Forschungsreport Daten – Innovation – Privatheit
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.) Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
CASE STUDY SOFTWARE AG66IdealerPilotierungspartnerFür die Entwicklerinnen und Entwickler der Software AG istagiles Arbeiten in selbstorganisierten Teams auf der Basisdigitaler Tools selbstverständlich. Die verantwortungsvolleNutzung der Daten, die hierbei entstehen, ist über eineBetriebsvereinbarung klar geregelt, das Vertrauen derBeschäftigten in die Absprachen zwischen Management undBetriebsrat ist groß. Dem 1969 gegründeten Softwarehausist so nicht nur die agile Transformation der Produktentwicklunggelungen. Vielmehr hat es dabei auch wertvolleErfahrungen zum Umgang mit Daten und Transparenzgesammelt. Dies macht das Unternehmen zum idealenPraxispartner des Projektes „Inverse Transparenz“.Digitale Tools sind die Voraussetzung dafür, dass globalverteilte Softwareteams agil und eigenverantwortlichzusammenarbeiten können. Sie machen sichtbar, worandie Beschäftigten gerade arbeiten, wie der aktuelleArbeitsstand ist und an welcher Stelle Probleme auftauchen. Undsie sorgen dafür, dass die Beschäftigten ihr Wissen mit allenteilen können. In der Entwicklungsabteilung der DarmstädterSoftware AG ist dies schon lange State of the Art. Deutschlandszweitgrößtes Softwareunternehmen nutzt zum einen das ProjektundProzessmanagementsystem Jira – ein etabliertes Frameworkfür agile Entwicklungsteams. Zum anderen kommt das WikisystemConfluence zum Einsatz. Diese Anwendung ermöglicht es,Ideen oder Informationen zu sammeln und zu teilen, die für einereibungslose Zusammenarbeit relevant sind. So können alle Beteiligtenauf den gleichen Wissensstand zugreifen.Offene und transparenteArbeitsumgebungAuf der Basis dieser beiden Systeme hat die Software AG zweiinterne Tools entwickelt: iTrac und iWiki. Hiermit hat der Software-und Datenbankspezialist im Entwicklungsbereich dieVoraussetzung für eine integrierte und hochgradig transparenteArbeitsumgebung geschaffen. Sie sind die Grundlage dafür, dassrund 1200 Entwicklerinnen und Entwickler an elf Standortenweltweit mit unterschiedlichen Routinen und Arbeitskulturenzusammenarbeiten und gemeinsam Innovationen vorantreiben.Die Kunden- und unternehmensinternen Daten, die diese Systemeerzeugen, lassen allerdings auch weitreichende Rückschlüsseauf die Arbeit der Beschäftigten zu. So erfasst, priorisiert undverwaltet iTrac alle Anforderungen, Aufgaben und Probleme inSoftwareprojekten und dokumentiert damit jeden Arbeitsschritt.Es ermöglicht dem Management, den Entwicklungsprozess zuüberblicken und entlang des Informations- und Datenflusses zusteuern – iTrac fungiert damit so ähnlich wie eine Leitwarte in derFabrik. Interessant ist: Das System trifft nicht nur bei ProduktundProjektmanagerinnen und -managern oder Abteilungsleitendenauf Wohlwollen. Auch die Beschäftigten selbst schätzendas System. Denn iTrac ist offen gestaltet. Das heißt, nicht nurAdministratoren und Administratorinnen oder Führungskräftehaben Zugang zu den in iTrac generierten Daten, sondern auch dieMitarbeitenden. Prinzipiell können Entwicklerinnen und Entwicklerden „Datenschatz“ für ihre eigene Arbeit nutzen, Prozessdatenanalysieren, ihre Tickets auswerten und eigene Dashboards erstellen,die beispielsweise anzeigen, bei welchen Tickets sie aktivwerden müssen, wo es schnellen Handlungsbedarf gibt oder werim Team möglicherweise Unterstützung braucht.Agile SoftwareentwicklungMittels iTrac und iWiki ist es der Software AG gelungen,ihren Entwicklungsbereich zu modernisieren. Dem vorangegangenist eine Entwicklung, in deren Verlauf das DarmstädterIII PRAXIS
Traditionsunternehmen mit seinen heute weltweit rund 5000Beschäftigten vom Anbieter von Datenbanksystemen undProgrammiersprachen zum globalen Player in den neuen WachstumsmärktenCloud und IoT geworden ist. Ausgebaut hat es seinProduktportfolio, sein technologisches Know-how und damitseine Marktposition über globale Zukäufe und strategische Allianzen– Expansionen, die ein grundlegendes Umdenken auch inder Organisation von Produktion und Support erforderten. Gefragtwaren neue Instrumente, die es ermöglichen, unabhängig vonStandort, Sprache und Kultur kollaborativ zusammenzuarbeiten.Seit 2009 durchlief die Softwareentwicklung eine grundlegendeTransformation. Mittlerweile arbeiten die Beschäftigten dortagil in eigenverantwortlichen Scrum-Teams, die weltweit aufder Basis von iTrac und iWiki synchronisiert werden. In einemUnternehmensbereich, der traditionell immer von einer mehr teamorientiertenals hierarchischen Kultur geprägt war, stieß dieserWandel auf fruchtbaren Boden. Dennoch bedeutete die Einführungund vor allem auch Nutzung der neuen Systeme für Beschäftigteund Führungskräfte eine große Herausforderung.Gewachsene VertrauenskulturDass der Aufbau einer von digitalen Tools und Transparenzgeprägten (neuen) Arbeitswelt gelungen ist, liegt in erster Liniean der Vertrauenskultur, die in dem „Softwarehaus der erstenStunde“ strukturell gewachsen ist. Sie steht im Wesentlichen aufdrei Säulen. Erstens: einer Betriebsvereinbarung, die festschreibt,dass die Daten und Informationen, die iTrac und iWiki erzeugen,nur ausgewertet werden dürfen, um die agile Arbeitsweise zuunterstützen, nicht aber für mehr Kontrolle und Überwachung.Zweitens: einem Management, das diesen Grundsatz beherzigt.Drittens: einem kompetenten Betriebsrat, in dem sich überwiegenderfahrene Softwareexpertinnen und -experten engagieren,und einer funktionierenden Mitbestimmung. Im Zuge desgrund legenden Transformationsprozesses, den die Software AGseit 2018 vorantreibt und der den Konzern unter anderem miteinem neu gestalteten Produktportfolio und Vertriebsmodellwachstumsfähiger aufstellen soll als bislang, hat auch die Unternehmens-und Führungskultur weiter an Bedeutung gewonnen.Hinterlegt mit konkreten Maßnahmen und einem festen Budgetsoll der People & Culture-Strategiepfad die Beteiligung der Mitarbeitendenan der Gestaltung der Transformation sicherstellensowie zur Förderung und Weiterentwicklung einer partizipativenDialog- und Feedbackkultur beitragen.Potenziale des „Datenschatzes“ nutzenFür ein innovatives Gestaltungsinstrument wie das BetrieblichePraxislaboratorium „Inverse Transparenz“, das auf Agilität, Beteiligungund Sozialpartnerschaft setzt, bietet die Software AG daherideale Voraussetzungen. In Vorbereitung auf das Lab wurden anden Standorten Darmstadt und Saarbrücken qualitative Interviewsmit Vertretern und Vertreterinnen aus diversen Leitungsfunktionen,dem Personalmanagement, dem Betriebsrat sowiemit Beschäftigten aus den Bereichen Entwicklung und Supportgeführt. Sie zeigen: Der Mehrwert von Transparenz für die Arbeitwird hier durchaus geschätzt. Mit iTrac und iWiki hat die SoftwareAG eine Good Practice für den Umgang mit Daten in der Softwareentwicklunggeschaffen. Denn die durch die Daten erzeugteTransparenz dient nicht nur der Steuerung der Entwicklungsarbeit.Es entstehen vielmehr auch neue Potenziale, das Empowermentvon Beschäftigten und ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation zustärken.Allerdings legten die Interviews auch offen: Trotz guter Ausgangsbedingungenwird der Datenschatz bislang vorwiegend vomManagement genutzt, kaum aber von den Beschäftigten zur Verbesserungder eigenen Arbeit. Das hat vor allem drei Gründe. DieMehrheit der Mitarbeitenden weiß nicht, welche Daten im Systemanfallen. Vielen Teams fehlen die Freiräume, um sich systematischmit dem Thema auseinanderzusetzen. Und nicht zuletzt gibt esÄngste und Vorbehalte, dass die Datenauswertung auf Teamebenezu einer neuen Form von Gruppenkontrolle führt und derLeistungsdruck auf Einzelne steigt. Das eigentliche Potenzial dertransparenten Arbeitsumgebung bleibt so bislang weitgehendungenutzt: iTrac fungiert zwar als effizientes Organisationstool,aber noch nicht als Motor für eine lebendige Innovationskultur aufder Arbeitsebene.Das Praxislaboratorium hat an dieser Ausgangslage angesetzt.Gemeinsam mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlernaus dem ISF München, der LMU München und derTU München sind die Beschäftigten der Software AG der Fragenachgegangen, wie sich der in iTrac schlummernde Datenschatzmit Hilfe Inverser Transparenz heben lässt. Mit dem Praxislaboratoriumentstand dort erstmals ein geschützter Lern- undExperimentierraum, der es allen Beteiligten ermöglichte, sich mitden im Arbeitsprozess anfallenden Daten zu befassen und nachinnovativen Wegen zu suchen, wie sie ein Mehr an Transparenznutzen können – für die Stärkung der eigenen Datensouveränität,aber vor allem auch für die Verbesserung von Arbeit.Von Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl und Jutta Witte67III PRAXIS
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Idealer
Pilotierungspartner
Für die Entwicklerinnen und Entwickler der Software AG ist
agiles Arbeiten in selbstorganisierten Teams auf der Basis
digitaler Tools selbstverständlich. Die verantwortungsvolle
Nutzung der Daten, die hierbei entstehen, ist über eine
Betriebsvereinbarung klar geregelt, das Vertrauen der
Beschäftigten in die Absprachen zwischen Management und
Betriebsrat ist groß. Dem 1969 gegründeten Softwarehaus
ist so nicht nur die agile Transformation der Produktentwicklung
gelungen. Vielmehr hat es dabei auch wertvolle
Erfahrungen zum Umgang mit Daten und Transparenz
gesammelt. Dies macht das Unternehmen zum idealen
Praxispartner des Projektes „Inverse Transparenz“.
Digitale Tools sind die Voraussetzung dafür, dass global
verteilte Softwareteams agil und eigenverantwortlich
zusammenarbeiten können. Sie machen sichtbar, woran
die Beschäftigten gerade arbeiten, wie der aktuelle
Arbeitsstand ist und an welcher Stelle Probleme auftauchen. Und
sie sorgen dafür, dass die Beschäftigten ihr Wissen mit allen
teilen können. In der Entwicklungsabteilung der Darmstädter
Software AG ist dies schon lange State of the Art. Deutschlands
zweitgrößtes Softwareunternehmen nutzt zum einen das Projektund
Prozessmanagementsystem Jira – ein etabliertes Framework
für agile Entwicklungsteams. Zum anderen kommt das Wikisystem
Confluence zum Einsatz. Diese Anwendung ermöglicht es,
Ideen oder Informationen zu sammeln und zu teilen, die für eine
reibungslose Zusammenarbeit relevant sind. So können alle Beteiligten
auf den gleichen Wissensstand zugreifen.
Offene und transparente
Arbeitsumgebung
Auf der Basis dieser beiden Systeme hat die Software AG zwei
interne Tools entwickelt: iTrac und iWiki. Hiermit hat der Software-
und Datenbankspezialist im Entwicklungsbereich die
Voraussetzung für eine integrierte und hochgradig transparente
Arbeitsumgebung geschaffen. Sie sind die Grundlage dafür, dass
rund 1200 Entwicklerinnen und Entwickler an elf Standorten
weltweit mit unterschiedlichen Routinen und Arbeitskulturen
zusammenarbeiten und gemeinsam Innovationen vorantreiben.
Die Kunden- und unternehmensinternen Daten, die diese Systeme
erzeugen, lassen allerdings auch weitreichende Rückschlüsse
auf die Arbeit der Beschäftigten zu. So erfasst, priorisiert und
verwaltet iTrac alle Anforderungen, Aufgaben und Probleme in
Softwareprojekten und dokumentiert damit jeden Arbeitsschritt.
Es ermöglicht dem Management, den Entwicklungsprozess zu
überblicken und entlang des Informations- und Datenflusses zu
steuern – iTrac fungiert damit so ähnlich wie eine Leitwarte in der
Fabrik. Interessant ist: Das System trifft nicht nur bei Produktund
Projektmanagerinnen und -managern oder Abteilungsleitenden
auf Wohlwollen. Auch die Beschäftigten selbst schätzen
das System. Denn iTrac ist offen gestaltet. Das heißt, nicht nur
Administratoren und Administratorinnen oder Führungskräfte
haben Zugang zu den in iTrac generierten Daten, sondern auch die
Mitarbeitenden. Prinzipiell können Entwicklerinnen und Entwickler
den „Datenschatz“ für ihre eigene Arbeit nutzen, Prozessdaten
analysieren, ihre Tickets auswerten und eigene Dashboards erstellen,
die beispielsweise anzeigen, bei welchen Tickets sie aktiv
werden müssen, wo es schnellen Handlungsbedarf gibt oder wer
im Team möglicherweise Unterstützung braucht.
Agile Softwareentwicklung
Mittels iTrac und iWiki ist es der Software AG gelungen,
ihren Entwicklungsbereich zu modernisieren. Dem vorangegangen
ist eine Entwicklung, in deren Verlauf das Darmstädter
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