Forschungsreport Daten – Innovation – Privatheit
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
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Dabei lag der Fokus von Team 1, in dem sich unter anderem
Christopher Weiß engagiert hat, auf der Analyse der Voraussetzungen
für den Einsatz Inverser Transparenz in der Praxis und der
Anforderungen an die Unternehmens- und Führungskultur. Team
2 näherte sich dem Thema mehr von der praktischen Seite. So
kreierten und erprobten Juliane Harbarth, Paul Langer und ihre
Kolleginnen und Kollegen verschiedene Use Cases für die konkrete
Anwendung des Konzepts in der täglichen Arbeit. Als technische
Grundlage stand ihnen hierfür eine an der Technischen Universität
München (TUM) entwickelte Toolchain zur Verfügung, die es ermöglicht,
die Nutzung personenbezogener Daten zu verifizieren,
zu protokollieren und damit für die Beschäftigten nachvollziehbar
zu machen, und die abhängig vom jeweiligen Use Case erweitert
werden kann. Implementiert wurde diese Software in einer nicht
produktiven Kopie des Software-AG-internen iTrac.
Kassensturz zum Thema Transparenz
„Wir wollten wissen, welche Erwartungen, Ängste und Hoffnungen
die Beschäftigten mit Inverser Transparenz verbinden“, berichtet
Weiß. Was bedeutet es für die Kolleginnen und Kollegen, wenn
entsprechende Systeme im Unternehmen eingeführt werden?
Wie muss sich dann möglicherweise die Führungskultur
verändern? Als Blaupause für diese Untersuchung diente eine
Skilldatenbank mit integrierter Expertensuche, die mit Hilfe der
in iTrac erhobenen Daten aufgebaut werden könnte. Mit Blick auf
die Herausforderungen der digitalen Transformation wäre dies ein
attraktives Tool – zum einen für das Management, das die Qualifikation
seiner Mitarbeitenden im Auge behalten und weiterentwickeln
muss, zum anderen aber auch für Entwicklerteams, die in
der digitalen Arbeitswelt kollaborativ und agil zusammenarbeiten
und darauf angewiesen sind, Wissen bereichsübergreifend zu teilen.
Das Beispiel zeigt, wie Daten in der Arbeitswelt allen Parteien
nützen können – vorausgesetzt, Zugriff und Verwendung sind klar
geregelt sowie durch kollektive Rechte und eine vertrauensvolle
Unternehmenskultur abgesichert. Wie stehen Mitarbeitende und
Führungskräfte zu dieser Idee? Um das zu klären, haben Weiß und
sein Team in den Bereichen R & D und Support einen „Kassensturz“
zum Thema Transparenz gemacht. Eine repräsentative Umfrage
macht deutlich, dass eine klare Mehrheit der Befragten mit der
Führungskultur im Unternehmen zufrieden ist und auch darauf
vertraut, dass die eigenen Daten sicher sind. Dennoch wünschen
sich die Teilnehmenden nicht nur eine klare Kommunikation über
die Inhalte der gesammelten Daten, sondern auch Transparenz
über die Auswertungsregeln und Informationen darüber, wer wie
oft und warum die betreffenden Daten abgerufen hat.
Vom Gedankenspiel
in die Anwendung
Die Idee einer Expertensuche hat Team 2 aufgegriffen, hierfür mit
der „Supporter-Suche“ einen möglichen Anwendungsfall kreiert
und darüber hinaus im Rahmen des Labs drei weitere iTrac-basierte
Szenarien entwickelt. Zum einen die „Erstkontakt-Suche“.
Sie erleichtert Support-Mitarbeitenden die Kontaktaufnahme mit
ihren weltweit verteilten Kolleginnen und Kollegen, die dasselbe
Ticket bearbeiten, mit denen man aber noch keine gemeinsame
Arbeitserfahrung teilt. Zum zweiten den Use Case „Process Visibility“.
Hier sollen die Auswertungen offengelegt werden, die iTrac
in regelmäßigen Abständen über „Daily Blocker“ versendet. Dabei
handelt es sich um Fehler in Komponenten, die dazu führen, dass
die Software nicht freigegeben werden kann, und die daher den
Betriebsablauf anderer Teams blockieren. Eine Anwendung, mit
der Entwicklungsteams nachvollziehen können, ob sie von einem
solchen Blocker betroffen sind, würde sie zum Beispiel in die Lage
versetzen, Ansatzpunkte zu finden, wie sich die Integration und
Auslieferung von Software verbessern ließe. Zum dritten ist die
so genannte Selbstauskunft entstanden. „Mittels einer neuen
Software soll jeder und jede einen Report erstellen können, der –
ähnlich wie bei einer Schufa-Selbstauskunft – Aufschluss darüber
gibt, welche Informationen eine Führungskraft aus den jeweiligen
Daten ableiten kann“, erklärt Juliane Harbarth. Beschäftigte
könnten hiermit Informations asymmetrien abbauen und Führungskräften
auf Augenhöhe begegnen.
Ein Experiment für sich
So wurde die anfangs sehr abstrakte Idee der Inversen Transparenz
Zug um Zug konkreter. Gestartet sind die Lab-Teams mit
vielen Fragezeichen: zum Konzept, zur Transparenz in der digitalen
Arbeitswelt und auch zu ihrer eigenen Haltung gegenüber diesem
komplexen Thema. Sehr schnell kristallisierten sich konkrete
Themen und Arbeitspakete heraus, die beide Teams systematisch
weiterverfolgt, immer weiter präzisiert und schließlich finalisiert
haben. Selbstverständlich ist es nicht, dass sie dabei immer weiter
Fahrt aufgenommen haben und am Ende so weit gekommen
sind. Denn ein Betriebliches Praxislaboratorium ist auch ohne die
Hürden, die dieses Lab erlebt hat, immer wieder ein Experiment
für sich. Als strategisches Instrument für die Gestaltung der
digitalen Arbeitswelt am ISF München entwickelt, ist es bereits
in verschiedenen Branchen zum Einsatz gekommen: von der
Elektroindustrie über den Finanzdienstleistungssektor bis hin
zur Automobilbranche. Der Rahmen ist immer gleich. Die Labs
arbeiten agil und in Eigenregie nach der Scrum-Methode in drei
III PRAXIS