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4/2010 - Leporello

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Von wegen Liebe...<br />

„Das Maß der Dinge“ in den Kammerspielen des Mainfranken Theater Würzburg<br />

„Das Maß der Dinge“ – was ist das?<br />

Neil LaBute zeigt in seinem Stück in<br />

den Würzburger Kammerspielen:<br />

Es ist der Mensch, die Menschlichkeit<br />

– jedenfalls sollte er das sein.<br />

Sobald er aber bewusst für irgendwelche<br />

Zwecke instrumentalisiert<br />

wird, so dass er seine Selbstachtung<br />

verliert, läuft das mitmenschlichen<br />

Grundsätzen zuwider. Freiheit der<br />

Kunst? Grenzen? Wahrheit oder Lüge?<br />

Um solche Fragen kreist das unterhaltsame,<br />

aber auch nachdenklich<br />

stimmende Stück. Es fängt ganz<br />

harmlos an, heiter, in einem Museum.<br />

Student Adam, leicht ungepflegt,<br />

schüchtern, jobbt als Wärter,<br />

bewacht Skulpturen. Die attraktive<br />

Kunststudentin Evelyn reizt ihn,<br />

baggert ihn an. In seiner Unsicherheit<br />

fühlt er sich geschmeichelt von<br />

ihren Wünschen: Also verändert<br />

er sein Äußeres, nimmt ab, treibt<br />

Fitness, legt sich ein vorteilhaftere<br />

Frisur zu, eine neue Nase und<br />

neue Kleidung, und er verliebt sich<br />

wahnsinnig in die rätselhafte, stets<br />

kontrollierte Schöne. Schließlich<br />

gibt er für sie seine Freunde auf, die<br />

leicht spießige, aber ehrliche Jenny<br />

und ihren großspurigen Verlobten<br />

Phil. Nur als Evelyn öffentlich ihre<br />

Diplomarbeit vorstellt, geht ihm<br />

ein Licht auf, zu spät. Er wurde nur<br />

benutzt, als lebende Skulptur. Die<br />

Regie von Marcus Rehberger ließ<br />

auf der Bühne mit verschiebbaren<br />

Würfel-Elementen das Ganze wie<br />

eine Versuchsanordnung ablaufen,<br />

in eher salopp-beiläufigem Plauderton.<br />

Manches schien da sogar<br />

witzig, nur schade, dass die Darsteller<br />

so schnell und leise sprachen,<br />

dass man in den hinteren Reihen<br />

vieles nicht verstand. Dadurch<br />

zog sich der Beginn ziemlich hin.<br />

Die wackeligen Videos brachten<br />

wenigstens etwas Abwechslung.<br />

Philipp Reinheimer überzeugte als<br />

knuddeliger Adam, Anne Diemer<br />

umgarnte ihn als chice, selbstbewusst<br />

kühle Evelyn, während Anna<br />

Sjöström als brave, nette Jenny<br />

wirklich Sympathie für Adam zeigt,<br />

von ihrem lässigen, oberflächlichen<br />

Phil, Christian Manuel Oliveira, immer<br />

mehr abrückt. Das Ende: Ernüchterung.<br />

Von wegen Liebe…<br />

Renate Freyeisen<br />

Foto: nico manGer<br />

nicht zu verzeihen…<br />

Ballast sind sie, die Alten, die nicht so bald sterben wollen und nur die Budgets schmälern.<br />

Stinkender Ballast sind sie, hässlich, spleenig, Nervensägen. Besser nicht konfrontiert<br />

werden mit diesem Ballast. Und gleichzeitig damit, dass man bald selbst zu diesem<br />

Ballast gehören wird. Also an den Rand mit ihnen. Mit sprachlich-selbstverliebtem Einfallsreichtum<br />

will der 1973 geborene Däne Christian Lollike in seinem Stück „Verzeihung,<br />

ihr Alten, wo finde ich Zeit, Liebe und ansteckenden Irrsinn?“ die Brutalität der Ballast-<br />

Einstellung gegenüber den Alten aufdecken. „Pflegeheimdrama“ nennt sich sein Stück,<br />

das Deborah Epstein für das Mainfranken Theater in Szene setzte. Irrsinnig ist das vor<br />

Exzentrik triefende Stück in der Tat. Irrsinnig inkompetent etwa sind die in weißen Reinraumanzügen<br />

agierenden Pfleger des Heims „Frydendal“. Irrsinnig ebenso die zu „Gästen“<br />

deklarierten Bewohner. Mit dem Thema „Pflegeheim“ jedoch hat das Stück nichts,<br />

aber auch nicht das Allergeringste zu tun. An Einfalt und Peinlichkeit nicht zu überbieten<br />

sind jene Szenen, in denen sich Valentin (Kai Markus Brecklinghaus) in die 81jährige<br />

Vera (Maria Vogt) verliebt. Dass eine solche Liebe „zum Kotzen“ ist, wird überdeutlich<br />

demonstriert. Die permanent überforderte Heimleiterin (Maria Brendel) stößt ab in ihrer<br />

albernen Inkompetenz, Anne Simmerings inkontinente, Windel schwingende Sängerin<br />

vermag in keiner Weise, Betroffenheit zu erregen. Zwei Szenen hätten berühren können:<br />

Das gemeinsame Essenschlürfen vor zweckmäßig-abwaschbarem Plastiktischtuch<br />

und die Badeszene. Beide Szenen werden ohne Not plump zerstört, bevor sie ihre empathische<br />

Kraft entfalten können. Dass sich Epstein entschied, Kinder als Kommentatoren<br />

einzuflechten, als sei es nicht genug, dass in<br />

Würzburg die Straßenbahn unbedingt Kinderstimmen<br />

zur Ansage einfangen musste,<br />

vermag weder für Kontraste noch für kritische<br />

Distanz zu sorgen. Allenfalls verweist<br />

es auf das inhaltliche Niveau der Inszenierung,<br />

die keineswegs, wie angekündigt, „liebevoll,<br />

schonungslos und voller Poesie“ ist.<br />

Wie sagte doch der ältere Herr in der achten<br />

Reihe nach zwei Stunden Irrsinnsdarbietung:<br />

„Das ist Theater zum Abgewöhnen.“<br />

Fotos: Falk von Traubenberg Pat Christ<br />

bühne<br />

Rezension<br />

ernüchterung als resümee,<br />

überzeugend dargeboten von<br />

Philipp reinheimer, Anne Diener,<br />

Christian Manuel Oliveira<br />

und Anna Sjöström (v.l.n.r.)<br />

<strong>Leporello</strong> l 19

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