

hier verschiedene Werkzeuge. Auf rechtlicher

Seite stehen mit Creative Commons

Urheberrechtslizenzen zur Verfügung,

die sehr viele Dinge vereinfachen – oder

überhaupt erst möglich machen. Creative-Commons-Lizenzen

erlauben die

freie Weiterverwendung von verschiedensten

Inhalten und die Zusammenarbeit

von vielen Menschen, ohne ständig

Rechte klären zu müssen. Dass es heute

eine offene, weltweit zugängliche Enzyklopädie

wie die Wikipedia gibt, ist stark

auf diese offenen Lizenzen zurückzuführen.

Die Wikipedia ist aus dieser Sicht

eine große Errungenschaft, sozusagen

eine Oase digitalen Gemeinguts in einem

Meer kommerziell getriebener Angebote.

Aber auch die Wikipedia hat natürlich

mit Problemen zu kämpfen. Aus einer

Management-Perspektive lassen sich am

Beispiel der Enzyklopädie viele interessante

Fragestellungen zur Organisation

von Offenheit ableiten, z. B. wie sich

Vielfalt in Communities aus Freiwilligen

erreichen lässt. Was den Wissenschaftsbereich

betrifft, würde ich für einen weiteren

Ausbau des universitäts- und bibliotheksbasierten

Veröffentlichungswesens

plädieren, das gerade ein Comeback

erlebt. Universitäten und Bibliotheken

können sich dadurch von den Praktiken

der Großverlage emanzipieren und über

andere Wege Zugang zu Wissen ermöglichen.

In Inns bruck besteht dank der innsbruck

university press die Möglichkeit von

Open-Access-basierten Publikationen.

ZUKUNFT: Welche Perspektiven sehen Sie

für diesen Weg hin zu mehr Öffnung?

DOBUSCH: Um bei dem Beispiel mit Universitätsverlagen

zu bleiben: Früher war

die Rolle von Universitätsbibliotheken

vor allem, ihren Wissenschaftlerinnen

und Wissenschaftlern den Zugang zum

Weltwissen zu organisieren. Vielleicht ist

es jetzt umgekehrt: Die Bibliothek muss

der Welt Zugang zum Wissen der Wissenschaftlerinnen

und Wissenschaftlern ihrer

Einrichtung ermöglichen. Da findet eine

Redefinition von Rollen statt. Auch wenn

die Organisation von Offenheit mit Aufwand

verbunden ist, lohnt es sich auf jeden

Fall: Gerade der offene Zugang zu

Wissen ist gesamtgesellschaftlich von

sehr großem Wert. Meiner Ansicht nach

geht es nicht mehr um die Frage, ob wir

offen sein sollen, sondern wie wir diese

Offenheit gestalten.

mb

LEONHARD DOBUSCH (*1980) promovierte

nach Abschluss der Studien der

Betriebswirtschaft und der Rechtswissenschaften

in Linz an der Freien Universität

Berlin. Nach Forschungsaufenthalten

in Köln, Stanford und Wien war er von

2012 bis 2016 als Juniorprofessor für

Management an der FU Berlin tätig.

Im Februar 2016 folgte Dobusch dem

Ruf nach Inns bruck, wo er Professor

für Betriebswirtschaftslehre mit dem

Schwerpunkt Organisation am Institut

für Organisation und Lernen ist. Dobusch

bringt sich regelmäßig in Gastbeiträgen

und Kommentaren in öffentliche Diskurse

ein. Als Mitgründer der Momentum-

Kongressreihe versucht er außerdem, wissenschaftliche

Ideen mit politischer Praxis

zusammenzubringen. Mitte 2016 wurde

Dobusch als Vertreter für den Bereich

Internet in den ZDF-Fernsehrat berufen.

Er betreibt mehrere Blogs und äußert sich

als regelmäßiger Autor auf netzpolitik.org

zu verschiedenen netzpolitischen

Themen.

zukunft forschung 02/17 19


MITFORSCHEN

AN DER UNI

INNSBRUCK

Die Universität Inns bruck fördert den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft

auf vielen Ebenen. In verschiedenen Projekten werden Bürgerinnen und

Bürger auch aktiv in den Forschungsprozess miteinbezogen. „Citizen Science“, also

Bürgerwissenschaft, lautet hier das Motto. Daneben werden auch immer wieder

Schülerinnen und Schüler an Forschungsprojekten beteiligt.

Unterstützt wird dies unter anderem vom österreichischen

Wissenschaftsministerium über das Sparkling-Science-Forschungsprogramm.

01

01 | SCHMETTERLINGE

Im Projekt Viel-Falter können Interessierte beim Spazieren die bunte Welt der

Schmetterlinge erforschen. Tagfalter reagieren empfindlich auf Umwelt- und Klimaveränderungen

und sind deshalb gute Indikatoren für den Zustand der Natur. Ziel ist

ein österreichweites von Wissenschaft, Freiwilligen und Schulen getragenes Tagfalter-Monitoring,

das in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden einen wichtigen

Beitrag zu einem dauerhaften und finanzierbaren Biodiversitäts-Monitoring in

Österreich leisten soll. Für die Beobachtung benötigt das Team rund um Johannes

Rüdisser vom Institut für Ökologie Unterstützung aus der Bevölkerung.

Mehr unter www.viel-falter.at.

02 | GLETSCHERSCHMELZE

Gletscherskigebiete nutzen industrielles Vlies, um Pisten im Sommer abzudecken.

Das kann bis zu 1,5 Meter Schneegewinn bedeuten. Der wirtschaftliche Nutzen

ist belegt, aber nicht die ökologische Unbedenklichkeit. Ein Team um die Ökologin

Birgit Sattler untersuchte mit Schülerinnen und Schülern, welche Auswirkungen

die Gletscherabdeckung auf Mikroorganismen und Vielzeller in Schnee

und Eis hat. Die jungen Menschen wurden in der interdisziplinären Untersuchung

für den alpinen Lebensraum und dessen Gestaltungsmöglichkeiten sensibilisiert.

Mehr unter www.coverup.at.

02

03

03 | HERBSTLAUB

Der Abbau des grünen Blattpigments Chlorophyll verursacht einmal im Jahr ein

farbenprächtiges Naturschauspiel. Dahinter steckt ein komplexer Recyclingprozess

der Pflanze, der einer Wiedergewinnung wesentlicher Mineralien dient. Mittels

chemischer Analyse und Strukturaufklärung haben Tiroler Schülerinnen und Schüler

gemeinsam mit Thomas Müller die Abbauprodukte des Chlorophylls in Pflanzen aus

der Tiroler Bergwelt untersucht. Dabei suchten sie auch Antworten auf die Frage,

inwiefern Stressfaktoren wie extreme Witterungsbedingungen und erhöhte Strahlenbelastung

diese Abbauprozesse beeinflussen.

20

zukunft forschung 02/17

Fotos: Uni Innsbruck (2), Viel-Falter (1), colourbox.de (1), pixabay.com/Thomas Hendele (1), COVER.UP (1), pixabay.com/Catta Kvarn (1)


TITELTHEMA

04 | BAUMWACHSTUM

In Inns bruck und Dornbirn tragen einige Bäume eine Art Maßband um ihren

Stamm. Dahinter steckt ein Projekt von Stefan Mayr vom Institut für Botanik, bei

dem die Bevölkerung zum Mitmachen eingeladen ist. Alles, was man benötigt,

ist ein Smartphone: Im Projekt CITREE wird das Wachstum von städtischen Bäumen

genauer unter die Lupe genommen. Denn Bäume erfüllen vielfältige Funktionen

in der Stadt: Sie verbessern das Mikroklima und die Luftqualität, spenden

Schatten und fungieren als Sicht- und Lärmschutz. Bäume haben es aber auch

nicht leicht in der Stadt: Große Hitze und Trockenheit, Luftschadstoffe, wenig

Wurzelraum oder viel Salz im Winter machen ihnen das Leben schwer.

Mehr unter: www.citree.net.

04

05

05 | BAKTERIENWELT

Der Artenvielfalt der Bakterien in heimischen Gewässern sind Schülerinnen und

Schüler aus sechs Salzburger Gymnasien auf der Spur. Sie isolieren und beschreiben

am Forschungsinstitut für Limnologie am Mondsee neue Bakterienarten aus

Gewässern der Umgebung. Die Charakterisierung der neuen Arten schließt auch

die Sequenzierung der Genome ein. Genomsequenzen sind für die Verbindung

der taxonomischen Forschung mit der Erforschung der mikrobiellen Diversität

und Ökologie von großer Bedeutung. Für die Schüler gibt es viel zu tun, denn

einigen Schätzungen nach sind von den ungefähr einer Million Bakterienarten 99

Prozent noch nicht wissenschaftlich beschrieben.

06 | KLEINVIEH

Der positive Einfluss von Dünger auf den Pflanzenertrag ist weithin bekannt und

auch gut untersucht. Weniger bekannt sind allerdings dessen Auswirkungen auf die

Artenvielfalt und -zusammensetzung der wirbellosen Tiere. Im Projekt „Kleinvieh

braucht auch Mist“ untersuchten Wissenschaftler um Daniela Sint gemeinsam mit

Schülerinnen und Schülern auf mehreren Getreidefeldern in Kematen im Lauf von

zwei Feldjahren den Einfluss verschiedener Dünger. Sie arbeiteten von der Beprobung

bis zur Auswertung mit. Ein besonderer Fokus lag dabei auf den Regenwürmern.

.

06

07

07 | LUFTSAMMLER

Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern haben Inns brucker Physiker einen

einzigartigen Datensatz zur Zusammensetzung und Quellstärke von flüchtigen

organischen Verbindungen in einem ländlichen, inneralpinen Gebiet erstellt. Mit

meteorologischer Hightech-Ausrüstung wurde an den Gymnasien in Mittersill

und Zell am See die Außenluft gemessen. Außerdem sammelten die Schüler mit

Kanistern im ganzen Tal Luft und analysierten sie anschließend im eigens eingerichteten

Labor. So konnten sie feststellen, welche flüchtigen Substanzen vom

Straßenverkehr stammen, welche von den Wäldern in die Luft abgeben wurden

und wie sich diese Substanzen im Salzachtal ausbreiten.

zukunft forschung 02/17 21


STANDORT

MANN DER DREI ACHSEN

Als Werkstudent programmierte Bruno Buchberger in den 1960er-Jahren das erste „Elektronengehirn“

an der Universität Inns bruck, Ende der 1990er konzipierte er das neue Informatikinstitut und -studium in

Inns bruck. Immer im Fokus hatte er dabei drei Achsen: Logik, Mathematik und Anwendung.

ZUKUNFT: Während Ihres Studiums haben

Sie an der Universität Inns bruck als Programmierer

gearbeitet, unter anderem an

einem „raumgroßen“ Zuse Z23. War für

Sie damals die Entwicklung der Computertechnologie,

auf die wir heute zurückblicken,

vorstellbar?

BRUNO BUCHBERGER: Ich habe mir sogar

noch sehr viel mehr vorgestellt, z. B. habe

ich darüber nachgedacht, ob man Computer

nicht gänzlich aus Plastik machen

kann. Ich konnte mir auch deshalb viel

vorstellen, weil ich immer in den drei

wesentlichen Koordinatenachsen der

„Computerei“ gedacht habe: die mathematische

Logik, die grundsätzlichen

Überlegungen zu Möglichkeiten und

Grenzen des formalen mathematischen

Denkens; die Mathematik selbst, die sich

bemüht, Verfahren zu finden, um beliebige

Probleme aus der Realität so systematisch

zu lösen, dass man die Lösung in

einen Algorithmus überführen kann; und

die Anwendung. In diese drei Achsen Logik-Mathematik-Anwendung

wurde ich

sozusagen hineingedrückt, in zwei durch

meine Situation als Werkstudent. Mein

Fach war Mathematik, mein Geld dafür

verdiente ich am „Elektronengehirn“,

dem ersten Computer an der Universität

Inns bruck. Es brauchte einen Programmierer,

ich meldete mich, damit ich keine

fachfremden Dinge machen musste,

um mein Geld zu verdienen. In die erste

Achse, die mathematische Logik, habe

ich mich im Selbststudium vertieft, aus

heutiger Sicht ist das das, was „artificial

intelligence“ genannt wird. Insofern war

für mich klar, wohin es mit der Compu-

22 zukunft forschung 02/17

Fotos: Aleksandra Pawloff (1), privat (1)


STANDORT

tertechnologie gehen wird und dass es

nach oben keine Grenze gibt.

ZUKUNFT: Spielen diese drei Achsen heute

auch noch eine Rolle?

BUCHBERGER: Ja, es ist immer noch wichtig,

sie sollen auch in die Ausbildung

einfließen, damit die Absolventen in Personalunion

in allen drei Achsen arbeiten

können. Beim Aufbau des RISC habe ich

auf internationale Doktoratsstudenten

gesetzt, die diese drei Achsen vereinen

können.

ZUKUNFT: Ende der 1980er-Jahre haben

sie als Universitätsprofessor den Softwarepark

Hagenberg gegründet, heute

arbeiten dort mehr als 1.000 Menschen in

über 80 Unternehmen und Forschungsinstituten.

Wie war damals die Reaktion

auf Ihre Initiative?

„Ich hätte mir in meinem Leben nie gedacht,

dass ich viel Zeit damit verbringen würde,

Arbeitsplätze ins Mühlviertel zu bringen.“

BUCHBERGER: Solche Dinge sind zum Teil

geplant, zum Teil Zufall. Von Anfang an

war beim RISC eine eigene Firma von

mir dabei, damit die Studierenden einen

nahtlosen Übergang in die Praxis haben.

Da kam viel Geld herein, wir brauchten

Platz, in den Räumlichkeiten der Uni

konnten wir aber nicht expandieren. Da

entstand die Idee, für dieses Geld von außen

auch einen Ort außerhalb zu finden.

Im Auge hatte ich ein freies Areal direkt

neben der Uni, der damalige Linzer Bürgermeister

wollte es nicht genehmigen,

da es Agrarland war. Heute stehen dort

drei große Gebäude, der Science Park der

Uni Linz.

BUCHBERGER: Wie kamen Sie dann in das

kleine Hagenberg, 25 Kilometer außerhalb

von Linz?

ZUKUNFT: Ich habe nahe der Uni rund 15

Standorte angeschaut, es gab aber immer

irgendein Hindernis. Eines Tages erhielt

ich einen Anruf des damaligen oberösterreichischen

Landeshauptmanns

Josef Ratzenböck: „Herr Professor, ich

höre, Sie suchen was? Ich helfe Ihnen,

ich hätte da eine alte Ruine, die richten

wir her.“ Für mich war die Entfernung

kein Problem, die Studenten leiden heute

schon etwas, dass sie weit vom Schuss

sind. Ratzenböck meinte später noch,

wenn ich in Hagenberg schon gemütlich

forschen könne, könne ich mir doch auch

etwas einfallen lassen, damit in dieses

Gebiet Arbeitsplätze kommen. Worauf

ich den Softwarepark konzipiert habe,

wieder angelehnt an den drei Achsen,

mit starker Betonung der dritten – Anwendung,

Gründerfirmen etc. Ich hätte

mir nicht gedacht, dass ich dann viel Zeit

damit verbringen würde, Arbeitsplätze

ins Mühlviertel zu bringen

ZUKUNFT: Um das Jahr 2000 erarbeiteten

Sie für die Universität Inns bruck ein

Konzept für ein neues Informatik-Institut

und ein entsprechendes Studium. Legten

Sie die Schwerpunkte auch hier auf die

drei Achsen?

BUCHBERGER: Ja, mir ist – auch bei der Erstellung

anderer Konzepte – immer klarer

geworden, wie wichtig diese drei Achsen

sind. Daher versuchte ich auch in Tirol,

dieses Konzept aufzubauen.

Einerseits die Lehrstühle,

die Forschung und

Lehre in diesem Sinne

betreiben. Bei der Besetzung

der Lehrstühle, bei

der Findung und Evaluierung geeigneter

Kandidaten habe ich noch mitgewirkt.

Ein Lehrstuhl etwa geht tief in die Logik,

andere decken die angewandte Seite davon

ab, andere Grundlagen, sowohl in

der Forschung als auch in der Lehre. Hier

ist es wichtig, dass es sich durch alle Ebenen

zieht, Bachelor, Master und Doktorat,

Postdocs, internationale Studierende etc.

Und natürlich die dritte Achse, Anwendung

und Arbeitsplätze. Daher habe ich

damals eine enge, in Österreich aber als

problematisch gesehene Kooperation

mit der Fachhochschule vorgeschlagen,

um in der Lehre das breite Spektrum

von der Grundlage bis zur Anwendung

abzudecken. Ein weiterer Vorschlag war

das Transfercenter zwischen IT und Wirtschaft,

da habe ich einige Jahre später

jedoch festgestellt, dass das Gebäude inzwischen

von Physikern besetzt ist. Das

freut mich für die Physiker, war aber eigentlich

nicht die Idee.

ZUKUNFT: Wie beurteilen Sie die Entwicklung

der Inns brucker Informatik?

BUCHBERGER: Im Detail habe ich die

Entwicklung nicht beobachtet, ich weiß

nur, dass etliche der Professoren in ihren

Forschungsbereichen international ganz

vorne sind und weltweit bekannt sind.

Das ist eine Basis, die ich auch von außen

feststellen kann. Inwieweit sie motiviert

sind, für Firmen etwas zu tun oder welche

zu gründen, kann ich nicht beurteilen.

Das Potenzial ist hundertprozentig

da, für Technologietransfer braucht es

auch nicht unbedingt eine eigene Struktur,

es braucht die Motivation, entweder

selbst etwas zu machen oder die Absolventen

dazu anzuregen.

ZUKUNFT: Aus heutiger Sicht: Würden

Sie die gleichen Vorschläge für die Innsbrucker

Informatik machen oder etwas

ändern?

BUCHBERGER: Das Drei-Achsen-Modell

ist so aktuell wie nie, andere Universitäten,

die es nicht haben, versuchen es in

Schwung zu bringen. Es geht aber nicht

nur um die drei Achsen, sondern darum,

in allen dreien ganz vorne zu sein. Also

keinen Mittelweg, ein bisschen Forschung,

ein bisschen Anwendung. Die

Dynamik kommt nur, wenn die Beteiligten

in allen Bereichen, in der Forschung

und im Business, Spitze sind.ah

BRUNO BUCHBERGER kam 1942 in

Inns bruck zu Welt. In seiner Heimatstadt

studierte er Mathematik und promovierte

1966 bei Wolfgang Gröbner. Mit der

Dissertation begründete er die Theorie

der Gröbnerbasen, die in mathematischen

Softwaresystemen als Standard-Methode

zur exakten Behandlung nicht-linearer

Systeme eingesetzt wird. Der von ihm

erfundene Algorithmus zur Konstruktion

von Gröbner-Basen trägt seinen Namen. Seine akademische Karriere führte ihn 1974 als

ordentlicher Professor für Computer-Mathematik an die Johannes Kepler Universität Linz.

1987 gründete er dort das Forschungsinstitut für Symbolisches Rechnen (RISC), 1989 den

Softwarepark Hagenberg. Der mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftler ist Ehrendoktor

von derzeit sechs Universitäten, darunter auch die Universität Inns bruck, für die er Ende

der 1990er-Jahre das 2001 gestartete Informatikstudium konzipierte.

zukunft forschung 02/17 23


KURZMELDUNGEN

DATENZAUBER

Nach der Entdeckung der Gravitationswellen gingen die Bilder

von der Kollision zweier Schwarzer Löcher um die Welt. Produziert

wurden sie von einem Spin-off der Uni Inns bruck.

DIGITALE

LITERATURPLATTFORM

Der literarische Raum Nord-, Ostund

Südtirols seit dem 19. Jahrhundert

bis in die Gegenwart kann in einem

neuen Online-Portal von verschiedenen

Seiten her erkundet werden: Das gegenwärtige

literarische Leben, topografische

Lektüren, historische Perspektiven, das

Rezensionenmagazin LiLit etc. bilden

die grundlegenden Ressourcen, die laufend

aktualisiert und ergänzt werden.

„Aufbauend auf jahrzehntelanger

Grundlagenforschung präsentiert das

Forschungsinstitut Brenner-Archiv in

einer interaktiven Online-Plattform ein

umfangreiches Literaturlexikon, eine

Landkarte zum Literaturraum Tirol, Dokumentationen

und Rezensionen sowie

einen Veranstaltungskalender. Damit

stellt die Wissenschaft ihre Ergebnisse

der interessierten Öffentlichkeit frei zur

Verfügung“, erläutert Ulrike Tanzer, Leiterin

des Brenner-Archivs und Vizerektorin

für Forschung. Das Portal wurde

und wird neben der Universität Innsbruck

von den Ländern Tirol und Südtirol,

von der Stadt Inns bruck und dem

Wissenschaftsfonds FWF durch Förderungen

ermöglicht.

Während des Astronomie-Studiums

an der Uni Inns bruck hat

sich Werner Benger bereits mit

der Relativitätstheorie beschäftigt. Dieses

Interesse führte ihn dann auch an das

Albert-Einstein-Institut in Potsdam und

später an die Louisiana State University,

wo er mit dem bekannten Computerwissenschaftler

und Physiker Ed Seidel zusammenarbeitete

und Software zur Verarbeitung

sehr großer Datenmengen

entwickelte. Daraus entstanden erste Visualisierungen

zu den Gravitationswellen.

Die Software aus der Astrophysik

nutzt Benger heute beim Spin-off-Unternehmen

AHM Software GmbH, an dem

die Uni Inns bruck über die Uni-Holding

beteiligt ist, um große Datenmengen aus

der luftgestützten Vermessung zu verarbeiten.

Nach der ersten experimentellen

Beobachtung von Gravitationswellen

2016 erhielt die Firma den Auftrag, Simulationsdaten

zum Experiment zu visualisieren.

Daran betei ligt war auch Dominik

Steinhauser, Doktorstudent am Institut

für Astro- und Teilchenphysik. Mit der

Bekanntgabe der wissenschaftlichen Sensation,

die heuer auch mit dem Physik-

Nobelpreis gewürdigt wurde, gingen die

in Inns bruck produzierten Bilder um die

Welt. „Die Fähigkeiten, mit extrem großen

Datenmengen umzugehen, kommen

aus der Erfahrung mit dem Supercomputing

für Gravitationswellen“, erzählt

Werner Benger. „Diese nutzen wir bei

AHM nun sehr erfolgreich für die Verarbeitung

von Erdbeobachtungsdaten.“ Ein

Beispiel ist die interaktive Darstellung

eines zehn Terabyte großen Datensatzes,

der ganz Bayern in einer Auflösung von

weniger als 40 Zentimeter dreidimensional

beschreibt.

Mehr über die Tiroler Literaturlandschaft

in ihrer ganzen Vielfalt gibt‘s auf

www.literaturtirol.at

ULTRAKALTE MIKROSKOPIE HAT WURZELN IN INNS BRUCK

Der Chemie-Nobelpreis ging in diesem Jahr an Jacques Dubochet, Richard Henderson und

Joachim Frank für die Entwicklung der Kryo-Elektronenmikroskopie zur hochauflösenden

Strukturerkennung von Biomolekülen in Lösung – eine Erfolgsgeschichte für die Biochemie, die

auch Wurzeln an der Universität Inns bruck hat. Der 2011 verstorbene Chemiker Erwin Mayer

hat in den 1980ern am Institut für Allgemeine, Anorganische und Theoretische Chemie ein

Verfahren entwickelt, das heute als „Hyperquenchen“ bekannt ist. Wässrige Proben können

damit abgekühlt werden, ohne dass sich Eiskristalle bilden und damit die Struktur der im Wasser

gelösten biologische Probe verändert wird – genau das, was in der Kryo-Elektronenmikroskopie

gebraucht wird. Mayer und sein Team arbeiteten dabei auch direkt mit dem nunmehrigen Nobelpreisträger Jacques Dubochet von der

Universität Lausanne zusammen – in Inns bruck hergestellte Proben wurden in der Schweiz im Kryo-Elektronenmikroskop untersucht.

24

zukunft forschung 02/17

Fotos: S. Ossokine, A. Buonanno (Max Planck Institute for Gravitational Physics) | Simulating eXtreme Spacetimes project | D. Steinhauser (Airborne Hydro Mapping GmbH);

Martin Högbom/The Royal Swedish Academy of Sciences (1), Pixabay/Pexels (1)


Kooperation

zahlt sich aus

Steigen Sie jetzt ein.

Gemeinsame Forschungsund

Entwicklungsprojekte

von Tiroler Betrieben und

Forschungseinrichtungen können

ab sofort wieder Fördergelder im

Programm K-Regio einwerben.

Das Land Tirol fördert gemeinsame

Forschungs- und Entwicklungsprojekte von

Wissenschaft und Wirtschaft im regionalen

Kompetenzzentrenprogramm K-Regio.

Im Rahmen der aktuellen Ausschreibung

können Förderanträge bis zum 30. Jänner

2018 bei der Standortagentur Tirol

eingereicht werden. Informieren Sie sich

jetzt.

Projekte:

Kooperative F&E-Projekte mit hohem

Entwicklungsrisiko, die von Konsortien

partnerschaftlich durchgeführt werden und

Produkt- oder Verfahrensinnovationen mit

hohem Technologiesprung ermöglichen.

Fördernehmer:

Konsortien aus mindestens drei Partnern,

davon eine Forschungseinrichtung und zwei

Unternehmen (mindestens ein KMU) aus

Industrie, produzierendem Gewerbe oder der

produktionsnahen Dienstleistung.

Förderung:

Projekte erhalten bis zu 900.000 Euro an

Fördermitteln bei maximaler Laufzeit von

drei Jahren. Förderquoten bis 100 % sind

möglich. Für den aktuellen Call stehen

insgesamt 2,7 Millionen Euro zur

Verfügung. Das Programm wird aus Mitteln

des Europäischen Fonds für Regionale

Entwicklung (EFRE) kofinanziert.

Beratung:

Die Standortagentur Tirol hilft bei der

Suche nach den passenden Partnern für Ihr

Projekt und berät und begleitet Sie bei der

Einreichung.

Antragsstelle:

Standortagentur Tirol

Information:

www.standort-tirol.at/k-regio

Standortagentur Tirol

Bereich Förderprogramme

DI Rudolf Stoffner, PhD

Ing.-Etzel-Straße 17

6020 Innsbruck · Österreich

+43.512.576262.241

foerderungen@standort-tirol.at

t

e

· K-Regio

· Standortagentur Tirol

· www.standort-tirol.at

· www.tirol.gv.at


GEOLOGIE

MIT HOCHTECHNOLOGIE

IN DIE VERGANGENHEIT

Ein neues Labor an der Uni Inns bruck ermöglicht Forscherinnen und Forschern eine hochaufgelöste,

schnelle und präzise Analyse von Bohrkernen. Die so gewonnenen Daten könnten wichtige Hinweise

auf künftige Klimabedingungen und Extremereignisse liefern.

Bohrkerne dienen Wissenschaftlern

als hochaufgelöste Archive: Die

einzelnen Sediment-Schichten, die

sich Jahr für Jahr in subaquatischen Böden,

Höhlen oder Gesteinsformationen

ablagern, geben Aufschluss über klimatische

und ökologische Bedingungen,

Mensch-Umwelt-Beziehungen und Naturereignisse

wie Bergstürze oder Erdbeben

zu Zeiten, die weit über historische

Aufzeichnungen hinausreichen. Mit dem

neuen Forschungslabor „Austrian Core

Facility für wissenschaftliche Bohrkernanalysen“

steht den Forscherinnen und

Forschern in Inns bruck nun das erste

Kompetenzzentrum seiner Art zur Verfügung,

das mittels modernsten Messverfahren

das Scannen von Bohrkernen und

damit hochauflösende wissenschaftliche

Analysen ermöglicht.

„Die neuen Scanner ermöglichen uns

Analysen, die früher rund zwei Monate

gedauert haben, in zehn Stunden vorzunehmen“,

erläutert Michael Strasser, Geologe

und Leiter des neuen Kompetenzzentrums.

„Ein zwei Meter langer Bohrkern

aus einem Bergsee liefert uns Daten

über einen Zeitraum von 10.000 Jahren.

Mussten wir diesen früher Schicht für

Schicht bearbeiten, um chemische und

physikalische Eigenschaften für die einzelnen

Zeitskalen zu erhalten, können

wir ihn nun in seinem Originalzustand

scannen“, beschreibt er die Vorgangsweise.

„Dies bedeutet für uns nicht nur eine

enorme Zeitersparnis, sondern auch eine

wesentlich größere Auflösung, was die

Zeitskalen betrifft.“

Im Rahmen seiner Forschungsarbeit

untersucht Michael Strasser subaqua-

MICHAEL STRASSER: „Die neuen Scanner ermöglichen uns Analysen, die früher rund

zwei Monate gedauert haben, in zehn Stunden vorzunehmen.“

Mehr über die Arbeit von Michael Strasser

in „Zeit für Wissenschaft“, dem Podcast

der Uni Inns bruck: www.bit.ly/bohrkern

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zukunft forschung 02/17

Fotos: Andreas Friedle


GEOLOGIE

1

2

AUSTRIAN CORE FACILITY FÜR WISSENSCHAFTLICHE BOHRKERNANALYSEN:

Im neuen Kompetenzzentrum stehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aller

österreichischen Universitäten und Disziplinen österreichweit einzigartig drei Hochleistungsscanner

mit einem Gesamtwert von rund 750.000 Euro zur Verfügung.

Der GEOTEK MULTI-SENSOR CORE LOGGER (MSCL-S) ist ein Messgerät zur automatisierten

und qualitätskontrollierten Erfassung wichtiger gesteinsphysikalischer Kennwerte

mittels nicht-invasiver Messverfahren: So wird die Dichte und Porosität, die Ausbreitungsgeschwindigkeit

von Kompressionswellen und die Magnetisierbarkeit des Bohrkernmaterials

in hoher vertikaler Auflösung – Messung bis zu alle 0,1 Zentimeter entlang der

Bohrkernachse – bestimmt. Der Scanner ermöglicht Messungen mit einer Geschwindigkeit

zwischen 0,5 bis zwei Stunden pro Kernmeter je nach vertikaler Auflösung. (Bild Seite 38)

Der SMARTCUBE CAMERA IMAGE SCANNER (SMART CIS) ist ein Bohrkernfotoscanner,

der Foto-Linescans geteilter Sedimentkerne oder abgerollte 360°-Mantel oberflächen-Fotoaufnahmen

ganzer Gesteinsbohrkerne in hoher Auflösung bis zu 1.000 dpi

ermöglicht. (Bild 1)

Der COX ANALYTICS XRF CORE SCANNER (ITRAX) ist ein Röntgenfluoreszenz-Kernscanner

mit digitaler Radiografie und liefert ein 22 Millimeter breites digitales Durchlauf-

Röntgenbild mit bis zum 50 µm Auflösung für Mikrostruktur- und Textur-Analysen der

Bohrkerne. Der Bohrkern wird der Länge nach automatisch gescannt, wobei mittels Röntgenfluoreszenzspektroskopie

für jeden Messpunkt (Messung bis zu 200 µm entlang der

Bohrkernachse) gleichzeitig Gehalt und Verteilung der chemischen Elemente zwischen Al

und U gemessen wird. Dies liefert innerhalb fünf Stunden pro Kernmeter hochauflösende,

geochemische Proxy-Daten, um Umwelt- und Klimaveränderungen, Mensch-Umwelt-

Beziehungen, extraterrestrische Impacts sowie die Wechselwirkungen und Zusammenhänge

zwischen Geo- und Biomaterialien und geo- und umweltdynamischen Prozessen, die

in der chemischen Signatur der Bohrkernarchive gespeichert sind, zu analysieren bzw. zu

rekonstruieren. (Bild 2)

Finanziert wurde der Aufbau des neuen Forschungslabors durch das Bundesministerium für

Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) und die Universität Inns bruck.

tische Bohrkerne aus alpinen Seen oder

dem Meer, um darin nach Hinweisen

auf Erdbeben oder Bergstürze zu suchen.

Erdbebenwellen und Erschütterungen

während eines Erdbebens induzieren

Sedimentumlagerungen, Deformationen

im Sediment und auch Unterwasser-

Schlammlawinen.

Erdbeben vorhersagen

„Wenn wir in Bohrkernen aus Seeböden

systematisch nach diesen Ablagerungen

von subaquatischen Rutschungen suchen,

können wir einerseits feststellen, dass ein

Erdbeben stattgefunden hat, und es datieren.

Gleichzeitig kann mithilfe mechanischer

und physikalischer Modelle rückgerechnet

werden, wie stark die Bodenerschütterung

war“, beschreibt Strasser die

Vorgangsweise. Auch das Epizentrum des

Erdbebens kann berechnet werden: „Die

Seen fungieren dabei als prähistorische

Seismografen – mithilfe ihrer Daten kann

man durch physikalische Berechnungen

der Wellenausbreitungsgeschwindigkeiten

räumliche Analysen durchführen.“

So hat sich Strasser in den letzten Jahren

für die Schweiz und Österreich ein Archiv

aus Bohrkernen in Seen aufgebaut,

anhand derer er nachweisen kann, dass

es in der Vergangenheit starke Erdbeben

gab, diese aber weiter zurückreichen als

die Geschichtsbücher. „Daraus lernen wir

viel über die aktive Tektonik des Alpenraums“,

erläutert Strasser.

Neben Bohrkernen aus alpinen Seen

untersucht der Geologe aber auch ozeanische

Bohrkerne. So ist er am International

Ocean Discovery Program beteiligt,

bei dem Wissenschaftler aus der ganzen

Welt zusammenarbeiten, um in neue

Welten vorzudringen: Im Rahmen einer

Forschungsexpedition auf dem deutschen

Forschungsschiff Sonne entnahm

„Je mehr wir über

vergangene Erdbeben

wissen, umso wahrscheinlicher

wird es, mögliche Indikatoren

zur Prognostizierbarkeit von

Erdbeben zu erkennen.“

Michael Strasser, Institut für Geologie

der Wissenschaftler 2016 Bohrkerne aus

rund sieben Kilometern Tiefe. „Je mehr

wir über vergangene Erdbeben wissen,

umso wahrscheinlicher wird es, mögliche

Indikatoren zur Prognostizierbarkeit von

Erdbeben zu erkennen“, erklärt Strasser.

„Die Vergangenheit liefert hier sozusagen

die Schlüssel für die Zukunft.“

Neuland betreten

Dass das neue Labor neben Geologen

auch anderen Disziplinen helfen kann,

neue Aspekte in der Mensch-Umwelt-

Beziehung zu erhalten, zeigte bereits der

Testlauf im Labor. „Bei den Tests der

Scanner, für die wir Bohrkerne aus dem

Milstätter See verwendet haben, zeigten

sich in diesen Spuren eines dort nicht vermuteten

Schwermetalls“, beschreibt

Strasser. „Darauf anschließende Recherchen

zeigten, dass diese Hinweise auf

historische Bergwerke im Einzugsgebiet

geben“, verdeutlicht der Geologe das Potenzial

des neuen Bohrkern-Labors, das

ab November allen Wissenschaftsdisziplinen

aller österreichischen Universitäten

zur Verfügung steht.

sr

zukunft forschung 02/17 27


KLIMAFORSCHUNG

BUCHHALTER DES EISES

Schneefall und Eisschmelze bestimmen nicht nur das Leben der Gletscher, sondern auch jenes

von Stephan Galos. Am Langenferner misst er jährlich die Massenbilanz, für den Meteorologen ein

wichtiger Link zwischen atmosphärischen Verhältnissen und der Entwicklung der Gletscher.

Ein Gang auf den Langenferner

gehört für Stephan Galos schon

zur Routine. Fünf- bis siebenmal

im Jahr ist er oben in der Südtiroler

Ortlergruppe, bohrt im Talschluss des

Martelltales auf rund 3.000 Meter Pegelstangen

zehn bis zwölf Meter tief

ins Eis, grabt metertiefe Schächte in den

Schnee, der den Winter über gefallen

ist. Für den Mitarbeiter des Instituts für

Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften

der Universität Inns bruck ist

dies Teil seiner wissenschaftlichen Arbeit,

erstellt er doch eine Massenbilanz

des Langenferners, misst die Zuwächse

und Abgänge am Gletscher, setzt sie in

ein Verhältnis. „Es funktioniert ähnlich

einer finanziellen Bilanz“, meint Galos

und fügt lachend hinzu: „Am Gletscher

ist es aber einfacher, die Umsätze sind

überschaubarer.“

Erstmals gemessen wurde die Differenz

zwischen dem Massenzufluss (Akkumulation)

und dem Massenverlust

(Ablation) eines Eiskörpers im Jahr 1874

am Schweizer Rhonegletscher. Es waren

lediglich punktuelle Messungen, erst der

Schwede Hans Ahlmann führte in den

1920er- und 1930er-Jahren jährliche Messungen

auf unterschiedlichen Gletscherflächen

durch, im Norden Schwedens,

am Storglaciären, wird seit 1945 jedes

Jahr eine Massenbilanz ermittelt.

„Weltweit gibt es gut 150 solcher

Messprogramme, sie sind aber nicht

gleichmäßig verteilt. Die meisten gibt

es in Gegenden mit guter Infrastruktur,

in den Alpen und in Skandinavien. In

Österreich gibt es dreizehn Massenbilanzgletscher,

die Universität Inns bruck

betreut drei, zwei in den Ötztaler Alpen

und seit 2004 jene am Langenferner“,

berichtet Stephan Galos. Wie gemessen

wird, hängt vom Gletscher und der Fragestellung

ab, es können fünf bis zehn,

aber auch mehr Messpunkte sein. Am

Langenferner, der sich von 2.711 Höhenmeter

bis hinauf auf 3.370 Meter erstreckt

und dessen vergletscherte Fläche

rund 1,6 Quadratkilometer beträgt, sind

es 30 Messstationen.

An tief ins Eis gebohrten Pegelstangen

wird an der Oberfläche am freien Stangenteil

der Eiszuwachs beziehungsweise

-schwund gemessen, in den Schächten

wird die Dichte und Höhe des angesammelten

Schnees analysiert. Schneefall,

erklärt Stephan Galos, mache den

größten Teil der jährlichen Akkumulation

aus, Massengewinn könne ein Gletscher

aber auch durch die Winddrift von

Schnee, eventuell auch durch Lawinen

erfahren. Die Ablation wird neben Ver-

28

zukunft forschung 02/17

Fotos: Stephan Galos (4), Andreas Friedle (1)


KLIMAFORSCHUNG

STEPHAN GALOS studierte in Inns bruck

Meteorologie und Geophysik. Er arbeitet

als PhD am Institut für Atmosphären- und

Kryosphärenwissenschaften, zu seinen

Forschungsschwerpunkten zählen die Massenbilanzen

des Langenferner, ein Gletscher

des Cevedale-Massivs in den Ortler-Alpen.

Auf rund 3.000 Meter Höhe werden dafür

jährlich die Akkumulation und Ablation des

Gletscher gemessen, für das „Bilanzjahr“

Oktober 2016 bis September 2017 ergab

dies ein Minus von 2.000 Kilogramm Eis

pro Quadratmeter Gletscherfläche.

dunstung, Kalben und Lawinen vor

allem durch das Schmelzen von Eis und

Schnee bestimmt.

Langenferner-Bilanz

„Im heurigen September gab es am Langenferner

keinen Winterschnee mehr, in

den wir Schächte graben und messen

konnten“, erzählt Galos. Das Team der

Uni Inns bruck erstellt am Langenferner

auch eine Winterbilanz, kann daher den

winterlichen Schneezuwachs messen und

einen langjährigen Vergleich anstellen.

„Nur im Frühjahr 2007 lag noch weniger

Schnee am Langenferner“, verpackt

der Meteorologe den äußerst schneearmen

Südtiroler Winter 2016/17 in sachliche

Worte und ergänzt: „Daraus kann

man aber keine Rückschlüsse ziehen. Im

langjährigen Vergleich zeichnet sich kein

Trend im winterlichen Schneefall in den

hohen Gletscherregionen ab. Der letzte

Winter war eine Ausnahme.“ Keine Ausnahme

aber, das zeigen die Messungen,

sind die heißen Sommer mit früheren

und längeren Hitzewellen. „Der Sommer

2015 war in den Ötztaler Alpen wärmer

als der sogenannte Rekordsommer 2003,

2017 war vergleichbar“, weiß Galos. In

Kombination mit dem geringen Winterschnee

ergibt das die negativste Jahresbilanz

seit 2003: ein Minus von 2.000 Kilogramm

Eis pro Quadratmeter Eisfläche,

„umgerechnet“, so Galos, „ist das eine 2,2

Meter dicke Eisschicht, die – gemittelt auf

die Gletscherfläche – abgeschmolzen ist.“

Diese negative Massenbilanz von 2.000

Kilogramm pro Quadratmeter ist für

den Forscher ein „direkt messbarer Link

zwischen den atmosphärischen Verhältnissen,

also dem Wettergeschehen, und

der Veränderung der Gletscher“. Einen

Link, den er noch besser verstehen will.

„Als Wissenschaftler will man mehr

als Verlust und Zuwachs quantifizieren,

man will die Zusammenhänge besser

verstehen“, sagt der gebürtige Vorarlberger.

Ein solcher Zusammenhang ist der

Anstieg des Meeresspiegels, „das weltweite

Schmelzen der Gebirgsgletscher

liefert momentan den größten Anteil“.

Sein Institutskollege Fabien Maussion

etwa modelliert Zukunftsszenarien für

Gletscher auf globaler Ebene. „Mit dem

Prozessverständnis, das man aus den

Auswertungen von Massenbilanzen gewinnt,

kann man Modelle entwickeln.

Kombiniert mit Klimaszenarien erlaubt

dies Berechnungen für die Zukunft, z. B.

den Anstieg des Meeresspiegels.“ Galos

und andere Buchhalter des Eises liefern

dazu das Datenmaterial. „Wir arbeiten

auch an der Verbesserung unserer Methoden,

um Fehler zu minimieren bzw.

‚Störgeräusche‘ zu filtern“, so Galos.

„Darüber hinaus interessieren wir uns

für die Prozesse, welche die Massenbilanz

bestimmen.“ Ein solcher ist der

Wind am Berg, der Schnee vom oder auf

den Gletscher bläst, der warme Luft mit

sich bringt und Schneeverlagerungen

verur sacht: „Am Langenferner haben wir

unsere Messungen so designt, dass wir

diesen Prozess besser verstehen lernen.“

Näher als das Meer ist dem Langenferner

der Vinschgau, ein Tal mit wenig Niederschlag

und intensiver Landwirtschaft,

bewässert wird dort seit Jahrhunderten.

„Der Langenferner entwässert in den

Vinsch gau, in heißen trockenen Sommern

kommen bis zu 50 Prozent des Wassers

der Etsch vom Gletscher“, macht Galos

auf einen lokalen Zusammenhang aufmerksam,

könnte doch der Gletscherschwund

in solch trockenen Alpentälern

eine direkte Auswirkung auf die Bewässerung

und den Wasserverbrauch haben.

Und das relativ zeitnah. Stephan Galos:

„Durch unser Verständnis über die Beobachtungen

und in Kombination mit

den Messungen kann man sagen, dass

der Langenferner in wenigen Jahrzehnten

verschwunden sein wird.“ah

zukunft forschung 02/17 29


RECHTSWISSENSCHAFT

MARIA BERTEL (*1987 in

Bezau, Vorarlberg) ist seit Mai

2016 Elise-Richter-Stelleninhaberin

des österreichischen

Wissenschaftsfonds FWF am

Institut für Öffentliches Recht,

Staats- und Verwaltungslehre.

Sie arbeitet dort an ihrem

Habilitationsprojekt „Das

Effizienz prinzip der österreichischen

Verfassung“. Ihre verfassungsrechtliche

Dissertation

zum Thema „Dezentralisierung

in Peru: die (verfassungs-)

rechtliche Stellung der Regionen

und Kommunen“ schloss

sie 2012 ab. Neben dem

Studium der Rechtswissenschaften

hat Maria Bertel auch

ein Bakkalaureats-Studium

der Philosophie in Innsbruck

abgeschlossen.

30

zukunft forschung 02/17

Foto: Andreas Friedle


RECHTSWISSENSCHAFT

EFFIZIENTE DEMOKRATIE?

Wie Effizienz als verfassungsrechtlicher Begriff und Demokratie zusammengehen,

erforscht die Innsbrucker Juristin Maria Bertel.

Effizient soll er handeln, sparsam,

wirtschaftlich: Nicht erst, aber

verstärkt seit der Wirtschaftskrise

stehen der Staat und sein Handeln unter

Beobachtung, insbesondere hinsichtlich

der Effizienz. Aber was heißt das eigentlich,

effizientes Handeln? Lässt es sich in

ein juristisches Schema bringen, an dem

staatliche Aktionen gemessen und beurteilt

werden können? Und was heißt

ein verfassungsrechtliches Gebot von

effizientem Handeln für demokratische

Prozesse, die oft per Definition wenig effizient

sind, gilt es doch, viele Meinungen

einzubinden? Diese Fragen beschäftigen

die Juristin Maria Bertel: „In den letzten

Jahren fanden Forderungen in Zusammenhang

mit einer höheren Wirtschaftlichkeit

und Sparsamkeit des Staates,

wie zum Beispiel der Ruf nach Schuldenbremsen

und ähnlichen Instrumenten,

vermehrt Eingang in die öffentliche Diskussion.

Für das Budgetrecht legt die

Verfassung allerdings schon jetzt explizit

die Beachtung des sogenannten budgetrechtlichen

Effizienzgebotes fest.“ Nun

kennt der Verfassungsgerichtshof (VfGH)

darüber hinaus auch ein allgemeines verfassungsrechtliches

Effizienz gebot, das

er insbesondere aus den Bestimmungen

über Prüfungen durch den Rechnungshof

ableitet. „Die Rechnungshof-Bestimmungen

legen fest, dass der Rechnungshof

die Staatswirtschaft im Hinblick auf

die Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und

Zweckmäßigkeit zu prüfen hat. Daraus

leitet der VfGH ein allgemeines Effizienzgebot

ab, das sich nicht nur auf

Rechnungshof-Prüfungen bezieht.“

Zentrale Frage ist, ob sich ein Effizienzgebot

auch an den Gesetzgeber richtet

– falls ja, wären Gesetze vom VfGH

nämlich unter Umständen mit dem Argument

der Ineffizienz aufhebbar: „Die Literatur

weist, gestützt durch die Rechtsprechung

des VfGH, überwiegend darauf

hin, dass sich das Effizienzgebot auch an

den Gesetzgeber richtet. Bislang hat der

VfGH jedoch noch kein Gesetz aufgrund

von Ineffi zienz aufgehoben.“

Effizienz und Demokratie

Seit mehreren Jahren findet dieses vom

VfGH so eingeführte Effizienzgebot auch

regelmäßig Eingang in die einschlägige

Fachliteratur, sagt Maria Bertel: „Kaum

ein Lehrbuch der vergangenen Jahre

kommt ohne dieses Effizienzgebot aus.

„Die für mich momentan spannendste Frage ist, inwieweit sich das

Effizienzgebot an den Gesetzgeber richtet und ihn bindet, weil das

unmittelbar Auswirkungen auf demokratische Prozesse hat.“ Maria Bertel

Eine exakte Definition gibt es bislang

jedoch noch nicht und die versuche

ich nun. Die für mich momentan spannendste

Frage ist, inwieweit sich das

Effizienzgebot an den Gesetzgeber richtet

und ihn bindet, weil das unmittelbar

Auswirkungen auf demokratische Prozesse

hat.“ Wenn sich das verfassungsrechtliche

Effizienzprinzip auch an den

Gesetzgeber richtet, kann das zum einen

bedeuten, dass Gesetze Effizienzvorgaben

entsprechen müssen. Zum anderen

könnte jedoch auch der demokratische

Prozess selbst unter Effizienz-Gesichtspunkten

betrachtet werden. „Effizienz gilt

grundsätzlich meist nicht als rechtliches,

sondern als wirtschaftliches Konzept. Die

Demokratie mit wiederkehrenden Wahlen

und Verhandlungen in Parlamenten

ist unter diesem Blickwinkel jedoch nicht

unbedingt effizient. Wenn man Effizienz

also eng auslegt, kann das auf Kosten

der Demokratie gehen oder sie sogar gefährden“,

sagt Maria Bertel. Sie arbeitet

deshalb an einer offener gefassten Definition

des Begriffs: „Ich will mich dem

Effi zienzbegriff eben nicht ausschließlich

wirtschaftlich, sondern unter anderem

auch philosophisch nähern und untersuchen,

ob es hier nicht für den Rechtsstaat

einen anderen Effizienzbegriff braucht.“

Der VfGH bezieht sich konkret in Entscheidungen

zu Privatisierungen auf das

Effizienzgebot, erklärt die Juristin: „Der

VfGH bleibt sehr vage. Aus seinen Entscheidungen

ergibt sich kein fixes Raster,

nach dem man alle künftigen Fälle abprüfen

könnte. Im Bereich von Privatisierungen

lese ich die VfGH-Erkenntnisse

so, dass die Ausgliederung von Aufgaben

im Vergleich zur Besorgung durch

den Staat nicht teurer kommen oder ineffizienter

sein darf. Das heißt: Für den

Staat sollte sich kein schwerwiegender

Nachteil aus einer Ausgliederung ergeben.“

Andere Fälle, die vom Forschungsprojekt

umfasst sind, sind zum Beispiel

Gemeindezusammenlegungen, für die

vielfach mit einer gesteigerten Effizienz

argumentiert wird, oder die Frage nach

der Effizienz des Bundesstaates – Forderungen

nach Reformen der föderalistischen

Struktur sind praktisch immer mit

Effizienz-Argumenten verbunden.

Transparenz

Wie könnte nun ein Effizienzbegriff aussehen,

der auch rechtlich anwendbar ist?

Für Maria Bertel spielt Transparenz hier

eine wichtige Rolle: „In den Wirtschaftswissenschaften

gibt es den Begriff des

Minimal- und des Maximalprinzips: Wie

kann man mit möglichst geringem Mitteleinsatz

einen bestimmten Nutzen erlangen?

Und wie mit gegebenen Mitteln ein

möglichst gutes Ergebnis erlangen? Ich

denke, im Verfassungsrecht könnte man

auf dieser Sichtweise aufbauen, ohne jedoch

damit einen Optimierungszwang zu

verbinden. Sinnvoll scheint mir, den Mitteleinsatz

und das erwartete Ergebnis

sichtbar und damit auch besser abschätzbar

zu machen.“ Bertels Projekt wird vom

Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen

Forschung (FWF) im Rahmen des

Elise-Richter-Programms unterstützt und

läuft noch bis 2020.sh

zukunft forschung 02/17 31


MATHEMATIK

WÖRTERBUCH AUS DATEN

Jeder und jede von uns erzeugt nahezu täglich Unmengen an Daten.

Am Institut für Mathematik arbeitet START-Preisträgerin Karin Schnass mit ihrem Team daran,

diese Daten auch optimal auszuwerten.

Die Fotos vom letzten Urlaub in

den Anden, zwei Staffeln „Breaking

Bad“ als Netflix-Download,

drei unfertige Text-Dokumente und eine

ganze Reihe weiterer fertiger, gefühlte

5.000 E-Mails, alle Nirvana-Alben als

MP3, und das ist nur der private Computer:

Wir alle sammeln und erzeugen

nahezu täglich Unmengen an Daten.

Manche davon relevant, andere weniger;

manche komplex, andere einfach strukturiert.

Insgesamt gibt es Schätzungen,

„Daten liegen praktisch nie

so vor, wie man sich das

theoretisch überlegt hat.“Karin Schnass

dass vom weltweiten Datenvolumen –

inzwischen zumindest einige Billionen

Gigabyte – maximal ein Viertel auch

nützlich ist und nur etwa ein Prozent

tatsächlich analysiert werden kann.

Mit Methoden dieser Analyse beschäftigt

sich die Mathematikerin Karin

Schnass in ihrem vom österreichischen

Wissenschaftsfonds FWF mit einem

START-Preis geförderten Projekt: „Viele

stellen sich die Analyse von Daten relativ

einfach vor: Schlagworte sind dann

Deep Learning, Machine Learning, das

passiert alles automatisch und dann

machen wir wunderbare Dinge damit.

Leider ist es nicht so einfach: Daten sind

nämlich leider nie wirklich sauber und

liegen praktisch nie so vor, wie man sich

das theoretisch überlegt hat. Nehmen

wir als Beispiel die Auswertung von Fotos:

Sie haben Bilder von Leuten, da ist

dann einmal der Kopf schief, einmal ist

die Person bei den Ohren, einmal bei der

Stirn abgeschnitten. Aber man hätte gerne,

dass der Kopf immer die gleiche Größe

hat und zentriert am Bild ist – dabei

ist aber die Tatsache, dass jemand einen

sehr großen Kopf hat, auch ein Merkmal

32

zukunft forschung 02/17

Fotos: Karin Schnass (4), Andreas Friedle (1)


MATHEMATIK

ZWEI BEISPIELE für automatisch erstellte Dictionarys: Das Dictionary des Affen (4. Bild von links) enthält mehr Atome, weil das Bild

komplexer ist. Das Dictionary der Paprikas hingegen kommt mit weniger Atomen aus (2. Bild von links).

und das gehört berücksichtigt. Bis man

die Daten einmal soweit hat, dass das

alles passt, hat man extrem viel Zeit investiert.“

Dictionary Learning

Die Methode, die Schnass und ihr Team

für die Auswertung von Daten – Bilder,

Audio, aber theoretisch jede Art von

Datenquelle – verwendet, heißt „Dictionary

Learning“: Ein Bild wird in Stücke

zerschnitten, diese Bildstücke bilden die

Datenquelle. „Üblich ist dabei eine Größe

von 8 x 8 Pixel, also 64 Pixel pro Stück.

Was wir wollen, ist, dass alle denkbaren

Formen, die im Bild vorkommen, auch

in den Stücken repräsentiert sind“, erklärt

Schnass. Diese Stücke werden dem

Lern-Algorithmus übergeben, der am

Ende ein Dictionary, ein Wörterbuch,

der gewünschten Größe ausspuckt, aus

dem sich das Ausgangsbild wieder zusammensetzen

lässt. Wie viele einzelne

Teile – in der Fachsprache „Atome“ – gebraucht

werden, hängt natürlich von der

Komplexität des Ausgangsbilds ab (siehe

Bilder). „Es gibt eine Reihe von Bildern,

an denen die Algorithmen weltweit getestet

werden, unter anderem eines von

Paprikas und eines von einem Affen. Der

Affe ist aufgrund der feinen Fellstruktur

schwieriger, da werden insgesamt mehr

Atome gebraucht als bei den Paprikas, die

aus vielen glatten Flächen bestehen“, sagt

die Mathematikerin.

Anwendung findet die Methode allerdings

weniger in der Kompression von

Daten – dafür gibt es effizientere Verfahren

– als in der Wiederherstellung von

beschädigten Portionen. „Stellen Sie sich

ein zerknülltes Foto vor: Die Risse, die

beim Zerknüllen entstehen, sind Leerstellen,

die wir aber gerne gefüllt hätten.

Nun kommt uns zugute, dass Bilder ja

nie komplett zufällig zusammengesetzt

sind, sondern immer etwas zeigen – wir

können also unseren Algorithmus sogar

KARIN SCHNASS (*1980 in Klosterneuburg)

erwarb 2004 ihr Diplom in Mathematik

an der Universität Wien, bevor sie

im Jahr 2009 an der ETH Lausanne in der

Schweiz promovierte. Nach Geburt ihres

ersten Kindes und einer Karenz 2009

forschte die Mathematikerin als Postdoc

am Johann Radon Institute for Computational

and Applied Mathematics (RICAM)

in Linz. Nach Geburt ihres zweiten Kinds

2011 und einer Karenz arbeitete sie

als Erwin-Schrödinger-Stipendiatin des

Wissenschaftsfonds FWF an der Università

degli studi di Sassari in Italien, bevor

sie im Oktober 2014 an die Universität

Innsbruck wechselte. Für ihr Projekt „Optimierung,

Modelle und Algorithmen für

Dictionary Learning“ erhielt Karin Schnass

2014 einen START-Preis, mit bis zu 1,2

Millionen Euro die höchstdotierte Auszeichnung

für junge Wissenschaftlerinnen

und Wissenschaftler in Österreich.

über das zerstörte Foto laufen lassen und

erhalten unbeschädigte Atome.“ Mit diesen

unbeschädigten Atomen können die

Forscherinnen und Forscher dann beschädigte

Teile des Bilds wiederherstellen.

„Daten, egal welcher Form, kann man

sich als Punkte in hochdimensionalen

Räumen vorstellen. Aber es ist nicht so,

dass diese Räume voll sind, also dass ein

Datenpunkt tatsächlich ein ganz beliebiger

Punkt im Raum sein kann – meistens

sind diese Punkte in irgendwelchen

Strukturen angeordnet, etwa auf einer

Linie“, sagt Karin Schnass. Diese Eigenschaft

von Daten machen sich die Forscherinnen

und Forscher zunutze: „Wenn

ich jetzt nicht die gesamten Informationen

habe, kann ich dennoch von vorhandenen

Informationen auf das Gesamtbild schließen.

Ich habe zum Beispiel ein Computertomografie-Gerät,

will aber Patienten

nicht einer hohen Strahlenbelastung aussetzen

und viel Energie verbrauchen, also

mache ich weniger Messungen. Dann

habe ich zwar weniger Informationen,

aber ich weiß, dass die Daten auf einer

bekannten Struktur liegen. Ich verwende

also bekannte Zusatzinformationen, um

Daten zu rekonstruieren und von weniger

Punkten auf das Gesamtbild zu schließen.

Bei der Magnetresonanztomografie

wird das bereits verwendet: Man spart

sich Messungen, weil man weiß, dass die

Daten eine niedrigdimensionale Struktur

haben, und das verwendet man, um die

Anzahl der Messungen zu reduzieren.

Auch ein Dictionary ist eine Art einer

niedrigdimensionalen Struktur.“

Denkbar ist ein Einsatz auch in Szenarien,

wo Energie nur begrenzt zur Verfügung

steht: Wenn etwa ein Mars-Rover

nur die nötigsten Messungen vornimmt,

hält die Batterie länger. Der Aufwand, die

gesendeten Daten dann auf der Erde umzurechnen,

ist größer, hier spielt der Energieverbrauch

aber auch eine geringere

Rolle. „Das gleiche Phänomen haben wir

übrigens auch bei handelsüblichen Kameras,

wenn in JPG gespeichert wird:

Die Kamera macht derzeit das Foto und

rechnet dann selbst auf das komprimierte

JPG-Format runter. Das benötigt natürlich

auch Energie. Ein anderer Zugang wäre,

wenn man wirklich viele Bilder speichern

will und die Batterie lang halten soll, auch

hier mit der Kamera nur die nötigsten

Messungen für ein Foto zu machen und

den Rest erst später am Computer rechnen

zu lassen. Aber das ist derzeit noch

Zukunftsmusik.“

Karin Schnass und ihr Team arbeiten

im Moment an der Verbesserung ihrer eigenen

Dictionary-Learning-Algorithmen

und an möglichen Einsatzgebieten – so ist

es etwa alles andere als trivial, automatisch

festzustellen, wie viele Atome im

Dictionary tatsächlich gebraucht werden,

vor allem, wenn die Ausgangsdaten

schon Fehler aufweisen. Das Projekt ist

derzeit bis 2021 angesetzt.sh

zukunft forschung 02/17 33


WISSENSTRANSFER

BETON, LICHT UND ÖL

Der Förderkreis 1669 der Uni Inns bruck unterstützt die Entwicklung von drei Prototypen,

mit denen Forschungsergebnisse in konkrete Anwendungen umgesetzt werden sollen.

THERMOMECHANISCH

optimierter Schaumbeton als

alternatives Fassadenelement

(li.), eine Spiegellamelle der

Firma Bartenbach (mi.), deren

Eigenschaften mit einem

neu entwickelten Messgerät

einfacher untersucht werden

können, und eine neue

ölabweisende Oberflächenbeschichtung

(re.), die in Zukunft

zur Trennung von Öl und Wasser

eingesetzt werden soll.

Die Mitglieder unterstützen die Universität

als Netzwerk von Verbündeten, als Brücke

in die Gesellschaft – sowohl ideel als auch

materiell.

Infos: www.uibk.ac.at/foerderkreis1669

Der Großbrand im Londoner Grenfell

Tower hat auf dramatische Weise deutlich

gemacht, wie wichtig Brandschutz

auch bei Fassadenkonstruktionen ist. Am häufigsten

werden heute kunststoffbasierte Materialien

verwendet. Forscher um Roman Lackner

vom Arbeitsbereich Materialtechnologie

arbeiten nun an einer vielversprechenden

Alternative. Zementgebundene Systeme, die

sich durch den gezielten Eintrag eines Porensystems

auszeichnen, zeigen hervorragende

Eigenschaften hinsichtlich des Brandschutzes

und können gut wiederverwertet werden.

Bisher eingesetzter Schaumbeton weist allerdings

noch schlechtere Wärmedämmeigenschaften

als herkömmliche Materialien auf.

Mit Unterstützung des Förderkreises will

Lackner dies nun mit seinem Team durch die

thermomechanische Optimierung des Porenraums

im Beton ändern.

Messtechnologie

Mit komplexen Fassadensystemen lassen

sich auch in stark verglasten Gebäuden angenehme

Lichtverhältnisse erzielen und die

notwendige Kühlung reduzieren. Trotz der

Vorteile werden diese modernen Fassadensysteme

heute nur zögerlich eingesetzt. Ein wesentlicher

Grund dafür ist, dass nur spärlich

Daten aus Messungen zur Verfügung stehen

und reine Simulation für die Produktentwicklung

nicht ausreicht. Für die Bestimmung der

Leuchtdichteverteilung werden sogenannte

Goniophotometer eingesetzt. Ein Team um

Rainer Pfluger vom Arbeitsbereich Energieeffizientes

Bauen entwickelt derzeit ein neuartiges

Goniophotometer, das die Nachteile

vorhandener Messgeräte überwindet und so

neue Möglichkeiten für die Vermessung von

Fassaden etablieren könnte. Die Innovation

liegt dabei in der direkten optischen Messung

der Dichteverteilung des von einem

Objekt ausgehenden Lichtstroms. Mit dieser

Entwicklung soll die Basis für die Herstellung

von Goniophotometern mit niedrigen Kosten

und hoher Auflösung bei kurzer Messdauer

gelegt werden.

Trennverfahren

Inge Hackl vom Institut für Allgemeine, Anorganische

und Theoretische Chemie arbeitet

an einer neuen Möglichkeit zur Trennung von

Öl und Wasser. Fettabscheideanlagen finden

in der Wasseraufbereitung, nach Ölkatastrophen

oder in der Industrie Anwendung. Basierend

auf einer von ihrem Kollegen Herwig

Schottenberger kürzlich entwickelten und von

der Uni Inns bruck patentierten Verbindungsklasse

arbeitet die Chemikerin an einer Alternative

zu herkömmlichen Wasseraufbereitungssystemen.

Grundlage dafür ist eine

gleichzeitig wasseranziehende und ölabweisende

Oberflächenbeschichtung. Mit den Mitteln

des Förderkreises will sie das Verfahren

weiterentwickeln und für die Markteinführung

vorbereiten.

cf

34 zukunft forschung 02/17

Fotos: Uni Inns bruck (2), Bartenbach


WISSENSTRANSFER

GRÜNES RENNAUTO

Tirol hat ein Motorsportteam. Studierende konstruierten ein

Elektro-Rennauto zur Teilnahme an der Formula Student.

Hinter Campus Tirol Motorsport

(CTM) steht eine Vereinigung engagierter

Studierender von den

Hochschulen Tirols. Im Oktober vergangenen

Jahres haben sie erstmals mit einer

Konstruktion eines mit Elektromotoren

ausgestatteten Rennwagens begonnen,

den sie ein Jahr später erfolgreich präsentierten.

„Vor nur einem Jahr haben wir

mit unseren Ideen auf einem weißen

Blatt Papier begonnen und uns gemeinsam

alle weiteren Schritte erarbeitet. Erstmals

ein Team in Inns bruck aufzubauen,

war ein großer Reiz, und wir sind bereits

in den Vorbereitungen für die Konstruktion

eines neuen Autos, mit dem wir im

kommenden Jahr in Spielberg an den

Start gehen wollen“, sagt Lukas Dür,

Mechatronik-Student an der Universität

Inns bruck und Projektleiter von CTM.

Ganz im Sinne des Ziels von Tirol 2050

soll das elektrisch fahrende Auto nicht

nur schnell, sondern auch effizient sein.

„Das ist die Zukunft und wir möchten

mit unseren Ideen einen innovativen Beitrag

für weitere Entwicklungen leisten“,

freut sich das CTM-Team mit dem Ziel,

ein Auto von 0 auf 100 km/h unter drei

Sekunden beschleunigen zu können. Das

innovative Antriebskonzept des Rennwagens

mit vier Elektromotoren zeigt die

Möglichkeiten zukünftiger Technologien

auf und bringt der Region umweltschonende

Mobilität näher. „Dieses Zeichen

wollen wir gemeinsam mit den uns unterstützenden

Unternehmen setzen, um

nachhaltige Antriebskonzepte zu fördern“,

betont Dür.

EIN JAHR UNTERNEHMERSCHMIEDE INNCUBATOR

A

ufgrund der sehr guten Auslastung des InnCubators

und der bewährten Kooperation zwischen

der Tiroler Wirtschaftskammer und der Universität

Inns bruck wurde das vor einem Jahr gegründete

gemeinsame Gründerzentrum ausgebaut. Auf einer

Fläche von 500 Quadratmetern wurde auf dem WIFI

Campus die Basis für neue Lern- und Arbeitsräume

geschaffen. „Durch die Erweiterung soll ein pulsierendes Ökosystem entstehen, in dem

Innovationen und Start-ups weiterentwickelt werden“, erklärt WK-Präsident Jürgen Bodenseer.

Von Lehrlingen über Studierende bis hin zu Quereinsteigern – das Angebot des

InnCubators steht allen unternehmerisch denkenden Menschen in Tirol offen. „Wir haben

die Kompetenzen und Ressourcen der Wirtschaftskammer und der Universität zusammengefasst

und diese um ein zusätzliches Angebot erweitert“, sagt Rektor Tilmann Märk. Im

ersten Jahr unterstützte die Unternehmerschmiede über 15 Start-ups.

ERFOLGREICHES SPIN-OFF

Das Spin-off Txture GmbH der Uni

Inns bruck unterstützt global agierende

Unternehmen dabei, ihre weltweiten

Cloud-Systeme erfolgreich zu

planen und zu optimieren. Das junge

Unternehmen hat sich für das Finale

des European Venture Contest im Dezember

in Düsseldorf qualifiziert. Über

1.000 europäische Technologie-Startups

bewarben sich für die elfte Ausgabe

des European Venture Contest, die

besten 100 haben sich in Vorveranstaltungen

in ganz Europa für das Finale

qualifiziert.

Trends wie Industrie 4.0, Internet der

Dinge oder smarte Systeme verändern

die Unternehmenswelt. Viele prominente

Sicherheitsvorfälle, darunter gehackte,

fremdgesteuerte Autos, massenhaft

gestohlene Kundendaten oder geschäftskritischer

Ausfall von IT-Systemen,

machen aber auch deutlich, dass

IT-Innovation die Beherrschbarkeit der

neuen Technologien voraussetzt. Das

Team um die Informatik-Professorin

Ruth Breu hat diese neuen Erfordernisse

an das IT-Qualitätsmanagement

sehr früh erkannt und arbeitet bereits

seit 2009 im Kompetenzzentrum QE

LaB in Kooperation mit Industriepartnern

wie Infineon, Siemens und der

Porsche Holding an neuen Methoden

und Werkzeugen. Das Gründungsteam

der Txture GmbH, Matthias Farwick,

Thomas Trojer und Ruth Breu, vermarktet

ein Werkzeug am internationalen

Markt, das die planerische Abbildung

von IT-Assets grundlegend neu

interpretiert. Inspirieren ließ sich das

Team dabei von interaktiven Landkarten

wie beispielsweise Google Maps.

Die Universität Inns bruck ist über die

Uni-Holding an dem erfolgreichen

Technologieunternehmen beteiligt.

Fotos: Stephan Elsler (1), colourbox.de (1), Aria Sadr-Salek/www.photography.snow.at (1)

zukunft forschung 02/17 35


Koordinationsstelle für

universitäre Weiterbildung

Leben & Lernen –

universitäre Weiterbildung

Aktuelles aus den Weiterbildungsangeboten an der Universität Innsbruck

▪ Wirtschaftskriminalität, Korruption & Recht

▪ Library and Information Studies

▪ Frieden, Entwicklung, Sicherheit und internationale

Konflikttransformation

▪ Pädagogische Qualität und Qualitätsentwicklung im Kindergarten

▪ Textile & Polymere Science

Die wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Innsbruck

vermittelt Zusatz- und höhere Fachqualifikationen in den an der

Universität vertretenen Studienrichtungen. Dabei werden Forschung auf

höchstem Niveau und aktueller Praxisbezug miteinander verbunden.

19 Universitätslehrgänge | 27 Universitätskurse und Seminare

55 Unternehmenspartner | 850 Teilnehmende

fachspezifische Kompetenzen erweitern | aktueller Praxisbezug

berufsbegleitend studieren

36

zukunft forschung 02/17

www.uibk.ac.at/weiterbildung

© BfÖ 2017


QUANTENPHYSIK

NANOMAGNETE IN SCHWEBE

Quanteneigenschaften lassen Nanomagnete über einem Magnetfeld schweben,

obwohl das laut dem klassischen Earnshaw-Theorem eigentlich unmöglich ist.

FASZINIERENDE QUANTENWELT: Cosimo Rusconi und Oriol Romero-Isart (re.) lassen einen Magnetkreisel schweben.

Mit Dauermagneten kann man

keine stabil schwebende Konstruktion

errichten, das hat

der Brite Samuel Earnshaw bereits 1842

nachgewiesen. Lässt man einen Magneten

über einem anderen schweben,

genügt die kleinste Störung, um ihn abstürzen

zu lassen. Der Magnetkreisel, ein

beliebtes Spielzeug, umgeht dieses Earnshaw-Theorem.

Bei einer Störung richtet

die Kreiselbewegung ihn wieder so aus,

dass die Stabilität erhalten bleibt. Nun

haben Physiker um Oriol Romero-Isart

vom Institut für Theoretische Physik der

Universität Inns bruck und dem Institut

für Quantenoptik und Quanteninformation

der Österreichischen Akademie der

Wissenschaften gemeinsam mit Forschern

am Max-Planck-Institut für Quantenoptik

in Garching erstmals gezeigt, dass Nanomagneten

auch in Ruhe über einem statischen

Magnetfeld schweben können. „In

der Quantenwelt können winzige Nanoteilchen

ruhend über einem Magnetfeld

schweben“, sagt Romero-Isart. „Verantwortlich

dafür sind Quanteneigenschaften,

die in der makroskopischen Welt

nicht wahrnehmbar sind, bei Nanoobjekten

aber stark hervortreten.“

Stabil schweben lassen

Albert Einstein hat gemeinsam mit dem

niederländischen Physiker Wander Johannes

de Haas 1915 nachgewiesen, dass

der Magnetismus auf ein quantenmechanisches

Phänomen zurückgeht, nämlich

den Drehimpuls von Elektronen, den

sogenannten Elektronenspin. Die Physiker

um Romero-Isart zeigen nun, dass

dieser Elektronenspin es einem Nanomagneten

erlaubt, im Ruhezustand über

einem statischen Magnetfeld zu schweben,

obwohl das nach dem klassischen

Earnshaw-Theorem eigentlich unmöglich

ist. Die Theoretiker haben ausführliche

Stabilitätsanalysen abhängig vom Radius

des Objekts und der Stärke des externen

Magnetfelds gemacht. Diese zeigen, dass

in Abwesenheit von Reibungsverlusten

(Dissipation) sich ein Gleichgewichtszustand

einstellt. Verantwortlich dafür ist

der gyromagnetische Effekt: Bei Änderung

der Magnetisierung tritt wegen der

Kopplung der magnetischen Momente

mit dem Spin der Elektronen ein mechanisches

Drehmoment auf. „Dadurch wird

der magnetische Schwebezustand des

Nano magneten stabilisiert“, erklärt Cosimo

Rusconi. Darüber hinaus konnten die

Forscher auch zeigen, dass die Freiheitsgrade

des schwebenden Nanomagnets

miteinander quantenverschränkt sind.

Romero-Isart ist optimistisch, dass diese

schwebenden Nanomagnete bald auch

im Labor beobachtet werden können. Sie

machen Vorschläge, wie dies unter realistischen

Bedingungen gelingen könnte.

Schwebende Nanomagnete bieten ein

völlig neues Experimentierfeld für die

Physiker. Unter instabilen Verhältnissen

könnten sie exotische Quantenphänomene

offenbaren. Auch könnten mehrere

Nanomagnete miteinander gekoppelt

und die Ausbreitung der Magnetisierung

im Labor simuliert und studiert werden.

Technisch sind schwebende Nanomagnete

zum Beispiel auch als hochsensible

Sensoren interessant.

cf

Foto: IQOQI Inns bruck/M.R.Knabl

zukunft forschung 02/17 37


SOZIOLOGIE

DAS ALTER

NEU DENKEN

Abhängigkeit im Alter muss gesellschaftsfähig werden.

Dann erst kann laut Bernhard Weicht vom Institut für Soziologie

das Pflegesystem neu aufgesetzt werden.

BERNHARD WEICHT,

geboren 1981 in Wien,

studierte (Sozial-)Wirtschaft

in Wien sowie Sozialpolitik an

der University of Nottingham,

wo er 2010 promovierte. Als

Marie Curie Fellow forschte

er an der Universität Utrecht,

anschließend war er Dozent

am Leiden University College.

Seit 2015 arbeitet er am

Institut für Soziologie der

Universität Inns bruck. Der

Themenkreis Alter, Altern und

Pflege ist Schwerpunkt seiner

Forschungsarbeit.

Wir haben sie im Kopf: die ausgelassen

tanzenden Seniorinnen und

Senioren, die älteren, gepflegten

Paare, die sich bedeutungsvoll lächelnd zuprosten,

die Fußball spielenden Großmütter

und die verwegenen, grauhaarigen Radfahrer

aus der Werbung. Die Gesellschaft suggeriert

uns laufend, wie schön aktives Altern

sein kann. Im Gegenzug wird Pflegebedürftigkeit

negativ bewertet. Das zeigt sich ganz

besonders, wenn man genau zuhört, wie im

öffentlichen Diskurs über Pflege gesprochen

wird. Und das macht Bernhard Weicht vom

Institut für Soziologie seit über zehn Jahren.

„Als um das Jahr 2005 in Österreich die Diskussion

um die 24-Stunden-Betreuung aufpoppte,

habe ich mit meinen Diskursanalysen

begonnen“, berichtet Bernhard Weicht. „Ich

fand es irrsinnig spannend, welche Sprache

verwendet wurde, um die Betreuerinnen zu

bezeichnen, welche Geschichten erzählt und

welche Bilder geschaffen wurden.“ So war

„Pflegenotstand“ damals ein Lieblingsbegriff

in Medien und Politik und diente häufig, um

Schreckensszenarien zu übertiteln, die im

Zusammenhang mit künftig notwendigen

Pflegekosten gezeichnet wurden.

Weicht beschäftigt sich seither mit verschiedenen

Aspekten der Diskussion um

Pflege, sowohl im informellen als auch im institutionellen

Bereich. Neben der Analyse der

öffentlichen Diskurse und deren Reproduktion

durch die Politik sind auch zahlreiche Interviews

mit Pflegebedürftigen, Pflegenden,

Pflegekräften und weiteren Fokusgruppen

Basis seiner Forschungsarbeit.

Abhängigkeit als Tabu

Ein Kernthema von Bernhard Weicht ist

Abhängigkeit im Alter, die seinen Untersuchungen

zufolge als „schlimmste Phase“

des Lebens konstruiert wird. „In einer Gesellschaft,

wo Autonomie so wichtig ist,

will niemand abhängig sein.“ Obwohl die

Lebenserwartung steigt und es immer mehr

alte Menschen gibt, sind Abhängigkeiten im

Alter ein großes Tabu. Pflegeheime entwickeln

sich zunehmend zu Alternativen, die

nur in Betracht gezogen werden, wenn der

Pflegeaufwand extrem hoch ist. Möglichst

„Abhängigkeit im Alter wird als

schlimmste Phase des Lebens

konstruiert.“ Bernhard Weicht, Institut für Soziologie

lange zu Hause zu wohnen, ist ein viel gehegter

und häufig auch gesellschaftlich suggerierter

Wunsch. Diese Ansprüche finden

jedoch keine entsprechenden Rahmenbedingungen

im System, das in den Augen von

Bernhard Weicht in der aktuellen Form so

nicht funktioniert und in Zukunft noch weniger

funktionieren wird.

Ein Blick auf das in Österreich beliebte

Modell der 24-Stunden-Betreuung ist beispielhaft:

Waren es früher im Bereich der

informellen Pflege vor allem weibliche Familienmitglieder,

die die Alten-Betreuung

unentgeltlich übernommen haben, so ermöglicht

seit 2007 die im Hausbetreuungsgesetz

verankerte 24-Stunden-Betreuung den

Traum vom Altern in vertrauter Umgebung.

„Die 24-Stunden-Betreuung, die vorwiegend

durch Pflegekräfte aus dem Ausland getragen

wird, wurde geschaffen beziehungsweise gesetzlich

legalisiert, ohne das Pflegesystem

grundsätzlich zu ändern“, kritisiert Weicht.

Er führt eine Reihe von Problemen an, die

diese besonderen Beschäftigungsverhältnisse

mit sich bringen, unter anderem die

Abgrenzung von Privatleben und gemeinschaftlichem

Leben, die Frage, was alles Teil

des Beschäftigungsverhältnisses ist und was

nicht mehr, oder die Frage, ob und wann es

Freizeiten gibt. „Es gibt kaum Regelungen.

38

zukunft forschung 02/17

Fotos: Colourbox/ Oleg Mikhaylov (1), privat (1)


SOZIOLOGIE

Hinzu kommt, dass das ganze System auf unterschiedlichen

Lohnverhältnissen aufbaut.

Anders würde es gar nicht funktionieren.“

Was Weicht an der 24-Stunden-Pflege allerdings

positiv sieht, ist, dass sie den Aspekt

der Beziehung zwischen Betreuerinnen und

Betreuten in den Mittelpunkt rückt.

Radikales Umdenken

Neue Wege in der Pflege können nur auf der

Basis eines radikalen Kurs- und Diskurswechsels

gefunden werden, ist der Wissenschaftler

überzeugt. „Wir sind unser ganzes

Leben lang von anderen abhängig. Manchmal

mehr, manchmal weniger. Wir müssen

beginnen, viel mehr darüber zu sprechen,

dass Altern und Abhängigkeiten Teil unseres

Lebens sind, sonst wird es keine positiven

Lösungen geben.“ Dieses Umdenken muss

auch die Arbeitswelt miteinschließen, sodass

neben dem Arbeitsleben auch Betreuungsaufgaben

zu Hause Platz haben, meint der Soziologe.

„Während einem in der Berufswelt

die Betreuung kleiner Kinder noch irgendwie

zugestanden wird, ist die Pflegekarenz eher

tabuisiert und wird kaum in Anspruch genommen.“

Auch das Schaffen neuer Wohnformen ist

ein wichtiger Schritt. Wohngemeinschaften,

generationenübergreifendes Wohnen, aber

auch ganz neue Wohnarten sind denkbar. So

erzählt Bernhard Weicht vom Demenzdorf

Hogeweyk in den Niederlanden, das altes

Denken radikal aufbricht. Dort wird mehr

Augenmerk auf die Bedürfnisse und weniger

auf die Einschränkungen gelegt, wodurch sich

viele andere Probleme erledigen. Einmal mehr

betont Weicht, dass die für solche Ideen erforderlichen

organisatorischen Entscheidungen

ein anderes Begreifen von Altern voraussetzen.

„Das ist ebenso eine politische wie auch

gesellschaftliche Thematik.“ ef

24-STUNDEN-BETREUUNG

basiert auf einem Beschäftigungsverhältnis,

wird aber

oft mehr als Ersatzfamilie

gesehen. Eben deshalb ist

dieses Modell mit all seinen

Nachteilen so beliebt.

zukunft forschung 02/17 39


KURZMELDUNGEN

ZUKUNFTSIDEEN

Inns brucker Forscher präsentierten auf der EXPO 2017 zwei

innovative Projekte für die Energieversorgung der Zukunft.

AUCH WEITERHIN EIN

VERLÄSSLICHER PARTNER

Klimawandel und Risikomanagement

sind zentrale Herausforderungen

unserer Zeit und beeinflussen ganz wesentlich

Leben und Wirtschaft in Gebirgsräumen

und den von diesen abhängigen

Vorländern. Seit 2002 hat alpS zahlreiche

Projekte mit vielen Wirtschafts- und Wissenschaftspartnern,

Behörden, Vereinen

und NGOs erfolgreich umgesetzt. „Der

Erfolg von alpS lag immer im ausgeglichenen

Mix aus angewandter, praxisnaher

Forschung und dem Einbringen

dieser Forschungs- und Entwicklungsergebnisse

in die Beratung“, sagt die Geschäftsführerin

Sara Matt-Leubner.

In den vergangenen sieben Jahren war

alpS auch Träger eines von Bund und

Land Tirol geförderten COMET-K1-Zentrums,

dessen Förderung nun im April

2018 ausläuft. alpS wird aber weiterhin

ein verlässlicher Partner für bereits bestehende

Kooperationen sein, zugleich seine

Aktivitäten mit weiteren Partnern und

Auftraggebern deutlich ausbauen. Nach

Abschluss der COMET-Phase wird alpS

aus zwei sich synergetisch ergänzenden

Einheiten bestehen: alpS Consulting als

eigene GmbH und alpS Research als Teil

der Universität Inns bruck. „So stellen wir

sicher, dass die Leistungen sowohl im

Bereich der wissenschaftlichen als auch

der beratenden Tätigkeitsfelder weiterhin

die gewohnt hohe Qualität haben“,

erklärt Matt-Leubner. Weitere Ansprechpersonen

und verantwortlich für die strategische

Entwicklung und operative Umsetzung

sind die AbteilungsleiterInnen

Daniela Hohenwallner-Ries (Klimawandelanpassung),

Matthias Huttenlau (Wasserressourcen-

und Risikomanagement)

und Paul Stampfl (Energieraumplanung).

Sie werden dabei von einem engagierten

Team unterstützt.

SOMMERTECHNIKUM

Die diesjährige Weltausstellung in

der kasachischen Hauptstadt

Astana stand ganz im Zeichen

der zukünftigen Energieversorgung und

möglicher Maßnahmen für weltweite

Nachhaltigkeit. Auf dem 25 Hektar großen

Ausstellungsgelände wurden innovative

Ideen aus der ganzen Welt präsentiert.

Zwei davon kamen von der Uni

Inns bruck und wurden im zentralen Pavillon

der Ausstellung gezeigt. Rames

Najjar, Professor für Hochbau am Institut

für Experimentelle Architektur, hat gemeinsam

mit seinem Bruder Karim Najjar,

Professor an der American University

of Beirut, bewegliche Strukturen entwickelt,

die an der stark verbauten Küste

Beiruts den Fischern wieder Zugang

zum Meer verschaffen sollen. Über einen

Schwimmer im Wasser wird die Wellenbewegung

auf die Konstruktion übertragen.

„Diese Bewegung wollen wir für die

Energiegewinnung nutzen, indem wir

einen Generator damit betreiben, und die

Häuser der Fischerfamilien mit Strom

versorgen“, erzählt Rames Najjar. Für die

Präsentation in Astana verband Najjar

diese Idee mit einem Konzept zum Speichern

von Energie, das seit einigen Jahren

am Arbeitsbereich für Wasserbau der

Fakultät für Technische Wissenschaften

entwickelt wird. Markus Aufleger, Robert

Klar und Bernd Steidl wollen große,

schwimmende Plattformen bauen, um

Energie sehr effizient zu speichern. „Diese

schwimmenden Speicher funktionieren

sehr ähnlich wie Pumpspeicherkraftwerke

hier in den Alpen“, erklärt Klar.

„Sie liefern dann Energie, wenn sie tatsächlich

gebraucht wird.“

I

m Juli und August bot die Uni Inns bruck

zum ersten Mal Schülerinnen die Möglichkeit,

in technische und naturwissenschaftliche

Studien hineinzuschnuppern. 18

Mädchen aus Tirol besuchten ein bezahltes

Praktikum in Betrieben oder Universitätsinstituten

sowie eine Sommerschule an der

Universität. „Mit dem neuen Sommertechnikum setzt die Universität Inns bruck eine wichtige

Maßnahme, um Frauen nachhaltig für die MINT-Fächer zu begeistern“, sagt Bernhard

Fügenschuh, Vizerektor für Lehre und Studierende. „Mit der einzigartigen Kombination aus

Praktikum und Sommerschule erhalten die Schülerinnen einen guten Einblick in einzelne

Studienrichtungen, sowohl in praktischer Hinsicht als auch auf theoretischer Ebene.“

40 zukunft forschung 02/17

Fotos: Ieva Saudargaitė (1), Uni Inns bruck (1), pixabay.com/Wolfgang Sojer (1)


ATMOSPHÄRE

IN EINEM WEITGEHEND unberührten Waldgebiet in den Rocky Mountains wurde nach organischen Spurenstoffen in der Luft gesucht.

„FEHLENDER“ KOHLENSTOFF

Luftqualität und Klima werden durch chemische Prozesse in der Atmosphäre beeinflusst,

biogenem Kohlenstoff kommt dabei eine wichtige Rolle zu.

Im Sommer 2011 versammelte das

National Center for Atmospheric Research

in den USA die modernsten

Messinstrumente in Colorado, um dem

gesamten aus biologischen Quellen stammenden

Kohlenstoff in der Atmosphäre

auf die Spur zu kommen. Mit dabei waren

Forscher der Universität Inns bruck.

Sie installierten ihre elektronische Spürnase

– ein hoch spezialisiertes Gerät zur

Messung von flüchtigen organischen Verbindungen

– am Fuß eines 26 Meter hohen

Messturms. Der Feldversuch fand in

einem weitgehend unberührten Kiefernwald

in den Rocky Mountains statt. Das

Inns brucker Team um Armin Hansel und

Thomas Karl arbeitete mit einem Pro-

tonen-Tausch-Reaktions-Time-of-Flight-

Massen-Spektrometer (PTR-ToF-MS),

mit dem sich zeitlich hoch aufgelöste

Messungen durchführen lassen und das

die Kohlenstoffflüsse in der Atmosphäre

aufzeichnen kann. Dieses Gerät wurde in

Inns bruck entwickelt und kam bei dem

Feldversuch zum ersten Mal zum Einsatz.

„Das PTR-TOF-MS kann winzigste

Mengen organischer Spurenstoffe in der

Luft messen“, erklärt Hansel vom Institut

für Ionenphysik und Angewandte

Physik. Es eignet sich daher besonders,

um die von den Bäumen abgegebenen

Kohlenstoffverbindungen zu erfassen.

Denn bei der Photosynthese wird rund

ein Prozent des von der Pflanze aufgenommenen

Kohlendioxids als flüchtige

organische Verbindungen wieder in die

Atmosphäre abgegeben. „Mit unserer

Methode können wir diese flüchtigen

Spurenstoffe besonders gut messen,

während die anderen Instrumente eher

auf die weniger volatilen Verbindungen

spezialisiert waren“, erzählt Hansel.

Den Luftströmungen folgen

Mit einer speziellen Messmethode – dem

sogenannten Eddy-Covariance-Verfahren

– konnten die Inns brucker Forscher die

Konzentration der verschiedenen Kohlenstoffverbindungen

laufend überwachen.

Dazu wurden pro Sekunde bis zu

zehn Messungen durchgeführt und die

Daten später mit der Windgeschwindigkeit

korreliert. „Auf diese Weise können

wir die Luftbewegungen in der Atmosphäre

analysieren und den Transport

der Kohlenstoffverbindungen quasi in

Zeitlupe mitverfolgen“, sagt Thomas

Karl vom Institut für Atmosphären- und

Kryosphärenwissenschaften. So ermittelten

die Forscher je nach Windrichtung

die über einem bestimmten Waldgebiet

vorhandenen flüchtigen Kohlenstoffverbindungen.

Aus den Daten konnten die Forscher

auch ablesen, was mit den von den Bäumen

emittierten Kohlenstoffen in der Atmosphäre

passiert. „Wir wollten wissen,

welche Verbindungen die Kohlenstoffe

eingehen und wie nach und nach immer

weniger flüchtige Moleküle entstehen,

die später an Aerosolen anhaften oder am

Boden und an Pflanzen kondensieren.“

Das ist keine leichte Aufgabe, denn diese

Kohlenstoffverbindungen bilden sehr

viele unterschiedliche Oxidationsprodukte.

Die Forschungsarbeit liefert nun

erstmals ein detailliertes Bild, was der

Nadelwald an organischem Kohlenstoff

abgibt, wie dieser in der Atmosphäre oxidiert

wird und wo er am Ende landet.

Überraschender Weise macht der Anteil

der bisher nicht gemessenen Kohlenstoffverbindungen

ein ganzes Drittel der insgesamt

erfassten Menge aus. cf

Foto: colourbox.de

zukunft forschung 02/17 41


PHYTOWISSENSCHAFT

PHYTOVALLEY

FÜR TIROL

Michael A. Popp, Vorstandsvorsitzender von Bionorica, und Chemiker Günther Bonn über das neue

Forschungsinstitut für die Entwicklung pflanzlicher Wirkstoffe, die Stärkung des Phytostandorts Tirol

und die Akzeptanz von Bionorica-Produkten in der Schulmedizin

MICHAEL A. POPP, 1959 in Nürnberg geboren, studierte Pharmazie an der Universität

Erlangen. Zwischen 1987 und 1991 promovierte er an der Universität Inns bruck. 1988 übernahm

er die Leitung von Bionorica, das sein Großvater 1933 gegründet hatte. Er positionierte

das Unternehmen als einen der weltweit führenden Hersteller von pflanzlichen Arzneimitteln

und machte es zu einem global agierenden Unternehmen und Schrittmacher im Bereich des

Phytoneering. Die Bionorica-Gruppe erzielte 2016 mit über 1.500 Mitarbeitern einen Umsatz

von rund 253 Millionen Euro. Michael Popp habilitierte sich an der Universität Inns bruck und

hält seit 1999 Vorlesungen für Analytische Phytochemie und Pharmazeutische Biologie.

ZUKUNFT: Mit Bionorica Research hat Ihr

Unternehmen schon seit 2005 eine Forschungseinheit

in Inns bruck. Warum engagieren

Sie sich nun mit einer zweiten

in Tirol?

MICHAEL A. POPP: Was wir vorhaben, gibt

es in diesem Stil noch nicht. Es gibt eine

Pharmakognosie, die Pharmakologie,

es gibt die Arzneiformenlehre. Auf der

anderen Seite ist es so, dass die ideale

Ergänzung von dem, was Günther Bonn

und ich machen, fehlt. Man muss es auch

etwas historisch betrachten. Ich habe in

Inns bruck promoviert, ich habe mich bei

Günther Bonn habilitiert, ich habe Studenten

hier, wir haben im Bereich der

Analytik sehr viel gemeinsam entwickelt

und zum Patent gebracht. Es ist durch

Günther Bonns Arbeit ein Center of Excellence

in der Phytoanalytik entstanden

– das war das erste Schritt.

ZUKUNFT: Und die weiteren Schritte?

POPP: Ende der 1990er-Jahre kam es in

Inns bruck mit Hartmut Glossmann und

Professoren aus München zur Gründung

von Biocrates, unser erstes Biotech-Startup.

Es folgte die Bionorica Research, da

wir in Inns bruck einen idealen Standort

haben – alle unseren wissenschaftlichen

Führungskräfte sind Urgewächse der

Universität. Heute haben wir bei Bionorica

Research das modernste Labor

weltweit. Ein weiterer Schritt war die

Gründung des Austrian Drug Screening

Institute, des ADSI, an dem wir für Phytoforschung

exklusiver Partner sind.

Dazu kommt ein Vorteil von Österreich

– die Forschungsförderung für Unternehmen,

die 2018 sogar noch erhöht wird.

Wenn man das alles betrachtet, kann

man schon von einem Phytovalley sprechen.

Deswegen war es naheliegend zu

sagen, gründen wir doch hier auch das

Forschungsinstitut.

42

zukunft forschung 02/17

Fotos: Andreas Friedle


PHYTOWISSENSCHAFT

ZUKUNFT: Warum ein universitäres Forschungsinstitut?

POPP: Wenn wir klinische Studien machen,

heißt es oft: Pflanzliche Arzneimittel

sind mild oder schwach wirksam.

Das geht so überhaupt nicht: Wir sind

wirksam, genauso wie ein chemischsynthetisches

Arzneimittel wirksam ist.

Dafür brauchen wir klinische Studien

mit Patienten, die richtig krank sind –

nur so können wir den Unterschied zu

einem Placebo zeigen. Es herrscht immer

noch ein gewisses Denken von früher:

Nimm’s, schaden kann’s nichts und

wenn es hilft, ist es gut. Davon ist Bionorica

weit entfernt, wir sind die einzige

Firma, die mit ihren pflanzlichen Arzneimittel

in der Schulmedizin angekommen

ist. Es hat noch niemand aus unserem

Mitbewerb geschafft, dass er auf

Weltkongressen von Pulmologen oder

Urologen auftreten kann. Wir sind fest

verankert und voll akzeptiert, deswegen

die Idee, ein Michael-Popp-Institut mit

dieser Zielrichtung und Forschungsstandards

auf höchstem internationalen Niveau

zu gründen. Natürlich hilft es auch

der Universität und der Region, da wir

weltweit mit Instituten und Universitäten

vernetzt sind.

ZUKUNFT: Wo wird das Insitut angesiedelt

sein?

GÜNTHER BONN: Es ist ein vollwertiges

Forschungsinstitut an der Fakultät für

Chemie und Pharmazie, es wurde dafür

der Organisations- und Entwicklungsplan

geändert. Angesiedelt ist es am

Mitterweg, Bionorica hat im Gebäude

der Bionorica Research zusätzlich Raum

angemietet, stellt auch die Infrastruktur.

ZUKUNFT: Wie wird das Institut aufgestellt

sein?

POPP: Das Institut umfasst eine neue

Professur, zwei wissenschaftliche Assistenten,

zwei Dissertanten, eine Laborstelle

und ein Sekretariat. Für die ersten

fünf Jahre bedeutet dies ein Investitionsvolumen

von fünf Millionen Euro, 1,5

Millionen davon kommen vom Land

Tirol für eine zweite Stiftungsprofessur.

BONN: Es handelt sich um eine Stärkung

des Standorts, es kommt etwas Neues

dazu. Die Professur der Michael-Popp-

Stiftung wurde von allen Gremien genehmigt

und wird ausgeschrieben. Die

Stiftungsprofessur des Landes ist zugesagt,

die genaue inhaltliche Ausrichtung

wird noch so diskutiert werden, dass sie

eine zusätzliche Stärkung ist und in das

gesamte Bild passt.

ZUKUNFT: Welche Ausrichtung soll das

Institut haben?

POPP: In erster Linie wollen wir neue

pflanzliche Wirkstoffe finden, am Anfang

gegen das metabolische Syndrom

und Adipositas. Danach werden wir

schauen, in welche zusätzliche Richtung

es geht. Klares Ziel ist angewandte Forschung

mit Ergebnissen. Wir wollen uns

an Einrichtungen wie dem Weizmann-

Institut für Wissenschaften oder den

Max-Planck-Instituten orientieren, Ziel

ist auch, dass weitere Institute entstehen,

z. B. in Russland, vom Absatz her der

größte Markt für Bionorica.

ZUKUNFT: Sie sprechen vom Phytovalley.

Wer wohnt schon in diesem Tal?

BONN: Es hat sicherlich zwei Nuklei, ein

Nukleus ist Bionorica Research, der andere

das ADSI. An der Universität ist in

den Jahren auch ein Umfeld entstanden,

an der Chemie, der Pharmazie und der

Botanik. Wir haben auch schon exakte

Vorstellungen für ein Christian-Doppler-

Labor, wissen auch schon, welche Projekte

wir durchführen wollen und werden

das CD-Labor beantragen. Zudem

gibt es unter anderem Gespräche mit

Cura Cosmetics.

ZUKUNFT: Was ist mit Cura Cosmetics angedacht?

POPP: Wir haben durch unser Forschung

sehr viele Ergebnisse, wir haben etwa

anti-bakterielle und anti-entzündliche

Wirkungen nachgewiesen. Wir kennen

auch die Bedürfnisse der Dermatologen

sowie der Haut an sich und sind daher

am Forschen, ob manche Heilpflanzen,

GÜNTHER BONN, Jahrgang 1954,

studierte in Inns bruck Chemie sowie

Lehramt Chemie und Physik. Ab 1977 war

er Gymnasial-Professor und wissenschaftlicher

Mitarbeiter am Institut für Analytische

Chemie und Radiochemie, ab 1983

Universitätsassistent. Danach folgten

Habilitation (1985), Yale University (1988),

Berufung an die Uni Linz (1991) und die

Berufung als Professor für Analytische

Chemie an die Uni Inns bruck (1995).

Extrakte oder Wirkstoffe für eine Problemhaut

nützlich sein können – nicht als

Arzneimittel, sondern eher als Kosmetikum.

Eine Richtung, in die auch Cura

Cosmetics geht, daher denken wir zurzeit

gemeinsam intensiv nach.

BONN: Ich möchte auch festhalten, dass

es ein Michael-Popp-Institut, kein Bionorica-Institut

ist. Popp ist als Geschäftsmann

auch Wissenschaftler geblieben.

Ich bin mir sicher, dass aufgrund seiner

Beziehungen andere Firmen Interesse

zeigen werden.

ZUKUNFT: In Deutschland mussten viele

Institute und Lehrstühle für Pharmakognosie

der Biotechnologie weichen. Ist

Ihr Institut auch ein Weg, dieses Forschungsgebiet

nachhaltig zu etablieren?

POPP: Ich sehe keine Anzeichen, dass sich

das, was in Deutschland passiert ist, in

Österreich wiederholen wird. Ich denke,

dass der Lehrstuhl von Hermann Stuppner

in Inns bruck erhalten bleiben wird

genauso wie jene in Graz und Wien. Daher

war es schon auch die Idee, dies in

Österreich zusätzlich zu stärken, nicht zu

schwächen und jemanden etwas wegzunehmen.ah

zukunft forschung 02/17 43


KARRIEREGIPFEL

UNTERNEHMERISCHES

DENKEN STÄRKEN

Mit zahlreichen Initiativen stärkt die Universität Inns bruck das unternehmerische

Denken ihrer Studierenden und Mitarbeiter. Koordiniert werden die Maßnahmen von der

Transferstelle Wissenschaft – Wirtschaft – Gesellschaft.

Mitte November fanden an der

Universität Inns bruck zum

zweiten Mal die Karrieregipfel

statt. Hier konnten sich Studierende

persönlich über Berufschancen in den

Bereichen IT & Technik, Chemie & Life

Sciences sowie Wirtschaft informieren.

„Wir bringen bei den Karrieregipfeln

Studierende und Unternehmen verschiedener

Branchen und Fächer zusammen“,

sagt Annemarie Larl von der Transferstelle

der Universität. „Knapp 50 Unternehmen

nutzten dieses Jahr die Gelegenheit,

direkt mit unseren zukünftigen Absolventinnen

und Absolventen in Kontakt

zu kommen.“ An den drei Standorten

am Campus Technik, dem Centrum für

Chemie und Biomedizin und der SoWi

fanden sich nicht nur mögliche Arbeitgeber,

es gab auch eine Gründerberatung

durch die Transferstelle, die Uni-

Holding und den InnCubator. Wer eine

Idee für ein neues Produkt oder eine

neue Dienstleistung hatte, konnte sich

hier informieren und von Expertinnen

und Experten individuell beraten lassen.

„Neben dem Berufsweg als Mitarbeiterin

oder Mitarbeiter in einem Unternehmen

steht unseren Studierenden auch der Weg

zur Gründung eines eigenen Unternehmens

offen“, sagt Sara Matt-Leubner, die

Leiterin der Transferstelle Wissenschaft

– Wirtschaft – Gesellschaft an der Universität

Inns bruck. „Mit einem Lehrstuhl

für Innovation und Entrepreneurship

und entsprechenden Kursen für Studierende

aller Fachrichtungen stärken wir

das unternehmerischen Denken bei den

Studierenden. Wollen sie den Schritt wagen,

dann steht ihnen in Inns bruck eine

umfassende Struktur für Beratung und

Unterstützung zur Verfügung.“

Neue Postdoc-Society

Nicht jeder erfolgreiche Wissenschaftler

wird irgendwann einmal Professor. Nur

rund zehn bis 20 Prozent der Postdocs

schlagen am Ende eine wissenschaftliche

Karriere ein – alle anderen arbeiten später

außerhalb der Universität. „Hier liegt

ein enormes Potenzial für Wirtschaft und

Gesellschaft“, sagt Sara Matt-Leubner.

„Deshalb haben wir an der Universität

Inns bruck auch eine Initiative zur Förderung

des Entrepreneurship-Denkens bei

dieser Personengruppe gestartet.“ Mit

der Postdoc-Society soll bei erfahrenen

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern

das Bewusstsein für Karrieremöglichkeiten

in der Wirtschaft gestärkt werden.

Mit regelmäßigen Vernetzungstreffen,

Informationsangeboten und verschiedenen

Veranstaltungsformaten sollen

die unterschiedlichen Anforderungen,

Rahmenbedingungen, Strukturen,

Prioritäten und Blickwinkel auf Wissenschaft

und Wirtschaft aufgezeigt werden.

Begleitet wird die Postdoc-Society durch

die Transferstelle der Universität, die

auch Alumni-Service, Career-Service und

die Beteiligungsgesellschaft Uni-Holding

in sich vereint.

cf

44 zukunft forschung 02/17

Foto: Uni Inns bruck


PREISE & AUSZEICHNUNGEN

SPITZENPREISE

Der Wittgenstein-Preis, Österreichs höchstdotierter und prestigeträchtigster

Wissenschaftspreis, ging in diesem Jahr an den Quantenphysiker Hanns-Christoph Nägerl.

Einen START-Preis erhielt der Nachwuchsforscher Wolfgang Lechner.

TOP-FORSCHUNG: Höchster heimischer Wissenschaftspreis für Hanns-Christoph Nägerl (li.), Nachwuchspreis für Wolfgang Lechner.

Der mit 1,5 Millionen Euro dotierte

Wittgenstein-Preis wird an

etablierte Spitzenforscherinnen

und Spitzenforscher zur weiteren Steigerung

ihres wissenschaftlichen Leistungspotenzials

verliehen. In diesem

Jahr wurde Hanns-Christoph Nägerl

vom Institut für Experimentalphysik

der Universität Inns bruck ausgezeichnet.

Er ist nach Peter Zoller und

Rudolf Grimm der dritte Inns brucker

Quantenphysiker, der diesen höchsten

österreichischen Preis erhalten hat.

„Die Inns brucker Quantenphysik genießt

weltweit einen hervorragenden

Ruf und ist eines unserer Stärkefelder.

Das wird durch diese Auszeichnungen

einmal mehr unterstrichen. Mit Hanns-

Christoph Nägerl haben wir nun bereits

den dritten Wittgenstein-Preisträger in

unseren Reihen“, freute sich auch Rektor

Tilmann Märk. Ein weiterer Grund

zur Freude war der START-Preis für den

Nachwuchsforscher Wolfgang Lechner

vom Institut für Theoretische Physik der

Universität Inns bruck und dem Institut

für Quantenoptik und Quanteninformation

der Österreichischen Akademie der

Wissenschaften.

Ultrakalte Quantenmaterie

Hanns-Christoph Nägerl ist einer der

weltweit führenden Quantenphysiker

auf dem Gebiet der ultrakalten Quantenvielteilchensysteme.

Er ist besonders

für seine Arbeiten zu atomaren Quantendrähten

und zu molekularen Quantengasen

bekannt. Der Wittgenstein-Preis wird

es Hanns-Christoph Nägerl ermöglichen,

seine Arbeiten zur Quantenkontrolle

von Vielteilchensystemen auf eine neue

Ebene zu heben. Sein Ziel ist es, aus den

molekularen Quantengasen heraus die

Moleküle einzeln und zustandsselektiv

zu detektieren und in weiterer Folge

auch einzeln zu manipulieren. Mögliche

Anwendungen liegen in der Präzisionsmesstechnik

und der Beantwortung

der Frage, ob fundamentale Naturkonstanten

wirklich konstant sind.

Spezieller Quantencomputer

Wolfgang Lechners Forschung zielt darauf

ab, theoretische Grundlagen für eine

bestimmte Art von Quantencomputer zu

entwickeln, der Optimierungsprobleme

effizient lösen kann. Optimierungsprobleme

sind in der Wissenschaft und auch

im Alltag allgegenwärtig. Sie reichen

vom Finden der Grundzustands-Elektronenstruktur

von Molekülen, der Faltung

von Proteinen bis hin zu logistischen Problemen

in der Industrie. Der Kern seiner

Forschung ist eine neue Architektur für

Quantencomputer, die Lechner in der Arbeitsgruppe

von Peter Zoller in Innsbruck

entwickelt hat. Diese Architektur

erlaubt es, einen voll programmierbaren

Quantencomputer für Optimierungsprobleme

zu bauen. Diese Idee wurde als

Patent angemeldet und weckt bereits reges

Interesse. Mit der Unterstützung aus

dem START-Programm will Lechner diese

Architektur verwenden, um neue Ansätze

von Quantencomputern für künstliche

Intelligenz zu entwickeln. cf

Fotos: Uni Inns bruck (1)

zukunft forschung 02/17 45


PREISE & AUSZEICHNUNGEN

HABILITATION AUSGEZEICHNET

Für ihre Habilitationsschrift

über Mensch-

Objekt-Beziehungen

im Mittelalter und in

der Renaissance am

Beispiel der fürstlichen

Höfe des süddeutschen

und oberitalienischen

Raums erhielt die Historikerin

Christina Antenhofer einen der diesjährigen

Kardinal-Innitzer-Förderungspreise. Die

gebürtige Südtirolerin ist assoziierte Professorin

für Geschichte des Mittelalters an der

Universität Inns bruck. Bereits im vergangenen

Jahr wurde ihre Habilitationsschrift mit

dem Forschungspreis der Stiftung Südtiroler

Sparkasse ausgezeichnet.

GOLDMEDAILLE FÜR ZOOLOGEN

Der erste Preis der

Edmund Optics Educational

Awards

für Europa geht in

diesem Jahr an den

Zoologen Thorsten

Schwerte, der den

Stechmücken den

Kampf angesagt hat. Viele Studien zeigen,

dass Stechmücken dem Geruch folgen,

wenn sie auf der Suche nach einem neuen

Opfer sind. Relativ wenige Erkenntnisse

gibt es allerdings darüber, welche Rolle das

Sehen dabei spielt. Thorsten Schwerte vom

Institut für Zoologie versucht genau dies

nun mit einem ausgeklügelten Experiment

herauszufinden. Das innovative Studienkonzept

wurde vom Unternehmen Edmund

Optics mit dem Gold Award ausgezeichnet.

DREI AUSZEICHNUNGEN

Hochwasser und

Überflutungen zu simulieren

und weiterführend

unterschiedliche

Manöver zur

Umleitung des Wassers

oder zur Sicherung

von Bereichen

darzustellen, ist der Forschungsgegenstand

des schon mehrfach ausgezeichneten

Daniel Winkler vom Arbeitsbereich Umwelttechnik

am Institut für Infrastruktur. Heuer

gewann er den begehrten Poul-Harremoës-

Award auf der diesjährigen ICUD-Konferenz

in Prag, den Best-Student-Paper-Award der

Universität Inns bruck sowie den Euregio-

JungforscherInnenpreis.

FELTRINELLI-PREIS

Francesca Ferlaino erhielt den Antonio-Feltrinelli-Nachwuchspreis

in Physik. Diese Auszeichnung geht an italienische Gelehrte unter

40 Jahren für außergewöhnliche Erfolge in ihrem Fach.

Die Accademia dei Lincei, die nationale

Akademie der Wissenschaften

Italiens, verlieh Mitte

November im Rahmen der alljährlichen

Eröffnung des akademischen Jahres die

Antonio-Feltrinelli-Preise an herausragende

Persönlichkeiten aus Wissenschaft

und Kunst. Es sind dies die höchsten derartigen

Auszeichnungen in Italien. In

diesem Jahr erstmals vergeben wurden

vier Nachwuchspreise in der Höhe von

je 50.000 Euro in den Fachgebieten Astronomie,

Mathematik, Medizin und Physik.

Die in Neapel geborene Quantenphysikerin

Francesca Ferlaino erhielt den

Preis für ihre herausragenden Leistungen

auf dem Gebiet der ultrakalten

Quantengase. Ferlaino ist Professorin am

Institut für Experimentalphysik der Universität

Inns bruck und wissenschaftliche

Direktorin am Institut für Quantenoptik

und Quanteninformation (IQOQI) der

Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Die Experimentalphysikerin

erforscht ultrakalte Quantenmaterie, in

der die Teilchen den Regeln der Quantenmechanik

gehorchen. Die Eigenschaften

dieser Teilchen können heute im Labor

sehr gut kontrolliert werden. Dies

ermöglicht die Untersuchung von quantenmechanischen

Phänomenen, die sonst

kaum zugänglich sind. Ferlainos Schwerpunkt

liegt in der Erforschung von dipolaren

Quantenphänomenen. Gemeinsam

mit ihrem Team war sie die erste, die ultrakalte

Quantengase aus Erbiumatomen

erzeugt hat. Die relativ schweren Atome

der seltenen Erden bieten eine neue

Spielwiese zum Studium des komplexen

Quantenverhaltens, wo Wechselwirkung

über große Distanzen und Richtungsabhängigkeit

ins Spiel kommen. Damit will

sie ein grundlegendes Verständnis von

komplexen, geometrieabhängigen Quantensystemen

schaffen und in bisher unerforschte

Gebiete der Physik vordringen.

Als Quantensimulator kann dieser Ansatz

dazu genutzt werden, um ein tieferes

Verständnis der Quanteneigenschaften

von Materie zu erlangen.

46 zukunft forschung 02/17

Fotos: Andreas Friedle (2), privat (2), Uni Inns bruck (1), Martin Vandory (1), Land Tirol/Kathrein (1), Angelika Winkler (1), BM für Bildung (1)


PREISE & AUSZEICHNUNGEN

LANDESPREIS FÜR

TEXTILFORSCHER

Die Forschungen an dem von Thomas Bechtold geleiteten

Institut für Textilchemie und Textilphysik in Dornbirn machen neue

innovative Produkte und Verfahren möglich.

KÄTHE-LEICHTER-PREIS

Nikita Dhawan erhielt

für ihre Forschungen

zu Gender und

Postkolonialismus,

Menschenrechten,

Demokratie und Dekolonisierung

sowie

für ihrer Analyse der

Instrumentalisierung des Feminismus im

Zuge der Fluchtbewegungen nach Europa

den Käthe-Leichter-Preis der Arbeiterkammer.

Wissenschaftslandesrat Bernhard

Tilg überreichte Ende Oktober

den mit 14.000 Euro dotierten

Wissenschaftspreis des Landes Tirol an

den Textilforscher Thomas Bechtold.

Der Preisträger ist Leiter des Instituts

für Textilchemie und Textilphysik. Die

im Jahr 1982 gegründete Außenstelle

der Universität Inns bruck befindet sich

in Dornbirn.

Das Institut zählt zu den international

erfolgreichen „Think-Tanks“ für textile

Forschung und Entwicklung. „Wissenschaft

und Forschung sind Schlüssel

zum wirtschaftlichen Erfolg, das belegt

das herausragende Lebenswerk

des Chemikers Thomas Bechtold. Seit

35 Jahren wirkt er an diesem Institut,

das seit 20 Jahren unter seiner Leitung

steht. Durch die enge Verknüpfung der

Außenstelle mit der heimischen Textilindustrie

hat Universitätsprofessor

Bechtold nationale wie auch internationale

Leitbetriebe bei der Erforschung

und Umsetzung von neuen innovativen

Produkten, Verfahren und Dienstleistungen

wirksamst unterstützt. Das betrifft

die Bereiche der Fasermodifikation,

textilen Färbungsprozesse, technischen

Textilien, Funktionsbekleidung ebenso

THOMAS BECHTOLD (re.) wurde 1956

in Dornbirn geboren und studierte von

1974 bis 1981 an der Universität Innsbruck

Chemie. Von 1982 bis 1992 war er

Lehrer an der HTL Dornbirn und gleichzeitig

freier Mitarbeiter am Institut für

Textilchemie und Textilphysik. Nach seiner

Habilitation im Jahr 1993 wurde er wissenschaftlicher

Mitarbeiter, seit 1997 ist

er Leiter des Instituts. Im Jahr 2010 wurde

Thomas Bechtold Universitätsprofessor für

Angewandte Chemie und Textilchemie.

Seit 1984 hat er über 260 wissenschaftliche

Publikationen veröffentlicht und über

20 Patente angemeldet. Die Auszeichnung

wurde Thomas Bechtold vom Tiroler

Landesrat Bernhard Tilg (li.) überreicht.

wie die Nachhaltigkeit und das Recycling

dieser Materialien. Ich gratuliere

einem beliebten Universitätslehrer und

genialen Forscher, der mehrere Patente

hält und auch interdisziplinär zu

Höchstleistungen fähig ist“, würdigte

Landesrat Tilg den Preisträger.

Den mit 4.000 Euro dotierten Förderpreis

für Wissenschaft erhielt Noemí

Aguiló-Aguayo. Die Textilchemikerin ist

Mitarbeiterin von Thomas Bechtold am

Forschungsinstitut in Dornbirn.

HOCHKARÄTIGE AUSZEICHNUNG

Der Asahiko Taira

International Scientific

Ocean Drilling

Research Prize ging

in diesem Jahr an

den Inns brucker

Geologen Michael

Strasser. Der Preis

wird von der American Geophysical Union

und der Japan Geoscience Union vergeben

und geht an Persönlichkeiten mit herausragenden

transdiziplinären Forschungsleistungen

im Bereich von Tiefseebohrungen.

Mehr zu Strassers Forschungsarbeiten lesen

Sie auf den Seiten 38 und 39.

BERNARD-BRODIE-PREIS

Den Bernard-Brodie-

Preis für den besten

Artikel des Jahres

2017 im Fachmagazin

Contemporary

Security Policy erhielt

der Inns brucker

Sicherheitsforscher

Martin Senn vom Institut für Politikwissenschaft.

Gemeinsam mit seinem Kollegen

Jodok Troy befasste er sich in dem Artikel

mit dem Konzept der gezielten Tötungen

und dessen aktueller Transformation.

INTERNATIONALE AUSZEICHNUNG

Der Pharmazeut

Hermann Stuppner

forscht an der Entwicklung

von pflanzlichen

Arzneistoffen.

Für seine wegweisenden

Beiträge auf

diesem Fachgebiet

wurde ihm in Italien der Bruker Award verliehen.

Es ist dies die höchste Auszeichnung

der Phytochemical Society of Europe.

zukunft forschung 02/17 47


ZWISCHENSTOPP INNS BRUCK

METALLURGIE

VERSTEHEN

Mit kristallografischen Untersuchungen an der Uni Inns bruck will der Südafrikaner

James Ferreira Probleme bei der Produktion von Vanadium überwinden helfen.

„Am Institut für Mineralogie

und Petrographie analysiere

ich mit kristallografischen

Methoden die Struktur und

chemische Zusammensetzung

von synthetisch hergestellten

Proben und von Erzen aus

den Produktionsstätten in

Südafrika.“ James Ferreira, University of Pretoria

Im Bushveld-Komplex im Nordosten

von Südafrika liegen reiche Lagerstätten

von Platin, Chrom, Kupfer

und Nickel. Auch das vor allem in der

Stahlproduktion eingesetzte Vanadium

findet sich in den Erzen. Es verbessert die

Zähigkeit von Stahl und erhöht dessen

Widerstandsfähigkeit. Bei der Produktion

im Schmelzofen kann es allerdings passieren,

dass die Erzbrocken verkleben und

deshalb das gesamte Material entsorgt

werden muss. Schmelzen die Erze regelrecht

zusammen, dauert es allein zwei

Wochen, bis das Material abgekühlt ist

und der Ofen ausgeräumt werden kann.

Der ökonomische Schaden in einem solchen

Fall ist enorm.

Verbindungen analysieren

James Ferreira forscht am Department of

Materials Science and Metallurgical Engineering

der University of Pretoria. Die

dortige Arbeitsgruppe kooperiert bereits

seit Jahren mit den Materialwissenschaftlern

um Volker Kahlenberg an der Universität

Inns bruck. Mit Unterstützung des

Österreichischen Austauschdiensts kam

James Ferreira im Herbst für drei Monate

nach Inns bruck, um das hier vorhandene

Know-how in der Kristallografie mit seinem

Wissen über die Metallurgie fruchtbar

zu verbinden. Die Proben brachte

James Ferreira aus Südafrika mit. „Hier

am Institut für Mineralogie und Petrographie

analysiere ich mit kristallografischen

Methoden die Struktur und chemische

Zusammensetzung von synthetisch hergestellten

Proben und von Erzen aus

den Produktionsstätten in Südafrika“,

erzählt James Ferreira. „Diese bestehen

aus einem komplexen Gemisch von

Vanadium, Stickstoff, Kohlenstoff und

Sauerstoff.“ Gelingt es dem jungen Südafrikaner,

die in den Pellets vorhandenen

Verbindungen besser zu verstehen, lassen

sich damit vielleicht auch die in den Produktionsstätten

beobachteten Probleme

vermeiden.

Anwendungsbezug

Im Rahmen des zwischenstaatlichen

Austauschprogramms reisen auch Wissenschaftler

der Uni Inns bruck nach

Südafrika. So war Klaus Zöll aus der Arbeitsgruppe

von Volker Kahlenberg im

August in Pretoria, um dort Experimente

durchzuführen, die an der Uni Inns bruck

nicht möglich sind. Der Nachwuchsforscher

untersucht das Sintern von Eisenerzen.

Beim Sintern wird das sehr feinkörnige

Abbaumaterial der Erzgewinnung durch

eine 1300 Grad Celsius heiße Flammenfront

geführt. Dabei entstehen jene Pellets,

die später im Hochofen weiterverarbeitet

werden. Die Erzpartikel in den

Pellets werden in eine sogenannte Matrix

eingebaut, die wie ein Kleber funktioniert.

„Die darin enthaltenen Verbindungen

sind noch nicht sehr gut charakterisiert“,

erklärt Klaus Zöll. In Südafrika

hat er zu den Erzen äquivalente synthetische

Mischungen unter verschiedenen

Gasatmosphären gesintert und untersucht

nun deren strukturelle Eigenschaften

in den hochmodernen Labors an der

Uni Inns bruck. „In beiden Projekten betreiben

wir Grundlagenforschungen mit

einem sehr starken Anwendungsbezug“,

freut sich Volker Kahlenberg über die gelungene

Kooperation. cf

48 zukunft forschung 02/17

Foto: Andreas Friedle


SPRUNGBRETT INNS BRUCK

FISCHFORSCHER IM RIFF

Die Rolle verschiedener Fischarten im Ökosystem von Korallenriffen untersucht der Biologe

Simon Brandl und hofft, damit zum Erhalt dieser einzigartigen Lebensräume beizutragen.

Tauchen findet Simon Brandl eigentlich

„zu kalt und unbequem“, um es

in seiner Freizeit zu betreiben. Für

seine Arbeit ist es aber absolut notwendig,

denn der Ökologe hat sich den Fischen in

Korallenriffen verschrieben. Korallenriffe

sind eines der artenreichsten und

biomassereichsten Ökosysteme der Welt.

„Wir verstehen noch immer nicht, wie

Korallenriffe tatsächlich funktionieren“,

sagt Simon Brandl, der an der Universität

Inns bruck Biologie studiert hat. „Besonders

die Frage, wie diese Systeme so viel

Biomasse produzieren können, obwohl

sie in nährstoffarmen Ozeanen liegen,

SIMON BRANDL,

geboren 1988 in München,

studierte Biologie

an der Universität Innsbruck

und absolvierte

im Anschluss ein

marinbiologisches Masterstudium

an der James-Cook-University

in Townsville in Australien. Ebendort

promovierte Brandl sich auch 2016. In

den vergangenen zwei Jahren war er

Forschungsstipendiat am Tennenbaum

Marine Observatories Network der Smithsonian

Institution. Im Herbst hat Brandl

ein zweijähriges Forschungsstipendium an

der Simon-Fraser-University in Vancouver,

Kanada, angetreten.

ist noch immer weitgehend unerforscht.

Am Ende meiner Forschungslaufbahn

hoffe ich, dass ich diese Frage beantworten

und dadurch auch zum Schutz dieser

einzigartigen Systeme beitragen kann.“

Brandl untersucht die ökologische Rolle

von unterschiedlichen Arten von Korallenriff-Fischen

und setzt diese dann im

Bezug zu übergreifenden ökologischen

Prozessen. „Ich interessiere mich besonders

dafür, wie wir funktionelle Aspekte

verschiedener Arten erfassen können, wie

sich dies auf die Artengemeinschaften der

Korallenfische auswirkt und in welchem

Ausmaß die Zusammensetzung dieser

Gemeinschaften fundamentale Prozesse in

Korallenriff-Ökosystemen beeinflusst“, so

der gebürtige Deutsche.

Nahrungsnetz ergründen

Brandl interessiert sich hauptsächlich für

kleine, den Meeresboden bewohnende

Fische, wie Grundeln, Schleimfische oder

Schildfische. Diese hatte er schon während

seiner Zeit in Inns bruck erforscht,

wo er eine Bachelor-Arbeit zu Schildfischen

im Mittelmeer verfasst hat. Nach

dem Abschluss in Inns bruck wollte Brandl

sich weiter in der Marinbiologie vertiefen

und zog ein Masterstudium in Townsville

in Australien jenem in Groningen in den

Niederlanden vor: „Obwohl ich eine Zusage

von beiden Universitäten hatte, war

die Entscheidung nicht besonders schwer,

da die James-Cook-University eine der

führenden Einrichtungen für die Erforschung

von Korallenriffen ist.“ Nach nur

einem Semester konnte er hier bereits mit

einem eigenen Forschungsprojekt starten.

Im anschließenden Doktoratsstudium

widmete er sich vor allem pflanzenfressenden

Fischen wie Papageifischen, Doktorfischen

und Kaninchenfischen.

Simon Brandl arbeitet mit einem breiten

Repertoire an Methoden, von Verhaltensbeobachtungen,

Ökomorphologie und Insitu-Experimenten

über DNA-Barcoding

bis zur Physiologie. Diese wird er auch

einsetzen, wenn er sein neues Forschungsprojekt

an der Simon-Fraser-University in

Vancouver beginnt, wo Brandl seine Arbeit

mit den kryptischen, kleinen Riff-Fischen

vertiefen will. „Wir wollen versuchen,

ein komplettes Nahrungsnetz in

Korallenriffen der Insel Moorea in Französisch-Polynesien

zu rekonstruieren und

vermuten, dass diese häufig übersehenen

kleinen Fische eine wichtige Rolle darin

spielen“, erzählt der Biologe. Danach

möchte er sich auf Professuren in den

USA, in Kanada oder Europa bewerben,

um weiterhin Korallenriffe und deren

ökologische Prozesse zu erforschen und

so eine Antwort auf seine Forschungsfrage

nach dem Ursprung der Biomasse in

Korallenriffen zu finden. cf

Fotos: Jordan Casey

zukunft forschung 02/17 49


ESSAY

HEIMLICHE WISSENSCHAFT?

Timo Heimerdinger über die halbherzige Veröffentlichungspflicht

für österreichische Dissertationen

„Wesentliche und für die Fächer insgesamt

relevante Forschung spielt sich in

Dissertationen ab. Daher ist es auch so

wichtig, dass diese Arbeiten veröffentlicht

werden, denn nur so können sie zum

Bestandteil des Diskurses werden.“

TIMO HEIMERDINGER wurde

1973 in Tübingen geboren.

Er studierte Volkskunde,

Neuere Deutsche Literaturgeschichte

und Deutsche Philologie

in Freiburg i.Br., Pisa und

Kiel. Seit 2009 ist er Professor

für Europäische Ethnologie

an der Universität Inns bruck

und seit 2015 Sprecher des

Forschungsschwerpunktes

„Kulturelle Begegnungen –

Kulturelle Konflikte“. Er sieht

im Open-Access-Gedanken

insbesondere auch für NachwuchswissenschaftlerInnen

eine Chance auf bessere

Sichtbarkeit und Rezeption

ihrer Arbeiten.

Das Wesen der Wissenschaft liegt – über

alle Disziplinen hinweg – im freien

Spiel der Argumente im Streben nach

Erkenntnis. Eine Voraussetzung für diesen kollektiven

und offenen Prozess ist die Publikation

und Zugänglichkeit wissenschaftlicher Arbeiten.

Je einfacher und umfassender

– umso besser. Alle

Formen der Erschwerung

von Zugänglichkeit zu Forschungsliteratur

sind in diesem

Sinne unwissenschaftlich.

Daher buchstabiert der

Open- Access-Gedanke das

Publikationsprinzip unter

den Bedingungen der Digitalisierung neu.

Natürlich bleiben einige technische, rechtliche

und ökonomische Fragen, deren Beantwortung

nicht trivial ist. Aber im Grundsatz sind sich

alle einig, dass die möglichst freie Zugänglichkeit

von Forschungsergebnissen unverzichtbar

und zu fördern ist.

So weit, so gut – doch bei genauerer Betrachtung

der österreichischen Gepflogenheiten

zeigen sich Ungereimtheiten, die insbesondere

den Umgang mit Dissertationen betreffen.

Es besteht Modernisierungsbedarf von alten

Regelungen, die ein fragwürdiges Verständnis

der Dissertation an sich offenbaren.

Dissertationen sind im akademischen Qualifikationsweg

die ersten wissenschaftlichen

Arbeiten, die „dem Nachweis der Befähigung

zur selbstständigen Bewältigung wissenschaftlicher

Fragestellungen dienen“ (BGBl.

I Nr. 74/2006, vgl. auch § 51, UG 2002). Damit

sind Dissertationen so etwas wie die Gesellenstücke

in der akademischen Vita und

viel mehr als reine Prüfungsleistungen: Sie

sollen als veritable Beiträge im wissenschaftlichen

Diskurs Bestand haben. Gerade in den

Geistes- und Kulturwissenschaften mit ihrer

Tradition der Individualforschung im Format

der wissenschaftlichen Monografie kommt

der Dissertation eine besondere Bedeutung

zu. Wesentliche und für die Fächer insgesamt

relevante Forschung spielt sich in Dissertationen

ab. Daher ist es auch so wichtig, dass

diese Arbeiten veröffentlicht werden, denn

nur so können sie zum Bestandteil des Diskurses

werden. Konsequenterweise gibt es in

Österreich daher auch eine Veröffentlichungspflicht

für Dissertationen (§ 86, UG 2002). Allerdings

atmet dieser Paragraf noch den Geist

des vordigitalen Zeitalters, denn dieser Veröffentlichungspflicht

ist bereits dann Genüge

getan, wenn zwei (!) ausgedruckte Exemplare

des Manuskriptes abgegeben werden, eines

für die jeweils lokale Bibliothek und eines für

die Nationalbibliothek. Und zudem besteht

die Möglichkeit, die Ausleihe für bis zu fünf

Jahre zu sperren. Die digitale Veröffentlichung

in einem Repositorium ist nur fakultativ. Gegenwärtig

sind in der ULB Inns bruck 65 Dissertationen

gesperrt (Okt 2017), viele andere

existieren nur als kopiertes Manuskript. Zwar

sind die Texte auch unter diesen Bedingungen

– zumindest irgendwann – öffentlich zugänglich,

aber es handelt sich doch um eine Veröffentlichung

mit angezogener Handbremse.

Diese Verhältnisse muten antiquiert wenn

nicht gar verdruckst an. Die Kombination

aus minimalem Verbreitungsgrad und langer

Sperrmöglichkeit löst bei internationalen KollegInnen

im besten Fall Kopfschütteln und im

schlechtesten Fall Schmunzeln aus:

Wer oder was soll durch diese Regelungen

eigentlich vor zu viel Öffentlichkeit und Sichtbarkeit

geschützt werden? Und warum?

Wir empfangen widersprüchliche Signale:

Auf der einen Seite wird immer mehr internationale

Sichtbarkeit in peer reviewed Journals

erwartet, auf der anderen Seite werden Dissertationen

weiterhin wie bessere Seminararbeiten

behandelt. Das passt nicht zusammen.

Die Universität Inns bruck hat mit 1.10.2017

einen klaren Schritt in die richtige Richtung

unternommen und verpflichtet alle DissertantInnen

dazu, eine digitale Version ihrer

fertigen Arbeit ins Repositorium hochzuladen.

Die Sperrmöglichkeit bleibt jedoch bestehen.

Hoffen wir, dass diese Option möglichst selten

und nur dann genutzt werden wird, wenn die

Arbeit sowieso als Buch erscheint.

Der Gesetzgeber ist gefragt, hier endlich

zeitgemäße und auch in internationaler Perspektive

überzeugende Verhältnisse zu schaffen.

Wir brauchen eine Veröffentlichungspflicht,

die diesen Namen auch verdient. Sie

sollte nicht als lästige Hürde gelten, sondern

als Chance und Selbstverständlichkeit.

50 zukunft forschung 02/17

Foto: Andreas Friedle


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Foto: Andreas Friedle

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