19.05.2022 Aufrufe

Forschungsreport Daten – Innovation – Privatheit

Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)

Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)

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Traditionsunternehmen mit seinen heute weltweit rund 5000

Beschäftigten vom Anbieter von Datenbanksystemen und

Programmiersprachen zum globalen Player in den neuen Wachstumsmärkten

Cloud und IoT geworden ist. Ausgebaut hat es sein

Produktportfolio, sein technologisches Know-how und damit

seine Marktposition über globale Zukäufe und strategische Allianzen

– Expansionen, die ein grundlegendes Umdenken auch in

der Organisation von Produktion und Support erforderten. Gefragt

waren neue Instrumente, die es ermöglichen, unabhängig von

Standort, Sprache und Kultur kollaborativ zusammenzuarbeiten.

Seit 2009 durchlief die Softwareentwicklung eine grundlegende

Transformation. Mittlerweile arbeiten die Beschäftigten dort

agil in eigenverantwortlichen Scrum-Teams, die weltweit auf

der Basis von iTrac und iWiki synchronisiert werden. In einem

Unternehmensbereich, der traditionell immer von einer mehr teamorientierten

als hierarchischen Kultur geprägt war, stieß dieser

Wandel auf fruchtbaren Boden. Dennoch bedeutete die Einführung

und vor allem auch Nutzung der neuen Systeme für Beschäftigte

und Führungskräfte eine große Herausforderung.

Gewachsene Vertrauenskultur

Dass der Aufbau einer von digitalen Tools und Transparenz

geprägten (neuen) Arbeitswelt gelungen ist, liegt in erster Linie

an der Vertrauenskultur, die in dem „Softwarehaus der ersten

Stunde“ strukturell gewachsen ist. Sie steht im Wesentlichen auf

drei Säulen. Erstens: einer Betriebsvereinbarung, die festschreibt,

dass die Daten und Informationen, die iTrac und iWiki erzeugen,

nur ausgewertet werden dürfen, um die agile Arbeitsweise zu

unterstützen, nicht aber für mehr Kontrolle und Überwachung.

Zweitens: einem Management, das diesen Grundsatz beherzigt.

Drittens: einem kompetenten Betriebsrat, in dem sich überwiegend

erfahrene Softwareexpertinnen und -experten engagieren,

und einer funktionierenden Mitbestimmung. Im Zuge des

grund legenden Transformationsprozesses, den die Software AG

seit 2018 vorantreibt und der den Konzern unter anderem mit

einem neu gestalteten Produktportfolio und Vertriebsmodell

wachstumsfähiger aufstellen soll als bislang, hat auch die Unternehmens-

und Führungskultur weiter an Bedeutung gewonnen.

Hinterlegt mit konkreten Maßnahmen und einem festen Budget

soll der People & Culture-Strategiepfad die Beteiligung der Mitarbeitenden

an der Gestaltung der Transformation sicherstellen

sowie zur Förderung und Weiterentwicklung einer partizipativen

Dialog- und Feedbackkultur beitragen.

Potenziale des „Datenschatzes“ nutzen

Für ein innovatives Gestaltungsinstrument wie das Betriebliche

Praxislaboratorium „Inverse Transparenz“, das auf Agilität, Beteiligung

und Sozialpartnerschaft setzt, bietet die Software AG daher

ideale Voraussetzungen. In Vorbereitung auf das Lab wurden an

den Standorten Darmstadt und Saarbrücken qualitative Interviews

mit Vertretern und Vertreterinnen aus diversen Leitungsfunktionen,

dem Personalmanagement, dem Betriebsrat sowie

mit Beschäftigten aus den Bereichen Entwicklung und Support

geführt. Sie zeigen: Der Mehrwert von Transparenz für die Arbeit

wird hier durchaus geschätzt. Mit iTrac und iWiki hat die Software

AG eine Good Practice für den Umgang mit Daten in der Softwareentwicklung

geschaffen. Denn die durch die Daten erzeugte

Transparenz dient nicht nur der Steuerung der Entwicklungsarbeit.

Es entstehen vielmehr auch neue Potenziale, das Empowerment

von Beschäftigten und ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation zu

stärken.

Allerdings legten die Interviews auch offen: Trotz guter Ausgangsbedingungen

wird der Datenschatz bislang vorwiegend vom

Management genutzt, kaum aber von den Beschäftigten zur Verbesserung

der eigenen Arbeit. Das hat vor allem drei Gründe. Die

Mehrheit der Mitarbeitenden weiß nicht, welche Daten im System

anfallen. Vielen Teams fehlen die Freiräume, um sich systematisch

mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und nicht zuletzt gibt es

Ängste und Vorbehalte, dass die Datenauswertung auf Teamebene

zu einer neuen Form von Gruppenkontrolle führt und der

Leistungsdruck auf Einzelne steigt. Das eigentliche Potenzial der

transparenten Arbeitsumgebung bleibt so bislang weitgehend

ungenutzt: iTrac fungiert zwar als effizientes Organisationstool,

aber noch nicht als Motor für eine lebendige Innovationskultur auf

der Arbeitsebene.

Das Praxislaboratorium hat an dieser Ausgangslage angesetzt.

Gemeinsam mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern

aus dem ISF München, der LMU München und der

TU München sind die Beschäftigten der Software AG der Frage

nachgegangen, wie sich der in iTrac schlummernde Datenschatz

mit Hilfe Inverser Transparenz heben lässt. Mit dem Praxislaboratorium

entstand dort erstmals ein geschützter Lern- und

Experimentierraum, der es allen Beteiligten ermöglichte, sich mit

den im Arbeitsprozess anfallenden Daten zu befassen und nach

innovativen Wegen zu suchen, wie sie ein Mehr an Transparenz

nutzen können – für die Stärkung der eigenen Datensouveränität,

aber vor allem auch für die Verbesserung von Arbeit.

Von Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl und Jutta Witte

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III PRAXIS

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