Fluch oder Segen? - Kuratorium Deutsche Altershilfe
Fluch oder Segen? - Kuratorium Deutsche Altershilfe
Fluch oder Segen? - Kuratorium Deutsche Altershilfe
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ProAlter<br />
Ausgabe 05/06 | November/Dezember 2010 | Jahrgang 42 | Preis 5,80 € | www.proalter.de | www.kda.de<br />
ProAlter Selbstbestimmt<br />
älter werden<br />
ÖFFNUNG DER HEIME Orte der Begegnung im Quartier<br />
RICHTIG LÜGEN?! Zum Umgang mit Lügen im Pfl egealltag<br />
WELTWEITE RECHTE Für Menschen mit Behinderung<br />
<strong>Fluch</strong> <strong>oder</strong> <strong>Segen</strong>?<br />
Älter werden,<br />
länger arbeiten<br />
4 191445 305808 06
– Anzeige –<br />
NEUERSCHEINUNG<br />
Expertinnen und Experten aus Wissenschaft<br />
und Praxis dokumentieren ihre Forschungs- und<br />
Arbeitsergebnisse in der Auseinandersetzung mit<br />
dem Älterwerden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />
in der Alten- und Behindertenhilfe. Im<br />
Fokus steht hierbei die Mitarbeiterschaft selbst.<br />
Aspekte der Organisations- und Personalentwicklung<br />
spielen dabei eine zentrale Rolle, denn nur<br />
die Einrichtungen,<br />
die in<br />
Prävention und<br />
Gesundheitsförderung<br />
ihrer<br />
älter werdenden<br />
Mitarbeitenden<br />
investieren,<br />
bleiben auf<br />
Dauer zukunftsfähig.<br />
Mathilde Niehaus/Alexandra Bergedick/<br />
Ute Zillken (Hrsg.)<br />
Älter werdende Mitarbeiterschaft<br />
in Alten- und Behinderteneinrichtungen<br />
Köln 2010<br />
ISBN 978-3-940054-16-6<br />
196 Seiten, 24,90 € zzgl. Versandkosten<br />
<strong>Kuratorium</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Altershilfe</strong><br />
Wilhelmine-Lübke-Stiftung e.V.<br />
An der Pauluskirche 3<br />
50677 Köln<br />
Tel.: +49 221 931847-0<br />
Fax: +49 221 931847-6<br />
E-Mail: versand@kda.de<br />
Internet: www.kda.de
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
werden alte Menschen aufgrund ihres Alters diskriminiert?<br />
De facto würde dies bedeuten, dass alle alten<br />
Menschen – also nicht wie üblich eine Minderheit,<br />
sondern quasi ein Viertel der deutschen Bevölkerung<br />
– diskriminiert werden. Und da wir alle einmal alt<br />
werden, hieße das auch, dass wir als junge Menschen<br />
an unserer eigenen zukünftigen Diskriminierung beteiligt<br />
sind. Klingt doch irgendwie absurd, <strong>oder</strong>?<br />
Was ist aber eigentlich die Ursache für solche bestehenden<br />
Diskriminierungstatbestände? Es ist das Fehlen<br />
realistischer Altersbilder, wenn es zum Beispiel<br />
heißt, dass alle Menschen ab 65 gebrechlich seien.<br />
Fakt ist jedoch, dass alte Menschen gesünder sind und<br />
länger leben denn je.<br />
Auch der Lebensbereich „Arbeit“ ist hiervon besonders<br />
betroffen. Immer noch fi ndet keine gesellschaftliche<br />
Diskussion statt, ob und zu welchen Bedingungen<br />
es Sinn machen könnte, auch im Alter länger<br />
zu arbeiten. Stattdessen passiert etwas, was auch in<br />
anderen Bereichen zu beobachten ist: Anstatt eines<br />
öffentlichen Diskurses, der in einer entsprechenden<br />
rechtlichen Umsetzung mündet, wird dieser über die<br />
Gerichte auf der Basis heutiger Gesetze geführt:<br />
Da ist zum einen das Urteil des Europäischen Gerichtshofes<br />
vom 12. Oktober 2010, bei dem die Richter<br />
entschieden haben, dass eine Arbeitnehmerin mit<br />
65 in Rente gehen muss, obwohl sie gerne länger im<br />
Beruf geblieben wäre, um ihren Lebensunterhalt zu<br />
sichern. Das Gericht hat damit bestätigt, dass Arbeitgeber<br />
ihre Angestellten automatisch mit 65 in den<br />
Ruhestand schicken dürfen.<br />
Das Besondere an ProAlter<br />
Hinter ProAlter steht das <strong>Kuratorium</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Altershilfe</strong> (KDA) –<br />
eine der führenden Institutionen in Deutschland, die sich seit 1962<br />
unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten dafür einsetzt,<br />
die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern. Ein interdisziplinäres<br />
Expertenteam erforscht, berät, informiert, führt Fortbildungen<br />
und Veranstaltungen durch. Das KDA gilt als Wegbereiter für eine m<strong>oder</strong>ne<br />
Altenhilfe.<br />
Aber es geht auch anders: Im Juli 2010 hat das Arbeitsgericht<br />
Hamburg – im Widerspruch zum oben<br />
genannten Urteil – der Klage eines Mitarbeiters stattgegeben.<br />
Der Mann hatte gegen „seine Zwangsverrentung“<br />
wegen Erreichens der tarifl ichen Altersgrenze<br />
geklagt. In diesem Fall durfte der Arbeitgeber seinen<br />
Mitarbeiter nicht automatisch mit Beendigung des 65.<br />
Lebensjahres kündigen. In der Begründung hieß es,<br />
dass die starre Altersgrenze gegen das gesetzliche<br />
Diskriminierungsverbot wegen Alters verstoße.<br />
Auch vor diesem Hintergrund wollen wir uns im<br />
nachfolgenden Schwerpunkt erst einmal unvoreingenommen<br />
aus den unterschiedlichsten Perspektiven<br />
dieser Thematik nähern und nicht – wie oft üblich –<br />
problematisieren. In einer Reportage stellen wir zwei<br />
Unternehmen vor, die ihre Personalpolitik schon<br />
jetzt auf den demografi schen Wandel hin ausrichten.<br />
Aus Sicht der Gerontologie stellen wir die Stärken<br />
und Schwächen älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />
vor. Im Gespräch mit einer Bildungsforscherin<br />
erörtern wir, was ältere Arbeitnehmer/-innen<br />
selbst tun können und was von Seiten der Arbeitgeber<br />
getan werden kann für eine erfolgreiche Integration<br />
im Unternehmen. Darüber hinaus fi nden Sie jede<br />
Menge interessante Hinweise zum Thema „Alternde<br />
Belegschaften“.<br />
Ich wünsche Ihnen – auch im Namen der Redaktion<br />
– viel Spaß und Abwechslung beim Lesen dieser<br />
Ausgabe von ProAlter!<br />
Ihr<br />
Dr. Peter Michell-Auli<br />
Geschäftsführer des KDA<br />
EDITORIAL | ProAlter | November/Dezember 2010<br />
3
4<br />
8<br />
13<br />
18<br />
22<br />
26<br />
29<br />
30<br />
32<br />
37<br />
42<br />
Schwerpunkt<br />
Personalpolitik im Wandel<br />
„Altes Eisen“ – noch bestens in Form<br />
Potenziale älterer Arbeitnehmer unterstützen<br />
Personalpolitische Konsequenzen des<br />
demografi schen Wandels<br />
„In vielen Unternehmen werden die<br />
älteren Beschäftigten nicht als defi zitär<br />
wahrgenommen“<br />
Interview mit Professorin Dr. Carola Iller<br />
Hintergrund<br />
Filmreihe<br />
Altersbilder in der Arbeitswelt<br />
Leben<br />
Akteure im Quartier<br />
Füreinander und miteinander<br />
Öffnung der Heime<br />
Orte der Begegnung im Quartier<br />
Forschung<br />
„Und da denke ich,<br />
hat sich der Kampf gelohnt!“<br />
Biografi sche Faktoren im Pfl egeerleben<br />
Angehöriger von Menschen mit Demenz<br />
Menschen<br />
„Das Potenzial der älteren Generation gewinnt<br />
eine immer größere Bedeutung“<br />
Interview mit Dr. Stephan Articus,<br />
<strong>Deutsche</strong>r Städtetag<br />
INHALT | ProAlter | November/Dezember 2010<br />
8 Schwerpunkt<br />
<strong>Fluch</strong> <strong>oder</strong> <strong>Segen</strong>? Älter<br />
werden, länger arbeiten<br />
30 Leben<br />
Orte der Begegnung<br />
im Quartier
47 Ethik<br />
Zum Umgang mit Lügen<br />
im Pfl egealltag<br />
64 Recht<br />
Weltweite Rechte für<br />
Menschen mit Behinderung<br />
47<br />
52<br />
58<br />
64<br />
71<br />
74<br />
76<br />
78<br />
79<br />
80<br />
82<br />
84<br />
3<br />
6<br />
86<br />
87<br />
Ethik<br />
Richtig Lügen?!<br />
Zum Umgang mit Lügen im Pfl egealltag<br />
Management<br />
Beitrag zur Qualitätsentwicklung<br />
Benchmarking für Wohn- und<br />
Hausgemeinschaften<br />
Bildung<br />
Sterben, Tod und Trauer<br />
Inhalte in der Altenpfl egeausbildung<br />
Recht<br />
Die UN-Behindertenrechtskonvention<br />
Weltweite Rechte für Menschen mit<br />
Behinderung<br />
Maßnahmen zur Umsetzung für<br />
pfl egebedürftige ältere Menschen mit einer<br />
Hörbehinderung<br />
Service<br />
Praxistipp: Geschenke<br />
Leserbriefe<br />
Fernsehtipps<br />
Linktipps<br />
Zahlen: Wer arbeitet am längsten?<br />
Lesetipps<br />
Termine<br />
Editorial<br />
Update!<br />
Impressum<br />
Vorschau<br />
INHALT | ProAlter | November/Dezember 2010<br />
5
� Schwerpunkt<br />
<strong>Fluch</strong> <strong>oder</strong> <strong>Segen</strong>? Älter werden, länger arbeiten
Personalpolitik im Wandel<br />
„Altes Eisen“ –<br />
noch bestens in Form<br />
� Kaum ein Thema erregt derzeit die Gemüter<br />
so sehr wie die Diskussion um längere<br />
Lebensarbeitszeit. Dabei sind viele ältere Arbeitnehmer<br />
sehr wohl gerne bereit, den Vorruhestand<br />
<strong>oder</strong> die Verrentung mit weiterer<br />
berufl icher Tätigkeit einzutauschen. �<br />
„Mir geht’s doch gut hier“, strahlt Hermann<br />
Schütz. Mit seinen 64 Jahren liefert der Finanzbuchhalter<br />
beim Siegerländer Bauunternehmen<br />
Hering den besten Beweis dafür, dass<br />
Arbeitnehmer bis ins hohe Berufsalter produktiv<br />
und lernbereit bleiben können, wenn<br />
sie qualifi ziert, motiviert und gesund sind.<br />
Schon 31 Jahre hält Schütz dem Unternehmen<br />
die Treue. Für sein Engagement in der altersgerechten<br />
Personalentwicklung wurde das<br />
Unternehmen unlängst sogar mit dem AGE<br />
CERT-Qualitätssiegel für altersgerechte Personalentwicklung<br />
der Marie-Luise und Ernst<br />
Becker Stiftung ausgezeichnet. Das Siegel<br />
wird seit 2009 an Betriebe vergeben, die sich<br />
in vorbildlicher Weise den personalpolitischen<br />
Herausforderungen des demografi schen Wandels<br />
stellen, indem sie Motivation, Lern- und<br />
Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter bis ins<br />
hohe Alter fördern und erhalten. Der Buchhalter<br />
ist stolz auf seine berufl iche Laufbahn<br />
– und auf seinen Arbeitgeber. Denn trotz überstandener<br />
Rezession, diverser Krisen im Bau<br />
und der jüngsten Weltwirtschaftskrise hat der<br />
Umgang mit den Mitarbeitern bei Hering immer<br />
gestimmt. Letztes Jahr hätte Hermann<br />
Schütz in den fi nanzierten Vorruhestand gehen<br />
können. In letzter Sekunde lehnte er ab: „Ich<br />
hatte noch nicht das Gefühl, nicht mehr arbeiten<br />
zu können. Warum sollte ich aufhören?“<br />
Und auch Kollegen und Vorgesetzte waren<br />
froh über seine Entscheidung, denn bei dem<br />
aktuellen EDV-Projekt, da sind sich alle einig,<br />
hätte er defi nitiv gefehlt.<br />
Jung lernt von Alt<br />
Verantwortung übernehmen zu dürfen, das ist<br />
für Hermann Schütz das Schönste und Wichtigste<br />
an seiner Arbeit. Die ihm anvertraute<br />
Finanzbuchhaltung für den Geschäftsbereich<br />
Gleis- und Ingenieurbau bei Hering Bau wird<br />
nämlich gerade voll digitalisiert. Aufwendige<br />
manuelle Prozesse sollen künftig über die<br />
EDV abgewickelt werden – für das Unternehmen<br />
Hering ein wichtiges Pilotprojekt. Erst<br />
wenn Schütz alles reibungslos über die Bühne<br />
gebracht hat, ziehen andere Geschäftsbereiche<br />
nach. 1979 begann Schütz als Bauhofl eiter<br />
bei dem Burbacher Familienunternehmen.<br />
Dann, zehn Jahre später, der Wechsel in die �<br />
�<br />
Hermann<br />
Schütz und<br />
Jens Labrenz<br />
besprechen<br />
einen „Fall“<br />
SCHWERPUNKT | ProAlter | November/Dezember 2010<br />
9
�<br />
Älterer<br />
Mitarbeiter<br />
bei der Arbeit<br />
im Lager<br />
10<br />
Buchhaltung. Denn lebenslang zu lernen,<br />
Herausforderungen anzunehmen und sich in<br />
immer neue Bereiche einzuarbeiten – das ist<br />
genau sein Ding und hat Schütz stets jung gehalten.<br />
Gern erinnert er sich beispielsweise an<br />
die Einführung eines neuen Computersystems:<br />
„Das war plötzlich eine völlig andere Art zu arbeiten.<br />
Der Wechsel fi el uns allen nicht leicht.“<br />
Lampenfi eber habe er gehabt, manchmal auch<br />
ein wenig Bammel. Aber nie Zweifel, dass sich<br />
eines Tages der Aufwand rentieren würde. Diese<br />
Zuversicht auch an die jüngeren Kollegen<br />
weiterzugeben – das war in der Umbruchpha-<br />
SCHWERPUNKT | ProAlter | November/Dezember 2010<br />
se ein wichtiger Faktor für die Stimmung im<br />
Team und für das Gelingen der Umstellung.<br />
Veränderungen nicht als einen Leidensprozess<br />
zu verstehen, sondern als eine Stufe auf der<br />
Treppe nach oben – das vermittelt er den jungen<br />
Leuten bis heute.<br />
Ohne Weiterbildung kein Weiterkommen<br />
Fachspezifi sche Lehrgänge und Schulungen,<br />
die ihm für den Job halfen, hat der Finanzbuchhalter<br />
immer genutzt. Der Einsatz von E-<br />
Mail, Computer, Scanner & Co. ist für ihn in<br />
seiner heutigen Arbeitswelt selbstverständlich.<br />
Die Zusammenarbeit mit den jungen Kollegen<br />
empfi ndet Hermann Schütz als Bereicherung<br />
für sein Leben. „So erfahre ich die Denkweisen<br />
der heutigen Generation aus erster Hand“,<br />
sagt er. Dass sie ihm in neuen Technologien<br />
überlegen ist, weiß der 63-Jährige, der sich in<br />
diesem Feld auch gerne helfen lässt. Im Gegenzug<br />
freut er sich, wenn er Auszubildenden einen<br />
Rat geben <strong>oder</strong> junge Kollegen von seiner<br />
Erfahrung und Routine profi tieren lassen kann.<br />
Wenn der Finanzbuchhalter in den Ruhestand<br />
geht, kann er sich zudem auf eine betrieblich<br />
geförderte Zusatzrente freuen, in die er seit<br />
2002 eingezahlt hat. Bis heute ist Schütz am<br />
Unternehmenserfolg beteiligt. In guten Jahren<br />
hat er auf diese Weise hohe Beträge hinzuverdient.<br />
Das und die Sicherheit eines festen Jobs<br />
haben ihm in seinem Leben oft geholfen.<br />
Preisgekrönte Mitarbeiterförderung<br />
Seit nunmehr 15 Jahren fördert Hering Bau die<br />
Leistungsfähigkeit seiner Mitarbeiter. Der Erfolg<br />
ist beispielhaft: Krankenstand und Fluktuation<br />
sind drastisch gesunken: „Das Unternehmen<br />
sieht sich für den ‚War for Talents‘ im<br />
demografi schen Wandel gut gerüstet“, erklärt<br />
Personalmanagerin Nicole Trettner. Denn wer<br />
bei Hering im Gleisbau, dem Fertigteilwerk<br />
für Architekturfassaden <strong>oder</strong> in der Produkttechnik<br />
arbeitet, der muss richtig zupacken<br />
können. Obwohl die meisten körperlich hart<br />
arbeiten müssen, ist ihr Krankenstand gering.<br />
Mit etwa fünf Prozent liegt er deutlich unter<br />
dem Branchenmittel, ebenso wie die Fluktuation<br />
mit drei Prozent. Rund 300 Mitarbeiter beschäftigt<br />
das mittelständische Familienunter-
nehmen mit Sitz im nordrhein-westfälischen<br />
Siegerland. Die Belegschaft ist im Durchschnitt<br />
41 Jahre alt, jeder fünfte Mitarbeiter<br />
ist schon über 50. Im Jahr 2020, das ergab die<br />
letzte Altersstrukturanalyse, werden bereits 60<br />
Prozent der Mitarbeiter älter als 45 Jahre sein.<br />
14 Jahre arbeitet ein Mitarbeiter heute durchschnittlich<br />
bei Hering.<br />
Wohlfühlatmosphäre und<br />
Gesundheitschecks<br />
1995 führte die Firma die betriebliche Gesundheitsförderung<br />
als weiteren Baustein für<br />
altersgerechte Personalentwicklung ein. Heute<br />
betreibt Hering auf seinem Werksgelände ein<br />
öffentliches Gesundheitsstudio, das nicht nur<br />
von den Mitarbeitern, sondern auch von deren<br />
Familien <strong>oder</strong> Freunden genutzt wird. Arbeitsmedizinische<br />
Vorsorgeuntersuchungen, umfangreiche<br />
Maßnahmen zur Arbeitssicherheit<br />
und zum Arbeitsschutz, Sportveranstaltungen<br />
sowie Kurse zum Zeit- und Stressmanagement<br />
<strong>oder</strong> zur Rauch-Entwöhnung runden das<br />
freiwillige Gesunderhaltungsangebot ab. Ein<br />
in 2009 gestartetes Pilotprojekt widmet sich<br />
speziell der psychischen Gesundheit. In Workshops<br />
erlernen Führungskräfte, wie sie Druck<br />
und Stress bei ihren Mitarbeitern erkennen und<br />
so Erkrankungen vorbeugen können. Auch in<br />
puncto Arbeitsplatzgestaltung wurden seit<br />
1995 unzählige Maßnahmen ergriffen, die es<br />
älteren Mitarbeitern ermöglichen, ihre Arbeit<br />
ohne Einschränkung zu verrichten.<br />
„Ältere Mitarbeiter gleichen eine niedrigere<br />
körperliche Leistungsfähigkeit häufi g durch<br />
Routine, Ruhe und Gelassenheit aus“, erklärt<br />
Personalmanagerin Nicole Trettner. Leistungs-,<br />
Treue- und Gesundheitsprämien für die<br />
gesamte Belegschaft sowie Mitarbeiterpartnerschaften<br />
binden junge wie alte Arbeitnehmer<br />
an das Unternehmen, schaffen Leistungsanreize<br />
und sorgen für Motivation. Nicht zu<br />
vergessen die sogenannten Lebensarbeitszeitkonten:<br />
Hier können Hering-Mitarbeiter freiwillig<br />
Stunden „ansparen“ <strong>oder</strong> Sonderleistungen<br />
wie Boni und Teile des Monatsgehaltes als<br />
Bruttoentgeltzahlung anlegen. Berechnungen<br />
ergeben, dass mit dem Lebensarbeitszeitkonto<br />
bis zu drei Jahre Vorruhestand fi nanziert bzw.<br />
angespart werden können. Sich frühzeitig mit<br />
den Folgen des demografi schen Wandels befasst<br />
und in einem kontinuierlichen Prozess<br />
immer neue betriebliche Lösungen entwickelt<br />
zu haben, begreift die Geschäftsführung als<br />
Wettbewerbsvorteil. Personalmanagerin Trettner<br />
betont: „Unternehmen, die sich auf den bevorstehenden<br />
Kampf um Fachkräfte nicht vorbereiten,<br />
werden ein böses Erwachen haben.“<br />
Alles andere als verstaubt –<br />
die Belegschaft der Kreisverwaltung<br />
Recklinghausen<br />
Der Kreis Recklinghausen ist mit über 660.000<br />
Einwohnern der bevölkerungsreichste Kreis in<br />
der Bundesrepublik. Wie viele andere Kommunen<br />
in NRW leidet die Verwaltung unter<br />
großen Haushaltsdefi ziten. Die Kreisverwaltung<br />
hat aus der Not eine Tugend gemacht �<br />
�<br />
Hering betreibt<br />
auf seinem<br />
Werksgelände<br />
ein öffentliches<br />
Gesundheitsstudio<br />
SCHWERPUNKT | ProAlter | November/Dezember 2010<br />
11
Call for Papers<br />
12<br />
und konnte dafür<br />
ebenfalls unlängst<br />
das AGE<br />
CERT-Siegel einheimsen.<br />
Denn<br />
weil die Kommunalverwaltung<br />
ihre Aufgaben<br />
vor dem Hintergrund<br />
geringerer<br />
fi nanzieller und<br />
stetig geringer<br />
werdender personellerRessourcen<br />
bewältigen<br />
muss, fördert sie<br />
speziell die ältere<br />
Arbeitnehmerschaft<br />
mit zahlreichen Maßnahmen. Der Altersdurchschnitt<br />
ist mit 47 Jahren relativ hoch.<br />
Hochgerechnet auf das Jahr 2017 werden ohne<br />
Berücksichtigung von Neueintritten rund 70<br />
Prozent der Beschäftigten ein Lebensalter über<br />
50 Jahre haben.<br />
Werte und Wissen<br />
Erfahrungswissen sowie Sozialkompetenz erfahrener,<br />
älterer Beschäftigter zu erhalten – das<br />
ist das Credo der Mitarbeiterförderung. Hierzu<br />
gehört auch, die Gesundheit älter werdender<br />
Beschäftigter zu schützen. In Zusammenarbeit<br />
5. Stiftungstagung der<br />
Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung<br />
am 6./7. April 2011 im Gustav Heinemann Haus, Bonn<br />
Es werden Beiträge zu folgenden Schwerpunkten gesucht:<br />
Forschungsprojekte in der Praxis, Vergütung/Gratifi kation älterer<br />
Arbeitnehmer/-innen, Selbstbild und Selbstverständnis älterer<br />
und alternder Arbeitnehmer/-innen.<br />
Kontakt:<br />
Susann Kocura<br />
Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung<br />
E-Mail: skocura@becker-stiftung.de<br />
Tel.: +49 221 934647-28<br />
www.becker-stiftung.de<br />
SCHWERPUNKT | ProAlter | November/Dezember 2010<br />
mit der AOK wurde die Arbeitsgruppe Zirkel<br />
50+ eingerichtet, dem Beschäftigte aller Altersgruppen<br />
angehören. Die Gruppe kümmert<br />
sich um alter(n)sgerechte Arbeitsplätze, die<br />
Vermittlung von Werten, Kompetenz und Wissen<br />
sowie die Unterstützung der Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter durch Gesundheits- und<br />
Lernkurse. Die Erfahrungen gibt die Kreisverwaltung<br />
an die kreisangehörigen Städte und<br />
auch an kleine und mittelständische Unternehmen<br />
aus der Region weiter. Ob Info-Broschüren,<br />
der speziell eingerichtete Gymnastikraum,<br />
regelmäßig durchgeführte Gesundheitstage,<br />
Kooperationsverträge zur Gesundheitsförderung<br />
mit einem Krankenhaus <strong>oder</strong> das Rahmenkonzept<br />
„Ganzheitliche Betriebliche Gesundheitsförderung“<br />
– Gesundheitsförderung<br />
hatte in der Kreisverwaltung ohnehin schon<br />
eine langjährige Tradition und wird kontinuierlich<br />
ausgebaut. Genauso wie die systematische<br />
Personalentwicklung, um Fachwissen<br />
Älterer zu erhalten und für alle zugänglich zu<br />
machen, die es benötigen. �<br />
Über den Autor:<br />
PETER KOLAKOWSKI<br />
… ist Fachjournalist für Sozial- und Gesundheitsthemen<br />
und Kommunikationsberater. Er<br />
publiziert in Presse, Hörfunk und Fernsehen,<br />
u. a. Deutschlandfunk, Süddeutsche Zeitung<br />
und <strong>Deutsche</strong> Welle TV; außerdem berät er<br />
Sozialverbände, Politik und Wirtschaft.