30.05.2022 Aufrufe

2022_06_03_05_Rachmaninow_2

Dmitri Schostakowitsch Violinkonzert Nr. 1 a-Moll Sergei Rachmaninow Sinfonie Nr. 2 e-Moll Kahchun Wong | Dirigent Vilde Frang | Violine Dresdner Philharmonie

Dmitri Schostakowitsch
Violinkonzert Nr. 1 a-Moll
Sergei Rachmaninow
Sinfonie Nr. 2 e-Moll

Kahchun Wong | Dirigent
Vilde Frang | Violine
Dresdner Philharmonie

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

SINFONIEKONZERT<br />

<strong>Rachmaninow</strong> 2<br />

FR 3. JUN | 19.30 UHR, SO 5. JUN <strong>2022</strong> | 18.00 UHR<br />

KULTURPALAST


SINFONIEKONZERT<br />

ROMEO&<br />

JULIA<br />

SA 11. JUN <strong>2022</strong> | 19.30 UHR<br />

SO 12. JUN <strong>2022</strong> | 18.00 UHR<br />

KULTURPALAST<br />

ERIC SATIE<br />

Musik zu ›Parade – Ballet réaliste‹<br />

nach einem Thema von Jean Cocteau<br />

REBECCA SAUNDERS<br />

›Still‹ für Violine und Orchester<br />

SERGEI PROKOFJEW<br />

Suite Nr. 2 aus dem Ballett<br />

›Romeo und Julia‹<br />

MAXIME PASCAL | Dirigent<br />

CAROLIN WIDMANN | Violine<br />

DRESDNER PHILHARMONIE<br />

Tickets ab 18 € | 9 € Schüler:innen, Junge Leute<br />

ticket@dresdnerphilharmonie.de | dresdnerphilharmonie.de<br />

© Lennard Rühle


PROGRAMM<br />

Dmitri Schostakowitsch (19<strong>06</strong> – 1975)<br />

Violinkonzert Nr. 1 a-Moll op. 77<br />

Nocturne: Moderato – Meno mosso – Tempo I<br />

Scherzo: Allegro – Poco più mosso – Allegro – Poco più mosso<br />

Passacaglia: Andante – Cadenza<br />

Burlesca: Allegro con brio – Presto<br />

PAUSE<br />

Sergei <strong>Rachmaninow</strong> (1873 – 1943)<br />

Sinfonie Nr. 2 e-Moll op. 27<br />

Largo. Allegro moderato<br />

Allegro molto<br />

Adagio<br />

Finale: Allegro vivace<br />

Kahchun Wong | Dirigent<br />

Vilde Frang | Violine<br />

Dresdner Philharmonie


JÜRGEN OSTMANN<br />

In Kürze<br />

»Er komponierte nicht, sondern schrieb<br />

auf, was sein inneres Ohr hörte.« Das<br />

berichtete Maxim Schostakowitsch über<br />

seinen Vater Dmitri. Sergei <strong>Rachmaninow</strong><br />

wiederum erklärte in einem Interview, er<br />

habe »keine Sympathie für Komponisten,<br />

die Werke nach vorgefassten Formeln<br />

oder Theorien produzieren. Musik sollte<br />

letztendlich der Ausdruck der komplexen<br />

Persönlichkeit eines Komponisten sein.<br />

Die Musik eines Komponisten sollte das<br />

Land seiner Geburt ausdrücken, seine<br />

Liebesaffären, seine Religion, die Bücher,<br />

die ihn beeinflussten, die Gemälde, die er<br />

liebt. Musik sollte die Gesamtsumme aller<br />

Erfahrungen eines Komponisten sein.«<br />

Eine eher intuitive Arbeitsweise, nicht<br />

von abstrakten Ideen und Konzepten<br />

geleitet, sondern von eigenem Erleben<br />

– sie war beiden russischen Komponisten<br />

gemeinsam. Doch ihre Erfahrungen<br />

unterschieden sich stark: Schostakowitsch<br />

verbrachte sein ganzes Berufsleben in der<br />

Sowjetunion, wo er von den Hütern des<br />

»Sozialistischen Realismus« gegängelt und<br />

je nach politischer Wetterlage als Volksfeind<br />

angeprangert oder mit Auszeichnungen<br />

überhäuft wurde. Dagegen verließ<br />

<strong>Rachmaninow</strong> Russland im Revolutions-<br />

jahr 1917 für immer – und schrieb dann<br />

erst nach einer langen Schaffenspause die<br />

letzten sechs seiner 45 Werke mit Opuszahl.<br />

Offenbar benötigte er die Inspiration<br />

durch die Kultur, die Landschaft und die<br />

Sprache seiner Heimat, um komponieren<br />

zu können.<br />

Schostakowitschs schrieb sein erstes Violinkonzert<br />

1947/48, konnte die Uraufführung<br />

allerdings erst Jahre später erleben,<br />

weil er gerade einmal wieder in Ungnade<br />

gefallen war. Vermutlich hätte sich das<br />

Konzert zur Zeit seiner Entstehung schon<br />

durch seine relativ komplexe Tonsprache<br />

und den düsteren Charakter der langsamen<br />

Sätze dem Verdikt des »volksfremden<br />

Formalismus« ausgesetzt.<br />

<strong>Rachmaninow</strong> komponierte seine zweite<br />

Sinfonie 19<strong>06</strong>/07 in Dresden, wohin er<br />

sich mit seiner Familie für die Wintermonate<br />

zurückgezogen hatte. Kommentatoren<br />

haben das eröffnende Mottothema,<br />

das in vielfältigen Abwandlungen alle<br />

vier Sätze durchzieht, übereinstimmend<br />

als »russisch-volkstümlich« bezeichnet –<br />

doch auf konkrete Melodie- oder Stilzitate<br />

konnten sie diesen Eindruck nicht zurückführen.<br />

2


Lachen unter Tränen<br />

Dmitri Schostakowitschs<br />

Violinkonzert Nr. 1 a-Moll<br />

schaffenden dazu angehalten,<br />

das Konzept des<br />

Dmitri Schostakowitsch 1950<br />

offiziellen Parteilinie darzustellen, und<br />

um die Massen damit zu erreichen, mussten<br />

Künstler eine allgemeinverständliche<br />

Dmitri Schostakowitsch komponierte Zeit<br />

seines Lebens unter den wachsamen Augen<br />

und Ohren eines totalitären Regimes. hieß das: Anknüpfen am Volkslied und<br />

Sprache sprechen. Bezogen auf die Musik<br />

Mal lobte ihn die staatlich gelenkte<br />

an der russischen Nationalromantik des<br />

Presse in den Himmel,<br />

19. Jahrhunderts, überschaubare<br />

Formen und Dominanz<br />

dann wieder wurde er<br />

als Volksfeind verfemt<br />

der Melodie. Alles Moderne<br />

– Schostakowitschs Stellung<br />

wechselte mit den<br />

aber auch Polyphonie und<br />

– Atonalität, Dissonanzen,<br />

Schwankungen des politischen<br />

Klimas, aber auch<br />

elemente – galt dagegen<br />

neoklassizistische Stil-<br />

mit seiner eigenen Bereitschaft,<br />

sich anzupassen.<br />

»Formalismus«.<br />

als bürgerlich-dekadenter<br />

Denn Komponisten waren<br />

ebenso wie die bildenden<br />

Nicht zu allen Zeiten wurde<br />

Künstler, Schriftsteller<br />

die Doktrin des Sozialistischen<br />

Realismus mit und alle anderen Kultur-<br />

gleicher<br />

Härte durchgesetzt.<br />

Einen ersten Höhepunkt<br />

»Sozialistischen Realismus« umzusetzen: staatlicher Repression brachte den Komponisten<br />

das Jahr 1936, in dem Schos-<br />

Die Kunst hatte das Leben und die Errungenschaften<br />

des Sozialismus im Sinne der takowitschs Oper »Lady Macbeth von<br />

Mzensk« zum Anlass einer Hetzkampagne<br />

wurde. Nachdem die Kriegsjahre den<br />

3


Künstlern etwas mehr Freiheit gebracht<br />

hatten, zog das Zentralkomitee 1948 erneut<br />

die Zügel an. Wieder geriet Schostakowitsch<br />

ins Visier der Kulturbürokratie,<br />

wurde mit einem Aufführungsverbot<br />

belegt und seiner Ämter enthoben. Eine<br />

Veröffentlichung des zwischen Juli 1947<br />

und März 1948 entstandenen Violinkonzerts<br />

Nr. 1 kam unter diesen Umständen<br />

natürlich nicht in Frage. Wer das Konzert<br />

heute hört, wird sich fragen, was daran<br />

einen Kulturfunktionär wohl provozieren<br />

mochte. Doch in der paranoiden Atmosphäre<br />

der Stalinzeit konnte schon eine<br />

relativ komplexe Tonsprache als negative<br />

politische Aussage gedeutet werden.<br />

Schostakowitsch schrieb kein effektvolles<br />

Bravourstück; er verzichtete auf unmittelbar<br />

eingängige Melodien und oberflächliche<br />

Virtuosität. Selbst David Oistrach,<br />

der Widmungsträger und erste Solist des<br />

Konzerts, konnte sich nur allmählich mit<br />

ihm anfreunden.<br />

Außerdem enthält das Werk mehrere Passagen<br />

im Tonfall jüdischer Volksmusik<br />

– so etwa im Trioteil des an zweiter Stelle<br />

platzierten Scherzos. Auch dies konnte<br />

gefährlich sein, zumal Stalin gerade eine<br />

antisemitische Kampagne gegen die<br />

»wurzellosen Kosmopoliten« befohlen<br />

hatte. Schostakowitsch jedoch liebte die<br />

jüdische Volksmusik, weil sie, wie es in<br />

seinen Memoiren heißt, »fröhlich erscheinen<br />

und in Wirklichkeit tief tragisch sein<br />

kann. Fast immer ist es ein Lachen unter<br />

Tränen. Diese Eigenschaft [...] kommt<br />

meiner Vorstellung von Musik sehr nahe.<br />

Die Musik muss immer zwei Schichten<br />

enthalten. Die Juden wurden so lange gequält,<br />

dass sie es gelernt haben, ihre Verzweiflung<br />

zu verbergen. Sie drücken sie<br />

in Tanzmusik aus.« Außer dem schroffen<br />

Scherzo und dem zumindest vordergründig<br />

fröhlichen »Burleske«-Finale enthält<br />

das Konzert zwei schwermütige langsame<br />

Sätze: an erster Stelle ein »Nocturne« (also<br />

Nachtstück), an dritter eine »Passacaglia«,<br />

eine Variationenfolge über einem hartnäckig<br />

wiederholten Bass-Thema. Dritter<br />

und vierter Satz sind verbunden durch<br />

eine weit ausholende Violinkadenz, die<br />

fast den Rang eines selbständigen Satzes<br />

erhält.<br />

4


DMITRI SCHOSTAKOWITSCH<br />

25. September 19<strong>06</strong> in Sankt Petersburg<br />

† 9. August 1975 in Moskau<br />

Violinkonzert Nr. 1 a-Moll<br />

op. 77<br />

ENTSTEHUNG<br />

1947/48<br />

WIDMUNG<br />

David Oistrach<br />

Öffentlich aufgeführt wurde das Konzert<br />

erstmals am 29. Oktober 1955 in Leningrad,<br />

zweieinhalb Jahre nach Stalins<br />

Tod. Doch trotz begeisterter Publikumsreaktionen<br />

ignorierte die Presse das Werk<br />

auch jetzt noch – bis im Juli 1956 in der<br />

»Sowjetskaja musyka« ein Kommentar<br />

des Solisten David Oistrach erschien:<br />

»Seit der Uraufführung des neuen Violinkonzerts<br />

von Schostakowitsch in Leningrad<br />

und Moskau ist bereits ein halbes<br />

Jahr vergangen, aber bis heute ist noch<br />

kein Artikel, keine Analyse dieses hervorragenden<br />

Werkes erschienen. [...] Gewiss,<br />

Schweigen ist auch eine Art von Kritik.«<br />

URAUFFÜHRUNG<br />

am 29. Oktober 1955 in der Leningrader<br />

Philharmonie durch David Oistrach mit den<br />

Leningrader Philharmonikern unter der<br />

Leitung von Jewgeni Mrawinski<br />

ERSTMALS VON DER DRESDNER<br />

PHILHARMONIE GESPIELT<br />

26. September 1959, Violine: Ferdinand<br />

Baumbach, Dirigent: Siegfried Geißler<br />

ZULETZT<br />

9. Juni 2019, Violine: Christian Tetzlaff,<br />

Dirigentin: Karina Canellakis<br />

BESETZUNG<br />

Solovioline, 3 Flöten, 3 Oboen, 3 Klarinetten,<br />

3 Fagotte, 4 Hörner, 1 Tuba, Pauken, Schlagzeug<br />

(Tamburin, Tamtam, Xylophon), 2 Harfen,<br />

Celesta, Streicher<br />

DAUER<br />

ca. 40 Minuten<br />

5


Motto und Metamorphose<br />

Sergei <strong>Rachmaninow</strong>s Sinfonie<br />

Nr. 2 e-Moll<br />

Sergei <strong>Rachmaninow</strong> reiste nicht gerne<br />

– und wählte doch den Beruf des Klaviervirtuosen<br />

und Dirigenten. Er liebte seine<br />

russische Heimat – und lebte doch seit<br />

der Revolution von 1917 in Westeuropa<br />

und vor allem in den USA, wo er sich zeit<br />

seines Lebens nicht recht eingewöhnen<br />

konnte. <strong>Rachmaninow</strong>s Kompositionen<br />

sind in der russischen Volks- und<br />

Kunstmusik verwurzelt – und wurden<br />

doch stilbildend für die amerikanische<br />

Filmmusik. Die vielen Widersprüche<br />

seiner Künstlerpersönlichkeit schlugen<br />

sich nicht zuletzt in der Entstehungsgeschichte<br />

seiner Sinfonie Nr. 2 e-Moll<br />

nieder.<br />

Sergei <strong>Rachmaninow</strong> 19<strong>06</strong><br />

Eigentlich ist es erstaunlich, dass <strong>Rachmaninow</strong><br />

überhaupt eine zweite Sinfonie<br />

schrieb. Denn die Uraufführung seiner<br />

ersten – am 15. März 1897 in St. Petersburg<br />

– war unter der Leitung des mutmaßlich<br />

betrunkenen Alexander Glasunow<br />

zum Desaster geraten. Nach dieser<br />

öffentlichen Demütigung quälte sich der<br />

junge Komponist mehrere Jahre lang<br />

6


mit Depressionen, bis ihm schließlich<br />

der Moskauer Arzt Nikolai Dahl durch<br />

eine intensive Hypnosebehandlung das<br />

verlorene Selbstvertrauen zurückgab.<br />

Nach dem triumphalen Erfolg seines<br />

zweiten Klavierkonzerts im Jahr 1901<br />

war <strong>Rachmaninow</strong> zwar als Komponist<br />

rehabilitiert, doch es überrascht nicht,<br />

dass er erst nach weiteren fünf Jahren,<br />

und dann in aller Heimlichkeit, das Wagnis<br />

einging, sich erneut als Sinfoniker zu<br />

beweisen. Zu diesem Zweck – und auch<br />

wegen der politischen Unruhen in Russland<br />

– zog <strong>Rachmaninow</strong> 19<strong>06</strong> mit seiner<br />

Familie nach Dresden. Selbst Freunde<br />

erfuhren von der neuen Sinfonie, die er<br />

dort zwischen Oktober 19<strong>06</strong> und April<br />

1907 skizzierte, nur andeutungsweise.<br />

»Wir leben hier still und bescheiden«,<br />

heißt es in einem seiner Briefe. »Wir<br />

sehen keinen und kennen niemanden.<br />

Und auch selbst lassen wir uns nirgends<br />

sehen und wollen auch niemanden<br />

kennen lernen. Ich arbeite sehr viel und<br />

fühle mich sehr wohl.« Erst ein deutscher<br />

Zeitungsreporter lüftete schließlich<br />

das Geheimnis. Die Sinfonie wurde von<br />

<strong>Rachmaninow</strong> in der zweiten Hälfte<br />

des Jahres 1907 instrumentiert und am<br />

26. Januar 1908 in Sankt Petersburg<br />

uraufgeführt. Publikum und Kritik reagierten<br />

dieses Mal überwiegend positiv,<br />

und so konnte sich das Werk bis heute im<br />

Repertoire der großen Orchester halten.<br />

Die formale Anlage der Zweiten scheint<br />

sich für <strong>Rachmaninow</strong> ganz unwillkürlich<br />

und intuitiv ergeben zu haben<br />

– wenngleich er sich gelegentlich,<br />

meistens erst im Nachhinein, Gedanken<br />

darüber machte. So beispielsweise im<br />

Dezember 19<strong>06</strong> in einem Brief an Nikita<br />

Morosow: »Was für eine Form ist das, in<br />

der ich schreibe? Natürlich, es ist eine<br />

dieser verfluchten Rondo-Formen, von<br />

denen ich keine einzige kenne. Sei so<br />

freundlich und schreib mir unverzüglich<br />

eine Antwort auf diese Frage. Und dann,<br />

ich bitte dich, zeig mir alle fünf verdammten<br />

Rondo-Formen in den Klaviersonaten<br />

Beethovens. Ich werde sie alle<br />

kaufen und hier selbst vergleichen. Nur<br />

tu es schnell, weil es mich beunruhigt<br />

und behindert ...«<br />

7


Letztendlich folgte <strong>Rachmaninow</strong> dem<br />

traditionellen viersätzigen Sinfonie-<br />

Modell, wobei jedoch eher Fortspinnung<br />

und Transformation als klassische<br />

thematische Arbeit die Entwicklung<br />

bestimmen. Das beginnt bereits mit den<br />

ersten Takten der Largo-Einleitung,<br />

deren Melodie man als eine Art Mottothema<br />

bezeichnen könnte. Ihre unzähligen<br />

Varianten und Metamorphosen prägen<br />

alle vier Sätze. Dieses Motto nennt<br />

Maria Biesold in ihrer Biographie des<br />

Komponisten »russisch-volkstümlich«,<br />

da es »deutlich in der Bylinen-Melodik<br />

vorgeformt« sei – Bylinen sind mittelalterliche<br />

russische Heldenlieder. Andere<br />

Autoren wollen Bezüge des Themas zu<br />

russisch-orthodoxem Kirchengesang<br />

erkennen. Doch im Grunde spielen die<br />

Celli und Kontrabässe zu Beginn nur<br />

eine Allerweltsmelodie: eine stufenweise<br />

zuerst auf- und dann absteigende<br />

Linie in einem synkopierten Rhythmus.<br />

Vielleicht ergibt sich der Eindruck des<br />

Russischen ja gar nicht so sehr aus dem<br />

Mottothema selbst, sondern vielmehr<br />

aus seiner Verarbeitung: <strong>Rachmaninow</strong><br />

spinnt seine Ursprungsidee zu endlosen<br />

Melodiebögen aus. Die großzügige Weite<br />

des so erzeugten Klangraums könnte<br />

man mit den grenzenlosen Ebenen russischer<br />

Steppenlandschaften in Verbindung<br />

bringen. <strong>Rachmaninow</strong>, so erklärte<br />

sein Freund und Komponisten-Kollege<br />

Nikolaj Medtner, sei nun einmal so durch<br />

und durch russisch, dass er gar keine<br />

Anleihen bei russischer Volksmusik zu<br />

machen brauche.<br />

8


Sergei <strong>Rachmaninow</strong> 19<strong>06</strong><br />

Da getragene Musik weite Teile des ersten<br />

Satzes bestimmt, folgt das lebhafte<br />

Scherzo bereits an zweiter Stelle statt an<br />

der üblicheren dritten. Wie gewohnt umschließen<br />

zwei Hauptteile einen zentralen<br />

Trioabschnitt, doch das Ausdrucksspektrum<br />

ist breiter als es die schlichte<br />

Form vermuten lässt. Denn in die beiden<br />

energischen Hauptteile schiebt <strong>Rachmaninow</strong><br />

jeweils noch eine lyrische Episode<br />

ein, und auch das Trio enthält neben<br />

dem erregten Fugato des Beginns noch<br />

ein kontrastierendes Element – nämlich<br />

eine choralartige Melodie der Blechbläser.<br />

Das Adagio, der dritte Satz, ist eine<br />

Orchesterromanze, der die mehrfach<br />

geteilten Streicherstimmen eine besonders<br />

warme, samtige Fülle verleihen.<br />

Ähnliche Klänge wurden später von<br />

den Filmkomponisten Hollywoods zur<br />

Untermalung von Liebesszenen verwendet<br />

– was dem <strong>Rachmaninow</strong> des Jahres<br />

1907 natürlich nicht zum Vorwurf zu<br />

machen ist. Die romantische Stimmung<br />

9


des langsamen Satzes wird allerdings<br />

vom turbulenten Beginn des Finales<br />

förmlich weggefegt. Marschrhythmen,<br />

galoppierende Triolenfiguren, Beckenschläge<br />

und Fanfaren erzeugen hier<br />

eine lärmende Ausgelassenheit, die man<br />

dem Melancholiker <strong>Rachmaninow</strong> so<br />

gar nicht zutrauen möchte. Dennoch ist<br />

auch dieser Satz keineswegs eindimensional<br />

angelegt. Reminiszenzen an die<br />

vorangegangenen Werkteile geben ihm<br />

Tiefe und der Sinfonie als Ganzer ihren<br />

Zusammenhalt.<br />

SERGEI RACHMANINOW<br />

* 1. April 1873 auf dem Landgut Semjonowo<br />

bei Staraja Russa im Gouvernement Nowgorod,<br />

Russisches Kaiserreich<br />

† 28. März 1943 in Beverly Hills, USA<br />

Sinfonie Nr. 2 e-Moll op. 27<br />

ENTSTEHUNG<br />

19<strong>06</strong>/1907 während eines längeren<br />

Aufenthaltes in Dresden<br />

WIDMUNG<br />

Sergei Tanejew<br />

URAUFFÜHRUNG<br />

Januar 1908 in St. Petersburg,<br />

Dirigent: Sergei <strong>Rachmaninow</strong><br />

ERSTMALS VON DER DRESDNER<br />

PHILHARMONIE GESPIELT<br />

18. Mai 1968,<br />

Dirigent: Kurt Masur<br />

ZULETZT<br />

26. Dezember 2019,<br />

Dirigent: Stanislav Kochanovsky<br />

BESETZUNG<br />

3 Flöten (3. auch Piccolo), 3 Oboen (3. auch<br />

Englischhorn), 2 Klarinetten in A und B,<br />

Bassklarinette in A und B, 2 Fagotte, 4 Hörner,<br />

3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Kleine<br />

Trommel, Große Trommel, Becken, Glockenspiel<br />

und Streicher<br />

DAUER<br />

ca. 60 Minuten<br />

10


KONZERT-<br />

EINFÜHRUNG<br />

DIGITAL<br />

Zu ausgewählten Konzerten können Sie unsere<br />

Einführungen in Ruhe sowohl vor dem Konzert als<br />

auch noch lange danach hören unter<br />

dresdnerphilharmonie.de/konzerteinfuehrung­digital


DIRIGENT<br />

KAHCHUN<br />

WONG<br />

Der aus Singapur stammende<br />

Dirigent erlangte als Gewinner des<br />

Gustav-Mahler-Wettbewerbs im<br />

Jahr 2016 erste internationale Aufmerksamkeit<br />

und wurde daraufhin<br />

als Conducting Fellow für die<br />

Saison 2016/17 zum Los Angeles<br />

Philharmonic eingeladen. Kahchun<br />

Wong ist Erster Gastdirigent<br />

des Japan Philharmonic Orchestra<br />

und war bis 2021 Chefdirigent<br />

der Nürnberger Symphoniker. Im<br />

Mai <strong>2022</strong> wurde er zum Chefdirigenten<br />

des Japan Philharmonic<br />

Orchestra ernannt, dieses Amt<br />

wird er im September 2023 antreten.<br />

Als Gastdirigent leitete er<br />

u. a. das New York Philharmonic<br />

und das Los Angeles Philharmonic<br />

Orchestra, die Tschechische<br />

Philharmonie, die Deutsche Radio<br />

Philharmonie Saarbrücken und<br />

das Konzerthausorchester Berlin.<br />

Zu den Höhepunkten der Saison<br />

2021/<strong>2022</strong> gehören u. a. Konzerte<br />

bei den Bamberger Symphonikern,<br />

der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz,<br />

dem Tokyo Symphony<br />

und dem Singapore Symphony<br />

Orchestra sowie Debüts im National<br />

Centre for Performing Arts<br />

Orchestra in Peking.<br />

BIOGRAPHIE ONLINE<br />

12


VIOLINE<br />

VILDE<br />

FRANG<br />

Vilde Frangs profunde Musikalität<br />

und individuelle Gestaltungskraft<br />

machen sie zu einer der führenden<br />

Geigerinnen ihrer Generation.<br />

2012 debütierte sie bei den Wiener<br />

Philharmonikern, 2016 trat sie<br />

erstmals mit den Berliner Philharmonikern<br />

auf. In der Saison 2021/22<br />

ist Vilde Frang Artist in Residence<br />

beim Royal Stockholm Phiharmonic<br />

Orchestra und Focus Artist<br />

beim Tonhalle-Orchester Zürich.<br />

Höhepunkte dieser Saison sind u. a.<br />

Engagements bei den Wiener Symphonikern,<br />

beim Chamber Orchestra<br />

of Europe und dem NDR Elbphilharmonie<br />

Orchester sowie Auftritte<br />

mit dem Los Angeles Philharmonic<br />

und dem San Francisco Symphony<br />

Orchestra. Vilde Frang ist auch eine<br />

begeisterte Kammermusikerin,<br />

die regelmäßig bei den Festivals in<br />

Verbier, Lockenhaus, dem George<br />

Enescu Festival, den Salzburger<br />

Festspielen und dem Prager Frühling<br />

auftritt. Sie spielt auf einer<br />

Guarneri del Gesù von 1734.<br />

BIOGRAPHIE ONLINE<br />

13


ORCHESTER<br />

DRESDNER<br />

PHILHARMONIE<br />

Musik für alle – Die Dresdner<br />

Philharmonie steht für Konzerte<br />

auf höchstem künstlerischen<br />

Niveau, musikalische Bildung für<br />

jedes Alter und den Blick über den<br />

musikalischen Tellerrand hinaus.<br />

Gastspiele auf fast allen Kontinenten<br />

und die Zusammenarbeit mit<br />

Gästen aus aller Welt haben den<br />

Ruf des Orchesters in der internationalen<br />

Klassikwelt verankert. Seit<br />

der Konzertsaison 2019/2020 ist<br />

Marek Janowski zum zweiten Mal<br />

Chefdirigent und künstlerischer<br />

Leiter der Dresdner Philharmonie.<br />

BIOGRAFIE ONLINE<br />

14


KONZERTVORSCHAU<br />

SA 11. JUN <strong>2022</strong> | 19.30 UHR<br />

SO 12. JUN <strong>2022</strong> | 18.00 UHR<br />

KULTURPALAST<br />

SINFONIEKONZERT<br />

ROMEO UND JULIA<br />

Satie: Musik zu »Parade – Ballet réaliste« über ein Thema<br />

von Jean Cocteau<br />

Saunders: »Still« für Violine und Orchester<br />

Prokofjew: Suite Nr. 2 aus dem Ballett »Romeo und Julia«<br />

Maxime Pascal | Dirigent<br />

Carolin Widmann | Violine<br />

Dresdner Philharmonie<br />

SO 12. JUN <strong>2022</strong> | 11.00 UHR<br />

KULTURPALAST<br />

KAMMERKONZERT<br />

DVOŘÁK UND REICHA<br />

Dvořák: Streichquintett G-Dur für zwei Violinen, Viola,<br />

Violoncello und Kontrabass*<br />

Reicha: Grand quatuor concertant Es-Dur für Klavier,<br />

Flöte, Fagott und Violoncello**<br />

* Mitglieder der Kurt Masur Akademie –<br />

Orchesterakademie der Dresdner Philharmonie<br />

Hobin Yi | 1. Violine<br />

Aleksandra Varaksina | 2. Violine<br />

Hyelin Yun | Viola<br />

Michael Schmitz | Violoncello<br />

Caroline Renn | Kontrabass<br />

** Mitglieder der Dresdner Philharmonie<br />

Maximilian Otto | Klavier (als Gast)<br />

Kathrin Bäz | Flöte<br />

Daniel Bäz | Fagott<br />

Daniel Thiele | Violoncello<br />

FR 17. JUN <strong>2022</strong> | 19.30 Uhr<br />

KULTURPALAST<br />

SINFONIEKONZERT<br />

STARKE STÜCKE<br />

Sibelius: Sinfonie Nr. 3 C-Dur<br />

Strawinski: Violinkonzert in D-Dur<br />

Ravel: Boléro<br />

Nicholas Collon | Dirigent<br />

Leila Josefowicz | Violine<br />

Dresdner Philharmonie<br />

15


IMPRESSUM<br />

HERAUSGEBER<br />

Intendanz<br />

der Dresdner Philharmonie<br />

Schloßstraße 2, 01<strong>06</strong>7 Dresden<br />

T +49 351 4866-282<br />

dresdnerphilharmonie.de<br />

TEXT<br />

Christoph Vratz<br />

Der Text ist ein Originalbeitrag<br />

für dieses Heft;<br />

Abdruck nur mit ausdrücklicher<br />

Genehmigung des Autors.<br />

BILDNACHWEISE<br />

Wikimedia commons S.3,6,9<br />

Kahchun Wong S.12<br />

Marco Borggreve S.13<br />

Björn Kadenbach S.14<br />

CHEFDIRIGENT UND<br />

KÜNSTLERISCHER LEITER<br />

Marek Janowski<br />

INTENDANTIN<br />

Frauke Roth (V.i.S.d.P.)<br />

REDAKTION<br />

Dr. Claudia Woldt und<br />

Adelheid Schloemann<br />

MUSIKBIBLIOTHEK<br />

Die Musikabteilung der<br />

Zentralbibliothek (2. OG) hält<br />

zu den aktuellen Programmen<br />

der Philharmonie für<br />

Sie in einem speziellen Regal<br />

am Durchgang zum Lesesaal<br />

Partituren, Bücher und CDs<br />

bereit.<br />

Preis 2,50€<br />

Änderungen vorbehalten.<br />

Die Dresdner Philharmonie als Kultureinrichtung der Landeshauptstadt<br />

Dresden (Kulturraum) wird mitfinanziert durch<br />

Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag<br />

beschlossenen Haushaltes.<br />

MEDIZINISCHES Gesundheitspartner<br />

LABOR der Dresdner<br />

OSTSACHSEN<br />

Philharmonie<br />

DRESDEN<br />

BAUTZEN<br />

GÖRLITZ<br />

16


SINFONIEKONZERT<br />

STARKE<br />

STÜCKE<br />

FR 17. JUN <strong>2022</strong> | 19.30 UHR<br />

KULTURPALAST<br />

JEAN SIBELIUS<br />

Sinfonie Nr. 3 C-Dur<br />

IGOR STRAWINSKI<br />

Violinkonzert in D-Dur<br />

MAURICE RAVEL<br />

Boléro<br />

NICHOLAS COLLON | Dirigent<br />

LEILA JOSEFOWICZ | Violine<br />

DRESDNER PHILHARMONIE<br />

Tickets ab 18 € | 9 € Schüler:innen, Junge Leute<br />

ticket@dresdnerphilharmonie.de | dresdnerphilharmonie.de<br />

© Chris Lee


TICKETSERVICE<br />

Schloßstraße 2 | 01<strong>06</strong>7 Dresden<br />

T +49 351 4 866 866<br />

MO–FR 10– 19 Uhr<br />

SA, SO, feiertags geschlossen<br />

ticket@dresdnerphilharmonie.de<br />

Bleiben Sie informiert:<br />

dresdnerphilharmonie.de<br />

kulturpalast-dresden.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!